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Die Frage Warum gehen meine Kinder nicht gerne in die Schule? lässt sich auch positiv wenden zu: Wie kann Wohlbefinden in der Schule gefördert werden? Dadurch rückt das Wohlbefinden in den Fokus, das auch im Schulbereich zunehmend an Bedeutung gewinnt. Das „Deutsche Schulbarometer“ (Robert Bosch Stiftung, 2024) hat unlängst Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 17 Jahren zu ihrem schulischen Wohlbefinden befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass ein Fünftel der Schüler:innen (20 %) ein geringes schulisches Wohlbefinden hat. Für die Mehrheit der Schüler:innen (71 %) konnte ein mittleres und für 8 % ein hohes schulisches Wohlbefinden ermittelt werden. Angesichts der Folgen des Wohlbefindens für den Lernerfolg, die psycho-soziale Entwicklung und die Gesundheit zeigt sich hier ein Klärungs- und auch Handlungsbedarf. Dabei stellt sich zunächst die Frage:

Was ist Wohlbefinden in der Schule?

Wohlbefinden ist ein Begriff, der – je nach Disziplin – unterschiedlich definiert wird. Aus einer psychologischen Perspektive (Hascher, Mori & Waber, 2018) bezieht sich Wohlbefinden in der Schule auf die individuelle emotionale und kognitive Bewertung von schulbezogenen Erlebnissen und Erfahrungen. Dabei spielen sowohl positive Dimensionen (positive Einstellungen zur Schule, Freude in der Schule, schulischer Selbstwert und Selbstwirksamkeit) als auch negative Dimensionen (Sorgen wegen der Schule, körperliche Beschwerden wegen der Schule, soziale Probleme in der Schule) eine Rolle. Wohlbefinden ist schließlich ein Gefühlszustand, von dem gesprochen werden kann, wenn positive Emotionen und Kognitionen klar gegenüber den negativen Emotionen und Kognitionen überwiegen.

Wie kann Wohlbefinden in der Schule gefördert werden?

Das Wohlbefinden der Schüler:innen wird, wie einschlägige Studien zeigen, von einer Reihe von Faktoren beeinflusst, die sich auf verschiedenen Ebenen ansiedeln lassen. Auf der Ebene des Unterrichts bzw. der Schulklasse spielen Merkmale der Unterrichtsqualität und die Beziehungen zu Lehrpersonen und Mitschüler:innen eine Rolle. Dementsprechend kann das Wohlbefinden von Schüler:innen verbessert werden, wenn der Unterricht strukturiert abläuft, spannende und lebensnahe Inhalte behandelt werden oder Möglichkeiten bestehen, sich aktiv einzubringen und Aufgabenstellungen eigenständig zu bewältigen. Gleichzeitig wird das Wohlbefinden durch die erlebte Unterstützung der Lehrpersonen positiv beeinflusst (z. B. Mut machen bei schwierigen Aufgaben oder konstruktives Feedback). Neben den Lehrpersonen sind auch Mitschüler:innen wichtige Interaktionspartner. Zugehörigkeitsgefühl, Wertschätzung oder Respekt vor Vielfalt und Unterschieden können sich positiv auf das Wohlbefinden auswirken. Auf der Ebene der Schule tragen unter anderem ein gutes Schulklima, eine sichere Umgebung oder offene und ansprechende Räumlichkeiten zum Wohlbefinden bei. Weil die Faktoren, die das Wohlbefinden positiv beeinflussen, auf mehreren Ebenen liegen, ist es naheliegend, seine Förderung ganzheitlich als Whole School Approach zu denken (Mori, 2024). Ein solcher Ansatz bezieht alle Mitglieder der Schulgemeinschaft aktiv in die Gestaltung der Schule ein und umfasst zentrale Aspekte des Schullebens (u. a. pädagogische Praktiken, Lernumgebung, sozialen Beziehungen, Organisationsstrukturen oder räumlichen Gegebenheiten).

Einblick in ein laufendes Forschungs- und Entwicklungsprojekt

Das Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung im lernen:digital-Projektverbund DigiSchuKuMPK geht unter anderem der Frage nach, wie (Sozial-)Räume in Bereichen des Alltags (Familie, Schule oder Nachbarschaft) beschaffen sein müssen, damit Grundschulkinder sich in ihnen wohlfühlen. Das Projekt knüpft an der sozialräumlich orientierten sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung an (Fegter & Fattore, 2024), die in der Child Well-being-Forschung angesiedelt ist. Sozialräumlich orientierte Kindheitsforschung beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel räumlicher und sozialer Ordnungen. Wohlbefinden ist dann nicht primär ein Gefühlszustand einer Person, sondern ein Prozess im Kontext räumlicher und sozialer Ordnungen, der Wohlbefinden hervorbringen kann. Dabei wird Kindheit als eigene Lebensphase und das Kind als sozialer Akteur verstanden: das heißt, dass das Kind eigene Rechte hat und (auch ohne Kontrolle durch Erwachsene) eigenständig handeln, Entscheidungen treffen und etwas bewirken kann. Entscheidend sind dann nicht die von Erwachsenen festgelegten Indikatoren des Wohlbefindens, sondern die Frage, was Wohlbefinden im Kern für Kinder bedeutet. Einschlägige qualitative Forschungsarbeiten haben die Kindersicht rekonstruiert und können zeigen, dass Kinder sich in Räumen wohlfühlen, in denen sie sich einbringen und mitbestimmen dürfen, sie sich sicher und geschützt fühlen und sie sich als wertgeschätzt und anerkannt erfahren.
 
