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Individualisierung meint nicht den kurzfristigen Einsatz einer Methode, sondern eine langfristige und grundlegende Veränderung des Unterrichts. Die neue Struktur, die daraus entsteht, kann in allen Lernbereichen und in jeder Unterrichtsstunde umgesetzt werden. Das Ziel ist es, individuelle Lernbedarfe anzunehmen und passgenaue Aufgaben bereitzustellen.

Damit der Unterricht dies gut „verträgt“, wie es in der Frage heißt, sind einige Rahmenbedingungen wichtig:

  • Dem traditionellen gleichschrittigen Unterricht weicht eine übergeordnete Organisationsstruktur, die konsequent eingehalten und immer wieder evaluiert werden muss.
  • Für individualisierten Unterricht ist es besonders bedeutsam, dass die Lehrkraft einen guten Überblick erlangt, wo jedes Kind in seinem Lernprozess steht, nur so können passgenaue Aufgaben ausgewählt werden.
  • Individualisierter Unterricht beinhaltet neben individuellen Lernphasen auch zahlreiche Gelegenheiten für gemeinsames Lernen, in denen trotzdem passgenau unterrichtet werden kann.
  • Zur Umsetzung ist es ratsam, dass sich gleichgesinnte Lehrkräfte zusammentun und austauschen.

Wie diese Rahmenbedingungen umgesetzt werden können, wird im folgenden Text geschildert.

Was ist individualisierter Unterricht und wie wird er umgesetzt?

Grundlage ist die Annahme, dass jede:r aufgrund persönlicher (Lern-) Voraussetzungen individuell lernt und damit verbundene Bedarfe hat (Trautmann & Wischer, 2011). Um darauf zu reagieren, wird zunehmend gefordert, sich von der traditionellen grammar of schooling (Tyack & Tobin, 1994) zu lösen (Begrich et al., 2023; Dumont et al., 2024) und stärker auf individuelle Lernbedarfe einzugehen.

Bohl et al. (2012) unterscheiden zwei Formen von Individualisierung:

  • Bei der Reinform wird jedem Kind ein individuelles Lernangebot unterbreitet, das aus individuellen Lernwegen, -zielen und -materialien besteht. Diese Form ist im Unterricht nur schwer umsetzbar und verlangt sehr viel Vorbereitung durch die Lehrkraft.
  • Die zweite Form, um die es im Folgenden geht, bezieht sich auf die Dezentrierung von Unterricht. Dabei wird den Lernenden ein Angebot unterbreitet, das „ausreichend Anschlussmöglichkeiten für möglichst alle […]“ bereithält (S. 45). Hier wird den Lernenden selbst mehr Mitbestimmung und Verantwortung übertragen.

Damit individualisierter Unterricht gelingt, bedarf es Makro- und Mikroanpassungen. Makroanpassungen betreffen die langfristige Planung und Bereitstellung eines differenzierten Lernangebots; Mikroanpassungen erfolgen on the fly (Bach et al., 2025), wenn Lehrkräfte situativ reagieren oder individuell unterstützen (Corno, 2008).

Wie biete ich passgenaue Aufgaben an?

Die Basis für passgenaue Lernangebote bietet formelle und informelle lernbegleitende Diagnostik, wie etwa Aufgabenbesprechungen, Fragen oder standardisierte Lernstandserhebungen zu individuellen Zeitpunkten (Dumont et al., 2025; Schöler & Schabinger, 2017). Vortests zeigen bereits vorhandenes Wissen, Lernzielkontrollen den Lernerfolg (Wenzel et al., 2025).

Lernende mit geringem Vorwissen und geringer Selbstregulation benötigen viel Unterstützung und Steuerung durch die Lehrkraft (Dumont, 2018; Tetzlaff et al., 2025), etwa durch Scaffolding (van de Pol, 2010) oder direkte Instruktion (Kinder et al., 2005). Wichtig ist, dass Lehrkräfte Selbstregulationsstrategien vermitteln, damit Lernende zunehmend eigenständig arbeiten können (Corno, 2008). Kognitive (z.B. Concept Map) und metakognitive (z.B. Lernzielformulierung) Strategien sind hier förderlich (Dumont et al., 2025).

Für Lernende mit hohem Vorwissen und guter Selbstregulation kann zu viel Unterstützung und Steuerung lernhinderlich sein (Dumont, 2018), wie der Expertise Reversal (oder Umkehreffekt) zeigt (Tetzlaff et al., 2025). Sie profitieren von offenen Aufgabenformaten wie explorativem Lernen oder Peer-Tutoring, bei dem sie eine lehrkraftähnliche Rolle übernehmen (Corno, 2008). Ihre Eigenständigkeit schafft freie Zeitressourcen für Lehrkräfte, um andere zu unterstützen (Wenzel et al., 2025) oder den Unterricht weiter zu planen.

Was kann ich tun, wenn ich meinen Unterricht umgestalten möchte?

Damit individualisierter Unterricht gelingen kann, muss eine sinnvolle raum-zeitliche Organisationsstruktur aufgebaut werden (Breidenstein et al., 2017), die es ermöglicht, dass Lernende zunehmend selbst die Verantwortung für die Planung und Durchführung des eigenen Lernprozesses übernehmen (Wenzel et al., 2025). Diese Struktur kann durch Arbeitspläne, räumliche Organisation und Materialien vorgegeben werden. Das Einüben von Ritualen und Abläufen sichert das Einhalten der Struktur, die immer wieder auf Funktionstüchtigkeit überprüft werden muss. Nur so behalten Lehrkräfte den Überblick über die Lernstände in der Klasse und können entscheiden, wer eigenständig lernen kann und wer Unterstützung benötigt (Wenzel et al., 2025). Kooperative Aufgaben, Unterrichtsgespräche und der Klassenrat runden den Unterricht ab und verhindern eine Vereinzelung von Lernwegen (Wenzel et al., 2025).

Viele Verlage bieten mittlerweile Aufgabensammlungen an, die im individualisierten Unterricht eingesetzt werden können. Entscheidend ist die passgenaue Auswahl auf individuelle Bedarfe (Wenzel et al., 2025), wobei adaptive Lerntechnologien helfen können (Dumont et al., 2025). Der Austausch von Inhalten, Methoden und Materialien mit gleichgesinnten Kolleg:innen kann ebenfalls hilfreich sein (Wenzel et al., 2025).

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Linktipps, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

Britta Wenzel

Britta Wenzel ist studierte Sonderpädagogin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bergischen Universität Wuppertal. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Individualisiertem und Adaptivem Unterricht, dem Umgang mit heterogenen Lernbedarfen und dem Unterstützungsverhalten von Lehrkräften. In diversen Lehrveranstaltungen vermittelt sie angehenden Lehrkräften neben methodischen, didaktischen und pädagogisch-psychologischen Grundlagen einen wertschätzenden Umgang mit Schüler:innen sowie die Berücksichtigung unterschiedlicher Lernbedarfe.

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Die eingesendete Frage enthält eine Reihe von zusammenhängenden Unterfragen:

Brauchen wir die Digitalisierung in den Schulen oder sollten wir dort besser bewusst auf Digitalität verzichten, um uns auf das Wesentliche zu konzentrieren? Schadet es Kindern und Jugendlichen, wenn wir verstärkt mit Endgeräten im Unterricht arbeiten? Wie müssen wir Digitalisierung in den Schulen betreiben, um nicht die Fehler der skandinavischen Länder zu wiederholen? Sind Tabletklassen vor diesem Hintergrund sinnvoll?

Silke Müller gibt hier ihre Antwort auf diese Fragen.

Unsere Gesellschaft steckt mitten in einer digitalen Transformation. Künstliche Intelligenz wird wohl mehr verändern, als uns bislang bewusst ist. Schule ist der Ort, der Kinder und Jugendliche fit machen soll für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft. Digitalisierung spielt hier eine wesentliche Rolle. Es geht nicht nur um Technisierung, sondern um IT-Kompetenzen, ein Grundverständnis für KI und vor allem um digitale Ethik, also um die Frage des Menschseins und des Miteinanders in der digitalen Welt. „Wie wollen wir miteinander leben?“ muss die zentrale Frage sein.

Schule als Ort der digitalen Zukunft

Wesentlich ist, Transformationsprozesse anzunehmen, mutig mitzugestalten und Kinder zu mündigen, souveränen, demokratischen Persönlichkeiten zu bilden. Das geht nicht, indem wir nur über Digitalisierung reden, sondern indem wir aktiv digitale Prozesse und Ethik gestalten. Digitale Endgeräte sind kein Allheilmittel. Ohne kontrollierten, zielgerichteten Einsatz, definiert mit wissenschaftlicher Expertise, können sie eher schaden als nützen.

Hier möchte ich mit dem Mythos aufräumen, die skandinavischen Länder würden Digitalisierung in Schulen abschaffen. Diese Darstellung stimmt so nicht und ist das Ergebnis vereinfachter oder tendenziöser Berichterstattung. Man hat dort vielmehr erkannt, dass manche Digitalisierungsmaßnahmen zu schnell, zu mächtig oder nicht zielführend waren. Nun wird eine Blaupause entwickelt, um die Wirksamkeit digitaler Lehr- und Lernmittel zu prüfen und Strategien für erfolgreiches digitales Arbeiten zu entwickeln. Dass Bücher wieder an Bedeutung gewinnen und Grundschulen nicht vollständig digital arbeiten sollten, teile ich. Das hat aber nichts mit einer „Abschaffung der Digitalisierung“ zu tun.

