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Michaela Weiß leitet das Handlungsfeld „Rahmenbedingungen“ im Forum Bildung Digitalisierung und verantwortet dort die Angebote zur Vernetzung von Schulen, Schulträgern und Schulaufsichten. Zudem leitet sie den Arbeitsbereich „Gestaltung von Transfer“ im Handlungsfeld Transfer in der lernen:digital Transferstelle. Als Erziehungs- und Politikwissenschaftlerin war sie im Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt, dem Förderprogramm Demokratisch Handeln und in der Lehrkräftebildung an der Georg-August-Universität Göttingen tätig.

Im Dialog mit …

Michaela
Weiß

Bereichsleitung, Gestaltung von Transfer, lernen:digital Transferstelle

Welche Bedeutung hat Transfer im Kontext der digitalen Transformation von Schule und Lehrkräftebildung?

Der Wissenstransfer ist von zentraler Bedeutung, um Innovationen und Erkenntnisse aus der Wissenschaft in die Praxis von Schulen und Lehrkräften zu übertragen. Ebenso entscheidend ist es, die Bedarfe der Praxis zu nutzen. Unsere Transferprozesse setzen entsprechend auf Vernetzung und ko-konstruktiven Austausch zwischen den Akteursgruppen in den Ländern und der Wissenschaft. Ziel ist es, Gelingensbedingungen zu identifizieren und Formate zu entwickeln, die den Transfer ermöglichen, beschleunigen und vertiefen. So können Erfahrungen, erfolgreiche Ansätze und Forschungsergebnisse bedarfsgerecht in Schulen und Fortbildungseinrichtungen implementiert werden.

Was passiert in den Community Workspaces und Transfer Cafés?

Community Workspaces und Transfer Cafés sind Austausch- und Dialogformate, die gezielt die Vernetzung und den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis fördern. Dort werden zentrale Themen und Herausforderungen der digitalen Transformation diskutiert und innovative Ansätze vorgestellt.  Wir wollen einen Experimentierraum schaffen, in dem über neue und veränderte Kooperations- und Handlungsmöglichkeiten nachgedacht werden kann.

In den Community Workspaces steht die gemeinsame Arbeit an zentralen Herausforderungen des Wissenschaft-Praxis-Transfers im Vordergrund. Akteure entwickeln, testen und reflektieren diverse Ansätze des ko-konstruktiven Austausches und überlegen gemeinsam, wie diese in die Praxis überführt werden können.

Transfer Cafés bieten die Möglichkeit, sich informell zu vernetzen, neue Kontakte zu knüpfen, über aktuelle Projekte zu sprechen und relevante Fragen rund um Transferprozesse zu diskutieren. Hieran nehmen auch Akteure teil, die nicht im Projektkontext eingebunden sind oder bislang waren.

Welche Impulse sollen diese Formate im Bereich Transfer setzen?

Unser Ziel ist es, Teilnehmende aus allen relevanten Bereichen – Praxis, Verwaltung, Landesinstitute, Wissenschaft und Politik – zusammenzubringen. Wir möchten ihnen einen Raum bieten, in dem sie Erfahrungen austauschen, multiperspektivisch lernen und gemeinsam zukunftsfähige Transferstrategien entwickeln können.

Die Formate sollen ein gemeinsames Transferverständnis fördern, erfolgreiche Transferprozesse sichtbar machen und deren Verstetigung unterstützen.

Wir möchten in einen offenen, dialogischen und ko-konstruktiven Austausch treten. An der einen oder anderen Stelle möchten wir die gewohnten Pfade verlassen und gemeinsam neue Wege der Zusammenarbeit entwickeln.

Tagung „Digitale Transformation für Schule und Lehrkräftebildung gestalten“ 2025

Am 29. und 30. September 2025 lädt der Kompetenzverbund lernen:digital zu einer weiteren Tagung „Digitale Transformation für Schule und Lehrkräftebildung“ in Potsdam ein. Um die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich der digitalen Transformation weiter auszubauen, richtet sich die Tagung an Wissenschaftler:innen aus den Bildungswissenschaften, Fachdidaktiken und verwandten Disziplinen sowie an Personen aus den Unterstützungssystemen wie den Landesinstituten für Lehrkräftebildung, den regionalen Einrichtungen der Lehrkräftefortbildung und den Qualitätsagenturen.

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Dr. Julia Jennek promovierte in den Erziehungswissenschaften an der Universität Potsdam und baute parallel dazu das Projekt Campusschulen auf und aus. Am Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung der Universität Potsdam koordinierte sie zudem die Schulpraktika im Lehramtsstudium. Seit August 2023 unterstützt Julia Jennek den Kompetenzverbund lernen:digital als Broker:innen-Leitung für das Kompetenzzentrum Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft und organisiert die Tagung „Digitale Transformation für Schule und Lehrkräftebildung gestalten“.

Im Dialog mit …

Julia
Jennek

Broker:innen-Leitung Kompetenzzentrum Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft

Warum sind Veranstaltungen wie die Tagung „Digitale Transformation für Schule und Lehrkräftebildung gestalten“ wichtig?

Wissenschaftliche Tagungen sind der zentrale Ort, um die eigene Arbeit – gern auch Work-in-Progress – zu präsentieren und mit anderen Wissenschaftler:innen darüber ins Gespräch zu kommen. Gleichzeitig sieht man die Arbeit der Anderen und kann sich davon inspirieren lassen – oder direkt eine Kooperation starten. Bisher gab es im deutschsprachigen Raum noch keine wissenschaftliche Tagung mit Fokus auf digitaler Transformation im Bildungsbereich – daher freuen wir uns sehr, alle Wissenschaftler:innen zusammenzubringen, die an diesem relevanten Thema arbeiten. Und das auch über den Kompetenzverbund lernen:digital hinaus.

Was sind besondere Highlights der diesjährigen Tagung? Was dürfen Teilnehmende erwarten?

Ein Highlight jeder Tagung ist die Keynote – dieses Jahr freuen wir uns auf Heather Hill von der Harvard University. In einer Podiumsdiskussion werden Vertreter:innen von Theorie und Praxis gemeinsam den aktuellen Stand der Digitalisierung an deutschen Schulen beleuchten und reflektieren, was der Kompetenzverbund lernen:digital bisher bewirkt hat.

Wie im letzten Jahr zeigen viele Vertreter:innen des Kompetenzverbunds die Ergebnisse ihrer Arbeit, die nun bei vielen abgeschlossen ist. Es ist sehr spannend zu sehen, wie sich die Projekte entwickelt haben und was aus den Ideen von 2023 geworden ist.

Die Wissenschaft funktioniert ja vor allem online und per Mail – da ist es immer ein Highlight, seine liebsten Mail-Kontakte auch mal persönlich zu treffen.

Was hat sich seit der letzten Tagung verändert?

Anders als im letzten Jahr gibt es keinen gesonderten Tag für den Austausch zwischen dem Kompetenzverbund lernen:digital und den Vertreter:innen der Länder. Die entsprechenden Programmpunkte sind in die Tagung integriert. Dadurch wird es sicher noch mehr Austausch während der Tagung geben.

Zusätzlich haben wir einige neue Tagungsteilnehmende, die z. B. von einer Gesundheitshochschule kommen. Das fachliche Spektrum wird somit breiter. Das erlaubt allen neue Einblicke und Erkenntnisse.

Tagung „Digitale Transformation für Schule und Lehrkräftebildung gestalten“ 2025

Am 29. und 30. September 2025 lädt der Kompetenzverbund lernen:digital zu einer weiteren Tagung „Digitale Transformation für Schule und Lehrkräftebildung“ in Potsdam ein. Um die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich der digitalen Transformation weiter auszubauen, richtet sich die Tagung an Wissenschaftler:innen aus den Bildungswissenschaften, Fachdidaktiken und verwandten Disziplinen sowie an Personen aus den Unterstützungssystemen wie den Landesinstituten für Lehrkräftebildung, den regionalen Einrichtungen der Lehrkräftefortbildung und den Qualitätsagenturen.

Die Anmeldung ist noch bis zum 2. September 2025 möglich.

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Interview mit Dr. Ulrike Franke. Redaktion: Petra Schraml, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Ihr Projektvorhaben gehört im Kompetenzverbund lernen:digital zum Kompetenzzentrum MINT. Was ist das Ziel des Projektverbund MINT-ProNeD?

Das Ziel ist die Etablierung eines integrativen Gesamtkonzepts für die Lehrkräftebildung mit dem Fokus auf die adaptive, digital-gestützte Förderung prozessbezogener Kompetenzen von Schüler:innen in den MINT-Fächern. Das heißt, wir entwickeln Professionalisierungsangebote, in denen MINT-Lehrkräfte forschungsbasierte Gestaltungsmöglichkeiten für adaptive Lernumgebungen kennenlernen und erproben können, die sich auf prozessbezogene Kompetenzen wie die Problemlösungs-, Kommunikations- und Bewertungskompetenzen konzentrieren. Die adaptiven Lernumgebungen sollen dabei durch den Einsatz digitaler Technologien unterstützt werden. Dabei spielt insbesondere auch die Nutzung von innovativen Technologien, wie KI, VR und AR eine Rolle, die im Kontext von adaptivem Unterricht in den MINT-Fächern in zukünftigen Unterrichtssituationen wichtig werden können. Dem MINT-ProNeD Gesamtkonzept liegen u. a. die Kompetenzrahmen DigCompEdu und DiKoLAN als konzeptionelle Orientierung zu Grunde.

Worin liegen die Vorteile einer adaptiven Lernumgebung?

Die Schüler:innen bringen unterschiedliches Vorwissen, verschiedene Interessen oder auch unterschiedliche Motivationen mit in den Unterricht. Adaptiver Unterricht bietet Lehrkräften den Vorteil, dass sie nicht wie beim individualisierten Unterricht für jede:n einzelne:n Schüler:in ein individuelles Lernangebot erstellen müssen, sondern, dass die Schüler:innen je nach ihren unterschiedlichen (Lern-)Voraussetzungen in Lerngruppen zusammenarbeiten und die Lehrkraft optimal passende Lernaufgaben jeweils für die Lerngruppen erstellt. Den Schüler:innen bietet adaptiver Unterricht den Vorteil, dass die Schwierigkeitsgrade der Lernaufgaben auf das aktuelle Lernstandsniveau der Schüler:innen zugeschnitten sind und dadurch Lernerfolge deutlich häufiger wahrgenommen werden können. Man spricht auch von einer optimalen Passung der Lerninhalte an die (Lern-)Voraussetzungen der Schüler:innen. Adaptiver Unterricht besteht aus drei Komponenten: Mit Hilfe der „formativen Diagnose“ überprüfen die Lehrkräfte zunächst, welche (Lern-)Voraussetzungen die Schüler:innen mitbringen. Auf Basis der Ergebnisse der formativen Diagnose bilden sie dann zweitens in einer Phase der „Makroadaption“ entweder homogen zusammengesetzte Lerngruppen, das heißt, sie bringen Schüler:innen mit gleichem Vorwissenstand oder gleichen Interessen in Lerngruppen zusammen und gestalten für die jeweiligen Lerngruppen Lernaufgaben. Oder die Lehrkräfte bilden gemischte, also heterogene Lerngruppen. Hier steht das „Lernen voneinander“ im Mittelpunkt, das durch generative Lernstrategien wie das gegenseitige Erklären von Lerninhalten gefördert werden kann. Die formative Diagnose findet fortlaufend statt, damit die Lehrkräfte das Lernmaterial für die Lerngruppen immer wieder neu anpassen können. Auf der dritten Ebene, der „Mikroadaption“, werden dann Unterstützungsmaßnahmen und gezielte Hilfestellungen auf individueller Ebene innerhalb der Lerngruppen gegeben.

„Den Schüler:innen bietet adaptiver Unterricht den Vorteil, dass die Schwierigkeitsgrade der Lernaufgaben auf das aktuelle Lernstandsniveau der Schüler:innen zugeschnitten sind und dadurch Lernerfolge deutlich häufiger wahrgenommen werden können.“

Dr. Ulrike Franke

Sie arbeiten in drei interdisziplinären Netzwerken zusammen. In welche Themenschwerpunkte sind die Netzwerke untergliedert und was entwickeln sie?