Im Rahmen des Projekts Sozialraumorientierte Schulentwicklung werden nun gemeinsam mit Lehrkräften und weiterem pädagogischen Personal Projekte geplant und durchgeführt, in denen Kinder ihre Lebenswelt – einschließlich Fragen nach ihrem Wohlbefinden – erkunden und somit sichtbar machen (z. B. Projekte zur Sicherheit auf dem Schulweg, zu Freundschaftsorten, zu Freizeitorten oder zur Orientierung im Stadtteil). Dies geschieht mit Unterstützung eines digitalen Tools (#stadtsache-App), das es Kindern ermöglicht, Fotos, Videos und Tonaufnahmen zu sammeln und auf vielfältige Art und Weise zu kommentieren (siehe unten verlinktes Praxisbeispiel). Die gewonnen Erkenntnisse sollen den Schulen helfen, sozialräumliche Herausforderungen zu identifizieren und darauf bezogene Handlungsstrategien zu entwickeln. Diese können unter anderem darin bestehen, Kindern die Gelegenheit zu geben, ihre Sicht der Dinge (z. B. zu Gefahrenstellen auf dem Schulweg) öffentlich zu machen und für berechtigte Forderungen einzustehen.

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

Prof. Dr. Dagmar Killus

Dagmar Killus gehört dem Leitungsteam des Arbeitsbereichs Schulpädagogik & Schulforschung an der Universität Hamburg (Fakultät für Erziehungswissenschaft) an. Ihre quantitativen und qualitativen Forschungsarbeiten beziehen sich auf die Qualität von Schule und Unterricht, auf Qualitätsentwicklung (insbesondere durch Schulnetzwerke) sowie auf die Kooperation von Eltern und Schule.

Sie arbeitet im Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung, das im Kompetenzzentrum Schulentwicklung, Projektverbund DigiSchuKuMPK, angesiedelt ist.

Prof. Dr. Sonja Nonte

Sonja Nonte leitet den Arbeitsbereich Erziehungswissenschaft: Forschungsmethoden mit dem Schwerpunkt Schulentwicklung an der Universität Osnabrück. Sie forscht u. a. im Bereich der Wirkungsforschung (musikalische Angebote), zu Motiven der Einrichtung und Wahl profilierter Schulen und Klassen, zu kultureller Bildung an (Ganztags-)Schulen, zu Geschlechtsdisparitäten in Leistungen und Motiven sowie zu fairen Vergleichen im Bildungskontext (u.a. im Kontext von internationalen Schulleistungsvergleichsstudien wie TIMSS und PIRLS sowie Längsschnittstudien).

Sie arbeitet im Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung, das im Kompetenzzentrum Schulentwicklung, Projektverbund DigiSchuKuMPK, angesiedelt ist.

Vertr.-Prof. Dr. Matthias Forell

Matthias Forell vertritt seit dem Wintersemester 2024/25 die Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Inklusion an der Universität Osnabrück. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Bearbeitung von Fragestellungen zu Bildungsübergängen und Bildungsgerechtigkeit, der Untersuchung von sozialraumorientierten Schulentwicklungsprozessen sowie der Analyse von sozialer Ungleichheit im deutschen Schulsystem.

Er arbeitet im Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung, das im Kompetenzzentrum Schulentwicklung, Projektverbund DigiSchuKuMPK, angesiedelt ist.

Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani

Aladin El-Mafaalani leitet den Arbeitsbereich Migrations- und Bildungssoziologie an der TU Dortmund (Fakultät Sozialwissenschaften). Seine Forschungsschwerpunkte beziehen sich auf Superdiversität in Institutionen der Kindheit und Jugend, auf Regionale Bildungsdisparitäten im Kontext von Migration, auf Rassismus- und Diskriminierungsforschung sowie auf Bildungserfolg und Bildungsungleichheit.

Er arbeitet im Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung, das im Kompetenzzentrum Schulentwicklung, Projektverbund DigiSchuKuMPK, angesiedelt ist.

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Es gibt in der Forschung bisher keine eindeutige Antwort darauf, in welcher Form das Schreiben besonders lernförderlich ist. Zu berücksichtigen sind hier immer die konkreten Lernziele, die Fähigkeiten und Erfahrungen der Schüler:innen und der Kontext, in dem das entsprechende Schreibwerkzeug eingesetzt wird. Man kann hier zum Beispiel unterscheiden zwischen den Phasen des Schreibenlernens und des Schreibenkönnens.

