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Takeaways
  • Rollenverständnis: In Lernbüros verändert sich das Verständnis von „Schüler:in sein“: Vor dem Hintergrund, dass sich Berufe und Arbeitswelt verändern und damit neue Anforderungen erwachsen, ermöglichen Lernbüros eine stärkere Selbstorganisation und Mitbestimmung der Lernenden. Das stärkt ihre Kompetenzen im Hinblick auf die vielfach geforderten future skills. Auch Lehrkräfte verändern ihre Haltung und übernehmen die Aufgaben eines Lerncoachs, der das Lernen pädagogisch-fachlich begleitet.

  • Unterrichtsorganisation: Lernbüros ermöglichen es, in kleineren Lerngruppen zu lernen und zu lehren. Verschiedenen Niveaustufen können erreicht werden, die Organisation von Leistungsnachweisen als Gelingensnachweis zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Schüler:innen selbst als vorbereitet einschätzen, motiviert die Schüler:innen. Motivation wird Motor für das eigene Lernen.

„So kann es nicht weitergehen.“ Sätze wie dieser begegnen uns in unseren Projekten „think tank future schooling“ und „(Never) change“, wenn wir mit Lehrkräften und Leitungsteams sprechen, die sich auf den Weg gemacht haben ihre Schule zu transformieren. Dass Schule sich verändern muss, wie sich auch Gesellschaft verändert, haben nicht nur die Schulen selbst, sondern auch Bildungspolitik und Bildungsforschung verstanden. Doch darüber, wie genau und mit welchem Ziel diese Veränderung erfolgen soll, besteht noch lange kein Konsens. Drei Themen werden in der Diskussion um Schultransformation unter anderem stark gemacht:

1) Wie kann Schule wieder stärker ein Ort werden, an dem Schüler:innen lernen Teil einer demokratischen Gemeinschaft zu sein?

In der Debatte um die zukünftige Nutzung von digitalen Technologien in Schulen (u.a. KI, mobile Endgeräte, Lernsoftware) dreht sich vieles um die Frage, wie Lehrkräfte das vermeintliche Potenzial für Unterricht besser ausschöpfen können. Bessere Leistungen, mehr Input und Output – so die Hoffnung – soll durch eine effektive Technologieverwendung ermöglicht werden. Mit dem Fokus auf Technologie geraten jedoch Fragen nach dem zwischenmenschlichen Miteinander aus dem Blick. Wie wollen wir perspektivisch menschlich miteinander umgehen, wenn die Maschinen für uns kommunizieren? Wie stellen wir eine soziale Gemeinschaft her, wenn jeder und jede allein vor ihrem Arbeitsgerät, individualisiert und optimiert lernt? Teamfähigkeit, Toleranz und Demokratieverständnis sind ebenso zentrale soziale Kompetenzen, die es in Schulen neben digitalen Kompetenzen zu vermitteln gilt.

2) Was soll Schule ändern, um die Vermittlung von Basiskompetenzen sicher zu stellen und gleichzeitig leistungsstarke wie -schwache Schüler:innen zu fördern?

Unterricht herzustellen im Anspruch von Inklusion und Leistungsmessung gestaltet sich schwierig, auch für erfahrene Lehrkräfte. Das gegenwärtige System sieht vor, dass alle Schüler:innen einer Klassenstufe möglichst zum gleichen Zeitpunkt auf dem annähernd gleichen Kompetenz- bzw. Wissensstand sind. Faktisch lässt sich dies in den gegenwärtigen schulischen Rahmen mit großen Klassen und sehr heterogener Schüler:innenschaft aber kaum herstellen. Gleichzeitig befeuern wiederkehrend schlechte Ergebnisse in internationalen Vergleichsstudien wie PISA oder ICILS Forderungen nach einer grundlegenden Veränderung von Schule.

3) In welchem Verhältnis stehen die Vermittlung von Fakten(-wissen) und der Erwerb von future skills in der Schule?

Mitgestaltet durch technologische Innovation und die zunehmende Verschränkung von Digitalität und Lebensalltag verändert sich auch die Arbeitswelt. Noch ungewiss ist, welche Berufe und welche Art von Arbeitnehmer:innen es perspektivisch brauchen wird, wenn sich aktuell ganze Berufsfelder wandeln, zum Beispiel durch die Verbreitung von GPT-basierten Systemen, verkürzt als „die KI“ bezeichnet. Flexibilität, Selbstständigkeit und kritisch-konstruktives Denken sind nur einige der Fähigkeiten – auch future skills genannt – die als nützlich für die zukünftige Berufswelt gelten. Der Erwerb solcher „Zukunftskompetenzen“ setzt jedoch ein anderes Mindset voraus als bisher in Schulen vermittelt wird. Denn aktuell fokussiert Schule vermehrt die Vermittlung von Faktenwissen. Wann war die Französische Revolution? Wo liegt Panama? Wie lautet die chemische Formal von Sauerstoff? Das wissen Schüler:innen gegenwärtig, wenn sie die Schule verlassen, aber wissen, wie sie eigenständig, problemlösungsorientiert und flexibel ihre Lernumgebung aktiv mitgestalten, das können wohl die wenigsten.

Was meint „Transformation“ im schulischen Kontext?

Unter Transformation verstehen wir einen nicht-zirkulären, nicht-linearen Prozess, der gekennzeichnet ist durch eine gewisse Unbeständigkeit; ein Vor/Zurück/Zur Seite/Nach oben/Nach unten; der eine Parallelität von Bekanntem und Neuem inkludiert und sowohl das Überwinden von Beharrung als auch die Öffnung für Innovation einschließt. Als hochkomplexer Prozess wird Transformation somit von vielen Beteiligten mitgestaltet.

In Schule ist der Begriff meist normativ besetzt, mit einem „Verbesserungsanspruch“. Transformation ist in diesem Verständnis Mittel zur Zielerreichung; unter anderem für bessere Schule, besseren Unterricht, besserer Leistung. Während schulische Transformation aktuell, angetrieben durch technologische Entwicklungen, als Beschleunigung gedacht wird, braucht zukunftsträchtige Transformation aber auch ein Innehalten, Zusammenhalten, Festhalten, Unterhalten und Durchhalten.

„Wann war die Französische Revolution? Wo liegt Panama? Wie lautet die chemische Formal von Sauerstoff? Das wissen Schüler:innen gegenwärtig, wenn sie die Schule verlassen, aber wissen, wie sie eigenständig, problemlösungsorientiert und flexibel ihre Lernumgebung aktiv mitgestalten, das können wohl die wenigsten.“

Annekatrin Bock und Julia Schreiber-Kehrhahn

Mit Blick auf die hier skizzierten Spannungsfelder, die im Kontext von digitalen Technologien und schulischer Transformation diskutiert werden, stellen wir „Lernbüros“ als einen Motor von Schulentwicklung vor. Wir zeigen Beispiele aus unserer Forschung mit Schulleitungen und Lehrkräften, die uns in Gesprächen über die Veränderungen für ihren Unterricht und ihre Schule berichten. Lernbüros sind in diesem Verständnis Ansatzpunkte, um den Spannungsverhältnissen zwischen Bildungsanspruch und Schulrealität zu begegnen.

Ein Vergleich von Lernbüro und Unterricht im Klassenverband

Lernbüros brechen die klassische Unterrichtsstruktur auf und stoßen aktuell auf großes Interesse bei Schulen, die – getrieben durch technologischen und gesellschaftlichen Wandel – ihr Schulkonzept verändern müssen. Die „Neuentdeckung“ von Lernbüros, die bereits Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre bildungswissenschaftlich und bildungspolitisch durchaus kontrovers diskutiert wurden, ist sicherlich auch angestoßen durch erweiterte technische Möglichkeiten und die Verbesserung digitaler Infrastrukturen. Viele der Voraussetzungen für Lernbüros, wie beispielsweise adaptierbares Lernmaterial, mobile Arbeitsgeräte oder orts- und zeitunabhängiges Arbeiten (siehe Infokasten), sind sicher auch analog gut abbildbar, werden aber durch schulische Cloudlösungen für Materialablage, Administration und schulische Kommunikation in Funktionsumfang und Anwendbarkeit deutlich erweitert. Auf fünf Unterschiede von Unterricht im Klassenverband im Vergleich zu Lernbüros und auf die Anknüpfungspunkte für Schultransformation sei im Folgenden besonders verwiesen:

Lernbüros – Was ist das?