Digitalisierung braucht Haltung und Verantwortung

Meine Forderung an Bildungsforschung, Politik, Schulträger, Lehrkräfte und Eltern ist klar: Es geht nur gemeinsam. Schüler:innen müssen spätestens ab Klasse 7 Zugriff auf eigene, streng administrierte Geräte und Anwendungen haben, die schrittweise Verantwortung und Souveränität fördern. Der Zugang darf nicht vom Einkommen der Eltern abhängen. Bis Klasse 7 braucht es eine verpflichtende digitale Grundbildung in allen Stufen. Aus meiner Sicht reicht kein zusätzliches Fach mehr. Die gesamte Stundentafel braucht einen Neuanfang. Auch die Welt ist nicht in Fächer unterteilt. Lernen muss in Kontexten stattfinden.

Ich fordere einen wöchentlichen Tag, der komplett dem „digital literacy training“ (DLT) gewidmet ist: IT-Kompetenzen, KI und digitale Ethik im Einklang. Um gemäß den 4K – kooperativ, kommunikativ, kreativ, kritisch – arbeiten zu können, braucht es angemessen ausgestattete Schulen mit flexiblen Lernräumen, die Lernen und Lehren zu einer gemeinsamen, motivierenden Entdeckungsreise machen.

Für all das braucht es verpflichtende Lehrkräftefortbildungen zur KI, um Chancen und Risiken zu kennen. Ebenso braucht es Allianzen mit externen Expertinnen und Experten, z. B. durch Bildungsinitiativen oder Corporate Volunteering. Unternehmen könnten Mitarbeitende wöchentlich freistellen, damit sie sich im Unterricht einbringen, Kinder inspirieren und Kompetenzen aufbauen. Lehrkräfte werden so zu Kuratoren des Unterrichts, übernehmen eine neue, verantwortliche Rolle für den Lernprozess.

Bildung für eine souveräne Generation: Für die Verantwortungsträger der Zukunft

Wenn Schule wirklich ein zentraler Ort einer Gesellschaft sein soll, in der wir digital und analog eben folgerichtig nicht mehr voneinander trennen und an dem wir unsere gemeinsame Zukunft durch Bildung gestalten, dann muss dieser Ort jungen Menschen klare Kompetenzen und Skills vermitteln:

  • Selbstbewusstsein, Entscheidungen zu treffen
  • Mut, Unbekanntes anzugehen
  • Neugier, Herausforderungen zu meistern
  • Empathie, andere in ihren Bedürfnissen zu sehen
  • Humor, um nicht alles zu ernst zu nehmen
  • Erfahrungen des Scheiterns und Neubeginnens
  • Erfolgsmomente, die den Prozess belohnen

Diese Eigenschaften braucht es für den Fortbestand einer Gesellschaft, die noch immer auf einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung fußt. Digital und analog sind hier schon längst untrennbar miteinander verwoben.

Wir tragen Verantwortung für die Heranwachsenden. Lassen wir die Diskussion über die Notwendigkeit digitaler Bildung weiter zu, treten wir diese Verantwortung mit Füßen. Die Welt ist digital, ob wir wollen oder nicht. Wenn wir sie menschlich gestalten und kontrollieren wollen, für ein selbstbestimmtes, glückliches Leben, müssen wir uns den Herausforderungen digitaler Bildung stellen – jetzt mehr denn je! Dafür braucht es uns alle: kritisch, neugierig, mutig und gelassen.

Vertiefung

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Silke Müller

Silke Müller ist Publizistin, Bestseller-Autorin und Speakerin und dabei eine Stimme für (digitale) Bildung, digitale Ethik und gesellschaftliche Transformation. Sie hat sich über 10 Jahre als Schulleiterin für Schule als lebendigen, demokratischen Raum eingesetzt und dabei schon früh auf digitale Bildung gesetzt. Sie fungiert als Digitalbotschafterin des Landes Niedersachsen und ist Mitglied im lernen:digital Begleitgremium, ständige Beraterin für das Forum Bildung Digitalisierung e.V. und Beirätin der Initiative Weitklick des FSM e.V. Ihre Bücher „Wir verlieren unsere Kinder“ (2023) und „Wer schützt unsere Kinder?“ (2024) analysieren die Auswirkungen von sozialen Netzwerken und KI auf Familien und Schulen.

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Lernsettings in einer digital geprägten Welt (Stalder, 2016) und die Forderung nach selbstgesteuertem Lernen (Kopp & Mandl, 2021) verlangen von Lehrkräften ein neues Rollenverständnis. Digitale Technologien eröffnen neue Möglichkeiten der Wissensaneignung, die stärker auf Selbststeuerung, Individualisierung und Kooperation ausgerichtet sind. Statt primär Wissensvermittelnde zu sein, sollen Lehrkräfte Lernbegleitende werden. Der Kulturwandel erfordert neue Kompetenzen – insbesondere im Umgang mit digitalen Tools, in der Gestaltung von digitalen oder hybriden Lernumgebungen und in der individuellen Lernbegleitung. Lernende treten als Mitgestaltende in den Mittelpunkt; guter Unterricht basiert auf individueller Förderung und transparenten Leistungserwartungen (vgl. dazu Meyer, 2004; Hattie, 2013; KMK, 2021). Es wird deutlich, dass die digitale Transformation ein neues Verständnis von Lehrprofessionalität erfordert, was neben fachlichen auch digitale Kompetenzen (zum Beispiel technische Fähigkeiten, Informationskompetenz, Kommunikationskompetenz, kritisches Denken und Datenschutz) adressiert. Doch wie können Lehrkräfte ein neues Rollenverständnis entwickeln – insbesondere angesichts verbreiteter Vorbehalte gegenüber digitalen Medien (Schmid, Goertz & Behrens, 2017)? Authentische Einblicke und praxisnahe Fortbildung helfen, sein Rollenverständnis zu reflektieren und weiterzuentwickeln (Walkenhorst & Herzig, 2021).

Wie kann ein exemplarisches Lernsetting für diese neue Rolle aussehen?

Projekte wie Lernwelt Sachsen-Anhalt setzen mit  dem Ziel an, selbstgesteuertes Lernen durch digitale Settings zu fördern (Lernwelt, 2025) und die Lehrkräfte gezielt in ihrer veränderten Rolle zu unterstützen.

Das Teilprojekt Online lernen hat ein Lernsetting entwickelt, das exemplarisch veranschaulicht, wie eine veränderte Lehrendenrolle praktisch umgesetzt werden kann. Dabei wird selbstgesteuertes und individualisiertes Lernen mit digitalen Medien gefördert, ohne dabei die Verantwortung vollständig auf die Schüler:innen zu verlagern. Vielmehr wird ein Setting geschaffen, das Selbststeuerung ermöglicht und gleichzeitig pädagogisch gerahmt ist.

Online lernen verschränkt synchrone und asynchrone Komponenten, ergänzt durch ein Online-Lernbüro als virtuelle Sprechstunde für vertieftes Arbeiten und individuelle Hilfestellungen. Das Lernsetting findet in Präsenz statt, „online“ bezieht sich auf das Arbeiten mit digitalen Geräten. Der synchrone Anteil wird durch Lehrkräfte moderiert, der asynchrone Anteil ermöglicht eigenverantwortliches Arbeiten an individuell zugewiesenen Aufgaben. Diese Kombination wird ergänzt durch Online-Selbstlernphasen sowie durch den Einsatz adaptiver Lernsoftware, die automatisiertes Feedback und personalisierte Lernpfade bereitstellt. Diese Elemente sind organisatorisch in sogenannte Unterrichtsbänder eingebettet (vgl. Abb. 1), die strukturell in den regulären Schulbetrieb integriert werden können.

Abb. 1: Mögliche Einbettung des Online-Lernens in Unterrichtsbänder (PM: Pädagogigsche Mitarbeitende)

Die Rolle der Lehrkraft in diesem Setting verändert sich grundlegend: Sie wird zur prozessverantwortlichen Lernbegleitung. Sie gestaltet differenzierte Lernwege, moderiert synchrone und asynchrone Phasen, begleitet individuelle Lernprozesse, koordiniert kollaborative Lernsettings und nutzt digitale Werkzeuge zur Förderung. Das beschriebene Setting wurde am Ende des Schuljahres 2024/2025 an einer Sekundarschule umgesetzt und Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler wurden im Nachgang zu ihren Erfahrungen befragt.

Welche Erfahrungen machen Lehrkräfte und Schüler:innen?

Zwei Lehrkräfte sehen in einer ersten Evaluation das Online lernen als wichtigen Schritt zu mehr selbstorganisiertem Lernen, dessen Potenziale jedoch nur ausgeschöpft werden können, wenn entsprechende Rahmenbedingungen und Unterstützungsangebote geschaffen werden. Sie verweisen auf klare Fortbildungsbedarfe: „Wenn ich jetzt gar keine Ahnung von diesem Lernbegleiter-Kram habe, kann ich einen Schüler natürlich auch nicht begleiten“. Außerdem stellt Zeitmangel eine zentrale Herausforderung dar und die Gestaltung digitaler Settings fordert neben didaktischem Know-how enorme Zeit- und Abstimmungsressourcen: „Wenn ich es wirklich perfekt machen will … sitze ich da ruhig mal 20 Stunden“.


Technische Barrieren und fehlende Rückmeldungen im digitalen Setting („Ich sehe nur schemenhafte Umrisse“) erschweren die Individualisierung, bspw. in Bezug auf Unterstützung oder Feedback. Gleichzeitig äußern die Lehrkräfte den Wunsch nach mehr Teamarbeit im schulischen Umfeld und nach praxisnahen Fortbildungen, etwa zu selbstgesteuertem Lernen („Was ist denn wirklich freies Lernen …?“) oder kindgerechtem und motivierendem Moodle-Design.Die befragten Lehrkräfte sehen das zukunftsweisende Potential des Settings. Gleichzeitig werden hohe Anforderungen an die Umsetzung gestellt. Es braucht hierfür praxisnahe Fortbildungen zu den Grundlagen selbstgesteuerten Lernens und der sich wandelnden Rolle der Lehrkräfte auf Basis veränderter Kompetenzanforderungen, die nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Räume für Haltungsentwicklung bieten.