… wenn wir schreiben lernen

Das Schreiben von Hand erfordert eine Vielzahl von Bewegungsabläufen, die für die Entwicklung von Feinmotorik und kognitiven Fertigkeiten wichtig sind. Im Vergleich zum Tippen auf einer Tastatur werden beim Handschreiben durch die Gleichzeitigkeit vielfältiger motorischer und visueller Tätigkeit bestimmte Gehirnregionen aktiviert (Van Der Meer & Van Der Weel, 2017). Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass das Handschreiben auch einen positiven Einfluss auf Rechtschreibkompetenzen hat. Auch mit neuen digitalen Möglichkeiten spielt das Erlernen der Handschrift deshalb weiter eine wichtige Rolle.

Mehrere Studien zeigen, dass der Untergrund, auf dem das erste Schreiben passiert, dabei von Bedeutung ist (Alamargot & Morin, 2015; Gerth, Dolk et al., 2016, Gerth, Klassert et al., 2016). Schreibanfänger:innen scheinen auf der rutschigen Tablet-Oberfläche Schwierigkeiten in der Ausführung von Schreibbewegungen zu haben, weil es mehr Kontrolle erfordert. Durch die fehlende Reibung zwischen Stift und Papier muss man mehr Druck aufbringen. Kinder, für die das Schreiben neu ist, können hierbei Schwierigkeiten haben.

Mit Schreiberfahrung fällt es älteren Schüler:innen aber leichter, ihre Bewegungen der Displayoberfläche entsprechend anzupassen (Alamargot & Morin, 2015). Einige Studien zeigen, dass auf dem Tablet meist schneller geschrieben wird, die Lesbarkeit jedoch etwas schlechter ist als beim Schreiben auf Papier. Auch das ist unter anderem mit der geringeren Reibung beim Schreiben auf dem Display zu erklären (Gerth, Dolk et al., 2016, Gerth, Klassert et al., 2016).

Verschiedene Tablet-Apps können eine sinnvolle Ergänzung zum „traditionellen“ Schreibenlernen bieten. Besonders Kinder, deren graphomotorische Fähigkeiten weniger stark ausgeprägt sind, können hier mit gezielten Übungen Fortschritte machen. Anwendungen, die bspw. Rückmeldung zu der Ausführung bestimmter Schreibbewegungen geben, können auf individuelle Bedürfnisse eingehen und somit das eigenständige Erlernen der Handschrift unterstützen (Bonneton-Botté et al., 2020; Dui et al., 2020).

… wenn wir schon schreiben können

Wenn wir schon schreiben können, stellt sich eher die Frage, welche Form des Schreibens sich gut für welche Ziele eignet. Studien, die diesen Zusammenhang untersuchen, vergleichen dabei meist das Handschreiben mit Stift und Papier mit dem Tastaturschreiben. Sie konzentrieren sich dabei weniger auf das Tablet, das mit seinen unterschiedlichen Eingabemethoden (Stift, Bildschirmtastatur und externe Tastatur) nicht immer eindeutig zuzuordnen ist.

  • Schreiben zum Lernen neuer Inhalte. Darüber, ob bestimmte Schreibwerkzeuge zu mehr Lernerfolg führen, können Forschende noch keine eindeutige Aussage machen. Beispielsweise zeichnen die Ergebnisse mehrerer Metaanalysen, die die Lernförderlichkeit von handschriftlichen und getippten Lern-Notizen vergleichen, ein gemischtes Bild (ein Überblick in Flanigan et al., 2024). Einige Befunde deuten jedoch darauf hin, dass mit handschriftlichen Notizen bessere Lernergebnisse (z. B. behaltene Informationen, Testergebnisse, Noten) erzielt werden können. Hierfür kann es verschiedene Gründe geben (siehe beispielsweise Flanigan et al., 2023, 2024; Lau, 2020; Voyer et al., 2022). Es wird angenommen, dass das Schreiben von Hand zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Inhalt führt als das Tippen mit einer Tastatur. Das liegt daran, dass die Schreibgeschwindigkeit beim Handschreiben geringer ist als beim Tastaturschreiben und Notizen damit nicht den Wortlaut wiedergeben können, sondern stärker zusammenfassen und paraphrasieren müssen. Wenn man sich also beispielsweise im Unterricht Notizen macht, muss man beim Mitschreiben von Hand mehr gedankliche Eigenleistung erbringen. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass handschriftliche Notizen tiefer verarbeitet werden und man Inhalte so besser behält. Auch können lernförderliche Elemente wie Skizzen, Mindmaps, Diagramme etc. in handschriftlichen Notizen besser erstellt werden. Andere Erklärungen beziehen mit ein, dass beim Mitschreiben mit Tastatur auch immer ein digitales Gerät involviert ist, das mit Internetzugang und vielfältigen Programmen eine Quelle für größere Ablenkung darstellen kann. Allerdings können sich viele verschiedene Faktoren darauf auswirken, wie gut welche Schreibwerkzeuge eingesetzt werden können, beispielsweise die zu lernenden Inhalte, Lernziele, ob die Notizen überarbeitet oder wiederholt werden können, etc. Auch beziehen sich viele dieser Studien auf studentische Gruppen, sodass nicht gesichert ist, ob bei Schüler:innen ähnliche Effekte zu erwarten sind.
  • Schreiben zum Erstellen von Texten. Für das Verfassen längerer Texte kann es hilfreich sein, mit einer Tastatur zu schreiben. Das schnellere Schreiben ist hier von Vorteil. Während die vereinfachte Motorik des Tippens beim Schreibenlernen ein Hindernis ist, ist sie hier ein Vorteil: Erfahrene Schreiberinnen können dadurch mehr mentale Kapazität für die Textkomposition aufbringen (Hennes et al. , 2022). Digitales Schreiben – sowohl mit einer Tastatur als auch mit einem entsprechenden Stift auf einem Tablet – vereinfacht zudem das Be- und Überarbeiten von Texten und ermöglicht eine multimediale Aufbereitung von Inhalten (Stapelton, 2012). Damit besteht die Chance, Schülerinnen kollaborativ arbeiten zu lassen und ihre digitalen Kompetenzen zu fördern.