Lernbüros sind zunächst eine pädagogisch-didaktisch vorstrukturierte Arbeitsform, die Schüler:innen ermöglicht, selbstorganisiert, im eigenen Tempo und angepasst an das eigene Lernniveau zu arbeiten. Themen, Material und Lernmittel werden für unterschiedliche Kompetenzniveaus aufbereitet, meist hybrid oder digital bearbeitbar zur Verfügung gestellt. Die Lehrkraft agiert in der Rolle eines Lernbegleiters oder Lerncoachs, der/die die Schüler:innen – hier Lernpartner:in genannt – berät.

Wichtiges Ziel der Etablierung von Lernbüros ist es, das eigenverantwortete Lernen zu stärken, mehr Entscheidungsfreiheit in Bezug auf Themen, Lernfortschritt und Sozialform zu ermöglichen und ein auf Vertrauen basierendes Lerncoach-Lernpartner:in-Verhältnis zu etablieren. Langfristig werden mit dem Lernbüro-Ansatz zeitliche, kognitive und auch emotionale Ressourcen der Lerncoachs frei, um intensivere Lernbegleitung und Beratung von Lernpartner:innen zu ermöglichen.

Lernbüros als einen Motor für Schultransformation verstehen

Wie die von uns diskutierten Praxisbeispiele illustrieren, können Lernbüros ein Motor für Schultransformation sein, welche die eingangs skizzierten Spannungsverhältnisse in Bezug auf demokratische Gemeinschaft, inklusive Beschulung und future skills, adressieren. Während die Erreichung von großen, meist abstrakten, bildungspolitischen Forderungen (bessere PISA-Ergebnisse, Inklusion, Zukunftskompetenzen) aktuell so unerreichbar erscheinen, ist die praktische Umsetzung von Lernbüros zunächst ein in der Einzelschule gestaltbarer, konkreter Umsetzungsschritt. Je nach Ausgestaltung der Lernbüros entfalten sich sehr zeitnah neue Raum-, Schulorganisations-, Unterrichts- und Prüfungsbedingungen, die einerseits zu den gewünschten besseren Leistungen und Kompetenzerwerb der Schüler:innen führen, dabei aber andererseits auch zu mehr Wohlbefinden und Zufriedenheit einer Gemeinschaft aus Lernpartner:innen, Lernbegleiter:innen und Eltern beitragen.

„Mit dem Fokus auf Technologie geraten jedoch Fragen nach dem zwischen- menschlichen Miteinander aus dem Blick. Wie wollen wir perspektivisch menschlich miteinander umgehen, wenn die Maschinen für uns kommunizieren? Wie stellen wir eine soziale Gemeinschaft her, wenn jeder und jede allein vor ihrem Arbeitsgerät, individualisiert und optimiert lernt? “

Annekatrin Bock und Julia Schreiber-Kehrhahn

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Takeaways
  • Virtual Reality (VR) ermöglicht ein tieferes Verständnis komplexer Physikkonzepte, indem es Schüler:innen eine immersive Lernerfahrung bietet. Durch den Einsatz von VR im Physikunterricht können Schüler:innen interaktiv mit virtuellen Experimenten arbeiten und abstrakte Konzepte besser begreifen.

  • Das Schülerlabor „iMPULSE“ an der LMU München spielt eine entscheidende Rolle bei der Integration von VR in den Physikunterricht. Hier haben Schulklassen die Möglichkeit, VR-Experimente zu erleben und durch praktisches Arbeiten ein vertieftes Verständnis für physikalische Phänomene zu entwickeln.

  • Die Kombination aus traditionellen Hands-on-Experimenten, Simulationen und VR-Anwendungen bietet den Schüler:innen vielfältige Lernmöglichkeiten. Diese multidimensionale Herangehensweise ermöglicht es den Schüler:innen, physikalische Konzepte aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und ihr Verständnis zu festigen. Durch das nahtlose Zusammenspiel dieser Methoden können potenzielle Missverständnisse direkt im Experiment adressiert und korrigiert werden, was zu einem nachhaltigen Lernerfolg führt.

Es ist ein Mittwochvormittag, 10 Uhr – auf den Gängen des zuvor noch ruhigen Lehrstuhls für Didaktik der Physik an der LMU München wird es auf einmal turbulent als 27 Schüler:innen einer achten Klasse und zwei begleitende Lehrkräfte um die Ecke kommen und im Foyer empfangen werden. Salome Flegr und weitere Mitarbeitende des Lehrstuhls begrüßen den Besuch: „Herzlich Willkommen bei uns im Schülerlabor der Didaktik der Physik! Wir freuen uns, dass ihr hier seid und haben heute einige spannende Lernanwendungen für euch vorbereitet.“ Die Schüler:innen dürfen nach einer kurzen allgemeinen Einführung im Foyer in den großen Schülerlabor-Raum hinein und es sich auf den vorbereiteten Stühlen bequem machen. Im Laufe des Vormittags werden sie mit Hands-on-Experimenten, aber auch mit Virtual-Reality-Experimenten arbeiten. Dabei werden sie von einem Team aus Lehrstuhl-Mitarbeitenden angeleitet und technisch unterstützt. Hier muss niemand schon mit technischem Vorwissen kommen, alles wird Schritt für Schritt erklärt und begleitet. 

Abbildung 1: Schülerin, die während ihres Besuchs im iMPULSE-Schülerlabor mit dem VR-Experiment interagiert

Die Lehrkräfte dürfen auch selbst einmal in die Virtual-Reality-Lernanwendungen hineinschlüpfen. Nachdem eine der Lehrkräfte die Brille wieder abgesetzt hat und den Lernaktivitäten der Schüler:innen im Raum zuschaut (s. Abbildung 1), sagt sie: „Ich genieße es auch, selbst einfach einmal zuschauen und ausprobieren zu dürfen, während meine Klasse lernt. Ich sehe da großes Potential in den Möglichkeiten von neuen Technologien für den Unterricht, insbesondere, wenn die Anwendungen in einem Schülerlabor wie eurem angeboten werden“. Der Ausflug an sich ist schon ein Erlebnis für die Schüler:innen und dass sie dann auch noch Experimente durchführen und mit Virtual-Reality-Brillen arbeiten dürfen, macht die Erfahrung zu einem Highlight.

„Es ist toll, dass wir mit unseren Klassen hierherkommen können, weil uns an der Schule einfach die Ausstattung und der technologische Support fehlen, um beispielsweise Virtual Reality selbst mit vielen Schüler:innen gleichzeitig auszuprobieren.“

Lehrkraft eines Münchner Gymnasiums

Die Schüler:innen bearbeiten das Optik-Modul des Schülerlabors am Lehrstuhl für Didaktik der Physik an der LMU München. Sie untersuchen, wie die Lichtbrechung an einer Sammellinse funktioniert und wie mit Sammellinsen leuchtende Gegenstände auf einem Schirm abgebildet werden können. Dafür verschieben sie den Gegenstand vor der Linse, decken die Linse teilweise ab oder ändern die Brennweite der Linse.

Das Schülerlabor „iMPULSE“

Das Schülerlabor „iMPULSE“ (integriertes Münchner Physik-Unterrichts-Labor für Schüler-Experimente) ist derzeit im Aufbau. Bisher gibt es noch kein breites Programm-Angebot, es sind jedoch einige Module geplant. Das Optik-Modul für die Klassenstufe 8 ist das erste Modul, das regelmäßig im Schülerlabor angeboten wird. Alle Module im Schülerlabor iMPULSE sollen kontinuierlich weiterentwickelt werden, sodass sie „auf der Höhe der Zeit“ bleiben und neuste wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Entwicklungen berücksichtigen können. Das Optik-Modul wird aktuell im Projekt MINT-ProNeD im Kompetenzverbund lernen:digital weiterentwickelt.

Über den Projektverbund MINT-ProNeD

Der Projektverbund MINT-ProNeD aus zwölf Hochschulen und Forschungseinrichtungen setzt den Schwerpunkt auf die Professionalisierung von Lehrkräften für die Gestaltung digital gestützten adaptiven MINT-Unterrichts. Hierzu wird ein integratives Gesamtkonzept für die MINT-Lehrkräftebildung in Form von drei interdisziplinären und phasenübergreifenden Netzwerken (Fort- und Weiterbildungen, Unterrichtsentwicklung und -beratung, Future Innovation Hub) etabliert und umgesetzt.

Schulklassen, die das Optik-Modul im Schülerlabor testen möchten, kommen in der Regel für mindestens zwei Stunden an den Lehrstuhl für Didaktik der Physik der LMU München. Nach einer Einführung in das physikalische Thema und in die Technik arbeiten die Schüler:innen im Wechsel mit klassischen Hands-on-Experimenten, einer Simulation und einer Virtual-Reality-Umgebung (VR-Experiment), um möglichst unterschiedliche Lerngelegenheiten zu kombinieren. 