Über mehrere Standorte hinweg haben wir im Verbundprojekt MINT-ProNeD drei Netzwerke etabliert. Im Netzwerk „Fortbildung“ entwickeln in den jeweiligen Fachbereichen an den Standorten Fachdidaktiker:innen der beteiligten Hochschulen und Universitäten gemeinsam mit den Fortbildner:innen und Fachbereichsleiter:innen der Landesinstitute bzw. der Regionalstellen forschungsbasierte, fachspezifische Professionalisierungsangebote für Lehrkräfte und Multiplikator:innen, die die Förderung von prozessbezogenen Schüler:innen-Kompetenzen durch adaptiven digital-gestützten Unterricht adressieren. Diese Professionalisierungsangebote werden über die entsprechenden Portale der Landesinstitute, über die Mediathek der lernen:digital-Homepage „Wissen und Formate“, über Fundus/ComPleTT sowie über die klassischen OER-Plattformen (Open Educational Resources = freie Lernmaterialien) wie ZOERR disseminiert. In Netzwerk 2 liegt der Schwerpunkt auf der Unterrichtsentwicklung und -beratung in einem ko-konstruktiven Setting. Die Lehrkräfte und Schulen, mit denen wir im Netzwerk „Unterrichtsentwicklung und Beratung“ zusammenarbeiten, entwickeln und erproben gemeinsam mit Kolleg:innen der Fachdidaktiken und Multiplikator:innen aus den Landesinstituten in sogenannten professionellen Lerngemeinschaften individuelle, adaptive digital-gestützte Unterrichtskonzepte für den eigenen Unterricht. Mit den Landesinstituten gibt es hierfür an den Standorten eine gut etablierte Kooperations- und Kommunikationsstruktur, so dass die Lehrkräfte selbst, aber auch Fortbildner:innen und Fachbereichsleiter:innen kontinuierlich in die ko-konstruktive Entwicklung der Angebote eingebunden werden können. Das dritte Netzwerk ist unser „Future Innovation Hub“. Hier werden innovative Technologien für einen zukünftigen MINT-Unterricht entwickelt, beispielsweise eine VR-App für den Chemieunterricht, anhand der die Geometrie von Molekülstrukturen visualisiert werden kann, um die Wirkweise von Bindungswinkeln innerhalb von Molekülen für Schüler:innen verständlicher zu machen.

Können Sie noch weitere Beispiele für Fortbildungen und Unterrichtskonzepte nennen, die in den Netzwerken entstehen?

Fortbildungen sind einzelne Online-, Präsenz-, Blended-Learning- oder Hybrid-Veranstaltungen. Im Fachbereich Physik gab es beispielsweise am Standort Tübingen eine über mehrere Tage dauernde Fortbildung zum Thema Optik und Messwerterfassung. Solche und ähnliche Fortbildungen wurden auch in den anderen Fachbereichen entwickelt und durchgeführt. Produkte aus dem Netzwerk „Unterrichtsentwicklung und Beratung“ sind beispielsweise adaptive Unterrichtsverlaufskonzepte, die aus Materialien wie Arbeitsblättern, Tools oder Lernmodulen bestehen, die teils online gestaltet werden und einen Unterrichtsverlaufsplan sowie Empfehlungen zur adaptiven Gestaltung des Unterrichts enthalten. Viele Produkte, die im „Future Innovation Hub“ entwickelt werden, wie die eben erwähnte VR-App für den Chemieunterricht, haben eher Prototypencharakter und können daher auch nur sehr eingeschränkt als OER-Produkt zur Verfügung gestellt werden, so wie es bei den Produkten und Professionalisierungsangeboten aus den anderen beiden Netzwerken gemacht wird. Die Prototypen können aber von interessierten Schulklassen und Schulen auch an den Innovation Spaces und MINT-Laboren der beteiligten Hochschulen ausprobiert werden.

Entwickeln die Netzwerke auch gemeinsame Produkte?

Ja, zum Teil schon. Für die VR-App beispielsweise haben Kolleg:innen aus dem zweiten Netzwerk „Unterrichtsentwicklung und Beratung“ und dem „Future Innovation Hub“ zusammengearbeitet. Eine Lehrkraft aus dem zweiten Netzwerk hat über Probleme berichtet, die ihre Schüler:innen beim Verstehen der Winkel und Molekülstrukturen hatten, woraufhin die Mitarbeitenden aus dem „Future Innovation Hub“ die App gemeinsam mit der Lehrkraft sowie den Kolleg:innen aus der Fachdidaktik der Chemie entwickelt haben. Und aus einer solchen Zusammenarbeit heraus kann im Idealfall dann auch wieder eine Fortbildung entstehen, die mit den Mitarbeitenden des Netzwerks „Fortbildung“ gemeinsam aufgesetzt und durchgeführt wird.

Sie hatten schon gesagt, dass vor allem die Zusammenarbeit mit der Bildungspraxis bei MINT-ProNeD eine große Rolle spielt. Wie bringen Sie Wissenschaft und Bildungspraxis bei der Entwicklung und Erprobung der adaptiven digital-gestützten Unterrichtskonzepte zusammen und wie fördern Sie den Austausch und Transfer zwischen ihnen?

Transfer findet an den jeweiligen Standorten beispielweise auf der ko-konstruktiven Arbeitsebene statt. Lehrkräfte und Fachdidaktiker:innen bzw. Forscher:innen entwickeln im Netzwerk „Fortbildung“ gemeinsam forschungsbasierte Fortbildungsangebote oder erarbeiten in Netzwerk „Unterrichtsentwicklung und Beratung“ gemeinsam in professionellen Lerngemeinschaften adaptive digital-gestützte Unterrichtskonzepte. Im Netzwerk „Future Innovation Hub“ probieren Lehrkräfte die entwickelten Technologien in ihrer Schule oder Klasse direkt in einer Unterrichtsstunde aus oder kommen in die MINT-Labore vor Ort. Die Forscher:innen begleiten die Erprobung mit wissenschaftlichen Methoden. Die Zusammenarbeit ist gewissermaßen ein Austausch von Forschungspraxis und Bildungspraxis. Beide Communities lassen ihre Praxiserfahrungen, das heißt, ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit den je spezifischen Arbeitstechniken und -prozessen in den Dialog mit einfließen. Wir orientieren uns dabei an dem Transferkonzept des Instituts für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW): Bildungsforschung bzw. Forschungspraxis stellt für die Bildungspraxis verschiedene wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verfügung und zugleich stellt die Bildungspraxis Praxiswissen und Erfahrungen zur Verfügung, an denen sich die Bildungsforschung im Hinblick auf neue Forschungsfragen orientieren kann. Wir im Projektverbund MINT-ProNeD sprechen dabei von einem multi-direktionalen Transfer, der in drei Transferbereichen stattfindet: Die Transferunterstützungsmaßnahmen bzw. Transferaktivitäten, die Transferinhalte und die Transferinfrastrukturen.

„Die Zusammenarbeit ist gewissermaßen ein Austausch von Forschungspraxis und Bildungspraxis. Beide Communities lassen ihre Praxiserfahrungen, das heißt, ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit den je spezifischen Arbeitstechniken und -prozessen in den Dialog mit einfließen“

Dr. Ulrike Franke

Können Sie das bitte genauer erläutern?

Transferunterstützung bzw. Transferaktivitäten sind die gezielten Maßnahmen, die das „Zusammenkommen aller Beteiligten“ und somit einen interaktiven Transferprozess zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis überhaupt erst ermöglichen. Dazu zählen beispielsweise die Etablierung von Lernformaten wie Professionelle Lerngemeinschaften, die über einen längeren Zeitraum zusammen an einem Thema arbeiten, aber auch niederschwellige Austauschformate wie Barcamps oder Podiumsdiskussionen und dergleichen. Auch Bedarfserhebungen sind Transferaktivitäten, die den Austausch zwischen Bildungsforschung und Bildpraxis anregen können.

Um Transferprozesse anzustoßen, braucht es dann aber auch Transferinhalte. Also die Frage danach, was das gemeinsame Interesse an einer Sache oder einem Thema ist und auch die Frage, wie alle Beteiligten ihre je eigenen spezifischen Erfahrungen und ihr Wissen rund um das gemeinsam gewählte Thema – den Transferinhalt – gleichermaßen einbringen können. Am Beispiel der entwickelten VR-App zum besseren Verständnis der Geometrie von Molekülstrukturen kann man das recht gut sehen: Einerseits braucht es praxisrelevante Frage- oder Problemstellungen aus dem schulischen Alltag, die an die Bildungsforschung herangetragen werden. Andererseits braucht es Wissen über wissenschaftliches Arbeiten und Methoden, um neue didaktische oder innovative digitalisierte Lehr-Lernprozesse wie das adaptive Lernen mit VR-Techniken im Chemieunterricht empirisch untersuchen zu können, damit Effekte auf den Lernerfolg der Schüler:innen besser verstanden werden.

Die Bildungspraxis bringt also erfahrungsbasiertes Wissen über unterrichtsmethodische Entscheidungen und das Handeln im Unterricht mit, z. B. was es bei Lerngruppen zu beachten gibt, wie viel Zeit einzelne Unterrichtssequenzen benötigen oder unter welchen Bedingungen adaptiver Unterricht möglich ist. Außerdem stellt sie praktisches Wissen zur Schuladministration, zur Klassendynamik und zum Klassengefüge zur Verfügung. Die Bildungsforschung wiederum bringt fachdidaktisches, pädagogisch-psychologisches und forschungsmethodisches Wissen in den Dialog ein. Systematisch angelegte Transfer-Infrastrukturen ermöglichen dann beides – Transferaktivitäten und die gemeinsame Bearbeitung von Transferinhalten sowie die Dissemination von Arbeitsergebnissen. Ich spreche hier von ganz ordinären Austauschplattformen wie Teams oder Content Management Systemen oder auch gemeinsam genutzten Hands-on Makerspaces.

Wie werden die Fortbildungen in Zukunft angeboten?

Das Ziel ist, die Fortbildungen der jeweiligen Standorte als OER über die Disseminationsplattformen ComPleTT/Fundus und MUNDO sowie über die länderspezifischen OER-Plattformen anzubieten. Wir sind zurzeit dabei, die Fortbildungsangebote einschließlich der Materialien und Lernmodule aufzubereiten und sie als OER zur Verfügung zu stellen. Wir bieten zum Beispiel ein fachübergreifendes Basislernmodul zum adaptiven Unterricht mit digitalen Medien an. Das ist ein Moodle-Selbstlernkurs, der Lernvideos, Vertiefungstexte und Übungen beinhaltet und ab sofort zur Verfügung steht. Ein anderes Beispiel sind die vom Teilprojekt an der PH Freiburg entwickelten MuxBooks. Das sind adaptive Lerneinheiten für den Sachunterricht in der Grundschule, die als OER aufbereitet wurden und bereits über die lernen:digital Mediathek sowie auf ZOERR zur Verfügung stehen. Verschiedene Angebote sind zukünftig auch als Selbstlernkurse verfügbar und/oder werden ebenso wie entwickelte Unterrichtsmaterialien von Fortbildner:innen und Multiplikator:innen weiter genutzt.

„Wir sind zurzeit dabei, die Fortbildungsangebote einschließlich der Materialien und Lernmodule aufzubereiten und sie als OER zur Verfügung zu stellen.“

Dr. Ulrike Franke

Der Projektverbund MINT-ProNeD

In dem Projektverbund MINT-ProNeD „Professionelle Netzwerke zur Förderung adaptiver, prozessbezogener, digital-gestützter Innovationen in der MINT-Lehrpersonenbildung“ arbeiten neun lehrkräftebildende Hochschulen in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz (darunter fünf Schools of Education Baden-Württemberg sowie die RPTU Kaiserslautern-Landau), drei außeruniversitäre Forschungsinstitute (Leibniz-Institut für Wissensmedien, Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation) gemeinsam mit den jeweiligen Landesinstituten für Lehrkräftebildung und Schulentwicklung an einem einheitlichen Fortbildungs- und Beratungskonzept zur Gestaltung eines adaptiven, digital-gestützten Unterrichts in den MINT-Fächern. Die Gesamtprojektleitung und Verbundkoordination sind am Standort Tübingen angesiedelt. Wir sprachen mit einer der beiden Verbundkoordinatorinnen Dr. Ulrike Franke vom Tübingen Center for Digital Education über adaptive Lernumgebungen und den Austausch zwischen der Forschungs- und der Bildungspraxis.

Dr. Ulrike Franke

Dr. Ulrike Franke leitet den Arbeitsbereich „Professionalisierung“ am Tübingen Center for Digitale Education an der Universität Tübingen (TüCeDE). Sie ist hier als Verbundkoordination im BMBFSFJ-geförderten Verbundprojekt MINT-ProNeD (www.mint-proned.de) sowie als Koordinatorin des MINT-ProNeD-Teilprojekts am Standort Tübingen tätig und für die Wissenschaftskommunikation sowie den Wissenschafts-Praxis-Transfer verantwortlich.

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Interview mit Prof. Dr. Daniel Pittich. Redaktion: Petra Schraml, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Was sind die Ziele des Projektverbunds LPI?

Bei LPI steht die Professionalisierung von Lehrkräften in Bezug auf die Digitalisierung der beruflich-technischen Bildung im Fokus. Das Ziel ist, vielfältige Akteursgruppen – darunter Universitäten, Landes- und Fortbildungsinstitutionen, Ministerien und Schulen –, Formate und Konzepte synergetisch und funktional zusammenzuführen. Dabei sollen bestehende Strukturen, laufende Initiativen der beteiligten Bundesländer sowie innovative, wissenschaftlich fundierte Schwerpunktthemen berücksichtigt werden.