Fazit

Es gibt nicht die eine, besonders lernförderliche Form des Schreibens. Stift und Papier bleiben wichtig, besonders für das Erlernen der Handschrift. Eine Integration digitaler Anwendungen ist aber in vielen Lernsituationen sinnvoll und kann individuelle Lernprozesse unterstützen.

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

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Durch die wachsende Verbreitung von Technologien mit denen Lernende in virtuelle Welten eintauchen können, steigt nicht nur das Interesse an pädagogisch sinnvollen Konzepten, sondern es stellen sich auch ethische Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung von Virtual Reality (VR). Die aktuelle Forschung zum Themenkomplex Ethik und VR in der Schulbildung befasst sich sowohl mit der Mikroebene der einzelnen Schüler:innen und ihren individuellen Lernprozessen, mit Datenschutz- und Sicherheitsfragen mit Relevanz für Lehrkräfte, als auch mit der Makroebene der gesellschaftlichen Herausforderungen durch die Nutzung der Technologien. Diese Ergebnisse lassen sich nach Skulmowski (2023) zu den folgenden vier Prinzipien für eine ethisch vertretbare Nutzung von VR-Technologien in der Bildung bündeln:

Prinzip 1: Einhaltung der inhaltlichen Passung

Lehrkräfte nutzen Technologien oft in der Hoffnung, ein besonderes Lernerlebnis bieten zu können und das Interesse an den Inhalten zu erhöhen. Dieser Gedanke wird auch durch einige Forschungsergebnisse bestätigt, doch reichen diese Effekte häufig nicht aus, um auch die Lernleistung zu erhöhen (z. B. Makransky et al., 2021). Es gibt allerdings auch Belege, dass sich VR für Lerninhalte eignet, die man entweder aufgrund eines hohen (Kosten-)Aufwands nicht vor Ort betrachten kann oder bei denen Aspekte sichtbar gemacht werden können, die der Wahrnehmung sonst verborgen blieben (Dalgarno & Lee, 2010).

Die Grundüberlegung bei der Nutzung von VR sollte darum sein, ob man die Vorteile der Technologie zur Vermittlung des Stoffes nutzt (Mayer et al., 2023). Zu bedenken ist, dass viele Gestaltungsfaktoren mit einer bestimmten kognitiven Belastung einhergehen (für eine Übersicht, siehe Makransky & Petersen, 2021). So muss für die Verwendung einer interaktiven Simulation zunächst die Bedienung erlernt werden, bevor man sich dem eigentlichen Lerninhalt widmen kann (siehe auch Skulmowski & Xu, 2022). Daher ist es essenziell zu analysieren, ob eine Anwendung eine Ablenkung vom eigentlichen Inhalt darstellt (Mayer et al., 2023). Eine Nutzung von VR im Unterricht bloß zur Abwechslung oder um durch den Neuheitswert Interesse zu generieren, sollte auch aus ethischer Perspektive abgewogen werden. Sofern sich durch eine Analyse der VR-Anwendungen keinerlei kognitive Vorteile, dafür aber ablenkungsbedingte Nachteile abzeichnen (siehe Skulmowski & Xu, 2022), ist fraglich, ob eine Nutzung mit dem ethischen Prinzip des Vermeidens von Schaden in Einklang gebracht werden kann. Daher gehört zur ethischen Nutzung von VR immer eine genaue Auseinandersetzung mit den Inhalten und der Präsentation einer VR-Anwendung.

Prinzip 2: Bewusstsein für Exklusionsrisiken

Durch die Komplexität virtueller Lernszenarien können Eigenschaften von Lernenden eine stärkere Wirkung entfalten. Aus empirischen Studien wird z. B. ersichtlich, dass Lernende mit einer hohen Fähigkeit auf dem Gebiet des räumlichen Denkens von realistischen virtuellen Modellen profitieren, während sich hierdurch die Leistung von Lernenden mit geringer sogar verschlechtern kann (Huk, 2006). Daher ist es ratsam, auf diese Vorbedingung zu achten und ggf. alternative Lernmaterialien anzubieten, die z. B. nicht ohne Beschränkung dreh- und bewegbar sind. Eine weitere Bedingung für die Verwendung von VR im Unterricht ist es, über gesundheitliche Folgen wie Schwindel und Übelkeit aufzuklären („Motion Sickness“). Lehrkräfte sollten auch für diesen Fall geeignete Alternativen bereitstellen.