Die 45 befragten Schüler:innen bewerten das Online lernen mehrheitlich positiv: Sie schätzen das ruhige Lernumfeld („dass es sehr leise war und man dadurch gut lernen konnte“), die Möglichkeit zum selbstständigen Arbeiten und die Unterstützung durch Lehrkräfte („Die Lehrer haben mit uns gesprochen, am besten fand ich, dass sie uns geholfen haben“), was deren Rolle als Lernbegleitende adressiert. Trotz selbständigen Lernens besteht der Bedarf an persönlicher Unterstützung und zeigt, dass eine Lernbegleitung hierbei nicht obsolet, sondern unverzichtbar wird. Einige Kinder betonen, sie hätten „keine Hilfe gebraucht“ und ihre Kenntnisse seien ausreichend für die Aufgaben, andere verweisen auf punktuellen Unterstützungsbedarf z. B. durch Mitschüler:innen. Die Daten legen nahe, dass erfolgreiche Online-Lernprozesse auf verlässliche Technik („Immer diese[s] Internet-Aus hat mich gestört“), transparente Aufgaben und zeitnahe sowie individuelle Rückmeldung angewiesen sind. Die Perspektive der Schüler:innen zeigt die von den Lehrkräften abverlangten digitalen Kompetenzen auf, was zur Entwicklung eines neuen Rollenverständnisses beiträgt.

Fazit: Was bedeutet das für die Professionalisierung von Lehrkräften?

Die Evaluation zeigt: Digitale Lernsettings werden von Lehrkräften sowie Schüler:innen als Chance für mehr selbstorganisiertes Lernen wahrgenommen – insbesondere im Hinblick auf individuelle Förderung und eigenständige Arbeitsprozesse. Zugleich treten zentrale Herausforderungen zutage.
Die Befunde machen deutlich, dass digitale Lernsettings eine erweiterte Lehrprofessionalität erfordern, die didaktische, technische, digitale und kollaborative Kompetenzen integriert. Es braucht Fortbildungsformate, die gezielt auf die Lernbegleitung in digitalen Settings vorbereiten, praxisnah sind, Zeit für gemeinsame Entwicklung schaffen und praktikable Werkzeuge für differenziertes und individuelles Feedback bereitstellen.

Vertiefung

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Dr. Anne Martin

Dr. Anne Martin war als Referentin für Ergebnissicherung, Fortbildung und Transfer am Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung (LISA) in Halle (Saale) beschäftigt. Sie hat langjährige Expertise aufgebaut in den Themen Digitale Hochschulbildung, Betreuung Studierender in der Fernlehre und Psychosoziale Onlineberatung. Sie ist Lehrbeauftragte an der Technischen Hochschule Nürnberg (Institut für E-Beratung) und Redaktionsmitglied des e-beratungsjournal.

ORCID: https://orcid.org/0000-0001-8237-6770

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Die rasante technologische Weiterentwicklung im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI) eröffnet sowohl für Lehrende als auch für Lernende neuartige und vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten für Lehr-Lernprozesse. KI-basierte Anwendungen, vor allem KI-Chatbots, haben große Potenziale, Lernprozesse individueller und effizienter zu gestalten. In der Studie „KI@Bildung: Lehren und Lernen in der Schule mit Werkzeugen Künstlicher Intelligenz“ der Deutschen Telekom Stiftung wurden diese Potenziale für das System Schule detailliert beleuchtet und dienen im Folgenden zur Beantwortung der Frage.

KI-Chatbots können Lernprozesse effizienter gestalten

Ein KI-Chatbot kann als digitaler, personalisierter Lernbegleiter fungieren. Solche Chatbots lassen sich spezifisch für den jeweiligen Lerninhalt konfigurieren und damit prinzipiell in jedem Unterrichtsfach einsetzen. In dieser Funktion kann der KI-Chatbot bspw. Nachfragen beantworten, recherchieren oder Lerninhalte in unterschiedlichen Formaten darstellen. Der Chatbot übernimmt damit den didaktischen „First Level Support“, indem er den Schülerinnen und Schülern als erster Ansprechpartner dient, sobald der Lernprozess ins Stocken kommt. Diese individuelle Unterstützung ermöglicht es den Lernenden, den Lernprozess eigenständig und proaktiv zu gestalten. Die Unterstützungsmöglichkeiten sind vielfältig und können in unterschiedlichen Phasen des Lernprozesses eingesetzt werden.  So ist der Chatbot in der Lage, Informationen aus dem Internet zu recherchieren, diese für den Lernenden zusammenfassend aufzubereiten und in unterschiedlichen Formaten (wie z.B. einem Podcast) zugänglich zu machen. Der Zugang zu Wissen wird dazu wesentlich vereinfacht und effizienter gestaltet. Statt also Wissen erst einmal zusammenzutragen und -zustellen, können sich die Lernenden auf die Aneignung dieses Wissen fokussieren und damit Zeit sparen. Verständnisfragen kann der Chatbot sofort beantworten, ein Warten auf die Lehrkraft entfällt damit. Auch beim Üben und der Selbstevaluation lässt sich ein Chatbot unterstützend einsetzen. So lassen sich automatisiert Übungs- oder Evaluationsaufgaben in unterschiedlichen Formaten erstellen (z.B. Lückentexte, Kreuzworträtsel, mathematische Aufgaben, Quiz, etc.) und diese auch vom Chatbot evaluieren, was ebenso zu einer Zeitersparnis führen kann.

Risiken beim Einsatz von KI-Chatbots

Bei all den Potenzialen, die Chatbots zur Unterstützung von Lernprozessen bieten, dürfen jedoch auch die Risiken nicht verschwiegen werden.

So ist ein strukturelles Problem von solchen Chatbots, dass sie zu Halluzinationen neigen, dass also Informationen und Quellen erfunden werden, um eine gestellte Frage zu beantworten oder eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Obwohl die Wahrscheinlichkeit für solche Halluzinationen mit der Weiterentwicklung von Großen Sprachmodellen, auf denen Chatbots basieren, abnimmt, kann das Auftreten von Halluzinationen nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Eine kritische Reflexion der Antworten eines Chatbots bleibt damit weiterhin unerlässlich.

Ein weiteres Risiko besteht darin, dass durch die ausufernde Nutzung von Chatbots die aktive Auseinandersetzung der Lernenden mit dem Lerninhalt und dem Lernprozess reduziert wird. Eine aktive Auseinandersetzung ist jedoch die Voraussetzung für die Konstruktion von Wissen und die Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Kontrolle über den Lernprozess darf dabei nicht einfach an den Chatbot abgegeben werden. Ein Chatbot sollte also lediglich unterstützend für den eigenen Lernprozess eingesetzt werden, was jedoch entsprechende Selbstregulationsfähigkeiten bei den Lernenden voraussetzt. Für ein erfolgreiches Lernen mit Chatbots ist damit die Fähigkeit zur Selbstregulation ein entscheidender Faktor. Lehrkräfte sind damit gefordert, diese Fähigkeit bei ihren Schülerinnen und Schülern im Besonderen bezüglich des Einsatzes von Chatbots gezielt und kumulativ über alle Jahrgangsstufen hinweg zu fördern.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass KI-basierte Anwendungen, insbesondere KI-Chatbots, das Potenzial haben, Lernprozesse effizienter zu gestalten und damit Zeit sowohl bei den Lehrenden als auch den Lernenden zu sparen. Voraussetzung dazu ist allerdings ein reflektierter Einsatz zu einer gezielten Unterstützung, was wiederum ausgeprägte Fähigkeiten zur Selbstregulation voraussetzt.

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Links und Literatur, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

Prof. Dr. Sebastian Becker-Genschow

Prof. Dr. Sebastian Becker-Genschow leitet das Forschungsgebiet Digitale Bildung mit Schwerpunkt Künstliche Intelligenz am Department Didaktiken der Mathematik und der Naturwissenschaften an der Universität zu Köln. Er war zuvor mehrere Jahre Lehrer für Physik und Mathematik, bevor er zu technologieunterstütztem Physikunterricht an der TU Kaiserslautern promovierte. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Unterstützung von Lehr-Lernprozessen im MINT-Bereich durch KI-basierte Technologien in Schule und Universität sowie die digitalisierungsbezogene Professionsentwicklung von Lehrkräften.

 

Kontakt:

sebastian.becker-genschow@uni-koeln.de

https://physikdidaktik.uni-koeln.de/digitale-bildung

https://de.linkedin.com/in/prof-dr-sebastian-becker-genschow-a15b18296

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Ja, digitale Spiele und Lernen passen sehr gut zusammen. Aus der Forschung geht hervor, dass digitale Spiele, die für Lernzwecke entwickelt wurden, im Durchschnitt mit besseren Lernergebnissen der Schüler:innen einhergehen. Doch welche Arten von Lernergebnissen werden mit digitalem spielbasiertem Lernen gefördert? Für wen und in welchen Kontexten kann es im Unterricht am effektivsten eingesetzt werden?

Diese Fragen beantworten wir basierend auf Erkenntnissen aus ausgewählten Forschungssynthesen (siehe Infobox und Quellenangaben). Wir verwenden im Folgenden die Abkürzung DGBL („digital game-based learning”), man kann aber auch von „Serious Games” sprechen.

Was genau sind Lernspiele?

Shaffer et al. (2005) beschreiben spielbasiertes Lernen als (digitale) Spiele mit festgelegten Lernzielen. Nehmen wir das Beispiel von Schüler:innen im Englischunterricht in der Sekundarstufe I. Anstatt aus Texten und Übungen in Lehrbüchern zu lernen, könnten sie in einem Videospiel ihre Englisch-Fähigkeiten anwenden (z. B.: Game On!, siehe Vertiefung).