„Es ist wichtig, alle Akteursgruppen einzubeziehen, damit es keine Insellösungen gibt, bei denen Dinge entstehen, von denen keiner etwas weiß. “

Prof. Dr. Daniel Pittich

Wie sind Sie vorgegangen?

In dem Dreischritt Analyse – Vernetzung – Implementierung haben wir zunächst Bedarfe, Expertisen und bestehende Ansätze gesichtet und anschließend die oben genannten Akteursgruppen in den drei beteiligten Bundesländern miteinander vernetzt. Es ist wichtig, alle Akteursgruppen einzubeziehen, damit es keine Insellösungen gibt, bei denen Dinge entstehen, von denen keiner etwas weiß. Für die Implementation der Konzepte wollten wir keine Parallelstrukturen aufbauen, sondern die bestehenden Strukturen und Kooperationen, die in allen drei Ländern vorhanden sind, stärken und gemeinsam mit den Fortbildner:innen Professionalisierungsangebote entwickeln, die den beruflichen Unterricht direkt bereichern. Wir entwickeln und transferieren keine einzelnen Bausteine: LPI ist eher ein strukturell angelegtes Projekt.

Parallel haben wir eine Plattform für Information, Kommunikation und Verbreitung der Professionalisierungsumgebungen, Unterrichtsansätze und Good-Practice-Beispiele aufgebaut. Hier können Interessierte in Fortbildungskurse hineinschnuppern und sich für sie einschreiben. Wir arbeiten auch an einer Selbsteinschätzung, damit Beteiligte überprüfen können, wo sie stehen.

LPI ist als Transferprojekt angelegt und will einen nachhaltigen Impuls für die Digitalisierung des beruflich-technischen Lehrens und Lernens setzen. Welche Themenschwerpunkte haben Sie dafür ausgewählt?

Wir haben sechs Themenschwerpunkte und deren Einsatzmöglichkeiten im beruflichen Lehren und Lernen fokussiert. Ein digital angereicherter Unterricht folgt einer anderen Logik und anderen didaktischen Strukturen. Ein wichtiger Themenschwerpunkt sind Hybride Lernlandschaften als Leitidee und Rahmen eines digital-angereicherten Lernfeldunterrichts, in denen analoge und digitale Lernphasen unter Nutzung von Lernmanagementsystemen (LMS) zielführend und gewinnbringend kombiniert werden. Weitere Themenfelder sind Learning Analytics – also die Frage nach gezielten Rückmeldungen zum Lernprozess in digitalen Lernumgebungen –, Künstliche Intelligenz als Tool und Inhalt beruflicher Lehr-Lernszenarien, VR, AR und 360°-Videos als berufliche Lern- und betriebsnahe Arbeitsumgebungen, die neben räumlichen und zeitlichen Flexibilisierungen des Lernens auch Visualisierungen technischer Verständniszusammenhänge ermöglichen. Ein weiterer Schwerpunkt sind Lernfabriken als kontextualisierte Lernumgebungen, in denen digitalisierte Arbeits- und Produktionsabläufe für berufliches Lehren und Lernen zugänglich gemacht werden. Und als letzten Punkt haben wir die digitale Schulentwicklung einbezogen, da Veränderungsprozesse nur erfolgreich sein können, wenn Schulen entsprechende Entwicklungsräume schaffen. Unser Schulentwicklungsansatz geht vom Unterricht aus und betrachtet Schulentwicklung als einen schulischen Change-Prozess.

„Wir haben LPI als Transfer- und Veränderungsprojekt konzipiert – weg von dem klassischen Ansatz, etwas zu entwickeln, zu transformieren, zu implementieren und anschließend den Transfer zu evaluieren. Stattdessen möchten wir Veränderung bereits in der Entwicklung mitdenken. “

Prof. Dr. Daniel Pittich

Wie haben Sie die Lehrkräfte in die Entwicklung der Professionalisierungskonzepte eingebunden?

In Bayern sind beispielsweise teilabgeordnete Lehrkräfte in Kooperation mit dem Kultusministerium eingebunden, um die Zusammenarbeit mit den Landesinstituten zu stärken. Diese spielen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung gemeinsamer Angebote. Eine Lehrkraft, die sowohl an der Universität als auch an der Schule tätig ist, kann von Beginn an verschiedene Perspektiven in den Entwicklungsprozess einbringen und so zu einem gemeinsamen Commitment beitragen. Wir haben LPI als Transfer- und Veränderungsprojekt konzipiert – weg von dem klassischen Ansatz, etwas zu entwickeln, zu transformieren, zu implementieren und anschließend den Transfer zu evaluieren. Stattdessen möchten wir Veränderung bereits in der Entwicklung mitdenken. Alle Professionalisierungsumgebungen sind so konzipiert, dass sie Fortbildner:innen Adaptionen an die individuellen Voraussetzungen, die mit der Vielfalt des dualen Bildungssystems einhergehen, erlauben, wie bspw. fachspezifische Aspekte.

Wie zeigt sich das in Ihren Fortbildungen?

Unsere Professionalisierungsangebote bestehen nicht aus einzelnen Bausteinen, sondern sind als begleitete Prozesse über ein Schuljahr hinweg angelegt, um den eigenen Unterricht weiterzuentwickeln. Im Schwerpunkt „Hybride Lernlandschaften“ beispielsweise entsteht als Produkt ein hybrider Unterricht, der praxisnah und direkt umsetzbar ist. Gemeinsam mit Fortbildner:innen begleiten wir den gesamten Prozess – von der Konzeptentwicklung bis zur konkreten Umsetzung im Unterricht. Alle unsere Fortbildungsformate folgen einer einheitlichen methodischen Logik, die auf der hybriden Idee basiert. Dafür haben wir eine Moodle-Umgebung geschaffen, die alle notwendigen Materialien für eine Professionalisierung in digitalen und analogen Phasen enthält und eine kontinuierliche Verbindung zwischen Theorie, Wissen und Anwendung herstellt. In unserem Fall besteht die Anwendungsaufgabe für die Lehrkräfte darin, auf Basis ihres jeweiligen Themas einen Unterricht zu entwickeln. Alle unsere Lernumgebungen sind fach- oder technikdidaktisch ausgerichtet, wobei medienmethodische Aspekte stets in den fachdidaktischen Unterrichtsentwicklungsprozess integriert sind.

„Entscheidend für einen systematischen Veränderungsprozess ist die Unterstützung durch die Schulleitung. Erst wenn diese bereit ist, sich darauf einzulassen, kann das Prinzip überwunden werden, dass jede Lehrkraft nur das auswählt, was ihr individuell zusagt.“

Prof. Dr. Daniel Pittich

Wie nehmen die Lehrkräfte die Fortbildungen an? Sind sie offen für die Inhalte und Ansätze?

Es braucht Zeit und ein neues Mindset, damit Lehrkräfte sich auf diesen Ansatz einlassen. Doch wenn sich Lehrkräfte erst einmal darauf eingestellt und ihn verinnerlicht haben, fragen viele nach Folgeangeboten. Entscheidend dafür ist, einen Raum zu schaffen, in dem sie bei der Entwicklung neuer Unterrichtsideen unterstützt werden. Das kann herausfordernd sein, da bestehende Konzepte hinterfragt und diskutiert werden müssen. Doch die Mehrheit der Lehrkräfte, die sich darauf eingelassen haben, erzielt beeindruckende Ergebnisse – manchmal entdecken sie sogar neue Funktionen in der Moodle-Umgebung, die wir dann integrieren. Dieser gemeinsame Entwicklungsprozess ist notwendig, wird aber in klassischen Fortbildungsformaten oft nur bedingt berücksichtigt. Dort liegt der Fokus meist auf evidenzbasierten, wissenschaftlich fundierten und hochwertigen Fortbildungsangeboten, die Landesinstitute und Lehrkräfte nutzen sollen. Ich denke jedoch, dass dieser Ansatz zwar wichtig ist, aber Lehrkräften auch die Möglichkeit gibt, sich zurückzuziehen und zu sagen, dass die Angebote nicht zu ihnen passen, da die Themen nicht 100 Prozent in den eigenen Unterricht eingebunden werden können. Und hier kommt auch die Schulleitung ins Spiel: Entscheidend für einen systematischen Veränderungsprozess ist die Unterstützung durch die Schulleitung. Erst wenn diese bereit ist, sich darauf einzulassen, kann das Prinzip überwunden werden, dass jede Lehrkraft nur das auswählt, was ihr individuell zusagt. Deshalb setzen wir auf strukturelle Veränderungen – doch dafür braucht es auch die Rückendeckung von Kultusministerien und Entscheidungsträgern, die diesen Weg aktiv mitgehen. Das macht unseren Ansatz im Vergleich sicher ein wenig unbequemer, dafür aber umfassender.

Das Kompetenzzentrum MINT läuft noch bis September. Wo stehen Sie aktuell im Prozess?

Einerseits haben wir viel erreicht, indem wir tief in die Strukturen eingetaucht sind: Wir haben ein neues Netzwerk aufgebaut, Vertrauen geschaffen und Akteur:innen miteinander vernetzt, die gemeinsam neue Konzepte entwickeln können. Auch die Vernetzung über bestehende Kompetenzzentren hinaus war uns wichtig. Wir haben uns deshalb insbesondere mit dem Projektverbund WÖRLD aus dem Kompetenzzentrum Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft vernetzt, weil es einen ähnlichen Ansatz in der beruflichen Bildung verfolgt. Besonders wertvoll war dabei die Unterstützung der Transferstelle mit den Roadshows und Vernetzungsformaten. Andererseits gibt es immer noch zu viele Einzelmaßnahmen, die von den Verbünden und Projekten entwickelt werden. Diese können nach dem Bauchladenprinzip ausgewählt werden, sodass die Bildungsadministration punktuell entscheidet, welche Angebote für sie relevant sind.

„Es braucht die konsequente Einbindung der Bildungsadministration, sonst werden wir mit dem Kompetenzverbund lernen:digital oder mit anderen Projekten nicht die Veränderungen anstoßen können, die wir brauchen.“

Prof. Dr. Daniel Pittich

Welche weiteren Pläne verfolgen Sie mit dem Projektverbund ?

Der Kompetenzverbund lernen:digital ist für uns ein wichtiger Schritt auf einem längeren Weg. Wir hatten auf den Veranstaltungen die Möglichkeit, uns besser zu vernetzen, wir haben gute Produkte und eine Plattform entwickelt, viel Neues gelernt. Ohne den Kompetenzverbund lernen:digital hätten wir den Dreischritt nicht angestoßen. Jetzt müssen wir auch die systemischen Ansätze weiter vorantreiben – das gelingt nur durch eine enge Verknüpfung von Schul- und Unterrichtsentwicklung. Fort- und Ausbildung in der Professionalisierung müssen sich an den Möglichkeiten und Strukturen von Schule und Professionalisierungsraum orientieren, sonst bremsen sie sich aus. Inzwischen haben wir auch von der Bildungsadministration die Zustimmung, diesen Weg weiterzugehen. In den kommenden Wochen werde ich intensiv mit dem Abteilungsleiter des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus darüber sprechen, wie die systemischen Veränderungen umsetzbar sind. Es braucht die konsequente Einbindung der Bildungsadministration, sonst werden wir mit dem Kompetenzverbund oder mit anderen Projekten nicht die Veränderungen anstoßen können, die wir brauchen.

Was ist für den Transfer der Ergebnisse des Kompetenzverbund lernen:digital weiterhin wichtig?

Durch die Arbeit der Transferstelle ist viel in Bewegung gekommen, insbesondere in der Vernetzung unterschiedlicher Expertisen. Die Dynamik des Transfers und die Vernetzung müssen jetzt von jedem Einzelnen aufgegriffen und weitergeführt werden, denn im Gegensatz zu den Projekten und der Transferstelle, die nicht ewig existieren werden, bleiben die Strukturen und Netzwerke in den Ländern bestehen. Auch müssen Universitäten und Einzelverbünde stärker in die Verantwortung genommen und strukturell verankert werden. Zumindest sollte darüber gesprochen werden, wie sie ihre Rollen sehen – eine Erkenntnis, die sich auch im Kompetenzverbund lernen:digital deutlich gezeigt hat. Ein entscheidender Erfolg für lernen:digital wäre es, wenn Universitäten in gemeinsam mit den Ministerien und Landesinstituten abgestimmten und gehandhabten Ansätzen ein enger Beratungspartner in der Lehrkräftefortbildung werden würden. Ich bin davon überzeugt, dass sich durch unsere unterschiedlichen Perspektiven und Expertisen gemeinsam neue und innovative Fortbildungen entwickeln lassen.