Prinzip 3: Erhalt der Autonomie

VR eignet sich sehr gut für die Schaffung einprägsamer Erfahrungen. In der Literatur wird jedoch verstärkt das Risiko einer Abnahme der Autonomie der Lernenden hervorgehoben. In jedem Fall sollten Lehrkräfte zum Erhalt der Autonomie darauf achten, dass Lernumgebungen keine manipulativen Komponenten enthalten (Skulmowski, 2023; Slater et al., 2020). VR-Welten bieten durch ihre lebensnahe und teilweise hochrealistische Anmutung ein viel größeres Potenzial, Lernende zu beeinflussen, als andere Medien (Skulmowski, 2023; Slater et al., 2020). So könnte eine VR-Umgebung beispielsweise so gestaltet sein, dass die Interaktion mit einer bestimmten Personengruppe immer positive Folgen hat, die Interaktion mit einer anderen Gruppe jedoch vorwiegend negativ abläuft. Dies könnte leicht Vorurteile und negative Stereotypen erzeugen. Auch sollte der Realismusgrad veränderbar sein, um eine kritische Distanz zu den Inhalten bewahren zu können (Slater et al., 2020). So kann vermieden werden, dass Schüler:innen die Inhalte ohne weiteres Nachdenken akzeptieren und sich nicht weiter mit ihnen auseinandersetzen.

Gleichzeitig ist es denkbar, dass die Glaubwürdigkeit von virtuellen Lernmedien höher ausfällt, wenn Schüler:innen keine Anzeichen für eine Beeinflussung entdecken können. Hierbei entsteht ein komplexes Spannungsfeld zwischen dem Wunsch von Lehrkräften, ihren Schüler:innen bestimmte Inhalte, Werte und Überzeugungen zu vermitteln, hierbei aber nicht auf eine autonomiegefährdende Methode zu setzen.

Prinzip 4: Sicherung des Datenschutzes

Das Ausmaß der durch VR-Geräte ermöglichten Datensammlung wird oft verkannt. Aktuelle VR-Geräte erfassen die Position des Geräts und der dazugehörigen Steuerelemente, und somit auch Verhaltensdaten. Basierend darauf können weitere Analysen vorgenommen werden, z. B. wie zögerlich Lernende sind, wie gewissenhaft sie arbeiten oder wie erfolgreich sie die Lernziele erreichen. Aus diesen Analysen lassen sich detaillierte Persönlichkeitsprofile zusammenstellen (Skulmowski, 2023).

Insbesondere bei der Nutzung von Geräten oder Anwendungen, welche Daten der Nutzenden in Länder mit geringem Datenschutzniveau versenden, können sich vielfältige Nutzungsszenarien der Daten ergeben, wie z. B. der Weiterverkauf an Recruitingdienstleister:innen (Skulmowski, 2023). Daher ist für eine ethische Nutzung geboten, dass den Schüler:innen keine Chancen durch im späteren Lebensweg negativ wirkenden Daten verbaut werden.

Berücksichtigen Lehrkräfte die oben beschriebenen Prinzipien bei der Planung ihres Unterrichts mit VR-Technologie, können sie davon ausgehen, dass wesentliche ethische Aspekte der Nutzung von VR-Technologie in der Schule abgedeckt sind.

Dieser Beitrag ist in ausführlicher Form auch als schule-mal-digital.de-Kurzbeitrag Wie lässt sich Virtual Reality ethisch vertretbar im Unterricht einsetzen? im Rahmen des Themenschwerpunkts Lernen und Unterrichten mit Virtual und Augmented Reality erschienen. Er wurde vom Redaktionsteam von schule-mal-digital.de und des Zukunftsraums betreut.

Vertiefung

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Jun.-Prof. Dr. Alexander Skulmowski

Alexander Skulmowski ist Juniorprofessor für Digitale Bildung an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und dort stellvertretender Leiter des Instituts für Informatik und digitale Bildung. Als Pädagogischer Kognitionswissenschaftler untersucht er die Lernförderlichkeit digitaler Bildungsmedien sowie die ethischen Implikationen neuester Technologien. Mit seiner Forschung trägt er dazu bei, die Chancen und Risiken der Digitalisierung differenziert zu analysieren, empirisch zu untersuchen und theoretisch zu kontextualisieren. Sein Fokus liegt dabei auf den kognitiven Effekten von Lernmedien.

Researchgate

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Virtual Reality im Unterricht: Warum?

Virtual Reality (VR) eröffnet ihren Nutzenden Wege neuen Lernens. Im Gegensatz zu anderen Medienformen setzt sie auf eine multidimensionale Vermittlung – kombiniert Text, Klang und Bild zu einer interaktiv betretbaren, aber vor allem mit ihr interagierbaren Welt. Die darin präsentierten Themen und Inhalte können durch diesen handlungsorientierten Zugang nachhaltig verankert und durchdrungen werden, da sie an selbstständig gemachte Erfahrungen angebunden werden. Angesichts dessen bieten VR-Anwendungen – auch schon für den Primarstufenunterricht – vielfältige Bildungs- und Lernpotenziale, die sich in verschiedenen fachdidaktischen und pädagogischen Vermittlungskontexten einsetzen lassen.