Genauer gesagt ist DGBL „ein System, in dem Spieler in einen künstlichen, durch Regeln definierten Konflikt eintreten, der zu einem quantifizierbaren Ergebnis führt“ (Salen & Zimmerman, 2004). Lernspiele schaffen ein Gleichgewicht zwischen der Förderung des Spielens und der Vermittlung von Lerninhalten (Plass et al., 2015). DGBL kann in verschiedenen Spielarten stattfinden (Cai et al., 2022; Chen et al., 2020):

  • Action/Abenteuer
  • Strategie
  • Puzzles
  • Simulationen
  • Rollenspiele

Wie unterscheidet sich ein Lernspiel von Gamification?

Die Unterscheidung zwischen DGBL und Gamification im Lernbereich lässt sich anhand der Verwendung von Spielattributen treffen. Nach Plass et al. (2015) gibt es neun Kategorien, in denen zusammengefasst wird, welche Elemente Lernengagement und -erfolg der Schüler:innen fördern (z. B. „Regeln und Ziele“, Konflikte oder Herausforderungen“, „Immersion“ (Bedwell et al., 2012; Landers, 2015)).

Lernspiele enthalten in der Regel alle Spielattributkategorien, die auf verschiedene Weise zum Ausdruck kommen. Beispielsweise könnte ein spielbasierter Chemieunterricht die Simulation von Chemieexperimenten in einem virtuellen 3D-Labor beinhalten.

Bei der Gamifizierung werden einige der Spielattribute auf Nicht-Spielkontexte angewendet und an diese angepasst. So könnte die Gamifizierung eines Chemieunterrichts die Vergabe von Punkten oder Abzeichen für erfolgreich abgeschlossene Aufgaben umfassen (Landers, 2015).

Warum sollten Lernspiele im Unterricht verwendet werden?

Plass und Kollegen (2015) nennen mehrere Vorteile von DGBL:

  • Motivation und Engagement: Es kann die Motivation und das Engagement der Lernenden durch unterhaltsame und interessante Aktivitäten sowie durch Anreize wie Punkte, Abzeichen, Ranglisten und Auszeichnungen fördern.
  • Adaptivität: Darüber hinaus kann DGBL sich an die Bedürfnisse der Lernenden anpassen, indem es auf ihre Fähigkeiten und ihr Tempo eingeht und ihnen angemessene Hilfe oder Herausforderungen bietet.
  • Risikobereitschaft: Schließlich bieten Lernspiele aufgrund der geringen Konsequenzen von Fehlern die Möglichkeit zum „eleganten Scheitern” als Teil des Lernprozesses, was die Bereitschaft zum Erkunden und Eingehen von Risiken fördern kann.

Ist spielbasiertes Lernen effektiv?

Ergebnisse aus mehreren Metaanalysen bestätigen, dass DGBL im Vergleich zu traditionellen Lernmethoden geringe bis mittlere positive Auswirkungen auf die Lernergebnisse hat (Barz et al., 2024; Chen et al., 2020) und einen größeren Einfluss in MINT-Fächern (Wang et al., 2022; Gui et al., 2023). In Bezug auf spezifische Lernergebnisse hat sich gezeigt, dass DGBL kognitive Fähigkeiten, den Wissenserwerb und die Wissensspeicherung (Barz et al., 2024), Problemlösungsfähigkeiten – insbesondere in Kombination mit relevanten Unterrichtsstrategien – (Cai et al., 2025) und kritisches Denken – insbesondere in Rollenspielen – (Mao et al., 2022) fördert.

Unterstützende Hilfestellungen innerhalb von DGBL (z. B. Aufforderungen zum Nachdenken, Hinweise) können ebenfalls das Lernen verbessern (Cai et al., 2022), während sich Wettbewerb in digitalen Spielen als wirksam für das Lernen von Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachen erwiesen hat (Chen et al., 2020). Die meisten dieser Metaanalysen fanden keine Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen den Altersgruppen, was darauf hindeutet, dass DGBL einen positiven Einfluss auf alle Lernenden haben kann. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass spielbasiertes Lernen eine hilfreiche Strategie sein kann, um das Lernen innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers zu fördern.

Forschungssynthesen und Clearing Houses

Eine Forschungssynthese kombiniert und fasst die Ergebnisse mehrerer Studien zu einem bestimmten Thema zusammen, um umfassendere Erkenntnisse zu gewinnen. Die Forschungssynthese-Methode der Metaanalyse bietet eine statistische Gesamtübersicht über die Wirksamkeit einer Intervention (z. B. Lehrmethode, Lerninstrument) sowie über den Einfluss verschiedener Faktoren der Intervention (z. B. Eigenschaften der Lernenden, Elemente des Lernkontexts).

Um mehr Übersichtsstudien zu digitalem Lernen zu lesen, besuchen Sie das Handlungsfeld Forschung des Kompetenzverbund lernen:digital und die von ihm unterstützten Clearinghouse-Projekte.

Ein Clearinghouse ist im Allgemeinen eine zwischengeschaltete Organisation, die Informationen sammelt und informell an relevante Interessengruppen weitergibt. In der Bildungsforschung bieten Clearinghouse-Projekte eine Plattform für Produkte und Dienstleistungen zur Übersetzung, Übertragung und Verbreitung von Bildungsforschungsinformationen (oft aus Forschungssynthesen), um Bildungspraktiker:innen und andere relevante Transferakteure zu unterstützen.

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Links und Literatur, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

Fabian Reinwarth
Foto Fabian Reinwarth

Fabian Reinwarth ist seit 2024 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie an der Technischen Universität München (TUM). Er arbeitet im Kompetenzverbund lernen:digital in der Transferstelle sowie im Clearing House Unterricht. In seiner Dissertation untersucht er, wie Lehrkräfte Wissen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen (z. B. Zusammenfassungen in einfacher Sprache) effizient verarbeiten und in ihr pädagogisches Denken und Handeln übertragen können.

Dr. Meg Farrell
Foto Dr. Meg Farrell

Dr. Meg Farrell ist Postdoktorandin am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie (Prof. Tina Seidel) an der Technischen Universität München (TUM). Derzeit arbeitet sie für die Forschungsprojekte des Kompetenzverbundes lernen:digital und für das Clearing House Unterricht. Im Team der Clearingstelle Unterricht ist sie als Koordinatorin der Kurzreviews tätig. Sie trägt auch zur gemeinsamen Entwicklung von Produkten für den Forschung-Praxis-Transfer bei.

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Im Rahmen dieser Antwort wird ein Überblick über die vier Ausstattungsbereiche Headsets, VR/AR-Anwendungen (Content), technische Infrastruktur und Raummanagement gegeben. Er orientiert sich an VR/AR-Trainingsanwendungen für den beruflichen Bildungsbereich. Je nach schulartspezifischen Anwendungsfällen kann die VR/AR-Ausstattung entsprechend variieren.

Headsets

Die wichtigste Investition ist das jeweilige Endgerät, das den immersiven Lerninhalt erlebbar macht. Das perfekte Headset für den schulischen Einsatz gibt es (noch) nicht, sodass Kompromisse eingegangen werden müssen. Tipps zur Headset-Wahl finden sich in den TaskCards des Autors (siehe Abschnitt Vertiefung).

Die Technologie hat sich technisch weiterentwickelt und VR-Brillen werden mittlerweile als Mixed-Reality-Headsets bezeichnet. Derartige Headsets besitzen ein hochauflösendes Farb-Passthrough, d.h. dass das Spektrum der virtuellen Welt um Elemente der realen Welt erweitert werden kann. Ein modernes Kamera-System ermöglicht diesen entscheidenden Fortschritt, um neuartige Lernwelten umzusetzen.

Beim Einsatz von VR-/AR-Technologien ist wichtig, dass Bildungsinstitutionen den Datenschutz nicht aus den Augen verlieren. Die Hersteller vertreiben B2B/Enterprise-Produkte (Verkauf von Unternehmen an Unternehmen) und Consumer-Produkte (Verkauf von Unternehmen an Endverbraucher). Bei der Anschaffung von Headsets sollten daher immer B2B-Headsets bzw. Enterprise-Varianten der Hersteller ausgewählt werden. Die Consumer-Headsets entsprechen häufig nicht den DSGVO-Anforderungen, die von Bildungseinrichtungen erfüllt werden müssen. Bei den B2B-Devices gibt es restriktivere Guidelines an den Datenschutz, den sogenannten Kiosk-Modus (d.h. ein Modus, in dem die Rechte des Benutzers eingeschränkt sind) und Nutzungsmöglichkeiten ohne Account.

Man sollte sich auf alle Fälle vor dem Kauf des Headsets damit beschäftigen, welchen Inhalt (engl.: Content) man woher abrufen kann. Einige Headsets verfügen über gewachsene Ökosysteme (App-Stores). Auch wenn die Apps sehr günstig sind, ist das Angebot an didaktisch sinnvoll einsetzbaren Lernangeboten in den App-Stores bislang noch sehr überschaubar. Hier dominieren meist Gaming-Anwendungen. Wiederum andere Headsets lassen spielend einfach die Installation von apk-Dateien von Drittanbietern zu. Dies ist der übliche Dateityp für VR-Anwendungen, den der Drittanbieter den Kunden in der Regel aushändigt.

VR/AR-Anwendungen (Content)

Mindestens ebenso wichtig wie geeignete Headsets ist die Auswahl passender VR/AR-Anwendungen. Im Bereich der allgemeinbildenden Schulen gibt es sicherlich noch etwas mehr lernförderliche Anwendungen für ein kleines Budget in den verschiedenen App-Stores. Im berufsbildenden Bereich sind didaktisch sinnvoll einsetzbare VR/AR-Anwendungen in den Ökosystemen der Headsets eher selten zu finden. Hier gibt es jedoch aktuell einen wachsenden Markt an Unternehmen, die berufsspezifische Inhalte programmieren und vertreiben. Standardisierte Bildungsangebote über offizielle Vertriebswege der Hersteller sind für Schulen eher bezahlbar als individuelle Projektzuschnitte nach Kundenwunsch. Die Kosten für die letztgenannte Erstellungsvariante liegen nicht selten im fünfstelligen Bereich und sind für einzelne Bildungsträger nicht schulterbar. Aus Gründen der Nachhaltigkeit und im Hinblick auf einen längerfristig planbaren Unterrichts- und Mitteleinsatz sollten für Schulen die wesentlichen Kriterien für eine Anschaffung unbefristete Lizenzen sein, die auf möglichst vielen Geräten einsetzbar sind.