Prof. Dr. Daniel Pittich

Daniel Pittich hat an der Technischen Universität München die Professur für Technikdidaktik inne. Zusammen mit seinem Team arbeitet er in enger Einbindung mit der Bildungspraxis und -administration u. a. zu Themen wie der Kompetenzentwicklung in technischen Domänen, einer Konzeption bzw. Umsetzung beruflich-technischen Lehrens und Lernens inkl. curricularen Implementierungsprozessen, der didaktischen Erschließung der digitalen Transformation sowie in der beruflich-technischen Lehrerbildung in allen Phasen. Seit 2023 leitet Daniel Pittich den Projektverbund LPI – Länder- und phasenübergreifendes Interface der beruflich-technischen Bildung. Er ist zudem Sprecher des lernen:digital Kompetenzzentrum MINT und Mitglied des Begleitgremiums.

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Interview mit Prof. Dr. Katharina Scheiter und Muriel Schaber. Redaktion: Petra Schraml, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Im Projektverbund DigiProMIN steht der MINT-Unterricht im Fokus. Wie verändert sich dieser durch die Digitalisierung und welche neuen Herausforderungen für Lehrkräfte entstehen dadurch?

Katharina Scheiter: Durch die Digitalisierung werden digitale Medien als Lehr- und Lernwerkzeuge eingesetzt und Lehrkräfte sowie Schüler:innen müssen lernen, damit umzugehen. Im MINT-Bereich verändern sich zusätzlich die Fächer selbst. Es entstehen digitale Erfassungs-, Mess- und Modellierungsmethoden. Für Lehrkräfte bedeutet das eine weitere Herausforderung. Sie müssen den Bezug zu realen Phänomenen zum Beispiel über naturwissenschaftliche Experimente herstellen, diese aber digital vermitteln und erweitern.

Muriel Schaber: Der gesellschaftliche Anspruch an die Lehrkräfte im MINT-Bereich ist durch den hohen Lebensweltbezug etwas höher als an andere Lehrkräfte. MINT-Lehrkräfte haben durch die Digitalisierung aber auch die Möglichkeit, virtuelle Experimente durchzuführen und Schüler:innen so Phänomene zugänglich zu machen, die sie ihnen aufgrund der manchmal sehr rudimentären Schulausstattung nur schwer vermitteln können.

„MINT-Lehrkräfte haben durch die Digitalisierung aber auch die Möglichkeit, virtuelle Experimente durchzuführen und Schüler:innen so Phänomene zugänglich zu machen, die sie ihnen aufgrund der manchmal sehr rudimentären Schulausstattung nur schwer vermitteln können.“

Muriel Schaber

Welches Ziel hat der Projektverbund DigiProMIN?

Katharina Scheiter: DigiProMIN hat drei Ziele bzw. Schwerpunkte. Zum einen entwickeln wir wissenschaftsbasierte Professionalisierungsbausteine für Lehrkräfte für den Einsatz von digitalen Medien im Unterricht, zum anderen nutzen wir digitale Medien und digitalisierungsbezogene Technologien aber auch schon in der Entwicklung der Fortbildungsangebote. Durch den Einsatz Virtueller Realität (VR) als Instrument für die Fortbildung können Lehrkräfte das digitale Unterrichten bereits erproben. Der dritte Schwerpunkt betrifft den Transfer und geht der Frage nach, wie die Ergebnisse für die Praxis verfügbar gemacht werden können. Das gilt für die Zusammenarbeit mit den Landesinstituten genauso wie für die sinnvolle niedrigschwellige Aufbereitung der Fortbildungsmodule.

Können Sie Beispiele für die Fort- und Weiterbildungen nennen, die Sie in den Schwerpunkten 1 und 2 entwickeln?

Muriel Schaber: Alle Teilprojekte, wir nennen sie auch Cluster, entwickeln modulare Professionalisierungsbausteine, die aufeinander aufbauen und untereinander Bezug haben. Häufig gibt es ein Basismodul, Vertiefungsmodule und ein Abschlussmodul. In der Fortbildungsreihe für den Chemieunterricht in Schwerpunkt 1 beispielsweise geht es um die Leitfrage, was qualitativ hochwertiger, digital gestützter Chemieunterricht ist. In Schwerpunkt 2 gibt es zum Beispiel Cluster zum VR-Klassenraum, um bestimmte digitale Kompetenzen der Lehrkräfte zu fördern und weiterzuentwickeln. Wir unterstützen die Lehrkräfte auch bei der Erstellung naturwissenschaftlicher Aufgaben mit digitalen Medien und trainieren, wie sie auf verbreitete Fehlvorstellungen reagieren können. Viele naturwissenschaftliche Phänomene wurden in der Alltagssprache falsch geprägt. Wir wollen sie um die wissenschaftliche Sichtweise erweitern.

Katharina Scheiter: Der modulare Aufbau der Fortbildungen ist uns sehr wichtig, weil er die Adaption durch die Lehrkräfte ermöglicht. Dadurch müssen sie kein komplettes Fortbildungsangebot durchlaufen, sondern Lehrkräfte bzw. Fortbildungsinstitute können selbst entscheiden, welche Module sie jenseits des Einführungsmoduls erarbeiten und anbieten möchten.

„Die beteiligten Wissenschaftler:innen entwickeln die Fortbildungen mit Lehrkräften, um die Wirksamkeit zu evaluieren.“

Prof. Dr. Katharina Scheiter

Beziehen Sie Lehrkräfte in die Entwicklung der Module mit ein?

Katharina Scheiter: Die beteiligten Wissenschaftler:innen entwickeln die Fortbildungen mit Lehrkräften, um die Wirksamkeit zu evaluieren. Mittel- bis langfristig sollen die Module aber an Multiplikator:innen übergeben werden, die sie dann mit Lehrkräften durchführen. Dementsprechend müssen sie für Fortbildner:innen in den Landesinstituten aufbereitet sein.

In welcher Form finden die Fortbildungen statt?

Muriel Schaber: Die Konzeption der Professionalisierungsmodule innerhalb der Cluster ist sehr gemischt. Es gibt Cluster, die zum jetzigen Zeitpunkt vollständig auf Präsenz setzen, Cluster zu den Online-Fortbildungen beschränken sich naturgegeben darauf. Es gibt aber auch welche, die eine Kombination aus Präsenz- und Online- bzw. Hybrid-Phasen verbinden, also auch Selbstlernphasen einbinden und diese in einer gemeinsamen Nachbereitung wieder zusammenführen.

„Die Akzeptanz der Fortbildungsmodule geht oft damit einher, wie intensiv die Lehrkräfte eingebunden werden können.“

Prof. Dr. Katharina Scheiter

Welche Erfahrungen haben Sie bei der Entwicklung und Erprobung der Fortbildungen bisher gemacht?

Katharina Scheiter: Eine Herausforderung für alle ist die enge zeitliche Taktung von zweieinhalb Jahren von der Konzeptionsphase bis hin zu einem fertig evaluierten Produkt zum Einsatz in der Praxis. Eine weitere Herausforderung stellt die Teilnahmebereitschaft der Lehrkräfte dar. In Zeiten des Lehrkräftemangels werden sie nicht ohne weiteres für Fortbildungen freigestellt. Zumal wir ihnen auch keine zeitliche Entlastung oder finanzielle Ressourcen bieten können. Oft hatten die Cluster für die Erprobung und Pilotierung der Professionalisierungsbausteine deshalb nicht die Teilnahmezahlen an Lehrkräften zur Verfügung, die sie sich gewünscht hatten. Trotzdem hat die Entwicklung der Fortbildungsmodule bisher sehr gut funktioniert. Ich bin immer begeistert, wenn ich sehe, welche innovativen Konzepte in dieser kurzen Zeit entstanden sind.

Muriel Schaber: Problematisch war, dass die Erprobungstermine manchmal aufgrund kurzfristiger Verhinderungen der Lehrkräfte abgesagt werden mussten. Dadurch wurde der Zeitplan der Kolleg:innen stark beeinträchtigt, so dass sie zum Teil dazu übergegangen sind, in den ersten Erprobungszyklen mit angehenden Lehrkräften zu arbeiten.

Wie haben die (angehenden) Lehrkräfte die Fortbildungen angenommen?

Muriel Schaber: Sehr positiv, die Fortbildungsmodule kommen vor allem in Bezug auf den Einsatz digitaler Medien und Technologien sehr gut an. Verbesserungsvorschläge gab es zum Teil zur Organisation, zum zeitlichen Ablauf und zur Strukturierung innerhalb der Module. Auf Grundlage der Rückmeldungen – die Kolleg:innen arbeiten alle mit Evaluationsbögen – sind die Module dann weiterentwickelt worden.

Katharina Scheiter: Ich habe auch nur positive Rückmeldungen erhalten. Viele Teilprojekte gehen nach dem Design-Research-Ansatz vor, wo sie iterativ immer wieder wechseln zwischen Entwicklungsphasen, Evaluationsphasen und der Adaption des Angebots. Die Akzeptanz der Fortbildungsmodule geht oft damit einher, wie intensiv die Lehrkräfte eingebunden werden können. Einige Standorte verfügen über sehr gute Netzwerke und können regelmäßig Professionalisierungsangebote anbieten. In einem Cluster, in dem es um Fortbildungen zu generativer KI geht, haben wir sehr gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut gemacht. Es hat uns 30 Lehrkräfte für die Erprobung vermittelt. Dadurch konnten wir die Fortbildung erfolgreich durchführen und haben sehr positive Rückmeldungen erhalten.

„Wir wünschen uns natürlich, dass Lehrkräfte durch die Fortbildungen ihre Haltung gegenüber digitalen Medien ändern, ihr Potenzial besser nachvollziehen können und motivierter sind, sie im Unterricht einzusetzen. Dadurch hätten Schüler:innen viele Verständnisvorteile.“

Prof. Dr. Katharina Scheiter

Inwiefern profitieren Schüler:innen von einem digital gestützten MINT-Unterricht?

Katharina Scheiter: Aufgrund der kurzen Förderphase können wir leider keine Daten dazu vorlegen, welche Auswirkungen der Erwerb der digitalen Kompetenzen bei den Lehrkräften auf die Schüler:innen hat. Wir wünschen uns natürlich, dass Lehrkräfte durch die Fortbildungen ihre Haltung gegenüber digitalen Medien ändern, ihr Potenzial besser nachvollziehen können und motivierter sind, sie im Unterricht einzusetzen. Dadurch hätten Schüler:innen viele Verständnisvorteile.

Neun Universitäten und Forschungseinrichtungen sind an dem Projektverbund DigiProMIN beteiligt – wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

Katharina Scheiter: Die standortübergreifenden Teilprojekte sind durch ihre fachliche und thematische Nähe eng miteinander verbunden und arbeiten dadurch sehr effizient und zielorientiert zusammen. Es gibt regelmäßige Treffen und einen sehr intensiven Austausch.

Muriel Schaber: Die Teilprojektleitungen organisieren die Zusammenarbeit in den Clustern. Darüber hinaus treffen sich die Schwerpunkte während der Vorlesungszeit einmal im Monat, um auftretende Herausforderungen gemeinsam anzugehen, aber auch, um Erfolge teilen zu können. Einmal im Quartal gibt es ein (online) Gesamtprojekttreffen mit dem ganzen Verbund.

„Die Rückmeldungen von den Landesinstituten fließen ebenfalls in die Weiterentwicklung der Module mit ein.“

Muriel Schaber

Ihr dritter Schwerpunkt widmet sich Fragen nach dem Transfer. Wie finden die Fortbildungen nach Projektende den Weg in die Praxis?

Muriel Schaber: Wir haben bei DigiProMIN den Vorteil, dass durch diese Schwerpunktsetzung drei Kolleg:innen ausschließlich für die überregionale Zusammenarbeit und den Transfer der Ergebnisse zuständig sind. Sie arbeiten eng mit den Landesinstituten in den projektbeteiligten Bundesländern Schleswig-Holstein, Brandenburg und Bayern zusammen und haben ihnen schon mehrfach die entwickelten Professionalisierungsbausteine vorstellen können. Die Rückmeldungen von den Landesinstituten fließen ebenfalls in die Weiterentwicklung der Module mit ein. Das Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) bindet einzelne Module schon jetzt in Zertifikatskurse ein. Das heißt, dort findet auf jeden Fall eine Verstetigung dieser Module statt, die dann in naher Zukunft zugänglich gemacht werden. Außerdem kann der Kompetenzverbund lernen:digital auf die Plattform ComPleTT zugreifen. Dort laden die Projektverbünde ihre Professionalisierungsmodule hoch, so dass sie allen Landesinstituten über die Projektlaufzeit hinweg zur Verfügung stehen.

Katharina Scheiter: Wir untersuchen außerdem, welche Möglichkeiten der Dissemination wir in den beteiligten Bundesländern noch nutzen können. In unserem Projektverbund sind Wissenschaftler:innen des DZLM – Deutsches Zentrum Lehrkräftebildung und Mathematik vertreten, das über eigene Transferwege verfügt. Über sie können wir diese jetzt auch für die Verbreitung unserer Fortbildungsmodule verwenden. Eine systemische bundesweite Transferstrategie daraus zu entwickeln ist nicht so einfach, weil die 16 Systeme der Lehrkräfteprofessionalisierung sehr unterschiedlich sind. Aber für DigiProMIN funktioniert das auf jeden Fall schon einmal sehr gut.