Experimente zur Abbildung durch eine Sammellinse

Das Thema „Abbildung durch eine Sammellinse“ ist ein curricularer Bestandteil im Bereich Optik im Physikunterricht der Mittelstufe. Typischerweise werden zu diesem Themenmodul von den Schüler:innen Experimente durchgeführt, die zwar einfach in der Handhabung, jedoch anspruchsvoll im Verständnis sind. Die Schwierigkeiten ergeben sich vor allem daraus, dass in den Experimenten zwar Phänomene beobachtet und untersucht werden können, deren Ursprung und die dahinterliegenden Konzepte jedoch nicht im Experiment beobachtet werden können. Aus diesem Grund fällt den Lernenden der Schritt vom Beobachten zum Erklären und Verstehen der Phänomene besonders schwer.

Das Hands-on-Experiment und die Simulation

Das klassische Experiment wird in Abbildung 2 dargestellt: Links ist eine Lampe zu sehen, die durch eine F-Blende ein helles „F“ durch die Linse wirft. In der Mitte ist die Sammellinse in ihrer Halterung angebracht, rechts ein Schirm, auf dem das helle „F“ (der Gegenstand) abgebildet wird. Das helle „F“ auf dem Schirm ist das „Bild des Gegenstands“. Untersucht wird meist der Zusammenhang zwischen der Position der Lampe vor der Linse und dem Bild auf dem Schirm sowie der Brennweite der Linse und dem Bild. Außerdem wird beobachtet, was geschieht, wenn die Linse teilweise abgedeckt wird, zum Beispiel mithilfe einer Lochblende.

Abbildung 2: Das klassische Experiment zur Abbildung durch eine Sammellinse (eigene Darstellung)

Die Abbildung des Gegenstands ist einfach zu beobachten, jedoch mithilfe dieses Experiments nicht einfach zu erklären: Konzeptuell kann man die Abbildung des Gegenstands mithilfe des Lichtbündels erklären, das durch die Linse fällt. Zur Vorhersage des Ortes der scharfen Abbildung auf dem Schirm können die sogenannten „Konstruktionsstrahlen“ zur Hilfe genommen werden. Sowohl Lichtbündel als auch Konstruktionsstrahlen sind nicht im Hands-on-Experiment beobachtbar und müssen entweder mithilfe von Abbildungen als Momentaufnahmen des Versuchs oder durch eine Simulation veranschaulicht werden. Eine solche Simulation ist beispielhaft in Abbildung 3 dargestellt. In der Simulation können verschiedene Variablen des Versuchs mithilfe von Schiebereglern eingestellt werden. Die Konsequenzen dieser Änderung der Ausgangsvariablen lassen sich dynamisch beobachten, sodass mit der Simulation systematisch die Zusammenhänge einzelner Variablen untersucht werden können. Aus diesem Grund spricht man bei solchen Simulationen auch von „Simulationsexperimenten“.

Abbildung 3: Simulation einer Sammellinse mit Lichtbündel und Konstruktionsstrahlen (eigene Darstellung)

Das Hands-on-Experiment und die Simulation

Das klassische Experiment und die Simulation können kombiniert werden, um den Schüler:innen das Verständnis der zugrundeliegenden Konzepte zu diesem Lerngegenstand zu erleichtern. Da sowohl das klassische Hands-on-Experiment als auch die Simulation schon gute Lerneffekte erzielen können, setzen wir auch diese beiden Experimentierformate im Schülerlabor der LMU ein (s. Abbildung 4).

Abbildung 4: Schülerin arbeitet parallel mit Experiment und Tablet-Simulation im Schülerlabor 

Die Herausforderung besteht darin, dass die beiden Repräsentationen (klassisches Experiment und Simulation) systematisch zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen. Die Lernenden müssen ihre Aufmerksamkeit stets von der einen zur anderen Repräsentation lenken, die beiden Darstellungen interpretieren und ihre Beobachtungen und Erkenntnisse zu beiden Darstellungen in Einklang bringen. 

Das Virtual-Reality-Experiment

Hier setzt das Virtual-Reality-Experiment an: Für die VR-Umgebung wurde der Tisch mit dem klassischen Experiment nachgebaut (s. Abbildung 5) und die Lernenden können, ähnlich wie in der Realität, mit den einzelnen Komponenten des Experiments interagieren. 

Abbildung 5: VR-Umgebung mit dem Aufbau des klassischen Experiments (eigene Darstellung)

Über die VR-Brille sehen die Schüler:innen den Versuchsaufbau und können mit den Controllern in ihren Händen die Lampe näher an die Linse heran oder weiter von der Linse wegschieben. Sie können die Brennweite der Linse verändern und eine Blende vor die Linse stellen. 

Im Vergleich zum Hands-on-Experiment besteht in der VR-Umgebung der große Vorteil, dass man Unsichtbares bzw. Konzeptuelles sichtbar und greifbar machen kann. Sowohl die Konstruktionsstrahlen als auch das Lichtbündel können (einzeln angesteuert) direkt in den Experimentieraufbau eingeblendet werden. Zudem kann der Ort der scharfen Abbildung stets über einen halbtransparenten Schirm angezeigt werden, während zusätzlich ein verschiebbarer „echter Schirm“ angezeigt wird, auf dem das Bild (wie im klassischen Hands-on-Experiment) unscharf angezeigt wird, solange er nicht am Ort der schärfsten Abbildung steht (wo der halbtransparente Schirm lokalisiert ist, s. Abbildung 6). 

Abbildung 6: VR-Experiment mit halbtransparentem Schirm und verschiebbarem Schirm (eigene Darstellung)

Auf diese Art und Weise können eventuell vorliegende Fehlvorstellungen bei den Schüler:innen (Schülervorstellungen) direkt im Experiment adressiert werden und die physikalischen Konzepte können anschaulich vermittelt werden. Beispielsweise hat ein langsames Schließen der Lochblende (vgl. Abbildung 7) den Effekt, dass das Bild des Gegenstands (hier ein „P“), nicht an den Rändern abgeschnitten wird (wie häufig fälschlicherweise angenommen), sondern lediglich lichtschwächer, also blasser wird. Das kann man darauf zurückführen, dass die Konstruktionsstrahlen als geometrisches Konstrukt gleich bleiben und die Abbildung deshalb gleich konstruiert wird, jedoch weniger Licht die Linse passieren kann. Alle Lichtstrahlen des Lichtbündels, das die Linse passiert, werden trotzdem gebrochen und tragen zur punktweisen Bildentstehung bei.

In der VR-Umgebung kann man diesen Aspekt anschaulich beobachten, wie in Abbildung 7 zu sehen. Die Konstruktionsstrahlen sind nicht identisch mit dem Lichtbündel und verlaufen (auch trotz Lochblende) auf ihren geometrisch festgelegten Linien. Das Lichtbündel wird durch die sich schließende Lochblende kleiner und weniger Licht kommt auf der andern Seite der Linse an.

Abbildung 7: Lochblende in der VR-Umgebung mit Lichtbündel und Konstruktionsstrahlen (eigene Darstellung)

Fazit und Ausblick

Der Einsatz von Virtual Reality bietet im Fach Physik viele Potentiale für ein besseres Verständnis grundlegender Konzepte, beispielsweise durch die Integration von konzeptuellen Hintergründen eines Sachverhalts direkt in das jeweilige Experiment. Durch die bisher geringe Verbreitung von VR-Brillen an Schulen bietet es sich an, dass Schulklassen zum Lernen mit dieser Technik an das dafür ausgestattete Schülerlabor der Universität kommen. Hier wird die VR-Lernerfahrung in eine komplette Unterrichtsstunde eingebettet. Zusätzlich erhalten die Besuchenden Einblicke in die Arbeit und Forschung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Fachdidaktik und können sich direkt an Forschungsprojekten beteiligen, indem sie ihre Lerndaten für Forschungszwecke zur Verfügung stellen. Für die Forschenden bietet sich hier die wertvolle Gelegenheit, ihre entwickelten Materialien live im Einsatz zu erleben und mithilfe von Prozessdaten aus der Experimentierstunde Erkenntnisse zum gelingenden Lernen zu erlangen. Im Schülerlabor trifft somit Forschung auf Praxis.