Die kostengünstigste Variante der Content-Beschaffung ist es, Inhalte selbst oder in Kollaborationen zu erstellen. Bei der Erstellung im Rahmen von Kollaborationen ist es zentral, einen Partner zu finden, der die Programmierleistung übernimmt. Viele Hochschulen und Universitäten verfügen über das informationstechnische Knowhow und haben Budgets zur Umsetzung. Häufig fehlt es ihnen jedoch an der Identifizierung eines klaren Anwendungsfalls, der einen realen Praxisbezug aufweist. Auch Content-Entwickelnde sind aufgeschlossen für die Zusammenarbeit mit Lehrkräften. Daher wird inzwischen vermehrt Autorensoftware angeboten. Damit können Lehrende ohne Programmierkenntnisse selbst XR-Experiences erstellen.

Technische Infrastruktur

Ab einer gewissen Anzahl an Headsets sollte man sich auch Gedanken über die Ladeinfrastruktur und das Management machen. Einige Schulen erwerben kostspielige Infrastruktur-Systeme, während andere Schulen eigene DIY-Ladeinfrastrukturen bauen. Ladeüberwachung und Energiemanagement sind hier die zentralen Schlüsselbegriffe. Verwaltet man XR-Headsets im zweistelligen Bereich, ist die Frage nach einem Management-System durchaus gerechtfertigt. Hier sollte man sich zunächst beim Headset-Hersteller informieren. Andernfalls kann man sich auch auf das Angebot von Drittanbietern beziehen. Auf alle Fälle ist sicherzustellen, dass die Lernenden nur die Anwendungen auf den Headsets aufrufen können, die die Lehrkräfte für den Unterricht freigeben. Eigenmächtige Kaufhandlungen von Lernenden sowie die Einsicht in hinterlegte Zahlungsmittel können ebenfalls durch moderne Mobile-Device-Management-Systeme (MDM-Systeme) oder einen herstellerseitigen Kiosk-Modus vermieden werden. MDM-Systeme ermöglichen die Verwaltung, Überwachung und Sicherung von digitalen Endgeräten und sind zum Beispiel im Bereich der Tablets bereits an Schulen etabliert.

Experiences im beruflichen Bereich sind aus Platz- (siehe Abschnitt „Raummanagement“) und häufig auch aus Kostengründen nur von wenigen Lernenden zeitgleich nutzbar. Die übrigen Schüler:innen können mit alternativen Lernmethoden (z. B. Organisation eines Lernzirkels) im Lernprozess unterstützt werden, im Idealfall sehen sie die immersiven Eindrücke via Streaming auf einem größeren Bildschirm. Einige Headsets ermöglichen das Streamen schon in wenigen Sekunden und mit geringen Ausfallraten. Auf alle Fälle benötigt man hier ein gutes WLAN, um die Übertragung flüssig und ohne Verzögerung aufrechtzuerhalten. Moderne Smart-TVs unterstützen intern die Screen-Cast Funktion, während man bei älteren Geräten Streaming-Adapter benötigt. Kabelgebundes Streaming ist mittlerweile ebenso veraltet wie PC-VR-Streaming. Bei der letztgenannten Variante erfolgt die Rechenleistung auf einem performanten PC mit hoher Grafikleistung und der Inhalt wird auf das Headset gestreamt. Auch wenn dadurch hochauflösende Experiences möglich sind, ist die Technologie aufgrund des enormen Hardwareeinsatzes nicht mehr zeitgemäß. Nahezu alle relevanten Inhalte, die aktuell entwickelt werden, laufen ohne PC auf den Headsets.

Raummanagement: Platz, Sicherheit und Verwaltung

Um erste Erfahrungen im Bereich der VR-Technik zu sammeln, genügt zunächst der Einsatz eines oder weniger Headsets im konventionellen Klassenraum. Wichtig ist, dass der Raum ausreichend groß ist und über viel Platz zum Anwenden verfügt. Das Mobiliar sollte möglichst variabel sein, um flexible Unterrichtssettings zu organisieren. Bei einer intensiveren Nutzung empfiehlt es sich, ein separates Raumkonzept für diese Anwendung zu designen. Viele Schulen installieren im gleichen Raum auch Green-Screens, Maker-Spaces oder 3D-Drucker. Kostspielige Hardware sollte abschließbar sein. Ein Ticket-System zur Nutzung durch weitere Lehrkräfte wäre empfehlenswert. Hygienevorkehrungen sind ebenso zentral wie ein motivierendes On-Boarding-Konzept. Die Wartung und Pflege der Soft- und Hardware sowie der gesamten Räumlichkeit bringen erheblichen Mehraufwand mit sich und sollten im schulorganisatorischen Ressourcenplan mitbedacht werden.

Florian Brückner

Florian Brückner ist Berufsschullehrer für Elektrotechnik und Sozialkunde. Er beschäftigt sich intensiv mit dem Einsatz von XR-Technik an beruflichen Schulen. Gemeinsam mit seinen Kollegen baute er am Beruflichen Schulzentrum Kronach ein XR-Labor auf und multipliziert das erlangte Wissen im Bereich der immersiven Medien regional und überregional. Aktuell ist er Projektleiter bei der Stiftung Bildungspakt Bayern und betreut den Schulversuch „clever clustern“. Die Erkenntnisse zum Thema VR/AR-Ausstattung entstammen dem Schulversuch PERLEN 4.0 der Stiftung Bildungspakt Bayern.

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Was bedeutet es, kritische KI-Kompetenz zu fördern?

Im Sinne der OECD hat die Schule die Aufgabe, Schüler:innen in unserer digitalisierten Welt zu begleiten und entsprechend auf ihre Zukunft vorzubereiten (OECD, 2020, 2023). Dazu ist es wichtig, dass Schüler:innen einen verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) entwickeln und Handlungsfähigkeit erlangen.

Um kritische Urteilsfähigkeit zu erlangen, sollten sowohl Chancen als auch Risiken und Limitationen im Umgang mit KI erlernt werden. Dazu sind zweierlei Fähigkeiten entscheidend (vgl. Long & Magerko, 2020):

  1. Technik zielgerichtet, bspw. für Bildungszwecke, als Werkzeug anwenden zu können,
  2. aber auch die Fähigkeit zu besitzen, darüber reflektieren zu können, um ethische und gesellschaftliche Folgen abzuleiten.

Am besten lässt sich dies anhand eines fiktiven Beispiels illustrieren: In einer Klasse werden die Hausaufgaben der Schüler:innen durch ein KI-gestütztes Bewertungssystem benotet. Dieses System kann für die Lehrkraft durch die Zeitersparnis und Formulierung von schüler:innenspezifischem ausführlichem Feedback eine enorme Hilfe in der Bewältigung ihrer Lehraufgaben sein. Eine Schülerin aus einem nicht-muttersprachlichen Haushalt bemerkt, dass sie trotz korrekter Antworten in ihren Hausaufgaben oftmals schlechtere Noten als ihre Freunde erhält. Ihr Klassenkamerad stellt zudem fest, dass Mädchen in seiner Klasse oft schlechter abschneiden als Jungen, obwohl sie ähnlich gute Leistungen erbringen. Sie sprechen ihre Lehrkraft darauf an.
 
Die Lehrkraft und die Schüler:innen nehmen dies als Anlass, um die technischen Hintergründe zu recherchieren und die Ursache dadurch besser zu verstehen. In diesem gemeinsamen Prozess wird klar, dass das KI-gestützte Bewertungssystem sprachliche und geschlechtsspezifische Vorurteile (sog. „Biases“, siehe auch Infobox in dieser Frage) reproduziert und in die Notenvergabe einfließen lässt. Die Vorurteile entstehen, da das KI-System mit historischen Trainingsdaten aus unserer Gesellschaft trainiert wurde und diese Daten solche Vorurteile enthalten.
 
Nun können Lehrkraft und Schüler:innen mit diesem Wissen Schlussfolgerungen für gesellschaftlich verantwortungsvolles Handeln ziehen. Für den Einsatz von KI-basierten Systemen lässt sich unter anderem ableiten, dass stets ein Mensch in den Entscheidungsprozess eingebunden sein sollte („human in the loop“), um Verantwortung zu übernehmen und etwaige Fehlurteile zu kontextualisieren und korrigieren. Außerdem muss der Output von KI-Systemen stets hinterfragt werden, da auch KI-Systeme nicht völlig objektiv, sondern abhängig von Trainingsdaten sind. Durch den selbst bestimmten Umgang mit KI-basierten Systemen können sich Lehrkräfte und auch Schüler:innen so nicht nur als Nutzer:innen, sondern auch als aktive Gestalter:innen von KI in Bildungskontexten sehen.   
 
In diesem Beispiel wird deutlich, dass nur unter Einbezug technologischer Hintergründe die Situation ganzheitlich betrachtet, hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Implikationen analysiert und verantwortungsvoll darauf reagiert werden kann.

Wie vermittle ich ethische und gesellschaftliche Implikationen an Schüler:innen?

Lehrkräfte können eine kritische Reflexion über KI praxisnah vermitteln, indem sie konkrete Beispiele für KI-Nutzung aus dem schulischen Alltag der Schüler:innen (oder der Lehrkräfte) aufgreifen und mit Lernaufgaben verbinden. Lehrkräfte können durch das kontinuierliche Setzen und Mitreflektieren von kleinen oder größeren medienerzieherischen Impulsen mehr erreichen als durch separate Unterrichtseinheiten, die in der Alltagspraxis oftmals aufgrund von beschränkten Ressourcen nicht leistbar sind.