Sollten Grundschulkinder nicht lieber authentische Erfahrungen machen statt virtueller?

Diesem Vorurteil begegnet man in der Medienpädagogik und -didaktik oftmals – nicht nur im Kontext der unterrichtlichen Einbindung von Virtual Reality, sondern auch bei der Mediennutzung allgemein. Der entsprechende Forschungsdiskurs ist in diesem Artikel ausführlich erläutert. Statt eines Gegeneinander sollte jedoch eher auf ein lernförderliches Miteinander gesetzt werden, denn: VR eröffnet Kindern u. a. Erfahrungsräume, die sie in der realen Welt nur unter großem personellen oder aber finanziellen Aufwand in der Schule sammeln könnten, wie beispielsweise ein Kurztrip zu den Pyramiden oder ein Besuch der Mona Lisa im Louvre. Primärerfahrungen in der „echten“ Welt ermöglichen hingegen ein authentisches Erleben unserer Umwelt, unserer Natur, unseres Zusammenlebens. Beide Erfahrungsräume ermöglichen folglich andere Dinge, weshalb man sich als Lehrkraft nicht die Frage stellen sollte, ob man mit dem einen oder dem anderen arbeitet, sondern vielmehr: Was macht vor dem Hintergrund des zu erreichenden Lernziels in meiner spezifischen Lerngruppe gerade am meisten Sinn? Welche Vorteile bietet die eine Variante gegenüber der anderen? Nur dann lässt sich abwägen, welcher Erfahrungsraum gerade lernförderlich ist.

Welche technischen Herausforderungen treten speziell in der Grundschule auf?

Dadurch, dass die Nutzenden in der Primarstufe meistens noch recht klein sind, treten vor allem hardwarespezifische Probleme auf, auch manche Steuerungstechnik ist oftmals noch nicht ganz leicht. Bezüglich der Hardware kann es sein, dass die VR-Headsets manchen Kindern noch zu groß sind und ihnen die Brillen von den kleinen Nasen rutschen. Mit entsprechenden Headsets-Einsätzen und Kopfbänden, die oftmals mitgeliefert werden, können die Headsets jedoch mit ein wenig Übung so eingestellt werden, dass sie auch schon Erstklässler:innen passen. Dazu sollte gerade bei unerfahrenen Kindern viel Zeit zum Ausprobieren eingeplant werden, sodass sie sich langsam mit der Steuerung vertraut machen können. Die Bewegungssteuerung ist zumeist kein Problem – wir beobachten am Zentrum für didaktische Computerspielforschung immer wieder, dass sich Kinder viel natürlicher in virtuellen Räumen bewegen und zurechtfinden als Erwachsene das tun, da sie intuitiv mehr ausprobieren. Morph-Bewegungen erfordern jedoch ein wenig Training, sodass es empfehlenswert ist, dass Anwendungen mit Morph-Steuerung gemeinsam mit den Kindern auszuprobieren und erst dann in individuelle Arbeitsphasen überzuleiten. Bei der Morph-Steuerung bewegen sich nicht die Anwendenden, sondern der Raum. Mithilfe eines Controllers werden einzelne Punkte im Raum angewählt, an welchen die Spielenden dann gebeamt werden und sich der entsprechende Raumausschnitt verändert.

Welche didaktischen Herausforderungen treten speziell in der Grundschule auf?

Am Zentrum für didaktische Computerspielforschung (kurz: ZfdC) wird in vielfältigen Forschungsprojekten untersucht, wie zukunftsweisende Bildungstechnologie schon heute in den Unterricht integriert werden kann und wie sich Bildung angesichts einer sich stetig wandelnden Lebenswelt mit- und weiterentwickeln muss, um weiterhin zeitgemäß und lebensweltorientiert zu bleiben.
Didaktische Herausforderungen im aktuellen Primarstufenunterricht liegen beispielsweise in der lernförderlichen Integration interaktiver Medienformen, der Abwägung zwischen realweltlichen oder medieninitiierten Erfahrungsformen oder der Gestaltung inklusiver Vermittlungssettings mithilfe digitaler Tools. Daher liegen unsere Forschungsschwerpunkte aktuell u.a. in der Untersuchung erfahrungsbasierter Settings, der kognitiven Aktivierung durch mediale Formate oder der Umsetzung von lernförderlichen Gelingensbedingungen mithilfe von Eyetracking, Apps, Games, VR und KI.

Dr. Lisa König

Dr. Lisa König ist Direktorin des Zentrums für didaktische Computerspielforschung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und leitet gemeinsam mit ihrem Kollegen Prof. Dr. Jan M. Boelmann alle Belange des ZfdC. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte als Literatur- und Mediendidaktikerin liegen u. a. in der Untersuchung medial-literarischer Lernprozesse, der Literaturvermittlung mithilfe interaktiver Medien sowie der empirischen Bildungsforschung.