„Ich fand es besonders schön, zu sehen, dass für alle Schüler:innen etwas zum Staunen dabei war und die Begeisterung so groß war – ich habe meine Klasse nur schwerlich überreden können, dass wir jetzt wieder zurück zur Schule fahren müssen. Und auch ich hatte heute zum ersten Mal eine VR-Brille auf. Ich denke, wir nehmen heute alle ganz viele neue Erfahrungen mit nach Hause.“

Lehrkraft aus München

Perspektivisch bieten neue digitale Lernmedien im Bereich Extended Reality (XR) auch für den Einsatz direkt an Schulen vielfältige Perspektiven, um das Lernen für Schüler:innen anschaulicher zu gestalten. Dafür müssen Schulen in Zukunft mit XR-Brillen besser ausgestattet sein, die Lehrkräfte müssen im Umgang mit den Brillen geschult sein und XR-Lernumgebungen müssen problemlos über Online-Plattformen für die Lehrkräfte kostenlos zugänglich und technisch und prozedural einfach auf die XR-Brillen zu importieren sein.

Wenn diese Rahmenbedingungen erfüllt sind, kann man sich einen Physikunterricht der Zukunft ausmalen, in dem gelegentlich zur Veranschaulichung, zur körperlichen Erfahrung in einer Lernwelt und zur spielerischen Entdeckung von neuem Wissen die XR-Brillen aus dem Koffer geholt, kurz angeschaltet und dann für einen Abschnitt des Unterrichts verwendet werden. Durch eine Weiterentwicklung im Bereich des kollaborativen Lernens in der Extended Reality ist sogar eine Gruppenarbeit im virtuellen Raum direkt am virtuellen Experiment oder an einem virtuellen Modell, beispielsweise von Planeten im Sonnensystem, denkbar. Auch der Einsatz von KI-gesteuerten Lern-Assistenten im virtuellen Raum kann in Zukunft wertvolle Unterstützung für Schüler:innen bieten.

Schülerlabore hätten in einem solchen Zukunfts-Szenario primär die Funktion, neu entwickelte Lernumgebungen zu pilotieren, Lehramtsstudierenden und Lehrkräften einen Einblick in die Arbeit mit den Brillen zu geben und den Lernenden Einblicke in das Forschungsinstitut zu gewähren. Und, nicht zu vergessen, stets auf der Höhe der Zeit die neuesten (technischen) Innovationen in die physikalische Bildung zu integrieren – noch lange, bevor diese Innovationen auch an Schulen ankommen können.

Dieser Kurzbeitrag ist zuerst auf schule-mal-digital.de im Rahmen des Themenschwerpunkts Lernen und Unterrichten mit Augmented und Virtual Reality erschienen. Er wurde vom Redaktionsteam von schule-mal-digital.de betreut. 

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

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VR-Brillen machen erstmal neugierig und versprechen ein eindrückliches Erlebnis. Im Community Call berichtet Florian Brückner, Berufschullehrer in Kronach und Projektleiter für die XRXplorer Schools in Bayern, dass VR-Brillen gemäß seiner Erfahrung nach etwa fünf oder sechs Einsätzen an Normalität gewinnen. Ob und wie sich die Motivation dann in nachhaltige Lernprozesse überführen lässt, damit die VR-Brille von den Lernenden nicht nur als Spielerei wahrgenommen wird, hängt seiner Überzeugung nach insbesondere von der Eignung der Anwendungsfälle ab. Besonders vielversprechend sind Anwendungsfälle, sogenannte Use Cases, die etwas erlebbar machen, das die Schüler:innen sonst nicht oder nur sehr selten erleben können.

„Wir achten bei uns an der Schule immer darauf, dass ein lernförderlicher Use Case zugrunde liegt, wenn wir XR-Anwendungen beschaffen und in den Unterricht integrieren. Es eignen sich besonders Lernsettings, die wir aus Sicherheits-, Kosten- oder Nachhaltigkeitsgründen nicht konventionell unterrichten können.“

Florian Brückner, Berufliches Schulzentrum Kronach und Stiftung Bildungspakt Bayern

Vielleicht erfordern die neuen Lernformen, die VR-/AR-Technologien ermöglichen, auch eine neue Sicht auf den Wissensbegriff und Lernprozesse, die bislang vornehmlich unter dem Aspekt von kognitiven Lerneffekten betrachtet werden. Sie erweitern Lernprozesse beispielsweise um Dreidimensionalität, Interaktivität oder Embodiment. Dadurch erlangen Lernende Wissen, das über abfragbares Wissen hinausgeht und für den individuellen Entwicklungsprozess trotzdem bedeutsam ist.

„Natürlich lerne ich etwas, wenn ich in einer 360-Grad-Sphäre durch die ISS schwebe: Da lerne ich, wie das sein könnte, in der ISS zu schweben. Aber das fragt kein schulischer Test ab – das ist kein standardmäßiges deklaratives oder prozedurales Schulwissen. Aber eigentlich ein wichtiges Wissen, denke ich!“

Prof. Dr. Peter Gerjets, Leibniz-Institut für Wissensmedien und Universität Tübingen

Die den Körper einbindenden und affizierenden Medienarrangements von AR und VR machen einen Teil der Motivation aus. Sie erfordern aber auch einen bedachten Einsatz von VR und AR, deren Inhalte durch die Intensität der Erfahrung Schüler:innen an Grenzerfahrungen bringen können. Auch gilt es, VR-/AR-Anwendungen dahingehend zu überprüfen, welche Vorstellungen von Körpern in die Anwendungen eingeschrieben sind. Mit den digitalen Technologien drängen zudem Akteur:innen in den Bildungsbereich, die mit ihrer Monopolstellung Abhängigkeiten schaffen und den Gestaltungsspielraum mit den Technologien vorgeben.

„Die Erfahrungen, die man in oder mit AR und VR sammelt, können durchaus emotional herausfordernd sein. Wenn man sie als eine harmlose Spielerei verkauft, geraten vor allem auch ethische Dimensionen aus dem Blick.“

Nicola Przybylka, Universität Duisburg-Essen

Im Gespräch zwischen Florian Brückner (Berufliches Schulzentrum Kronach und Stiftung Bildungspakt Bayern), Peter Gerjets (Leibniz-Institut für Wissensmedien und Universität Tübingen) und Nicola Przybylka (Universität Duisburg-Essen), das von Gabriele Irle (Leibniz-Institut für Wissensmedien) moderiert wurde, werden weitere Aspekte aufgegriffen wie: Wie kann in VR-/AR-Anwendungen kollaborativ gearbeitet werden? Wohin werden sich Anwendungen entwickeln? Welche kritischen Aspekte müssen in den Blick genommen werden, wenn sie in der Schule und im Bildungsbereich eingesetzt und beforscht werden?

Das Gespräch können Sie im Video in voller Länge verfolgen. Im Vertiefungsbereich sind Hinweise aus dem Chat und Empfehlungen der Speaker:innen hinterlegt.

Aufzeichnung des Community Calls am 6. November 2024

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Takeaways
  • Lebensweltbezug: Der Einsatz digitaler Technologien wie XR im Musikunterricht ermöglicht unter anderem niedrigschwellige Zugänge zum musikalischen Experimentieren mit ungewöhnlichen Klangobjekten, hautnahe Konzerterlebnisse oder immersive Zeitreisen zu Komponist:innen vergangener Epochen. So werden in praktischen und theoretischen Themenfeldern des Musikunterrichts neue Potentiale entfacht.

  • Musikunterricht der Zukunft: Der Prozess der Integration von XR-Technologien in Bildungskontexte wie dem Musikunterricht hat gerade erst begonnen. Es ist daher essenziell, „(angehenden) Lehrkräften derartige grundlegende Erfahrungen und Explorationsmöglichkeiten zu ermöglichen“ (Voit & Heye, 2022, S. 43), um den zukunftsgerichteten Einsatz der Technologie im Musikunterricht mit der Praxis zusammen zu entwickeln.

Abbildung 1: VR im Klassenzimmer, Quelle: Generiert mit Bing CoPilot, Prompt: Foto von Kindern im Musikunterricht, die zur Größe des Kopfes proportional passende VR-Headsets tragen, im Musikraum gemeinsam musizieren und dabei Spaß haben

Stellen Sie sich eine Musikunterrichtsstunde der nahen Zukunft vor: Sie betreten ein Klassenzimmer, das kaum wiederzuerkennen ist. Am oberen Rand des Zimmers liegen VR-Brillen mit Controllern, Tablets und Kopfhörer auf einzelnen Ablagen bereit. Auf weiteres Mobiliar wird zunehmend verzichtet, damit genügend Platz ist, um sich im Raum zu bewegen. Nachdem Sie die Brille aufgesetzt haben, treffen Sie in einer virtuellen, computersimulierten Umgebung als Avatar auf andere Teilnehmende, und begeben sich gemeinsam auf eine Reise in die Musikgeschichte: Sie haben die Möglichkeit, den Komponistinnen und Komponisten der jeweiligen Epoche über die Schulter zu schauen, entdecken die Umgebung, in der sie aufgewachsen sind, hören ihre Musik und experimentieren am Ende selbst damit. 