Ein Rechercheauftrag, in dem Schüler:innen oder Lehrkräfte KI nutzen, kann eine ausgezeichnete Gelegenheit sein, um Themen wie beispielsweise Deepfakes, Fake News oder Social Bots aufzugreifen. Gleichzeitig kann man beispielsweise gesellschaftliche Herausforderungen wie den ungleichen Zugang zu Informationen durch bei der Recherche auftretende Paywalls beim Zugang zu KI-Tools thematisieren (s. nächster Abschnitt).

Im Rahmen solcher realitätsnahen ganzheitlichen Aufgaben können neben ethischen und gesellschaftlichen Fragestellungen im Idealfall auch technische Funktionsweisen von KI besprochen werden. Diese Themen können so als kleinere Impulse organisch in bestehende Unterrichtsfächer eingebettet werden, ohne explizite Stunden zur Medienerziehung zu planen. Auf diese Weise lassen sich gleichzeitig sowohl die Chancen als auch die Risiken von KI lebensweltnah und handlungsorientiert im Unterricht vermitteln und kritisches Denken fördern.

Was kann ich als Lehrkraft tun, um mit Ungleichheiten bei der KI-Nutzung umzugehen?

Wenn nicht alle Schüler:innen den gleichen Zugang zur Software eines Large Language Models wie ChatGPT haben, nennt man dies digitale Kluft (engl.: Digital Divide).  Um der Problematik ungleicher Zugänge zu KI-Tools zu begegnen, können frei zugängliche Tools oder Open-Source-Plattformen (fAIrChat, Mistral, Llama) genutzt werden, die ähnliche Funktionen bieten. Es kann auch sinnvoll sein, darauf hinzuweisen, dass die Kompetenz im Umgang mit KI oft wichtiger ist als der Zugang zu den neuesten Tools. Projekte, bei denen Schüler:innen einfache KI-Anwendungen selbst erstellen oder simulieren, stärken ihr Verständnis und ihre Handlungsfähigkeit unabhängig von kostenintensiven Tools.

Was wäre hier zukünftig wünschenswert?

Langfristig wäre es wünschenswert, wenn Bildungsinstitutionen und politische Akteur:innen Rahmenbedingungen schaffen, die gleichen Zugang zu pädagogisch fundierten KI-Tools für alle Schüler:innen gewährleisten. Mögliche Ansätze könnten in der Förderung offener Lernmaterialien (Open Educational Resources, OER), der Entwicklung gemeinwohlorientierter KI-Anwendungen oder in Partnerschaften mit nicht-kommerziellen Anbietern liegen, um chancengleiche Zugänge für Schüler:innen zu ermöglichen.

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

Jana Boos

Jana Boos ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Tübingen Center for Digital Education der Universität Tübingen. Sie forscht an der Schnittstelle von Künstlicher Intelligenz, Bildung und Ethik, mit einem besonderen Fokus auf der Vermittlung von KI-Kompetenz für Lehramtsstudierende unter Berücksichtigung ethisch-gesellschaftlicher Fragestellungen. Dabei arbeitet sie interdisziplinär mit Expert:innen aus den relevanten Fachbereichen zusammen.
Neben ihrer Forschung engagiert sich Jana Boos aktiv in der Wissenschaftskommunikation, insbesondere im Rahmen der Initiative KI macht Schule, und kooperiert mit dem KI-Makerspace Tübingen.

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Die Frage Warum gehen meine Kinder nicht gerne in die Schule? lässt sich auch positiv wenden zu: Wie kann Wohlbefinden in der Schule gefördert werden? Dadurch rückt das Wohlbefinden in den Fokus, das auch im Schulbereich zunehmend an Bedeutung gewinnt. Das „Deutsche Schulbarometer“ (Robert Bosch Stiftung, 2024) hat unlängst Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 17 Jahren zu ihrem schulischen Wohlbefinden befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass ein Fünftel der Schüler:innen (20 %) ein geringes schulisches Wohlbefinden hat. Für die Mehrheit der Schüler:innen (71 %) konnte ein mittleres und für 8 % ein hohes schulisches Wohlbefinden ermittelt werden. Angesichts der Folgen des Wohlbefindens für den Lernerfolg, die psycho-soziale Entwicklung und die Gesundheit zeigt sich hier ein Klärungs- und auch Handlungsbedarf. Dabei stellt sich zunächst die Frage:

Was ist Wohlbefinden in der Schule?

Wohlbefinden ist ein Begriff, der – je nach Disziplin – unterschiedlich definiert wird. Aus einer psychologischen Perspektive (Hascher, Mori & Waber, 2018) bezieht sich Wohlbefinden in der Schule auf die individuelle emotionale und kognitive Bewertung von schulbezogenen Erlebnissen und Erfahrungen. Dabei spielen sowohl positive Dimensionen (positive Einstellungen zur Schule, Freude in der Schule, schulischer Selbstwert und Selbstwirksamkeit) als auch negative Dimensionen (Sorgen wegen der Schule, körperliche Beschwerden wegen der Schule, soziale Probleme in der Schule) eine Rolle. Wohlbefinden ist schließlich ein Gefühlszustand, von dem gesprochen werden kann, wenn positive Emotionen und Kognitionen klar gegenüber den negativen Emotionen und Kognitionen überwiegen.

Wie kann Wohlbefinden in der Schule gefördert werden?

Das Wohlbefinden der Schüler:innen wird, wie einschlägige Studien zeigen, von einer Reihe von Faktoren beeinflusst, die sich auf verschiedenen Ebenen ansiedeln lassen. Auf der Ebene des Unterrichts bzw. der Schulklasse spielen Merkmale der Unterrichtsqualität und die Beziehungen zu Lehrpersonen und Mitschüler:innen eine Rolle. Dementsprechend kann das Wohlbefinden von Schüler:innen verbessert werden, wenn der Unterricht strukturiert abläuft, spannende und lebensnahe Inhalte behandelt werden oder Möglichkeiten bestehen, sich aktiv einzubringen und Aufgabenstellungen eigenständig zu bewältigen. Gleichzeitig wird das Wohlbefinden durch die erlebte Unterstützung der Lehrpersonen positiv beeinflusst (z. B. Mut machen bei schwierigen Aufgaben oder konstruktives Feedback). Neben den Lehrpersonen sind auch Mitschüler:innen wichtige Interaktionspartner. Zugehörigkeitsgefühl, Wertschätzung oder Respekt vor Vielfalt und Unterschieden können sich positiv auf das Wohlbefinden auswirken. Auf der Ebene der Schule tragen unter anderem ein gutes Schulklima, eine sichere Umgebung oder offene und ansprechende Räumlichkeiten zum Wohlbefinden bei. Weil die Faktoren, die das Wohlbefinden positiv beeinflussen, auf mehreren Ebenen liegen, ist es naheliegend, seine Förderung ganzheitlich als Whole School Approach zu denken (Mori, 2024). Ein solcher Ansatz bezieht alle Mitglieder der Schulgemeinschaft aktiv in die Gestaltung der Schule ein und umfasst zentrale Aspekte des Schullebens (u. a. pädagogische Praktiken, Lernumgebung, sozialen Beziehungen, Organisationsstrukturen oder räumlichen Gegebenheiten).

Einblick in ein laufendes Forschungs- und Entwicklungsprojekt

Das Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung im lernen:digital-Projektverbund DigiSchuKuMPK geht unter anderem der Frage nach, wie (Sozial-)Räume in Bereichen des Alltags (Familie, Schule oder Nachbarschaft) beschaffen sein müssen, damit Grundschulkinder sich in ihnen wohlfühlen. Das Projekt knüpft an der sozialräumlich orientierten sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung an (Fegter & Fattore, 2024), die in der Child Well-being-Forschung angesiedelt ist. Sozialräumlich orientierte Kindheitsforschung beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel räumlicher und sozialer Ordnungen. Wohlbefinden ist dann nicht primär ein Gefühlszustand einer Person, sondern ein Prozess im Kontext räumlicher und sozialer Ordnungen, der Wohlbefinden hervorbringen kann. Dabei wird Kindheit als eigene Lebensphase und das Kind als sozialer Akteur verstanden: das heißt, dass das Kind eigene Rechte hat und (auch ohne Kontrolle durch Erwachsene) eigenständig handeln, Entscheidungen treffen und etwas bewirken kann. Entscheidend sind dann nicht die von Erwachsenen festgelegten Indikatoren des Wohlbefindens, sondern die Frage, was Wohlbefinden im Kern für Kinder bedeutet. Einschlägige qualitative Forschungsarbeiten haben die Kindersicht rekonstruiert und können zeigen, dass Kinder sich in Räumen wohlfühlen, in denen sie sich einbringen und mitbestimmen dürfen, sie sich sicher und geschützt fühlen und sie sich als wertgeschätzt und anerkannt erfahren.
 
Im Rahmen des Projekts Sozialraumorientierte Schulentwicklung werden nun gemeinsam mit Lehrkräften und weiterem pädagogischen Personal Projekte geplant und durchgeführt, in denen Kinder ihre Lebenswelt – einschließlich Fragen nach ihrem Wohlbefinden – erkunden und somit sichtbar machen (z. B. Projekte zur Sicherheit auf dem Schulweg, zu Freundschaftsorten, zu Freizeitorten oder zur Orientierung im Stadtteil). Dies geschieht mit Unterstützung eines digitalen Tools (#stadtsache-App), das es Kindern ermöglicht, Fotos, Videos und Tonaufnahmen zu sammeln und auf vielfältige Art und Weise zu kommentieren (siehe unten verlinktes Praxisbeispiel). Die gewonnen Erkenntnisse sollen den Schulen helfen, sozialräumliche Herausforderungen zu identifizieren und darauf bezogene Handlungsstrategien zu entwickeln. Diese können unter anderem darin bestehen, Kindern die Gelegenheit zu geben, ihre Sicht der Dinge (z. B. zu Gefahrenstellen auf dem Schulweg) öffentlich zu machen und für berechtigte Forderungen einzustehen.