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Neue Schwerpunkte für den Fremdsprachenunterricht

Viele klassische Lernprodukte des Fremdsprachenunterrichts können mittlerweile schnell und effizient durch Künstliche Intelligenz (KI) erledigt werden, beispielsweise Textzusammenfassungen sowie Erstellung von Texten und anderem Content. Wenn man sich fragt, was dann in Zukunft im Fremdsprachenunterricht überhaupt noch vermittelt werden muss, ist das Verständnis von dem, was Kommunikation ausmacht, entscheidend. Reale zwischenmenschliche Kommunikation beschränkt sich nicht auf den Austausch sprachlicher Zeichen, sondern ist durch emotionale und pragmatische Aspekte geprägt (Grünewald, 2019). Die Kommunikation in der Fremdsprache findet in einem spezifischen Kontext statt, der kulturelle und interkulturelle Kenntnisse und Fertigkeiten erfordert.

Durch den zunehmenden Einsatz von KI ergeben sich daher neue fachliche Schwerpunktverschiebungen für den Fremdsprachenunterricht. Stärkere Wichtigkeit erlangen insbesondere folgende Lerninhalte:

  • emotionale Aspekte der Kommunikation (z.B. Tonfall, Prosodie, Empathie, Affekt, zwischenmenschliche Konflikte)
  • pragmatische Aspekte der Kommunikation (z.B. Angemessenheit, Höflichkeit, Ironie und Humor, kontextabhängige Funktion von Wörtern)
  • kompetenter und kritisch-reflexiver Umgang mit KI-Werkzeugen

Fokussierung auf den Lernprozess

Doch nicht nur die Inhalte verändern sich, sondern der gesamte Fokus des Fremdsprachenunterrichts. Zukünftige Aufgabenstellungen sollten nicht mehr ausschließlich auf die Erstellung von Produkten oder das Wiedergeben von Wissen ausgerichtet sein, da Lernende mithilfe von KI-Werkzeugen hochwertige Textprodukte (Schrift, Film, Audio) einreichen können. Zukünftig ist das Hauptaugenmerk eher der Lernprozess, während die Qualität des Lernproduktes an zweite Stelle rückt.

Konkret könnten die Schüler:innen lernen, die KI-Werkzeuge kompetent einzusetzen und zu begründen, warum bestimmte Texte übernommen oder verworfen wurden. Die Auseinandersetzung mit KI-Texten sollte dafür in den Fokus gerückt werden, beispielsweise indem Übersetzungen mit DeepL nicht einfach übernommen werden, sondern vielmehr nach alternativen pragmatischen und idiomatischen Formulierungen gesucht wird, die die Lernenden selbst formulieren oder aus einem reichen Angebot des Programms wählen können. Neue sprachliche Strukturen, die durch die KI-Texte eingeführt werden, sollten von der Lehrkraft im Unterricht aufgegriffen und bewusst gemacht werden. Wichtiges Ziel ist dabei, dass die Lernenden KI-generierte Texte so weit verstehen, dass sie sie selbst überprüfen können statt blind der automatischen Übersetzung zu vertrauen.

Links zu praxiserprobten Ideen für die Unterrichtsgestaltung finden sich unten im Bereich Vertiefung.

Medienkompetenz der Lehrenden

Die Integration von KI-Werkzeugen in den Fremdsprachenunterricht erfordert die Förderung einer kritisch-reflexiven Medienkompetenz der Lehrenden. Dazu gehört die Reflexion von Phänomenen wie dem Bias bei Chatbots, ebenso auch die Überprüfung des Wahrheitsgehaltes von KI-generierten Inhalten (Stichwort Faktencheck und Fake News) oder auch die Verwendung von KI-Werkzeugen im Kontext von Prüfungen im Bildungswesen und die damit verbundenen Fragen der Autorschaft (z.B. bei der Nutzung von ChatGPT oder bei Nutzung von Ki-basierten Werkzeugen zum Zusammenfassen von Textinhalten).

Entsprechende Fortbildungen werden auch im Teilprojekt „Entwicklung und Evaluation digitaler Fortbildungsmodule zum Einsatz von KI-Tools im Französischunterricht“, das im Kompetenzverbund lernen:digital im Verbundprojekt DiSo-SGW angesiedelt ist, erstellt.

Bias bei Chatbots

Bias bezeichnet Verzerrungen in den Antworten eines Chatbots, die durch unausgewogene Trainingsdaten entstehen können. Beispielsweise gibt es eine Tendenz, moderne Inhalte gegenüber historischen Themen zu bevorzugen, da das Internet als Hauptquelle der Trainingsdaten dient und mehr aktuelle als historische Informationen enthält. Solche Verzerrungen in den Trainingsdaten können zu Diskriminierung und Rassismus führen. Die Intransparenz von Chatbot-Antworten und den dahinter liegenden KI-Algorithmen birgt Risiken, die den Missbrauch durch Fake News oder Deep Fakes begünstigen können, wenn sie von den Nutzenden nicht erkannt werden können.

Prof. Dr. Andreas Grünewald
Andreas Grünewald

Andreas Grünewald ist Professor für Didaktik der romanischen Sprachen an der Universität Bremen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind der Fremdsprachenunterricht mit digitalen Medien, Film und Kurzfilm sowie die Erforschung von fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen. Er ist wissenschaftlicher Leiter der Klett-Akademie für Fremdsprachendidaktik und verantwortlicher Herausgeber der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung (ZFF). Aktuell leitet er das Teilprojekt „Entwicklung und Evaluation digitaler Fortbildungsmodule zum Einsatz von KI-Tools im Französischunterricht“, das im Kompetenzverbund lernen:digital im Verbundprojekt DiSo-SGW angesiedelt ist. 