Zukunft als Impulsgeber

Zukunftsforscher:innen sind sich einig, dass nicht nur Künstliche Intelligenz, sondern auch Virtual, Augmented und Mixed Reality zum Lebensalltag der nahen Zukunft zählen werden: „Im Zuge des technologischen Wandels wird insbesondere VR-Medien (Virtual-Reality-Medien) das Potenzial zugesprochen, den Lernerfolg von Schüler:innen zu steigern und ein konstruktivistisches Lernen zu fördern.“ (Hellriegel & Čubela, 2018, S.58) Neue Formen der Interaktivität, Exploration und Erlebnismöglichkeit im dreidimensionalen Raum können Schlüsselkompetenzen wie das vernetzende Denken und autonome Lernkompetenzen fördern. Damit einher geht das große Potential einer dynamischen Unterrichtsgestaltung (Conrad Electronic SE, 2021). VR-bezogene Apps ermöglichen Schüler:innen schon jetzt, in virtuellen Umgebungen gemeinsam zu musizieren oder ihre eigenen Musizierumgebungen und Producing-Setups zu gestalten (siehe unten für Erläuterungen). Die Integration von Extended Reality-Anwendungen (XR) als zukunftsweisende Schlüsseltechnologien in den Musikunterricht, die vor allem Kindern und Jugendlichen aus dem Freizeitbereich bekannt sind, eröffnet so anschlussfähige Möglichkeiten musikbezogenen Lernens und immersiven Erlebens von Musik (Voit & Heye, 2022, S. 34), kann Bedürfnisse heterogener Lerngruppen integrieren und einen stärkeren Lebensweltbezug herstellen (vgl. Ahlers & Godau, 2019, S. 7). Der XR-Begriff umfasst hierbei Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR).

Solche Szenarien sind heute schon möglich: Das Spiel Patchworld (Abb. 3) des schweizerisch-dänischen Studios PatchXR bietet beispielsweise eine umfangreiche Bibliothek an Werkzeugen und ungewöhnlichen Instrumenten, die es den Spielenden ermöglichen, eigene Musik zu komponieren und audiovisuelle Welten aus virtuellen Musikinstrumenten, Producing Tools, visuellen Elementen und Räumen zu gestalten. Patchworld ist als eine Plattform konzipiert, die als Kreativwerkstatt und, im Multiplayer-Modus, auch als sozialer Treffpunkt funktioniert. Selbst erstellte Klänge und Produktionen können geteilt oder die Kreationen anderer erkundet werden. Sobald man aus einer Vielzahl von virtuellen Instrumenten wie Synthesizern, Drum Machines und ungewöhnlichen Klangobjekten wie Gummienten oder Flaschen seine Favoriten ausgewählt hat, steht auch einer gemeinsamen Jam-Session mit anderen Teilnehmenden nichts mehr im Wege. Die so entstehenden kreativen Prozesse gestalten die Spielenden als virtuelle Avatare. Musik lässt sich hierbei auf eine einzigartige, spielerische und innovative Weise erleben und gestalten.

Abbildung 3: Kollaborative Musikproduktion mit Sample-Bubbles und Sequencer als Avatare in Patchworld. Quelle: Eigene Darstellung

Weitere Angebote aus den vergangenen Jahre wie Schumann VR oder Konzerthaus Plus erlauben die Erkundung kultureller, musikalischer und geschichtlich bedeutsamer Wirkungsstätten. Schüler:innen können vor Ort in AR- und VR-Anwendungen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten eintauchen. Auch für das zu Beginn aufgeführte „Klassenzimmer-Szenario“ findet man bereits erste Umsetzungen: So ermöglicht es das gemeinnützige Bildungsprojekt beethoven opus 360 im Rahmen von bis dato großflächig angelegten Schultourneen in Deutschland, der Schweiz und Österreich, dass sich VR, Rap, Gaming und klassische Musik zu einer innovativen und mobilen Musikvermittlung verbinden, „die einen neuen Zugang zu dem Werk und Leben Ludwig van Beethovens eröffnet – ohne jegliche Vorkenntnisse oder musikalische Vorbildung.“ (Agon e.V., 2023).

Die Zukunft des Musiklernens im Fokus: Die Projekte LEVIKO-XR und KuMuS-ProNeD

Die Teilprojekte unter Leitung von Prof. Dr. Philipp Ahner am Standort der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen im Rahmen der Verbundprojekte KuMuS-ProNeD und LEVIKO-XR sind Teil des Kompetenzverbund lernen:digital. Die beiden EU & BMBF geförderten Projekte setzen sich in ihrer Laufzeit von Juli 2023 bis Februar 2026 mit dem Einsatz digitaler Technologien im Musikunterricht und der Entwicklung damit zusammenhängender Unterrichts- und Fortbildungskonzeptionen auseinander.

Die Projekte verfolgen das Ziel, die aktuellen Entwicklungen nicht hintenanzustellen, sondern heute schon den Einsatz dieser Technologien im Musikunterricht kritisch zu hinterfragen, zu begleiten und deren Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen.

Wegweisend für den Prozess der Entwicklung von Lehr-Lern-Designs sind hierbei unter anderem verschiedene Kernfragen: Welche Themen und Lernziele eignen sich besonders gut für den Einsatz der Technologien? Wie können die musikbezogenen XR-Inhalte nachhaltig in den Musikunterricht integriert werden, sodass brauchbare Zusammenhänge zu den relevanten Themenbereichen und Handlungsfeldern entstehen? Wie können die Potenziale und Grenzen von allen beteiligten Akteur:innen anhand eigener Praxiserfahrungen nachvollzogen werden?

Sowohl LEVIKO-XR als auch KuMuS-ProNeD gestalten ihre Untersuchungen und Szenarien auf Basis bereits vorhandener Apps für VR-/MR-Headsets. Diese wurden zunächst als Grundlage für weitere Konzeptionen in Voruntersuchungen erforscht. Folgende mögliche Themenbereiche und Handlungsfelder wurden als besonders relevant für das Fach Musik identifiziert:

  • Kreieren und Produzieren,
  • Musizieren und Improvisation,
  • Hörerfahrung (Rezeption, Akustik),
  • Musik und Bewegung (rhythmische Spiele) sowie
  • theoretische Inhalte (z. B. zum Themenfeld Musikgeschichte, iehe Beginn des Beitrags).

Auch interdisziplinäre Möglichkeiten und Verbindungen zu Nicht-Musik-Apps gehören zu den ersten grundlegenden Bereichen, zu denen nun in den beiden Projekten konkrete Lehr-Lern-Designs entwickelt werden. Das verwendete Design-Based Research-Verfahren dient dabei als theoretische Basis, um unter Einbezug didaktischer Modelle wie u.a. TPACK praxisorientiert und explorativ bei der Konzeption und (Weiter-)Entwicklung vorzugehen.

Design-Based Research

Als Forschungsansatz im Bereich der Bildungsforschung verfolgt Design-Based Research (DBR) zwei Ziele: Zum einen sollen innovative Lösungen zu didaktischen Problemen in der Praxis gefunden und zum anderen (neue) Theorien (weiter)entwickelt werden. Durch die gezielte Verschränkung von Wissenschaft und Praxis weist der Ansatz ein hohes Potenzial auf, den Praxistransfer fachdidaktischer Forschung zu fördern.

Das Vorgehen von DBR besteht aus einem iterativen Prozess. Dabei werden zunächst relevante Probleme aus der Bildungspraxis sowie deren spezifische Kontexte theoretisch analysiert. Anschließend werden Lösungen (sogenannte Interventionen) zu diesen Problemen entwickelt, in der Praxis erprobt und evaluiert. Aufbauend auf einer theoretischen Reflexion werden Anpassungen und Änderungen an der Intervention vorgenommen, um sie daraufhin erneut zu testen und zu untersuchen. Die Erkenntnisse aus dem DBR-Prozess sind stets kontextgebunden, können jedoch auch auf andere Anwendungskontexte übertragen und angepasst werden.