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

Prof. Dr. Dagmar Killus

Dagmar Killus gehört dem Leitungsteam des Arbeitsbereichs Schulpädagogik & Schulforschung an der Universität Hamburg (Fakultät für Erziehungswissenschaft) an. Ihre quantitativen und qualitativen Forschungsarbeiten beziehen sich auf die Qualität von Schule und Unterricht, auf Qualitätsentwicklung (insbesondere durch Schulnetzwerke) sowie auf die Kooperation von Eltern und Schule.

Sie arbeitet im Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung, das im Kompetenzzentrum Schulentwicklung, Projektverbund DigiSchuKuMPK, angesiedelt ist.

Prof. Dr. Sonja Nonte

Sonja Nonte leitet den Arbeitsbereich Erziehungswissenschaft: Forschungsmethoden mit dem Schwerpunkt Schulentwicklung an der Universität Osnabrück. Sie forscht u. a. im Bereich der Wirkungsforschung (musikalische Angebote), zu Motiven der Einrichtung und Wahl profilierter Schulen und Klassen, zu kultureller Bildung an (Ganztags-)Schulen, zu Geschlechtsdisparitäten in Leistungen und Motiven sowie zu fairen Vergleichen im Bildungskontext (u.a. im Kontext von internationalen Schulleistungsvergleichsstudien wie TIMSS und PIRLS sowie Längsschnittstudien).

Sie arbeitet im Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung, das im Kompetenzzentrum Schulentwicklung, Projektverbund DigiSchuKuMPK, angesiedelt ist.

Vertr.-Prof. Dr. Matthias Forell

Matthias Forell vertritt seit dem Wintersemester 2024/25 die Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Inklusion an der Universität Osnabrück. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Bearbeitung von Fragestellungen zu Bildungsübergängen und Bildungsgerechtigkeit, der Untersuchung von sozialraumorientierten Schulentwicklungsprozessen sowie der Analyse von sozialer Ungleichheit im deutschen Schulsystem.

Er arbeitet im Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung, das im Kompetenzzentrum Schulentwicklung, Projektverbund DigiSchuKuMPK, angesiedelt ist.

Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani

Aladin El-Mafaalani leitet den Arbeitsbereich Migrations- und Bildungssoziologie an der TU Dortmund (Fakultät Sozialwissenschaften). Seine Forschungsschwerpunkte beziehen sich auf Superdiversität in Institutionen der Kindheit und Jugend, auf Regionale Bildungsdisparitäten im Kontext von Migration, auf Rassismus- und Diskriminierungsforschung sowie auf Bildungserfolg und Bildungsungleichheit.

Er arbeitet im Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung, das im Kompetenzzentrum Schulentwicklung, Projektverbund DigiSchuKuMPK, angesiedelt ist.

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Es gibt in der Forschung bisher keine eindeutige Antwort darauf, in welcher Form das Schreiben besonders lernförderlich ist. Zu berücksichtigen sind hier immer die konkreten Lernziele, die Fähigkeiten und Erfahrungen der Schüler:innen und der Kontext, in dem das entsprechende Schreibwerkzeug eingesetzt wird. Man kann hier zum Beispiel unterscheiden zwischen den Phasen des Schreibenlernens und des Schreibenkönnens.

… wenn wir schreiben lernen

Das Schreiben von Hand erfordert eine Vielzahl von Bewegungsabläufen, die für die Entwicklung von Feinmotorik und kognitiven Fertigkeiten wichtig sind. Im Vergleich zum Tippen auf einer Tastatur werden beim Handschreiben durch die Gleichzeitigkeit vielfältiger motorischer und visueller Tätigkeit bestimmte Gehirnregionen aktiviert (Van Der Meer & Van Der Weel, 2017). Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass das Handschreiben auch einen positiven Einfluss auf Rechtschreibkompetenzen hat. Auch mit neuen digitalen Möglichkeiten spielt das Erlernen der Handschrift deshalb weiter eine wichtige Rolle.

Mehrere Studien zeigen, dass der Untergrund, auf dem das erste Schreiben passiert, dabei von Bedeutung ist (Alamargot & Morin, 2015; Gerth, Dolk et al., 2016, Gerth, Klassert et al., 2016). Schreibanfänger:innen scheinen auf der rutschigen Tablet-Oberfläche Schwierigkeiten in der Ausführung von Schreibbewegungen zu haben, weil es mehr Kontrolle erfordert. Durch die fehlende Reibung zwischen Stift und Papier muss man mehr Druck aufbringen. Kinder, für die das Schreiben neu ist, können hierbei Schwierigkeiten haben.

Mit Schreiberfahrung fällt es älteren Schüler:innen aber leichter, ihre Bewegungen der Displayoberfläche entsprechend anzupassen (Alamargot & Morin, 2015). Einige Studien zeigen, dass auf dem Tablet meist schneller geschrieben wird, die Lesbarkeit jedoch etwas schlechter ist als beim Schreiben auf Papier. Auch das ist unter anderem mit der geringeren Reibung beim Schreiben auf dem Display zu erklären (Gerth, Dolk et al., 2016, Gerth, Klassert et al., 2016).

Verschiedene Tablet-Apps können eine sinnvolle Ergänzung zum „traditionellen“ Schreibenlernen bieten. Besonders Kinder, deren graphomotorische Fähigkeiten weniger stark ausgeprägt sind, können hier mit gezielten Übungen Fortschritte machen. Anwendungen, die bspw. Rückmeldung zu der Ausführung bestimmter Schreibbewegungen geben, können auf individuelle Bedürfnisse eingehen und somit das eigenständige Erlernen der Handschrift unterstützen (Bonneton-Botté et al., 2020; Dui et al., 2020).

… wenn wir schon schreiben können

Wenn wir schon schreiben können, stellt sich eher die Frage, welche Form des Schreibens sich gut für welche Ziele eignet. Studien, die diesen Zusammenhang untersuchen, vergleichen dabei meist das Handschreiben mit Stift und Papier mit dem Tastaturschreiben. Sie konzentrieren sich dabei weniger auf das Tablet, das mit seinen unterschiedlichen Eingabemethoden (Stift, Bildschirmtastatur und externe Tastatur) nicht immer eindeutig zuzuordnen ist.

  • Schreiben zum Lernen neuer Inhalte. Darüber, ob bestimmte Schreibwerkzeuge zu mehr Lernerfolg führen, können Forschende noch keine eindeutige Aussage machen. Beispielsweise zeichnen die Ergebnisse mehrerer Metaanalysen, die die Lernförderlichkeit von handschriftlichen und getippten Lern-Notizen vergleichen, ein gemischtes Bild (ein Überblick in Flanigan et al., 2024). Einige Befunde deuten jedoch darauf hin, dass mit handschriftlichen Notizen bessere Lernergebnisse (z. B. behaltene Informationen, Testergebnisse, Noten) erzielt werden können. Hierfür kann es verschiedene Gründe geben (siehe beispielsweise Flanigan et al., 2023, 2024; Lau, 2020; Voyer et al., 2022). Es wird angenommen, dass das Schreiben von Hand zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Inhalt führt als das Tippen mit einer Tastatur. Das liegt daran, dass die Schreibgeschwindigkeit beim Handschreiben geringer ist als beim Tastaturschreiben und Notizen damit nicht den Wortlaut wiedergeben können, sondern stärker zusammenfassen und paraphrasieren müssen. Wenn man sich also beispielsweise im Unterricht Notizen macht, muss man beim Mitschreiben von Hand mehr gedankliche Eigenleistung erbringen. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass handschriftliche Notizen tiefer verarbeitet werden und man Inhalte so besser behält. Auch können lernförderliche Elemente wie Skizzen, Mindmaps, Diagramme etc. in handschriftlichen Notizen besser erstellt werden. Andere Erklärungen beziehen mit ein, dass beim Mitschreiben mit Tastatur auch immer ein digitales Gerät involviert ist, das mit Internetzugang und vielfältigen Programmen eine Quelle für größere Ablenkung darstellen kann. Allerdings können sich viele verschiedene Faktoren darauf auswirken, wie gut welche Schreibwerkzeuge eingesetzt werden können, beispielsweise die zu lernenden Inhalte, Lernziele, ob die Notizen überarbeitet oder wiederholt werden können, etc. Auch beziehen sich viele dieser Studien auf studentische Gruppen, sodass nicht gesichert ist, ob bei Schüler:innen ähnliche Effekte zu erwarten sind.
  • Schreiben zum Erstellen von Texten. Für das Verfassen längerer Texte kann es hilfreich sein, mit einer Tastatur zu schreiben. Das schnellere Schreiben ist hier von Vorteil. Während die vereinfachte Motorik des Tippens beim Schreibenlernen ein Hindernis ist, ist sie hier ein Vorteil: Erfahrene Schreiberinnen können dadurch mehr mentale Kapazität für die Textkomposition aufbringen (Hennes et al. , 2022). Digitales Schreiben – sowohl mit einer Tastatur als auch mit einem entsprechenden Stift auf einem Tablet – vereinfacht zudem das Be- und Überarbeiten von Texten und ermöglicht eine multimediale Aufbereitung von Inhalten (Stapelton, 2012). Damit besteht die Chance, Schülerinnen kollaborativ arbeiten zu lassen und ihre digitalen Kompetenzen zu fördern.

Fazit

Es gibt nicht die eine, besonders lernförderliche Form des Schreibens. Stift und Papier bleiben wichtig, besonders für das Erlernen der Handschrift. Eine Integration digitaler Anwendungen ist aber in vielen Lernsituationen sinnvoll und kann individuelle Lernprozesse unterstützen.