 

Prof. Dr. Katharina Scheiter

Katharina Scheiter ist Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam. Sie leitet den Projektverbund DigiProMIN sowie gemeinsam mit Prof. Dr. Dirk Richter die Transferstelle des Kompetenzverbund lernen:digital.

Muriel Schaber

Muriel Schaber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam. Nach dem Studium war sie an der Leibniz Universität Hannover in der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) im Projekt Leibniz-Prinzip tätig, bevor sie die Projektkoordination im Verbundprojekt DigiProMIN übernommen hat.

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Interview mit Prof. Dr. Jörn BrüggemannRedaktion: Petra Schraml, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

In Ihrem Projekttitel bezeichnen Sie digitale Souveränität als „Ziel wegweisender Lehrer:innenbildung in der digitalen Welt“. Was verstehen Sie unter digitaler Souveränität?

Jörn Brüggemann: In unserem Projektverbund verstehen wir unter digitaler Souveränität als Zieldimension innovativer Lehrkräftebildung die Fähigkeit von Lehrkräften und Schüler:innen fachlich und digital souverän in unserer digital geprägten Welt zu agieren. Aus fachdidaktischer Sicht umfasst digitale Souveränität sechs Dimensionen. Diese bezeichnen erstens die Fähigkeit, Schüler:innen bei der Entwicklung digitaler Kompetenzen im Rahmen fachlicher Fragestellungen zu unterstützen. Der Aufbau digitaler Kompetenzen sollte nicht aus dem Fachunterricht ausgegliedert werden, wie das beispielsweise geschieht, wenn Schüler:innen einen sogenannten Medienführerschein machen, ohne dass der Erwerb und die Anwendung der dort vermittelten digitalen Kompetenzen in den Fachunterricht eingebunden sind und dort als funktional erlebt werden.

Zweitens umfasst digitale Souveränität die Fähigkeit, Schüler:innen die Entwicklung fachlicher Kompetenzen durch digitale Lehr-Lern-Arrangements zu ermöglichen. Dieser Aspekt hebt darauf ab, dass viele Lehrkräfte den Eindruck haben, dass mit der Digitalisierung viele Zusatzaufgaben auf sie zukämen, die sie schon zeitlich nicht mehr in ihrem Fachunterricht unterbringen können. Um diesem Eindruck entgegenzuwirken, möchten wir die Erfahrung ermöglichen, dass man die Kenntnisse und Kompetenzen, die Lehrkräfte sowieso gemäß den Bildungsstandards und Kernlehrplänen vermitteln sollen, auch – und manchmal vielleicht sogar besser – im Rahmen digitaler Lehr-Lern-Arrangements vermitteln kann. Wenn Lehrkräfte beispielsweise Schreibkonferenzen durchführen wollen, lassen sich diese innerhalb weniger Sekunden in digitalen Chaträumen organisieren. Im analogen Raum müssen stattdessen Tische umgestellt und Stühle gerückt werden. Die digitale Option spart Zeit. Außerdem kann man die Ergebnisse der Schreibkonferenzen leichter sichern, um damit in Folgestunden weiterzuarbeiten.

Welches sind die anderen Dimensionen?

Jörn Brüggemann: Die dritte Dimension betrifft die Fähigkeit, Schüler:innen beim Aufbau fachspezifischer digitaler Kompetenzen zu unterstützen. Immerhin verändern sich im Zuge der digitalen Transformation unserer Gesellschaft auch die Schulfächer – und diese Veränderungen bergen neue Anforderungen. Ganz wichtig ist uns in unserem Projektverbund, dass der fachliche und digitale Kompetenzerwerb, so wie ich ihn gerade mit Blick auf drei Dimensionen angedeutet habe, Schüler:innen immer auch Räume zur Selbstreflexion eröffnet. Schüler:innen sollen sich bewusst werden können, inwiefern die digitale Transformation sich auf ihre Identität in personaler und sozialer Hinsicht auswirkt und welche Chancen und Risiken die digitale Transformation auch für sie persönlich mit sich bringt.

In dieser Hinsicht umfasst unser Modell digitaler Souveränität neben den drei eben genannten Kompetenzdimensionen jeweils ein personales Pendant. Dieser Aspekt ist uns so wichtig, weil wir aus großen empirischen Studien aus der Deutschdidaktik wissen, dass Angebote zur personalen Aktivierung, die auf die Entwicklung einer selbstreflexiven Haltung gegenüber sich und der eigenen Beziehung zum Unterrichtsgegenstand abzielen, als besonders wichtig, interessant und persönlich bedeutsam erlebt werden und einen Indikator für die Qualität im Fachunterricht darstellen können.

Prof. Dr. Jörn Brüggemann

„Schüler:innen sollen sich bewusst werden können, inwiefern die digitale Transformation sich auf ihre Identität in personaler und sozialer Hinsicht auswirkt und welche Chancen und Risiken die digitale Transformation auch für sie persönlich mit sich bringt.“

Prof. Dr. Jörn Brüggemann

Können Sie das anhand einer Ihrer Fortbildungen verdeutlichen?

Jörn Brüggemann: Nehmen wir zur Veranschaulichung eine Fortbildung für das Fach Deutsch, die Lehrkräften verdeutlichen soll, welches fachdidaktische Potenzial eine KI wie ChatGPT bietet, um literarische Interpretationsfähigkeiten und ästhetisches Erleben zu aktivieren und zu erweitern. Indem wir mit Lehrkräften erproben und erarbeiten, durch welche Aufgaben ihre Schüler:innen lernen können, wie verlässlich bzw. unzuverlässig Aussagen von ChatGPT über literarische Texte sein können, erweitern sie Fähigkeiten in der ersten Dimension. Ein weiteres Beispiel für diese Dimension bzw. für den Aufbau von digitalen Kompetenzen im Rahmen fachlicher Fragestellungen wäre, Lehrkräften Wissen darüber zu vermitteln, wie man ChatGPT dazu bringen kann, zielgerichtete Interpretationsansätze in einem vorab definierten Ausgabeformat zu präsentieren. Das ist nicht so einfach, wie man vielleicht denkt! Bei beiden Beispielen geht es um digitalitätsbezogenes Wissen über ChatGPT, das für die Nutzung von ChatGPT im Umgang mit Literatur wichtig ist. Die zweite Dimension betrifft die Vermittlung von fachlichen, in diesem Beispiel auf den Literaturunterricht bezogenen Kompetenzen mit Hilfe von ChatGPT. Wir wissen, dass metakognitive Lernprozesse wichtig sind für die Förderung von Interpretationskompetenz. In unserer Fortbildung können Lehrkräfte nun lernen, mit Hilfe von ChatGPT metakognitive Lernprozesse zur Förderung von Interpretationskompetenz anzuregen.

Die dritte Dimension betrifft den Erwerb neuer fachspezifischer digitaler Kompetenzen. In besagter Fortbildung können Lehrkräfte ihre digitale Souveränität in dieser Hinsicht erweitern, indem sie in der Fortbildung lernen, ChatGPT so zu konfigurieren, dass Schüler:innen passgenaue Unterstützungsangebote für die Aktivierung unterschiedlicher Aspekte literarischer Interpretationskompetenz erhalten. Zur Erzeugung passgenauer Unterstützungsangebote beim Interpretieren literarischer Texte kann man in unserer Fortbildung einerseits das Erstellen von Konfigurationen lernen, andererseits das Formulieren von Prompts. Um Schüler:innen darüber hinaus beim Aufbau einer selbst- und medienreflexiven Haltung zu unterstützen, können Lehrkräfte in dieser Fortbildung z.B. lernen, wie man Schüler:innen beim Aufbau einer kritischen Haltung gegenüber den Antworten von ChatGPT, aber auch gegenüber den eigenen Erwartungen an ChatGPT unterstützen kann, um der eigenen Manipulierbarkeit entgegenzuwirken; oder wie man Schüler:innen mit Hilfe von KI-generierten Text-Bild- und Text-Ton-Vergleichen helfen kann, sich ästhetische Imaginationen und ihre Geschmackspräferenzen bewusst zu machen, aber auch ihr subjektives ästhetisches Erleben zum Ausdruck zu bringen.

Prof. Dr. Jörn Brüggemann

„Lehrkräfte können ihre digitale Souveränität erweitern, indem sie in der Fortbildung lernen, ChatGPT so zu konfigurieren, dass Schüler:innen passgenaue Unterstützungsangebote für die Aktivierung unterschiedlicher Aspekte literarischer Interpretationskompetenz erhalten.“

Prof. Dr. Jörn Brüggemann

Das Spektrum Ihrer Fortbildungen ist sehr groß. Welche Fortbildungen erarbeiten Sie noch?

Jörn Brüggemann: Wir haben eine Reihe von KI-Fortbildungen auch in den Sprachen entwickelt, wo Chatbots neue Möglichkeiten bieten, das Sprechen gezielter einzuüben oder wo Virtual Reality ermöglicht, authentische Einblicke in unterschiedliche Bereiche der Bildung für nachhaltige Entwicklung zu erhalten. In einer anderen Fortbildung wird gezeigt, wie KI genutzt werden kann, um Zeitzeugen des Holocaust eine Stimme zu geben und Schüler:innen mit ihnen in einen Dialog treten zu lassen. Das besondere Potenzial dieses Zugangs liegt darin, dass es jungen Menschen häufig weniger schwerfällt, mit den KI-generierten Modellen zu sprechen als mit den Überlebenden selbst.

Für das Fach Geografie gibt es eine Fortbildung, die einen fachlich und digital souveränen Umgang mit Karten ermöglicht. Das es sich dabei um ein immer schon zentrales Unterrichtsthema mit neuer Relevanz handelt, wird deutlich, wenn man sich bewusst macht, dass heute jeder Karten erstellen kann und die Grenzen zwischen Produzent:innen und User:innen verschwimmen. Deshalb sind Karten heute immer auch Ausdruck spezifischer Interessen und Machtbestrebungen – z. B. von Staaten, Politiker:innen, Unternehmen, Aktivist:innen usw.

Daran sieht man: Digitale Souveränität im Umgang mit Karten erfordert weitaus mehr als nur technisch-funktionale Anwendungskompetenzen, nämlich fachliche Kompetenzen und vor allem auch die Entwicklung einer selbst- und medienreflexiven Haltung, um der eigenen Manipulierbarkeit entgegenzuwirken. Ich könnte noch mehr Fortbildungen aufzählen. Auf unserem Portal Digitale Souveränität kann man sich umfassend über unsere Angebote informieren. Alle interessierten Schulen, Studienseminare und Lehrkräfte sind außerdem herzlich eingeladen, über unser Portal Fortbildungsangebote zu buchen.

Verfolgen Sie noch andere Zielsetzungen?

Jörn Brüggemann: Deutsche Lehrkräfte stehen der Anwendung digitaler Optionen im internationalen Vergleich sehr skeptisch gegenüber. Das zeigen viele Studien. Wir entwickeln deshalb digitale Lehr-Lern-Räume und digital-didaktische Chat-Räume, die leicht verständlich und einfach handhabbar sind und die alle Lehrkräfte, die unsere Fortbildungen besuchen, in ihrem eigenen Unterricht nutzen können. Wir wollen so die Akzeptanz erhöhen. Darüber hinaus stellen wir Lehrkräften fertige Unterrichtsbausteine mit Lern- und Testaufgaben zur Verfügung. Es wird spannend sein, zu evaluieren, wie die Lehrkräfte diese Bausteine in ihren Unterricht adaptieren und ob noch mehr Unterstützungsangebote für Lehrkräfte, aber auch für Schüler:innen nötig sein werden.

Prof. Dr. Jörn Brüggemann

„Wir entwickeln digitale Lehr-Lern-Räume und digital-didaktische Chat-Räume, die leicht verständlich und einfach handhabbar sind und die alle Lehrkräfte, die unsere Fortbildungen besuchen, in ihrem eigenen Unterricht nutzen können.“

Prof. Dr. Jörn Brüggemann

Wie verändert der Einsatz digitaler Medien den Fachunterricht?