 

(Quelle: https://www.e-teaching.org)

Die oben aufgeführten Themenbereiche zeigen das breite Potenzial von XR-Technologien im Musikunterricht, da mit ihnen mehrere relevante Kompetenzbereiche aus dem Bereich Musik adressiert werden. Mit Analysen der User-Experience und der Aufstellung didaktischer Kriterien und Ziele werden nun die Anwendungen in ihrer Breite für konkretere Erprobungszyklen praxisorientiert in den Projekten ausgearbeitet, dokumentiert und im weiteren Projektverlauf veröffentlicht.

Das Vorgehen mit Design-Based Research lässt sich darüber hinaus auch auf andere, jüngere Technologien übertragen. Insbesondere das Projekt KuMuS-ProNeD ergründet die Möglichkeiten der MIDI-Controller Touch me und Playtron von Playtronica.

Midi-Controller

Ein MIDI-Controller ist ein Gerät, mit dem man elektronische Musik steuern kann. Er sendet MIDI-Signale an Computer oder andere Musikinstrumente, um Töne, Rhythmen und Effekte zu erzeugen oder zu beeinflussen, ohne selbst Klänge zu produzieren. Häufig hat er Tasten, Pads, Regler oder Fader, die dem Musiker oder der Musikerin ermöglichen, die Musik in Echtzeit zu beeinflussen. Playtronica ermöglicht als MIDI-Controller, aus alltäglichen Objekten eine Schnittstelle zum Musizieren zu machen, und diese gefühlt in Musikinstrumente zu verwandeln. Durch Berühren der Objekte können Benutzer:innen unterschiedliche Töne und Klänge erzeugen oder beeinflussen, was zu einer spielerischen und kreativen Musikerfahrung führen kann.

Diese Technologie erlaubt es, mit stromleitenden Objekten Musik zu erfinden bzw. die „Intensität der Berührung zwischen Menschen“ (Playtronica, 2016) in Töne umzuwandeln (siehe Abbildung 4). Vielversprechende Möglichkeiten zum Musiklernen mit Bewegung, durch Improvisation und über Musiktheorie wurden bereits in Pretests mit Studierenden untersucht und auf der European Association for Music in Schools-Conference 2024 präsentiert (Poster). Abbildung 4 zeigt die Arbeit eines Studierenden, der ein mögliches Setup im Kontext von Playtron erarbeitet hat, um Schüler:innen die Intervalle optisch, haptisch und auditiv näher zu bringen.

Abbildung 4: Playtron im Kontext des Themenbereichs Theorie: Die Intervalle. Quelle: Eigene Darstellung

Solche und viele weitere denkbare Setups im Kontext von Playtronica und auch XR-Technologien ermöglichen hierbei neue, niedrigschwellige Zugänge zum Musiklernen. Sie können mit Blick auf ihr gestalterisches Potenzial, die flexible Anwend- und Einsetzbarkeit und den hohen Alltagsbezug zu einer engagierteren und motivierteren Begegnung mit dem Fach Musik für verschiedene Zielgruppen beitragen.

Zukunftsperspektiven

XR-Technologie kann für wichtige Faktoren des schulischen Musikunterrichts wie Interaktivität, Teilhabe, Eigenkreation oder Zusammenarbeit eine belebende Komponente sein und das Repertoire des digitalen Unterrichts erweitern. Wer schon einmal eine virtuelle Umgebung besucht hat, wird wahrscheinlich mit der Erfahrung konfrontiert worden sein, dass das Erlebte dort auf andere, spezielle Art und Weise empfunden und gespeichert wird. Die Lernpotenziale im Umgang mit virtuellen Dingen, Räumen und Personen herauszuarbeiten, stellt ein zentrales Ziel in den kommenden (Projekt-) Jahren für LEVIKO-XR und KuMuS-ProNeD dar.

Die Beteiligten bewegen sich in diesem Kontext in einem Spannungsfeld zwischen Möglichkeit und Herausforderung: Digitale Werkzeuge werden schon seit einiger Zeit als Mittel anerkannt, um die Begeisterung für das Fach Musik zu entfachen. Der technologische Fortschritt zwingt jedoch dazu, bestehende Konzepte und Designs immer wieder zu überdenken oder anzupassen und neue Wege zu finden, Technologien in den Musikunterricht einzubinden.

Die Projekte LEVIKO-XR und KuMuS-ProNeD blicken positiv auf diese Herausforderungen. Besuchen Sie unsere Webseiten, um weiter zu verfolgen, wie wir einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Themenfelder rund um Zukunftstechnologien wie XR im Schulkontext leisten:
LEVIKO-XR

KuMuS-ProNeD

KuMuS-ProNeD und LEVIKO-XR am Standort der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen stehen unter der Projektleitung von Prof. Dr. Philipp Ahner.

Dieser Beitrag ist zuerst auf schule-mal-digital.de im Rahmen des Themenschwerpunkts Lernen und Unterrichten mit Virtual und Augmented Reality erschienen. Er wurde vom Redaktionsteam von schule-mal-digital.de und des Zukunftsraums betreut. 

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

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Nächste Veranstaltungen

Takeaways
  • Lernförderliche Potenziale: Aufgrund ihrer multidimensionalen Gestaltung bieten sie vielfältige Wege hinein in eine virtuelle Welt und damit hin zu zentralen Inhalten der Bildungsarbeit. Dazu ermöglichen sie eine handlungsorientierte Auseinandersetzung der Lernenden mit den präsentierten Themen, was zu nachhaltigen Lernprozessen führen kann und eröffnen Erfahrungsräume, die anhand anderer medialer Gratifikationen nur schwer zu realisieren sind.

  • Didaktische Perspektive: Um die entsprechenden Potenziale von VR jedoch auch lernförderlich nutzen zu können, bedarf es eine Analyse der zur Verfügung stehenden VR-Anwendungen vor dem Hintergrund didaktischer Fragestellungen, denn: Nur weil ein Inhalt in einer virtuellen Welt präsentiert wird und die Erkundung daher vielleicht spaß-, oder motivationsbehaftet ist, bedeutet dies nicht, dass sich eben diese auch für das Lernen von Kindern eignet. Vielmehr gilt es für die Lernenden passende VR-Anwendungen auszuwählen und diese für Lern- und Vermittlungssettings aufzuarbeiten – ähnlich wie bei allen anderen Unterrichtsmedien auch.

  • Auf die Anwendung kommt es an: Wird jedoch eine entsprechende Passung zwischen Lernziel, Kindern und VR-Welt hergestellt, bieten virtuelle Realitäten, wie die in den vorgestellten Anwendungen A Fisherman’s Tale, Cubism und Honigbiene VR, die Möglichkeit schon heute neue Lernwege zu gehen, Unterrichtsettings durch die Potenziale des Virtuellen anzureichern und damit einen kleinen Schritt hin zur zukunftsorientierten Schule zu leisten.

„Hereinspaziert in die virtuelle Welt …“

Digitalisierungsfragen stellen eines der zentralen Themen der aktuellen Bildungslandschaft dar: Eine sich digital wandelnde Welt mache den Einsatz digitaler Medien im Unterricht unabdingbar, schließlich sollte die Schule die Lebenswelt der Lernenden ernst nehmen und diese stärker als bislang berücksichtigen (Hauck-Thum, 2021; Frederking & Ladel, 2021; Irion et al., 2023). Darüber hinaus stellt sich allerdings auch die Frage: Welchen didaktischen Nutzen bringt der Einsatz digitaler Technologien? Aus welchen Gründen wirken sie lernförderlich auf die Entwicklung von Kindern und welche Grenzen gibt es hierbei zu berücksichtigen?

Insbesondere in primarstufenspezifischen Kontexten wurden hierzu in den letzten Jahren vermehrt Projekte durchgeführt, die u. a. die Wirksamkeit von Tabletunterricht untersuchten, einzelne Anwendungen aus lerntheoretischer Perspektive analysierten und für den Unterricht aufbereiteten, Umsetzbarkeit und Mehrwerte diskutierten und medienpädagogische wie fachdidaktische Debatten darüber entfachten, wann in dieser sensiblen Lerngruppe der Einbezug von digitalen Medien überhaupt angebracht sei, oder ob vielmehr Wert auf das Sammeln von authentischen Primärerfahrungen in der „echten Welt“ gelegt werden sollte, wobei digitale und virtuelle Erfahrungen höchstens ergänzend neben diesen stehen könnten (Irion, 2018; 2023; Brandt et al., 2022; Neuhaus et al., 2023).