Vertiefung

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Dr. Irina Brich

Irina Brich gehört zum Redaktionsteam des Zukunftsraums, der zur Wissenschaftskommunikation des Kompetenzverbund lernen:digital beiträgt. Sie arbeitet am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Forschungsbasierter Transfer zum Einsatz digitaler Medien in der Lehre. Sie studierte Psychologie and der Universität Tübingen mit den Schwerpunkten Wissens-, Kommunikations- und Medienpsychologie und promovierte (2020, Uni Tübingen/IWM) über die kognitiv vorteilhafte Gestaltung der Interaktion von Mensch und innovativer Technologie. Weiter forschte sie zu Verstehensprozessen bei Comics und zur Wahrnehmung von Risiken im Umgang mit KI.

Maren Gebhardt

Maren Gebhardt gehört zum Redaktionsteam des Zukunftsraums, der zur Wissenschaftskommunikation des Kompetenzverbund lernen:digital beiträgt. Sie arbeitet am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Forschungsbasierter Transfer zum Einsatz digitaler Medien in der Lehre. Sie studierte Germanistik und Altphilologie in Tübingen sowie Kunsterziehung an der Bauhaus Universität Weimar (Erstes Staatsexamen). Sie unterrichtete an Schulen und Hochschulen und gestaltete in Kommunikationsagenturen außerschulische Lernorte sowie Unterrichtsmedien mit der Spezialisierung auf die Zielgruppe Lehrkräfte und Bildungsakteur:innen.

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Durch die wachsende Verbreitung von Technologien mit denen Lernende in virtuelle Welten eintauchen können, steigt nicht nur das Interesse an pädagogisch sinnvollen Konzepten, sondern es stellen sich auch ethische Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung von Virtual Reality (VR). Die aktuelle Forschung zum Themenkomplex Ethik und VR in der Schulbildung befasst sich sowohl mit der Mikroebene der einzelnen Schüler:innen und ihren individuellen Lernprozessen, mit Datenschutz- und Sicherheitsfragen mit Relevanz für Lehrkräfte, als auch mit der Makroebene der gesellschaftlichen Herausforderungen durch die Nutzung der Technologien. Diese Ergebnisse lassen sich nach Skulmowski (2023) zu den folgenden vier Prinzipien für eine ethisch vertretbare Nutzung von VR-Technologien in der Bildung bündeln:

Prinzip 1: Einhaltung der inhaltlichen Passung

Lehrkräfte nutzen Technologien oft in der Hoffnung, ein besonderes Lernerlebnis bieten zu können und das Interesse an den Inhalten zu erhöhen. Dieser Gedanke wird auch durch einige Forschungsergebnisse bestätigt, doch reichen diese Effekte häufig nicht aus, um auch die Lernleistung zu erhöhen (z. B. Makransky et al., 2021). Es gibt allerdings auch Belege, dass sich VR für Lerninhalte eignet, die man entweder aufgrund eines hohen (Kosten-)Aufwands nicht vor Ort betrachten kann oder bei denen Aspekte sichtbar gemacht werden können, die der Wahrnehmung sonst verborgen blieben (Dalgarno & Lee, 2010).

Die Grundüberlegung bei der Nutzung von VR sollte darum sein, ob man die Vorteile der Technologie zur Vermittlung des Stoffes nutzt (Mayer et al., 2023). Zu bedenken ist, dass viele Gestaltungsfaktoren mit einer bestimmten kognitiven Belastung einhergehen (für eine Übersicht, siehe Makransky & Petersen, 2021). So muss für die Verwendung einer interaktiven Simulation zunächst die Bedienung erlernt werden, bevor man sich dem eigentlichen Lerninhalt widmen kann (siehe auch Skulmowski & Xu, 2022). Daher ist es essenziell zu analysieren, ob eine Anwendung eine Ablenkung vom eigentlichen Inhalt darstellt (Mayer et al., 2023). Eine Nutzung von VR im Unterricht bloß zur Abwechslung oder um durch den Neuheitswert Interesse zu generieren, sollte auch aus ethischer Perspektive abgewogen werden. Sofern sich durch eine Analyse der VR-Anwendungen keinerlei kognitive Vorteile, dafür aber ablenkungsbedingte Nachteile abzeichnen (siehe Skulmowski & Xu, 2022), ist fraglich, ob eine Nutzung mit dem ethischen Prinzip des Vermeidens von Schaden in Einklang gebracht werden kann. Daher gehört zur ethischen Nutzung von VR immer eine genaue Auseinandersetzung mit den Inhalten und der Präsentation einer VR-Anwendung.

Prinzip 2: Bewusstsein für Exklusionsrisiken

Durch die Komplexität virtueller Lernszenarien können Eigenschaften von Lernenden eine stärkere Wirkung entfalten. Aus empirischen Studien wird z. B. ersichtlich, dass Lernende mit einer hohen Fähigkeit auf dem Gebiet des räumlichen Denkens von realistischen virtuellen Modellen profitieren, während sich hierdurch die Leistung von Lernenden mit geringer sogar verschlechtern kann (Huk, 2006). Daher ist es ratsam, auf diese Vorbedingung zu achten und ggf. alternative Lernmaterialien anzubieten, die z. B. nicht ohne Beschränkung dreh- und bewegbar sind. Eine weitere Bedingung für die Verwendung von VR im Unterricht ist es, über gesundheitliche Folgen wie Schwindel und Übelkeit aufzuklären („Motion Sickness“). Lehrkräfte sollten auch für diesen Fall geeignete Alternativen bereitstellen.

Prinzip 3: Erhalt der Autonomie

VR eignet sich sehr gut für die Schaffung einprägsamer Erfahrungen. In der Literatur wird jedoch verstärkt das Risiko einer Abnahme der Autonomie der Lernenden hervorgehoben. In jedem Fall sollten Lehrkräfte zum Erhalt der Autonomie darauf achten, dass Lernumgebungen keine manipulativen Komponenten enthalten (Skulmowski, 2023; Slater et al., 2020). VR-Welten bieten durch ihre lebensnahe und teilweise hochrealistische Anmutung ein viel größeres Potenzial, Lernende zu beeinflussen, als andere Medien (Skulmowski, 2023; Slater et al., 2020). So könnte eine VR-Umgebung beispielsweise so gestaltet sein, dass die Interaktion mit einer bestimmten Personengruppe immer positive Folgen hat, die Interaktion mit einer anderen Gruppe jedoch vorwiegend negativ abläuft. Dies könnte leicht Vorurteile und negative Stereotypen erzeugen. Auch sollte der Realismusgrad veränderbar sein, um eine kritische Distanz zu den Inhalten bewahren zu können (Slater et al., 2020). So kann vermieden werden, dass Schüler:innen die Inhalte ohne weiteres Nachdenken akzeptieren und sich nicht weiter mit ihnen auseinandersetzen.

Gleichzeitig ist es denkbar, dass die Glaubwürdigkeit von virtuellen Lernmedien höher ausfällt, wenn Schüler:innen keine Anzeichen für eine Beeinflussung entdecken können. Hierbei entsteht ein komplexes Spannungsfeld zwischen dem Wunsch von Lehrkräften, ihren Schüler:innen bestimmte Inhalte, Werte und Überzeugungen zu vermitteln, hierbei aber nicht auf eine autonomiegefährdende Methode zu setzen.

Prinzip 4: Sicherung des Datenschutzes

Das Ausmaß der durch VR-Geräte ermöglichten Datensammlung wird oft verkannt. Aktuelle VR-Geräte erfassen die Position des Geräts und der dazugehörigen Steuerelemente, und somit auch Verhaltensdaten. Basierend darauf können weitere Analysen vorgenommen werden, z. B. wie zögerlich Lernende sind, wie gewissenhaft sie arbeiten oder wie erfolgreich sie die Lernziele erreichen. Aus diesen Analysen lassen sich detaillierte Persönlichkeitsprofile zusammenstellen (Skulmowski, 2023).

Insbesondere bei der Nutzung von Geräten oder Anwendungen, welche Daten der Nutzenden in Länder mit geringem Datenschutzniveau versenden, können sich vielfältige Nutzungsszenarien der Daten ergeben, wie z. B. der Weiterverkauf an Recruitingdienstleister:innen (Skulmowski, 2023). Daher ist für eine ethische Nutzung geboten, dass den Schüler:innen keine Chancen durch im späteren Lebensweg negativ wirkenden Daten verbaut werden.

Berücksichtigen Lehrkräfte die oben beschriebenen Prinzipien bei der Planung ihres Unterrichts mit VR-Technologie, können sie davon ausgehen, dass wesentliche ethische Aspekte der Nutzung von VR-Technologie in der Schule abgedeckt sind.

Dieser Beitrag ist in ausführlicher Form auch als schule-mal-digital.de-Kurzbeitrag Wie lässt sich Virtual Reality ethisch vertretbar im Unterricht einsetzen? im Rahmen des Themenschwerpunkts Lernen und Unterrichten mit Virtual und Augmented Reality erschienen. Er wurde vom Redaktionsteam von schule-mal-digital.de und des Zukunftsraums betreut.

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

Jun.-Prof. Dr. Alexander Skulmowski

Alexander Skulmowski ist Juniorprofessor für Digitale Bildung an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und dort stellvertretender Leiter des Instituts für Informatik und digitale Bildung. Als Pädagogischer Kognitionswissenschaftler untersucht er die Lernförderlichkeit digitaler Bildungsmedien sowie die ethischen Implikationen neuester Technologien. Mit seiner Forschung trägt er dazu bei, die Chancen und Risiken der Digitalisierung differenziert zu analysieren, empirisch zu untersuchen und theoretisch zu kontextualisieren. Sein Fokus liegt dabei auf den kognitiven Effekten von Lernmedien.

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