Jörn Brüggemann: Das müssen wir genauer untersuchen. Bislang kann man – trotz verschiedener Initiativen der Vergangenheit – nicht davon sprechen, dass in den Schulen unseres Landes ein digital gestützter Fachunterricht die Regel ist. Diesem Befund versucht das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Einrichtung von Kompetenzzentren entgegenzuwirken, für die wir die Fortbildungen entwickeln. Das Besondere an dieser Initiative ist, dass die Fortbildungen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit untersucht werden sollen. Wir brauchen endlich empirisch gestützte Hinweise darauf, ob Fortbildungen angenommen werden und Wirkung zeigen. Um diese Hinweise zu erhalten, werden die von uns entwickelten Fortbildungen evaluiert – in manchen Teilprojekten übrigens nicht nur durch Lehrkräfte, sondern auch Schüler:innen –, sodass wir hoffentlich bald besser wissen, ob und wie unsere Fortbildungsangebote den Fachunterricht verändern. Was wir aber jetzt schon sagen können: Wer unsere Fortbildungen besucht und deren Inhalte für den Fachunterricht adaptiert, der bringt seinen Unterricht mehr auf die Höhe der Zeit. Denn die ist geprägt durch die digitale Transformation, die sich auch auf die Schulfächer, ihre Gegenstände, Methoden und Praktiken auswirkt.

Arbeiten Sie bei der Entwicklung der Fortbildungen mit der Bildungspraxis und -verwaltung zusammen?

Jörn Brüggemann: Wir arbeiten bei der Entwicklung und Erprobung mit erfahrenen Lehrkräften und Fachleiter:innen zusammen. Mit Fortbildungseinrichtungen kooperieren wir vor allem bei der Dissemination. Gerade auch Fachleiter:innen in den Studienseminaren sind wichtige Multiplikator:innen für das Referendariat. Diese Institutionen und Personen mit in den Blick zu nehmen, ist wichtig für den Erfolg von lernen:digital. Da es nicht einfach ist, in der kurzen Projektlaufzeit alle Ebenen zu erreichen und einzubeziehen, wäre es umso wichtiger, die Projektlaufzeit von lernen:digital zu verlängern, um die Arbeitsstrukturen, die jetzt aufgebaut werden, auszubauen und die Nachhaltigkeit der Angebote zu sichern.

Wie werden die Fortbildungen von den Lehrkräften angenommen?

Jörn Brüggemann: Bisher mit großem Interesse. Das finden wir sehr ermutigend. Man muss aber vermutlich einräumen, dass bislang vor allem die digital Aufgeschlossenen teilgenommen haben. Es wird eine Herausforderung der nächsten Jahre sein, diejenigen zu erreichen, die der Digitalisierung skeptisch gegenüberstehen und sie für ein vorübergehendes Phänomen halten. Ein Weg, den einige unserer Teilprojekte gehen, ist der Versuch, schulinterne Fortbildungstage auszurichten. Das ist eine gute Möglichkeit, ein gesamtes Geografie- oder Deutsch-Kollegium zu erreichen.

Prof. Dr. Jörn Brüggemann

„Ein Weg, den einige unserer Teilprojekte gehen, ist der Versuch, schulinterne Fortbildungstage auszurichten. Das ist eine gute Möglichkeit, ein gesamtes Geografie- oder Deutsch-Kollegium zu erreichen.“

Prof. Dr. Jörn Brüggemann

Ihr Projektverbund ist sehr groß. Wie kooperieren 13 Universitäten aus sieben Bundesländern miteinander?

Jörn Brüggemann: In großen Teilen digital! Bei uns kooperieren drei sogenannte EFTs – Entwicklungs-, Forschungs- und Transfergruppen – mit je eigenen Zielen und Aufgaben hochschul- und bundeslandübergreifend. Das lässt sich digital sehr gut organisieren. In der EFT A erarbeiten vor allem Fachdidaktiker:innen zusammen mit Lehrkräften und Fachseminarleiter:innen möglichst passgenaue und bedarfsorientierte Fortbildungen. Aufgabe der EFT B ist die Bereitstellung eines technologisch-konzeptionellen Support-Systems und die Beratung, wie sich Fortbildungen möglichst gut auf einer bestimmten technischen Basis implementieren lassen. EFT C sorgt für die Abstimmung und Evaluation von Qualitätsstandards und für die Bereitstellung und Ausdifferenzierung von Evaluationsinstrumenten. Wir untersuchen auch, wie sich die Ausprägung von digitaler Souveränität im Fächervergleich darstellt. Es wäre durchaus denkbar, dass es auch von der spezifischen Fachkultur abhängt, wie offen Lehrkräfte einem digital gestützten Unterricht gegenüberstehen.

Prof. Dr. Jörn Brüggemann
Prof. Dr. Jörn Brüggemann

Jörn Brüggemann ist Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der empirischen Kompetenz- und Unterrichtsforschung, der fachdidaktischen Lehrkräfteforschung und der Geschichte des Literaturunterrichts. Seit 2023 ist er Wissenschaftlicher Leiter des lernen:digital Projektverbunds „Digitale Souveränität als Ziel wegweisender Lehrer:innenbildung für Sprachen, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften in der digitalen Welt“ (DiSo-SGW) und Standortkoordinator des Projektverbunds „Digital-ästhetische Souveränität von Lehrkräften als Basis kultureller, künstlerischer, musikalischer, poetischer und sportlicher Bildung in der digitalen Welt“ (DiäS). Zugleich ist er Sprecher des lernen:digital Kompetenzzentrums Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft und in dieser Funktion Mitglied des Begleitgremiums des Kompetenzverbund lernen:digital.

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Biografie

Lisa Sellge studierte Lehr- Lern- und Trainingspsychologie an der Universität Erfurt sowie Empirische Bildungswissenschaften und Pädagogische Psychologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Im Rahmen des Leadership-Programms von Teach First Deutschland arbeitete sie zwei Jahre an einer Schule in Hamburg. Anschließend war sie unter anderem im Programmteam der Deutschen Schulakademie der Robert Bosch Stiftung und als Innovationstrainerin für die Initiative Neues Lernen tätig. Seit April 2023 ist sie Projektmitarbeiterin beim Forum Bildung Digitalisierung und dort Teil der Transferstelle im Handlungsfeld Transfer.

Im Dialog mit …

Lisa
Sellge

Projektmitarbeiterin Forum Bildung Digitalisierung | lernen:digital Transferstelle

Wie ist die Idee zur Roadshow entstanden?

Ausgangspunkt der Roadshow war der lernen:digital Kick-off im November 2023 in Berlin. Dort trafen sich erstmals Vertreter:innen des Kompetenzverbunds mit Vertreter:innen der Landesinstitute und Qualitätseinrichtungen der Bundesländer. Dabei wurde aus den Ländern der Wunsch nach einer Kommunikation auf Augenhöhe – zwischen Wissenschaft und Praxis – und einer stärkeren Einbeziehung geäußert. Diese Rückmeldungen waren für unsere Arbeit im Handlungsfeld Transfer der lernen:digital Transferstelle ausschlaggebend, um die Formate bedarfsorientiert anzupassen. Unser Team im Forum Bildung Digitalisierung hat deshalb die  „Roadshow” konzipiert. Mit dem Format reisen wir aktiv in die Länder, um nachhaltige Beziehungen aufzubauen, die individuelle Expertise aus den Bundesländern einzubeziehen und durch einen direkten Austausch die bidirektionale Transferarbeit zu stärken.

Was passiert bei den Terminen vor Ort?

Die einzelnen Termine der Roadshow sind als modulare und bedarfsorientierte Workshops aufgebaut. Ziel ist es, dass sowohl die Vertreter:innen des Kompetenzverbunds als auch der Länder die Strukturen ihrer Institutionen darstellen, Anknüpfungspunkte sichtbar machen und sich über Erwartungen an die gemeinsame Zusammenarbeit verständigen. In einem kleinen Sprint-Format versuchen wir dann so konkret wie möglich zu werden und so durch die Verschränkung von verschiedenen Perspektiven gemeinsame Ziele zu bestimmen und nächste Handlungsschritte abzuleiten. Am Ende des Termin besprechen wir Anknüpfungspunkte und Synergien für die weitere Zusammenarbeit und halten die kommenden Schritte fest.

Wie sehen die wichtigsten Take-aways bisher aus?

Wir beobachten eine große Offenheit gegenüber der Roadshow als Format und empfinden den Austausch und die Zugeständnisse von Handlungsspielräumen für beide Seiten als sehr gewinnbringend. Außerdem wird bei jedem Termin die Motivation aller Beteiligten – auf Seiten des Kompetenzverbunds und der Länder – deutlich, die Lehrkräftebildung in Deutschland gemeinsam zu verbessern und voranzutreiben sowie voneinander zu lernen. Inhaltlich erkennen wir, dass viele Themen länderübergreifend auftreten und die Länder gleichzeitig ähnliche Handlungsschritte andenken, wie die Zusammenarbeit zwischen lernen:digital und dem jeweiligen Land gestärkt werden kann. Als nächsten Schritt gilt es nun für unser Transfer-Team im Forum Bildung Digitalisierung, die übergreifenden Themen sichtbar zu machen und die gemeinsame Arbeit mit den Ländern zu vertiefen.

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Interview mit Stefan Rumann und Günther WolfswinklerRedaktion: Petra Schraml und Michaela Achenbach, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Sie leiten und koordinieren die drei Projektverbünde ComᵉMINT, ComᵉArts und ComᵉSport. Gibt es Ziele, die für alle drei Verbünde gelten?

Stefan Rumann: Wir wollen in allen drei Projektverbünden Module für die Lehrkräftefortbildung im Bereich digitalisierungsbezogener Kompetenzen entwickeln und diese im Rahmen der Projektlaufzeit erproben. Das ist über die Verbundstrukturen mit der Bildungsadministration ‒ der Qualitäts- und UnterstützungsAgentur – Landesinstitut für Schule (QUA-LiS) und den beiden Ministerien für Schule und Bildung und für Kultur und Wissenschaft NRW ‒ abgestimmt.

Günther Wolfswinkler: Der Transfer über die Strukturen der Bildungsadministration ist uns sehr wichtig. Zudem müssen die Materialien nach der Förderlaufzeit von allen Zielgruppen gefunden werden können. Auch dafür sorgen wir jetzt schon in allen drei Projektverbünden.

Welche Gemeinsamkeiten gibt es noch?

Stefan Rumann: Es gibt eine alle drei Verbundprojekte inkludierende Projektgovernance, die sich nicht nur auf die Koordination durch die Universität Duisburg-Essen bezieht, sondern auch auf eine gemeinsame Support-Struktur. Alle drei Projektverbünde haben eine gemeinsame Transferstelle an der Universität Bielefeld, TraBBi_digital, Leitung Martin Heinrich, die den nachhaltigen Transfer der Module gestaltet. Außerdem gibt es ein gemeinsames Qualitätsmanagement und ein Metaportal für die Dokumentation, das Auffinden und Ausgeben von digitalen Ressourcen für die Lehrkräftebildung, das von der Universität Münster unter der Leitung von Prof. Dr. Manfred Holodynski koordiniert wird und in allen drei Verbünden derselben Logik folgt. Das Qualitätsmanagement und das Metaportal wurden bereits vom Vorgängerprojekt ComᵉIn entwickelt.

„Wir wollen in allen drei Projektverbünden Module für die Lehrkräftefortbildung im Bereich digitalisierungsbezogener Kompetenzen entwickeln und diese im Rahmen der Projektlaufzeit erproben.“

Prof. Dr. Stefan Rumann

Auch bei dem NRW-Projekt ComᵉIn, das von 2020 bis 2023 im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung gefördert wurde, standen die digitalisierungsbezogenen Kompetenzen von Lehrpersonen im Fokus. Inwiefern bauen die Projektverbünde auf dem Vorgängerprojekt auf?

Stefan Rumann: Bei ComᵉIn haben sich unter Konsortialführung der Universität Duisburg-Essen alle zwölf lehrkräftebildenden Hochschulen des Landes NRW zusammengeschlossen und in Communities of Practice (CoP) das Wissen aus unterschiedlichen Disziplinen, Ausbildungsphasen und Hochschulstandorten eingebracht. Das erklärt den NRW-Fokus der aktuellen Verbünde, auch wenn wir Partner aus anderen Bundesländern mit dabeihaben. Diese klare Bereitschaft aller NRW-Universitäten und aller Phasen, sich gemeinsam in dem Feld zu engagieren, konnten wir bei der Entwicklung unserer ComeVerbünde nutzen.

Günther Wolfswinkler: Dabei war es ein großer Vorteil, dass wir mit einem großen Personalstamm von ComᵉIn die aktuellen Projektanträge formuliert haben und auch viele ComeNet-Leiter:innen schon bei ComᵉIn dabei waren. Auch wenn es uns guttut, dass wir jetzt über ComᵉIn hinaus den Blick bundesweit richten und viele neue Partner aus anderen Bundesländern dabei sind, so bringen die aus ComᵉIn kommenden Mitarbeiter:innen doch einen großen Erfahrungsschatz und viel Vorwissen mit. Sie wissen, was für eine Herausforderung es für Universitäten ist, Lehrkräftefortbildungen nach wissenschaftlichen Maßstäben so zu konzipieren, dass sie transferierbar sind und auch der Bedarfslage entsprechen. Die Universität Duisburg-Essen ist nicht in der Rolle, jeden Projektverbund alleine und in allen Facetten zu koordinieren. Neben der koordinativen Verbundleitung hat jeder Verbund eine fachliche Leitung an einem weiteren Standort. Insgesamt setzen wir auf eine breite Beteiligung der Universitäten an dem Themenfeld digitalisierungsbezogene Lehrkräftefortbildung. Lehrkräftefortbildungen als Aufgabenfeld der Hochschulen zu etablieren, ist uns sehr wichtig und kann als ein weiteres Ziel verstanden werden. Die Laufzeit von drei Jahren bei ComᵉIn war zu kurz dafür und auch die zwei Jahre Laufzeit von lernen:digital werden zu kurz dafür sein. Eine Verlängerung des Projekts hätte von daher einen hohen Mehrwert, denn die Expertise ist jetzt da.