Insbesondere die Entwicklung neuster Medienformen wie Virtual-, Augmented- oder Mixed-Reality-Anwendungen haben diese Diskussion nochmals verstärkt. Doch betrachtet man die aktuelle Forschungslandschaft rund um das Thema VR, AR und MR in Bildungskontexten fällt auf, dass sich dieser entweder grundlegend mit medienpädagogischen Fragestellungen hinsichtlich eines lernförderlichen Einsatzes der neuen Technologien beschäftigt oder aber erneut einzelne Anwendungen analysiert und für den Unterricht nutzbar gemacht werden. Ein Fokus auf primarstufenspezifische Herausforderungen bleibt hierbei zumeist außen vor, obwohl insbesondere Virtual-Reality-Anwendungen aufgrund ihrer gegenstandsspezifischen Gestaltungsstrukturen vielfältige Potenziale für die Anbahnung und Ausprägung kindlicher Lernprozesse bereithalten, die sich auch bereits heute in Unterrichtssettings integrieren lassen (vgl. hierzu u. a. die Studien nach Freina & Ott, 2015; Wu et al., 2020; Makransky & Petersen, 2021).

Was ist Virtual Reality? Was ist Augmented Reality?

Virtual und auch Augmented Reality bezieht sich auf die technische Erzeugung von virtuellen Welten oder auch nur Elementen, die mithilfe eines Endgeräts betrachtet oder sogar betreten werden können. Die virtuellen Welten können die Nutzenden entweder mithilfe eines VR-Headsets, eines Cardboards mit Smartphone oder auch eines Tablets erkunden. Wird eine virtuelle Welt in einer 360°-Anwendung erzeugt, die man durch ein VR-Headsets oder Cardboard betrachten, betreten und mit dieser interagieren kann, spricht man von Virtual Reality. Wird lediglich ein virtuelles Objekt erzeugt, dass beispielsweise durch ein Smartphone oder ein Tablet im realen raum betrachtet werden kann, spricht man von Augmented Reality.

Im folgenden Beitrag wird daher der Frage nachgegangen, welche Lern- und Bildungspotenziale VR-Anwendungen innewohnen und welche Herausforderungen bei der schulischen Verwendung zu beachten sind.

Lernen mit VR-Anwendungen in der Primarstufe: Potenziale

Die empirische Forschung zum lernförderlichen Einsatz von Virtual-Reality-Anwendungen steckt sowohl im nationalen wie auch im internationalen Kontext noch in den Kinderschuhen – handelt es sich doch bei Virtual-Reality im Vergleich zu anderen Medienformen noch um ein recht junges massentaugliches Phänomen. Zwar hat sich sowohl die zugrundeliegende Technologie als auch die entsprechenden Anwendungen in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt, doch fehlt es an vielen Stellen noch immer an Ergebnissen einer fundierten Grundlagenforschung (Hellriegel & Čubela, 2018, S. 60; Southgate, 2020, S. 24; Zender et al., 2022, S. 28 oder auch exemplarisch die Metaanalysen von Kavanagh, 2017; Jensen & Konradsen, 2018 sowie Radianti et al., 2020).
Unabhängig von der fachdidaktischen Referenzdisziplin und dem Fokus auf einen bestimmten Schultyp zeigt sich allerdings bereits jetzt, dass Virtual-Reality-Anwendungen aufgrund ihrer mediumsspezifischen Gestaltungsstrukturen Lern- und Bildungspotenziale aufweisen, die sich lernförderlich auf die Anbahnung von Wissens-, Könnens- und Bewusstseinsstrukturen auswirken können (Bower et al., 2013; Fowler, 2015; Frehlich, 2020; Prange, 2021).

Im primarstufenspezifischen Kontext erweisen sich insbesondere drei Strukturen von Virtual-Reality-Anwendungen als besonders lernförderlich:

Herausforderungen von Virtual-Reality Anwendungen

Um die Lern- und Bildungspotenziale von Virtual-Reality Anwendungen bestmöglich zu nutzen, sollten jedoch ebenso mit VR verbundene Herausforderungen mitreflektiert werden. Im primarstufenspezifischen Kontext sind dabei vor allem folgende Aspekte relevant:

Jetzt wird’s konkret – Exemplarische Anwendungen für den Einsatz im Deutsch-, Mathematik- und Sachunterricht

Nachdem die lernförderlichen Potenziale und zu beachtenden Herausforderungen von Virtual- Reality in primarstufenspezifischen Kontexten bislang aus theoretischer Perspektive betrachtet wurden, werden im Folgenden drei VR-Anwendungen vorgestellt, die sich für den Unterrichtseinsatz im Deutsch-, Mathematik- und Sachunterricht eignen und dabei exemplarisch zeigen, inwiefern VR das Lernen unterstützen kann.

A Fisherman’s Tale – Deutschunterricht (Schwerpunkt: literarisches Verstehen)

In A Fisherman’s Tale (Innerspace VR, 2019) schlüpfen die Spielenden mithilfe eines VR-Headsets in die Rolle eines einsamen Fischers, der seit einem tragischen Bootsunglück allein in einem verlassenen Leuchtturm lebt. Als er eines morgens erwacht, findet er sich selbst jedoch in eine Marionette verwandelt vor, Gegenstände in seinem Haus wurden umgestellt und auch das Meer vor seinem Fenster scheint verschwunden zu sein: Denn als es ihm gelingt, das von Innen vernagelte Fenster aufzustemmen, entdeckt er, dass sein Leuchtturm plötzlich in einer größeren Version seiner selbst steht und er alle seine Habseligkeiten in einer deutlich größeren Variante betrachten kann. Doch auch auf seinem Esstisch findet sich ein Modell seines Zuhauses, in dem er sogar sich selbst als Miniversion entdeckt und sobald er in diesem etwas bewegt, verändert sich auch seine Umgebung um sich herum. Der Fischer beschließt, dem Mysterium der verschachtelten Welt, in die er plötzlich geraten ist, genauer auf den Grund zu gehen und einen Weg hinaus aus dem Leuchtturm zu finden, doch dieser wird von einigen Rätseln blockiert…

Abb. 2: In A Fisherman’s Tale lösen die Spielenden die Rätsel um die Leuchtturmschachtelwelt.

Die in A Fisherman’s Tale erzählte Geschichte bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für den Einsatz im Literaturunterricht der Primarstufe, vor allem für die Ausprägung literarischer Verstehensprozesse (Spinner, 2006; Boelmann & König, 2021; König, 2022b). Anhand der narrativen Struktur lassen sich sowohl Grundlagen des Handlungs- als auch des Figurenverstehens fördern, die präsentierte Schachtelwelt (vgl. Abb. 2) und die darin enthaltenen Rätsel folgen einer linearen, einsträngigen Erzählung, sodass die Anforderungsstruktur der VR-Geschichte vor allem die grundlegenden Kompetenzen literarischen Verstehens adressiert. Darüber hinaus finden sich im Rahmen der Virtual-Reality-Anwendung zahlreiche intertextuelle Verweise auf das Märchen Der Fischer und seine Frau (Gebrüder Grimm KHM 19), sodass auch diese gemeinsam mit den Lernenden herausgearbeitet und beispielsweise im Rahmen einer Einheit zu Märchen und ihren genretypischen Merkmalen aus intermedialer Perspektive eingebettet werden können. Das besondere Potenzial von A Fisherman’s Tale liegt jedoch in den Möglichkeiten der Erkundung des literarischen Handlungsraums. Durch die Präsentation der Geschichte im Rahmen der Schachtelwelt, sind die Spielenden darauf angewiesen sich mit einzelnen Raumobjekten der literarischen Umgebung zu beschäftigen – wollen sie beispielsweise den menschengroßen Anker vor der Tür des Fischers entfernen, müssen sie lediglich die kleinere Version im Modell des Leuchtturms auf dem Esstisch bewegen, um das Hindernis zu beseitigen. Hierzu müssen sie die spielinhärenten Handlungslogiken durchdringen und sich entsprechend im literarischen Raum orientieren, gleichzeitig befördert die Gestaltung der VR-Umgebung als vollständig erkundbarer Raum aber auch die handlungsorientierte Auseinandersetzung, um sich die entsprechenden narrativen handlungslogischen Zusammenhänge zu erschließen. Die Exploration der virtuellen Umgebung fungiert folglich als Stützsystem im literarischen Verstehensprozess und ermöglicht einen direkten und unmittelbaren Zugang zur literaturwissenschaftlichen Kategorie Raum, die ansonsten mithilfe von anderen medialen Gratifikationen nur schwer im Primarstufenunterricht zu vermitteln ist (für eine detaillierte Analyse der gestimmten Raumobjekte und ihrer damit einhergehenden Potenziale für den literarischen Verstehensprozess siehe König, 2023).