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie vertiefende Links und Literatur zum Thema.

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Was versteht man unter Digital Divide?

Digitale Medien können den Unterricht interaktiver, effektiver und spannender machen, wenn sie didaktisch sinnvoll eingesetzt werden. Dann sind sie ein Beitrag dazu, sich auch in einer digital geprägten Welt sicher zu bewegen. Für diejenigen, die erschwerte Zugangsmöglichkeiten zum Internet und zu digitalen Geräten haben, kann die digitale Unterrichtsgestaltung jedoch zu einer ausgrenzenden Erfahrung werden. Um dies zu beschreiben, wird der Begriff des Digital Divide (dt. Digitale Kluft) verwendet.

Der Digital Divide beschreibt Unterschiede zwischen Personen, Bevölkerungsgruppen oder Ländern im Zugang und in der Nutzung von (digitalen) Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere in Bezug auf das Internet. Während manche Menschen täglich problemlos mit verschiedenen Geräten und Zielen online sind, verfügen andere kaum über diese Möglichkeiten oder nötige Kompetenzen.

Oft werden drei Ebenen beschrieben, auf denen sich ein Digital Divide zeigen kann:

  1. First-Level Digital Divide: Differenzen im Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien (auch Geräte und Software/Apps), insbesondere Internetzugang
  2. Second-Level Digital Divide: Differenzen in den Fähigkeiten mit Informations- und Kommunikationstechnologien umzugehen und Unterschiede in deren Nutzung (wie oft/lange werden welche Anwendungen benutzt)
  3. Third- oder Zero -Level Digital Divide: Differenzen in den Ergebnissen oder Auswirkungen der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (z.B. in sozialen, ökonomischen, politischen oder bildenden Bereichen) bzw. auch durch algorithmische Systeme bedingte Unterschiede

Vielfältige Faktoren (sozial, ökonomisch, kulturell etc.) können solche digitalen Kluften entstehen lassen oder sie vergrößern. Mit dem immer weiter voranschreitenden Grad der Digitalisierung einer Gesellschaft besteht die Gefahr, dass sich diese Kluft noch mehr weitet und bestehende soziale Ungleichheiten im Digitalen weiter verstärkt statt vermindert werden. Das ist besonders problematisch, da es zunehmend grundlegende Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Gerechtigkeit oder der politischen Teilhabe beeinflusst.

Wie betrifft der Digital Divide Schule und Unterricht?

Davon bleibt auch der schulische Bildungskontext nicht verschont. Schülerinnen und Schüler auf einer Seite der Kluft können nicht so selbstverständlich oder erfolgreich in der digitalen Welt navigieren wie andere, besitzen vielleicht keine eigenen Geräte oder haben zu Hause nicht die Möglichkeit oder Unterstützung, sich im digitalen Bereich auszuprobieren. Infolgedessen haben sie es auch schwerer, an digitalen Lehr- und Lernformaten zu partizipieren oder die für eine zunehmend digitale Gesellschaft notwendigen digitalen Skills zu erwerben und laufen dadurch Gefahr, weiter abgehängt zu werden.

Große internationale und repräsentative Schulvergleichsstudien wie die ICILS 2018 (International Computer and Information Literacy Study) befassen sich neben dem Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien, deren Nutzung und verbundenen Motivationen auch mit den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Jugendlichen. Dabei geht es um die Fähigkeiten, digitale Technologien zu nutzen, um Informationen zu gestalten, kommunizieren, recherchieren und zu bewerten und dadurch erfolgreich am privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Insbesondere in Bezug auf diese digitalen Kompetenzen tut sich laut der ICILS 2018 in Deutschland eine große herkunftsbezogene digitale Kluft unter Schüler:innen auf: Über 40% der Schüler:innen aus Familien mit niedrigem kulturellem Kapital verfügen nur über sehr grundlegende oder rudimentäre computer- und informationsbezogene Kompetenzen – bei Kindern aus Familien mit hohem kulturellem Kapital liegt dieser Anteil unter 20%. Der Zugang und die Nutzung digitaler Medien hingegen werden inzwischen weniger durch die soziale Herkunft bedingt.

Dies zeigt, dass Kinder und Jugendliche nicht zwangsläufig gut mit digitalen Medien umgehen können, weil sie mit ihnen aufgewachsen sind. Die sogenannten Digital Natives mögen vielleicht ein intuitiveres Verständnis für digitale Medien besitzen – der Digital Divide verdeutlicht jedoch, dass diese Annahme auch eine falsche Selbstverständlichkeit beinhaltet. Die Vermittlung von digitalen Kompetenzen unter Berücksichtigung dieser Kluft als ein Schulbildungsziel ist ein wichtiger Bestandteil, um Chancen- und Bildungsgerechtigkeit zu verwirklichen.

Vertiefung

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