Was ist der Unterschied zwischen den CoPs und den ComeNets?

Günther Wolfswinkler: Die ComeNets ‒ vergleichbar mit Teilprojekten ‒ bestehen aus rein hochschulinternen Netzwerken von zwei bis drei Universitäten, die sich punktuell Kooperationspartner wie Fortbildner:innen für die Erprobung selbst suchen. In den CoPs nahmen neben den Hochschulen Vertreter:innen aus der zweiten und dritten Phase der Lehrkräftebildung, aus den Schulen, den Bezirksregierungen sowie aus dem Vorbereitungsdienst teil, für die es einzelne Abordnungsstunden gab. Das ist bei lernen:digital nicht der Fall.

„Insgesamt setzen wir auf eine breite Beteiligung der Universitäten an dem Themenfeld digitalisierungsbezogene Lehrkräftefortbildung.“

Dr. Günther Wolfswinkler

Von welchen positiven und negativen Erfahrungen, die Sie mit ComᵉIn gemacht haben, können Sie besonders profitieren?

Stefan Rumann: Die Erfahrung mit ComᵉIn hat uns gezeigt, dass man nicht früh genug beginnen kann, alle Stakeholder in der Bildungsadministration zusammenzubringen. Wichtig ist auch, Standards frühzeitig zu setzen und die Relevanz von Transfer früh deutlich zu machen. Wir haben deshalb vom ersten Tag an eine verbundinterne Transferstelle gehabt.

Günther Wolfswinkler: Ja, bei ComᵉIn haben wir gelernt, wie wichtig es ist, die Dissemination und das Setzen von Standards von vorneherein mitzudenken. Aus dem Grund haben wir jetzt von Anfang an klar formuliert, dass zum Beispiel DigCompEdu der verbindliche Kompetenzrahmen ist, wir uns an den Standards guter Lehrkräftefortbildung orientieren und nach der Forschungsmethodologie des Design-Based Research-Ansatzes vorgehen. Auch Inklusion ist in allen Verbünden prominent ausgewiesen. Bei ComᵉIn war es noch ein großer Kraftaufwand, bis die gemeinsamen Ziele und Zielgruppen festgelegt waren. Davon haben wir jetzt profitiert und uns dieses Mal recht schnell entschieden: Wir wollen Module für Multiplikator:innen entwickeln. Unterrichtsmaterialien und Lernmanagementsysteme können Teil eines Moduls sein, reichen aber allein nicht aus. Als Zielgruppe sind Multiplikator:innen, also Fortbildner:innen, adressiert und nicht Lehrkräfte, da sonst zu viele Unterrichtskonzepte entstehen würden, bei denen der Zusammenhang zur Lehrkräftefortbildung nicht deutlich wird.

Welche Fortbildungsmodule werden entwickelt und was sollen die Lehrkräfte daraus für ihren Unterricht lernen?

Stefan Rumann: In den ComeNets entstehen zwei Arten von Modulen. Einige Module gehen eher in die Breite und sind mit einem hohen Transfercharakter versehen. Wenn es beispielsweise um die Vermittlung inklusiver Aspekte im Sachunterricht geht, setzen wir auf das Universal Design for Learning. Andere Module gehen mehr in die Tiefe. Das sind zum Beispiel Projekte im Physikbereich, wo es um neue Ansätze für eine digitalisierungsbezogene Vermittlung von Mechanik geht, die dann aber auf Elektrizitätslehre oder Optik transferierbar sind. In der Chemie und Biologie stehen digitalisierungsbezogene Formen des Experimentierens im Fokus, mit deren Hilfe auch wissenschaftstheoretische Aspekte von naturwissenschaftlichem Unterricht in einem größeren Maßstab gedacht und generalisiert werden können.

Günther Wolfswinkler: Im Sportunterricht gibt es Fortbildungsmodule, in denen es um ein ganz bestimmtes Tool wie VR-Brillen geht. Andere Fortbildungsmodule rücken Körperbilder in der digitalen Welt unter Inklusionsgesichtspunkten in den Mittelpunkt. Dort wird beispielsweise die weit verbreitete Vorstellung der muskulösen Sportlerin, des muskulösen Sportlers reflektiert und hinterfragt, ob dieses Bild im Sportunterricht kolportiert werden sollte. Die multimediale Darstellung von Geschlechtern und Körpern spielt auch im Kunstunterricht eine Rolle.

„Die Erfahrung mit ComᵉIn hat uns gezeigt, dass man nicht früh genug beginnen kann, alle Stakeholder in der Bildungsadministration zusammenzubringen.“

Prof. Dr. Stefan Rumann

Enthalten alle Fortbildungsmodule ein Nutzungskonzept?

Günther Wolfswinkler: Das Nutzungskonzept ist obligatorischer Bestandteil eines jeden Moduls. Es ist eine Art Metadatenraster und enthält u. a. die Bezugnahme zum Kompetenzrahmen oder zur geeigneten Schulform und weist die inhaltlichen Zielsetzungen und organisatorischen Voraussetzungen in Fortbildungskontexten aus. Alle Module und Nutzungskonzepte richten sich an Multiplikator:innen, auch die Selbstlernkurse. Mitgelieferte Unterrichtskonzepte oder Arbeitsblätter können dann von ihnen an Lehrkräfte weitergegeben werden.

Es sind viele Bundesländer und Hochschulen an den drei Projektverbünden beteiligt. Das Netzwerk(en) spielt eine große Rolle. Wie wird die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den Projektverbünden organisiert?

Stefan Rumann: Die Konsortialführung für alle drei Verbünde liegt bei der Universität Duisburg-Essen, hier verantworten wir auch, zusammen mit der Universität Bielefeld, das Qualitätsmanagement der Verbünde. Der verbundinterne Transfer und unser Metaportal werden jeweils von anderen Standorten verantwortet. Ergänzend gibt es eine verbundübergreifende Steuerungsgruppe, in der die fachlichen Projektleitungen mit der Konsortialführung zusammenkommen und in der auch Vertreter:innen aus der Transferstelle und dem Metaportal beteiligt sind. Als ein weiteres Strukturmerkmal richten wir jährlich eine zweitägige Veranstaltung der digitalen Lehrkräftefortbildung aus, an der sich alle drei Verbünde am ersten Tag projektverbundübergreifend und am zweiten Tag projektverbundsintern treffen. Was die Vernetzung angeht, hat ComᵉSport, in welchem monothematisch ein Fach adressiert wird, eine stärkere bundesweite Vernetzung. Im MINT-Bereich, der in NRW sehr stark aufgestellt ist, wurde das Netzwerk NRW-bezogen noch enger geknüpft und das Fächerspektrum erweitert.

„Das Nutzungskonzept ist obligatorischer Bestandteil eines jeden Moduls.“

Dr. Günther Wolfswinkler

Inwiefern binden Sie Lehrkräfte und Landesinstitute in die Entwicklung der Fortbildungsmodule ein?

Stefan Rumann: Die ComeNets gehen lokale Kooperationen mit Lehrkräften ein, die als Multiplikator:innen in der Lehrkräftefortbildung tätig sind. Sie beteiligen sich bei der Entwicklung der Module, die dann in der Weiterbildung disseminiert werden.

Günther Wolfswinkler: Neben den Fortbildner:innen nehmen in den ComeNets auch engagierte Lehrkräfte freiwillig teil, die dann ihr Feedback geben. Die Partnerschaften bauen die ComeNets um die Hochschulstandorte auf. Bei 15 ComeNets können wir das nicht zentral leisten. Dezentral wird ein großes Spektrum an Erprobungsansätzen, die z. B. auf Befragungen zur Selbstwirksamkeit und zur eigenen Kompetenzentwicklung basieren, verfolgt. Anders sieht es in Bezug auf die Landesinstitute aus. Wir sind mit QUA-LIS in NRW schon seit ComᵉIn sehr eng verbunden. Über unsere eigene Transferstelle haben wir auch bundesweit Zugang zu Landesinstituten. Im Rahmen des EMSE-Netzwerk der Landesinstitute zum Beispiel stellen wir regelmäßig Materialien vor, geben Feedback und machen unsere Projekte publik. Aber wir warten natürlich, welche Strukturen im Rahmen von lernen:digital gebildet werden und wollen denen nicht vorweggreifen. Die lehrkräftebildende Community – Fachdidaktiker:innen und Landesinstitute – wächst, wie schon bei der Qualitätsoffensive Lehrerbildung, über dieses Programm eng zusammen. Das ist ein nicht zu vernachlässigender Effekt dieses Programms und er spricht auch dafür, solche großen Programme über längere Jahre weiter fortzusetzen.

 

Wie planen Sie den länderübergreifenden Transfer in die Praxis und die nachhaltige Bereitstellung der Fortbildungsmodule?

Stefan Rumann: Im Grunde sind hierfür drei Bausteine zentral: Antizipation des Transfers von Anfang an, eine über die Projektlaufzeit hinausreichende Portalstruktur und der Aufbau nachhaltiger, phasenübergreifender Kooperationsstrukturen.

Günther Wolfswinkler: Genau. Zum einen müssen die Projektverbünde schon bei der Entwicklung der Fortbildungsmodule den Transfer mitbedenken, deshalb haben wir von Anfang an unsere Standards implementiert. Zum anderen sorgt das Metaportal für eine eigenständige Dissemination, aber auch für eine Anschlussfähigkeit an die Distributionswege von lernen:digital, ComPleTT / Fundus und Mundo. Außerdem befindet sich das System der Lehrkräftefortbildung in NRW zurzeit in einem Reformprozess und öffnet sich den Hochschulen gegenüber. ComᵉIn und die nachfolgenden ComᵉVerbünde werden als Pilotprojekte intensiv beobachtet. Wir haben schon unter ComᵉIn die AG „Kooperation Wissenschaft und Fortbildungspraxis“ etabliert, in der Vertreter:innen der Bezirksregierungen, der beiden Ministerien, des Landesinstituts und der Hochschulen im Halbjahresrhythmus zusammenkommen und über grundsätzliche Fragen der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Fortbildungspraxis sowie über die Inhalte der Verbünde sprechen. Hier sind Strukturen geschaffen worden, die mittlerweile auch Verwertungsstrukturen darstellen.

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Biografie

Dr. Kathleen Warnhoff leitet seit November 2024 die Geschäftsstelle der Transferstelle des Kompetenzverbund lernen:digital an der Universität Potsdam. Das Thema Transfer zieht sich kontinuierlich durch ihre Arbeit und Forschung. Zuletzt leitete sie im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Mitarbeit das Transferprojekt „Digitalisierung der Arbeit: Eine Chance für alle?” am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Dabei lag der Schwerpunkt auf dem schulischen Bereich. Als Stipendiatin am Promotionskolleg „Gute Arbeit: Ansätze zur Gestaltung der Arbeitswelt von morgen“ war sie am WZB als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig und promovierte zum Thema „Arbeitsbezogenes Lernen im Kontext von Industrie 4.0”. Zuvor war Kathleen Warnhoff mehrere Jahre als Lehrbeauftragte an verschiedenen Berliner Hochschulen und in diversen Projekten im Aus- und Weiterbildungssektor tätig. Sie studierte Wirtschaftskommunikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin mit einem Schwerpunkt auf Medien- und Kommunikationssoziologie.

Im Dialog mit …

Dr. Kathleen
Warnhoff

Leiterin der Geschäftsstelle | lernen:digital Transferstelle

Der Kompetenzverbund lernen:digital befindet sich bereits in der Mitte der Projektlaufzeit. Wie ist Ihr bisheriger Eindruck des Projektvorhabens zum Start Ihrer Tätigkeit?

Es ist Halbzeit und mein Eindruck ist, dass bereits viele Vorhaben weit fortgeschritten sind. Beim Kompetenzverbund lernen:digital handelt es sich um ein hochkomplexes Mammutprojekt, das mit der bundesweiten Vernetzung vieler Akteure neue Impulse setzt, die für die digitale Transformation im schulischen Bildungswesen relevant sind. Die Verzahnung aller Aktivitäten ist eine spannende und anspruchsvolle Aufgabe. Vieles hat sich seit Beginn des Verbundes bereits entwickelt, dazu zählt insbesondere die Umsetzung interessanter Transferaktivitäten wie die Roadshow, die vor Ort mit den jeweiligen Landesinstituten gemeinsam Gelingensbedingungen identifiziert und weitere gemeinsame Vorgehensweisen abstimmt. Ein Highlight des vergangenen Jahres war zweifellos die Tagung „Digitale Transformation für Schule und Lehrkräftebildung gestalten“ in Potsdam, mit der die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Praxis gut gelungen ist. Für die zweite Projekthälfte sind also gute Voraussetzungen geschaffen und ich freue mich, diese in meiner Rolle nun aktiv mitzugestalten.