A Fisherman’s Tale – Ein Blick durch die Brille

Im Rahmen dieses Videos bekommen Sie einen kurzen Einblick in die VR-Erzählung A Fisherman’s Tale, in der die Spielenden in die Rolle des Fischers Bob schlüpfen und die Rätsel um die Schachtelwelt des Leuchtturms lösen.

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Cubism – Mathematikunterricht (Schwerpunkt: Geometrie)

In der Bildmitte ist eine dreidimensionale, treppenartige geometrische Figur auf einem Quadrat angeordnet. Drei weniger komplexe, ebenfalls dreidimensional dargestellte,  Elemente sind schwebend, wie ein Dreieck um die Figur in der Mitte gruppiert. Cubism (van Bouwel, 2020) setzt ebenfalls auf das handlungsorientierte Erkunden durch die Anwendenden, jedoch im mathematischen Fachkontext: Innerhalb der übersichtlichen virtuellen Umgebungen werden den Spielenden Teile eines Klötzchen-Bauwerks präsentiert, die es in einer vorgegebenen Form zusammen zu puzzeln gilt (vgl. Abb. 3). Hierbei können sie mithilfe von Gestensteuerung oder auch den Handcontrollern einer VR-Brille die Teilobjekte näher betrachten, heranziehen, drehen, rotieren und an einer vermuteten Stelle des Bauwerks platzieren. Wurde eine Form richtig gelöst, wird das Bauwerk in Gänze präsentiert, bevor es an die Lösung eines schwierigeren Puzzles geht.

Abb. 3: In Cubism setzen die Lernenden durch Rotationen geometrische Körper zusammen.

Die Anwendung ist daher wie gemacht für den Einsatz im Mathematikunterricht der Primarstufe – vor allem im Kontext der geometrischen Grundbildung, genauer der Vorstellungsbildung von Raum-Lage-Beziehungen geometrischer Körper durch mentale Rotationen (Franke & Reinhold, 2016; Helmerich, 2016). In bisherigen Unterrichtssettings werden den Lernenden hierzu zumeist Arbeitsblätter ausgelegt, auf welchen unterschiedliche Klötzchen-Bauwerke abgebildet werden, mit welchen es im Folgenden zu arbeiten gilt. So werden anhand von Lageplänen die gezeigten Körper näher beschrieben, die Perspektive anhand von mentalen Rotationen verändert und schriftlich fixiert, um die geometrische Raumvorstellung der Lernenden zu verbessern. Viele Kinder tun sich jedoch mit eben jenen mentalen Rotationen schwer, da sie diese benötigen, um einen Körper aus einer anderen Perspektive betrachten zu können und eine unzureichende Ausprägung dieser Fähigkeit das Lösen der Aufgabe beeinträchtigt. Cubism unterstützt die Anwendenden bei der Ausprägung eben jener mentalen Rotationen, indem die Körper im virtuellen Raum in einzeln betracht- und bewegbare Teile zerlegt werden, das handlungsorientierte Bewegen und Drehen der Figuren voraussetzt und im Sinne einer kontinuierlichen Anforderungssteigerung zunächst mit einfachen Bauwerken beginnt, bevor von den Spielenden verschiedene Rotationsverfahren angewendet werden müssen, um die Rätsel zu lösen. Insbesondere das handlungsorientierte Erkunden der geometrischen Raum-Lage-Beziehungen kann sich dabei auf den Lernprozess der Kinder auswirken, da sie die Bauwerke nicht nur aus unterschiedlichen Perspektiven visualisiert bekommen, sondern sich aktiv mit diesen auseinandersetzen müssen, um die Bauwerke richtig auszufüllen (vgl. hierzu u. a. Schlosser, 2024). Für das korrekte Platzieren der Raumobjekte braucht es zwar etwas Geschick, aber nach einer kurzen Einarbeitungsphase ist die Bewegung im virtuellen Raum kein Problem mehr.

A Cubism – Ein Blick durch die Brille

Im Rahmen dieses Videos bekommen Sie einen kurzen Einblick in die VR-Erzählung Cubism, in der sich die Spielenden anhand von Rotationen mit geometrischen Körpern auseinandersetzen.

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Honigbiene VR – Sachunterricht (Schwerpunkt: Tiere und Pflanzen in ihren Lebensräumen)

Einen etwas anderen Schwerpunkt legt die kleine VR-Anwendung Honigbiene VR (STEP-ANI-MOTION GmbH, 2019). In der App erkunden die Lernenden in einer 360°-Umgebung eine interaktive Wiese und einen sich darauf befindenden Bienenstock, in dem sie ein fleißiges Bienenvolk ganz aus der Nähe kennenlernen können. Die Steuerung erfolgt über angezeigte Interaktionspunkte, die mit der Bewegung des Tablets ausgewählt werden können und hinter denen sich neue Szenen aus dem Leben der Insekten verbergen: So ist es beispielsweise möglich, einerseits über die virtuelle Wiese zu laufen und die Bienen beim Sammeln von Pollen und Nektar zu beobachten, andererseits aber auch direkt mit den Bienen auf Augenhöhe in ihren Stock hineinzufliegen und diesen gemeinsam mit den Sechsbeinern zu erkunden.

Abb. 4: In Honigbiene VR lernen die Spielenden ein Bienenvolk aus nächster Nähe kennen.

Insbesondere für den Sachunterricht bietet Honigbiene VR damit einige Potenziale, um sich dem Kompetenzbereich „Tiere und Pflanzen in ihren Lebensräumen“ (Bildungsplan BW Sachunterricht, 2016, S. 20/40) anzunähern. Im Rahmen dessen sollen anhand exemplarischer Lebewesen Lebensräume und -vorgänge der Natur identifiziert, in der eigenen Lebenswelt wahrgenommen und grundlegende Strukturen über den Zusammenhang von Mensch und Natur herausgearbeitet werden (GDSU, 2013, S. 15f.). Hierzu werden oftmals Primärerfahrungen empfohlen, da die Lernenden so leichter die kennengelernten Inhalte auf die eigene Lebenswelt übertragen und die Bedeutsamkeit von Tier und Pflanze in der Welt wahrnehmen können. Der Einsatz von Virtual-Reality-Anwendungen versucht, diese Primärerfahrungen anzureichern oder aber überhaupt erst möglich zu machen, denn nicht alle Bildungseinrichtungen verfügen über einen Schulgarten. In einem noch kleineren Anteil macht es aus ökologischen Gründen Sinn, ein eigenes Bienenvolk anzusiedeln und selbst dann erweist sich ein Einblick in das Stockleben als herausforderungsreich (vgl. exemplarisch Druschky, 2010). Mithilfe der virtuellen Umgebung können die Lernenden anhand des Beispiels Biene die Konzepte des Zusammenlebens von Insekten untereinander niedrigschwellig erkunden, Wissensstrukturen aufbauen und im Sinne des erfahrungsbasierten Lernens erste Eindrücke sammeln. Die Übertragung der Bedeutsamkeit von Bienen bzw. Insekten in der Natur und unserem Ökosystem erfolgt in anschließenden Reflexionsrunden, die von den Lehrkräften begleitet werden.

Honigbiene – Ein Blick durch die Brille

Im Rahmen dieses Videos bekommen Sie einen kurzen Einblick in die VR-Anwendung Honigbiene VR, in der die Spielenden ein Bienenvolk aus nächster Nähe kennenlernen.

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Das Zentrum für didaktische Computerspielforschung

Das Zentrum für didaktische Computerspielforschung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg ist eine europaweit einzigartige Bildungs- und Forschungseinrichtung, die sich mit den Potenzialen und Herausforderungen von Innovationsmedien in unterschiedlichen Lehr- und Lernkontexten beschäftigt und Implikationen für Vermittlungssettings von heute und morgen ableitet. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung von Apps, Games, Virtual- und Augmented-Reality sowie KI-gestützten Anwendungen aus didaktischer Perspektive. Weitere Informationen unter: www.zfdc.de

 

Dieser Beitrag basiert auf den Inhalten des schule-mal-digital.de-Artikels Neue Welten entdecken – Virtual Reality im Grundschulunterricht und ist in in ausführlicher Form auf schule-mal-digital.de im Rahmen des Themenschwerpunkts Unterrichten und Lernen mit Augmented Reality und Virtual Reality erscheinen. Er wurde vom Redaktionsteam von schule-mal-digital.de und des Zukunftsraums betreut. 

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

 

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