Welche Perspektiven bringen Sie mit, die für Ihre neue Rolle von Bedeutung sind?

In meiner Rolle als Leiterin der Geschäftsstelle fließen tatsächlich verschiedene Stationen meines gesamten beruflichen Werdegangs zusammen. Dazu gehören ein Erfahrungsschatz im Auf- und Ausbau von Netzwerken sowie ein großes Interesse am Austausch zwischen Forschung und Praxis. Im Zuge meiner Forschung befasse ich mich außerdem mit der Digitalisierung von Bildungsprozessen, u. a. im Rahmen meiner Arbeit am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Das Thema Transfer spielte bisher durchgängig eine besondere Rolle in meiner Forschungsarbeit. Ich bringe also ein ganzes Bündel an Erfahrungen und zusätzlich eine interdisziplinäre Denkweise mit.

Die Gestaltung des Transfers zwischen Wissenschaft und Praxis ist eine zentrale Rolle der lernen:digital Transferstelle: Wie gelingt aus Ihrer Sicht der Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis am besten?

Im Kern liegt dem Projekt eine multidimensionale Transferstrategie zugrunde, die auf verschiedenen Ebenen ansetzt. Hier geht es zum einen um die Verzahnung von Wissenschaft und Praxis durch verschiedene Dialogformate. Es geht aber auch um den direkten Transfer von Fortbildungsansätzen, die in den Projektverbünden entstehen. Hierbei sind die Landesinstitute zentrale Akteure, da sie die Inhalte in die Fläche und an die richtigen Stellen tragen können. Diese Transferaktivitäten erfordern ein gemeinsam geteiltes Verständnis und synchronisiertes Handeln in komplexen Netzwerkkonstellationen.

Sie haben sich vor der Tätigkeit in der lernen:digital Transferstelle intensiv mit dem Thema „Gute Arbeit“ beschäftigt. Was sind zentrale Erkenntnisse?

Die digitale Transformation ist in vollem Gange und macht weder vor dem Werkstor noch vor dem Schultor halt. Die relevanten Fragen gehen aus meiner Sicht weit über triviale Bedienungs- und Nutzungslogiken hinaus. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, welche Kompetenzen Fachkräfte an Schulen für guten Unterricht  im Kontext technischer Entwicklungen benötigen. 

Durch meinen eigenen Forschungshintergrund vertrete ich die Ansicht, dass Digitalisierung keine rein technische, sondern vor allem eine soziale Frage ist. Das bedeutet, dass die Prozesse gestaltbar sind und viele Personen einen wichtigen Anteil am Gelingen dieses Prozesses haben.

Es geht meiner Ansicht nach gegenwärtig vor allem darum, die technischen Möglichkeiten mit fachdidaktischen Anforderungen in Übereinstimmung zu bringen und die Schule als Bildungsort kritisch zu reflektieren. Für eine digitalisierte Schule sind gut ausgebildete Lehrkräfte und Schulleitungen unabdingbar.

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Interview mit Prof. Dr. Mario DunkelRedaktion: Petra Schraml, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Sie arbeiten in dem Projektverbund DiDiPro mit. Was ist das Ziel des Projektvorhabens?

Mario Dunkel:Das Ziel des Projektverbunds DiDiPro ist der Aufbau, die Erweiterung und der spätere Transfer von fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten entlang diversitätssensibler Zugänge zu Producing im Kontext populärer Musikkulturen. Das Projekt teilt sich in vier Teilziele auf. Ziel eins ist die konzeptions- und länderübergreifende Implementierung von diversitätssensiblen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich Producing. Ziel zwei ist die nachhaltige Gestaltung eines phasenübergreifenden Wissenstransfers im Bereich diversitätssensibles Producing. Ziel drei ist der Transfer internationaler Erkenntnisse in die Lehrkräftebildung und Ziel vier ist die Bündelung und Bereitstellung von Materialien zur Lehrkräftefortbildung und Unterrichtsentwicklung im Bereich Producing und Diversität.

Das digitale Musik-Producing nimmt eine große Rolle in Ihrem Projektverbund ein.

Mario Dunkel: Ja, Musik-Producing spielte bislang eine untergeordnete Rolle im Musikunterricht und in der Lehrkräftefortbildung von Musiklehrkräften im deutschsprachigen Raum. Dabei birgt es ein enormes Potenzial für den Musikunterricht, weil es mit Kernpraktiken populärer Musik arbeitet, mit denen sich Schüler:innen zum Teil sowieso schon auseinandersetzen. Eine unreflektierte Einführung von Aspekten des Producings in den Musikunterricht kann die Beteiligten aber überfordern und soziale Ungleichheiten verstärken. Wir versuchen deshalb, das Producing diversitätssensibel zu vermitteln und zum Beispiel Gender-Stereotype, wie das klassische Bild des Musikproduzenten, das sehr stark männlich konnotiert ist, zu hinterfragen. So haben wir u. a. einen Avatar entwickelt, der sich in einem binären Geschlechtermodell nicht genau zuordnen lässt, um so von dem Stereotyp des männlichen Musikproduzenten wegzukommen.

„Wir haben dort die Fortbildungsmodule erprobt, die wir bereits erarbeitet haben, und uns dazu u. a. Feedback von teilnehmenden Lehrkräften und Studierenden eingeholt.“

Dr. Mario Dunkel

Welche Fortbildungsmodule entwickeln Sie?

Mario Dunkel: Die Fortbildungsmodule, die wir entwickeln, richten sich in erster Linie an Musiklehrkräfte in der Sekundarstufe I und II. Alle fünf Teilprojekte von DiDiPro beschäftigen sich mit unterschiedlichen Aspekten von Musikproduktion. Ein Teilprojekt an der Universität Lüneburg entwickelt Lehrerfortbildungen zu Digital Audio Workstations. An der Universität Oldenburg werden zwei Teilprojekte durchgeführt. Eins dreht sich um die Entwicklung von Tutorials für Musikproduktion. In dem anderen werden Lehrkräfte und auch Schüler:innen dazu angeregt, auf kreative Art und Weise selbst diskriminierungskritische Musikvideos zu erstellen und dadurch einen handlungsorientierten Umgang mit diesen Fragen zu entwickeln. Verschiedene Methoden zum Umgang und zur Erstellung von Musikvideos mit problematischen Inhalten sind bereits entstanden. Dabei orientieren wir uns an der Hip-Hop-Pädagogik, in der es auch um Empowerment-Techniken geht und wie diese kreativ im Rahmen von der Musikproduktion und der Musikvideoproduktion erprobt werden können.

Welche Inhalte haben die Teilprojekte an der Universität Münster?

Mario Dunkel: In einem der beiden Teilprojekte geht es darum, wie Lehrkräfte musikpraktisch mit Improvisation arbeiten und dabei auch digitale Tools einsetzen können, bei dem anderen um Beatmaking und digitales DJing im Musikunterricht. Alle fünf Teilprojekte sind eng miteinander verbunden, so beschäftigt sich das Tutorial-Projekt beispielsweise auch mit Digital Audio Workstations. Interessierte können auf unserer Internetseite mehr über die einzelnen Teilprojekte erfahren.

Wenn die Teilprojekte eng miteinander verbunden sind, arbeiten Sie bestimmt auch eng zusammen. Wie gelingt die Hochschul- und länderübergreifende Zusammenarbeit?

Mario Dunkel: Sehr gut. Es gibt regelmäßige Treffen und Interaktionen, vor allem, wenn es zwischen den Teilprojekten einen engen thematischen Bezug gibt. Aber wir entwickeln auch gemeinsame Formate wie beispielsweise den Fortbildungstag, der jetzt im November in der Landesmusikakademie in Heek (NRW) stattfand. Wir haben dort die Fortbildungsmodule erprobt, die wir bereits erarbeitet haben, und uns dazu u. a. Feedback von teilnehmenden Lehrkräften und Studierenden eingeholt.

„Lehrkräfte und zum Teil auch Studierende erproben die Materialien und Konzepte und geben uns ein erstes Feedback dazu, wie sie im Unterricht eingesetzt werden können.“

Dr. Mario Dunkel

Das heißt, die Lehrkräfte und Studierenden werden von vorneherein in die Entwicklung der Fortbildungen eingebunden?

Mario Dunkel: Unser Projekt ist so strukturiert, dass an allen Standorten sogenannte phasenübergreifende Entwicklungsteams zusammenarbeiten. Die Teams bestehen aus der Projektleitung, Projektmitarbeitenden, Studierenden und mindestens zwei Lehrkräften aus unterschiedlichen Schulen in verschiedenen Bundesländern. Dadurch waren Lehrkräfte und auch Studierende von Anfang an in die Entwicklung unserer Fortbildungen eingebunden. In den Teams besprechen wir die Materialien, die wir entwickeln, und reflektieren ihren Einsatz in Seminaren. Lehrkräfte und zum Teil auch Studierende erproben die Materialien und Konzepte und geben uns ein erstes Feedback dazu, wie sie im Unterricht eingesetzt werden können. Das ist sehr hilfreich, weil wir dadurch einen sehr regelmäßigen und intensiven phasenübergreifenden Austausch haben und wir die Fortbildungen darauf aufbauend weiterentwickeln können.

„Gleichzeitig ist es auch eine Möglichkeit, auf Praktiken einzugehen, die in der Alltagswelt der Schüler:innen ohnehin schon verankert sind.“

Dr. Mario Dunkel

Gibt es auch schon Kontakte zu Landesinstituten?

Mario Dunkel: Ja, wir arbeiten auch mit den Landesinstituten in den Ländern zusammen. So haben wir schon in der Frühphase des Projekts beispielsweise einen Workshop am Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) im Rahmen des Landeskongress Musikunterricht gegeben. Da wir ein Verbund mit einer Fokussierung auf Musikunterricht sind, ist die Kooperation mit den Landesmusikakademien, die ebenfalls für Musiklehrkräftefortbildungen zuständig sind, aber ebenso zentral.

Wie können Lehrkräfte durch die Fortbildungen, die Sie erarbeiten, ihren Unterricht weiterentwickeln?

Mario Dunkel: Lehrkräfte können durch die Fortbildungen ihren Unterricht um digitale Komponenten oder Themen erweitern. Das ist insofern interessant für die Lehrkräfte, weil es Inhalte sind, die bis jetzt im Studium eine nur untergeordnete Rolle spielten, wenn es sie überhaupt gab. Gleichzeitig ist es auch eine Möglichkeit, auf Praktiken einzugehen, die in der Alltagswelt der Schüler:innen ohnehin schon verankert sind. Viele Schülerinnen und Schüler produzieren mit dem Handy oder iPad schon im Alltag einfache Musikaufnahmen und kleine Musikvideos. Musikproduktion ist sehr zugänglich geworden. Man spricht auch von dem sogenannten Bedroom-Producing, was so viel bedeutet wie, dass im Kinderzimmer Musikaufnahmen gemacht werden, die schon recht professionell klingen können. Wir sehen in diesen Entwicklungen ein großes Potenzial. Die Herausforderungen und Chancen bestehen darin, solche Praktiken in den Unterricht zu integrieren und dabei auch eine reflexive Perspektive auf diese zu ermöglichen. Im Musikunterricht besteht oft eine große Heterogenität in der musikalischen Vorbildung der Schüler:innen. Unsere Herangehensweise ist deshalb auch eine Möglichkeit, beispielsweise Schüler:innen, die keinen Instrumentalunterricht hatten, dafür aber technikaffin sind oder gerne Dinge mit digitalen Endgeräten ausprobieren, für den Musikunterricht zu begeistern.

Prof. Dr. Mario Dunkel

Mario Dunkel ist Professor für Musikpädagogik mit Schwerpunkt transkulturelle Musikvermittlung am Institut für Musik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (UOL). Er studierte in Dortmund, Atlanta und New York Musik, Englisch und Amerikanistik. 2014 promovierte er in Amerikanistik/Kulturwissenschaften an der TU Dortmund. 2017 trat er die Juniorprofessor für Musikpädagogik mit Schwerpunkt transkulturelle Musikvermittlung am Institut für Musik der UOL an. Im März 2023 folgte die Ernennung zum Universitätsprofessor. Im Kompetenzverbund lernen:digital leitet Mario Dunkel den Projektverbund „Digitalität – Diversität – Producing: Praktiken populärer Musik in Schule und Weiterbildung“ (DiDiPro).