Wie gestalten wir die Zukunft des Fremdsprachenunterrichts angesichts von Künstlicher Intelligenz?
Neue Schwerpunkte für den Fremdsprachenunterricht
Viele klassische Lernprodukte des Fremdsprachenunterrichts können mittlerweile schnell und effizient durch Künstliche Intelligenz (KI) erledigt werden, beispielsweise Textzusammenfassungen sowie Erstellung von Texten und anderem Content. Wenn man sich fragt, was dann in Zukunft im Fremdsprachenunterricht überhaupt noch vermittelt werden muss, ist das Verständnis von dem, was Kommunikation ausmacht, entscheidend. Reale zwischenmenschliche Kommunikation beschränkt sich nicht auf den Austausch sprachlicher Zeichen, sondern ist durch emotionale und pragmatische Aspekte geprägt (Grünewald, 2019). Die Kommunikation in der Fremdsprache findet in einem spezifischen Kontext statt, der kulturelle und interkulturelle Kenntnisse und Fertigkeiten erfordert.
Durch den zunehmenden Einsatz von KI ergeben sich daher neue fachliche Schwerpunktverschiebungen für den Fremdsprachenunterricht. Stärkere Wichtigkeit erlangen insbesondere folgende Lerninhalte:
- emotionale Aspekte der Kommunikation (z.B. Tonfall, Prosodie, Empathie, Affekt, zwischenmenschliche Konflikte)
- pragmatische Aspekte der Kommunikation (z.B. Angemessenheit, Höflichkeit, Ironie und Humor, kontextabhängige Funktion von Wörtern)
- kompetenter und kritisch-reflexiver Umgang mit KI-Werkzeugen
Fokussierung auf den Lernprozess
Doch nicht nur die Inhalte verändern sich, sondern der gesamte Fokus des Fremdsprachenunterrichts. Zukünftige Aufgabenstellungen sollten nicht mehr ausschließlich auf die Erstellung von Produkten oder das Wiedergeben von Wissen ausgerichtet sein, da Lernende mithilfe von KI-Werkzeugen hochwertige Textprodukte (Schrift, Film, Audio) einreichen können. Zukünftig ist das Hauptaugenmerk eher der Lernprozess, während die Qualität des Lernproduktes an zweite Stelle rückt.
Konkret könnten die Schüler:innen lernen, die KI-Werkzeuge kompetent einzusetzen und zu begründen, warum bestimmte Texte übernommen oder verworfen wurden. Die Auseinandersetzung mit KI-Texten sollte dafür in den Fokus gerückt werden, beispielsweise indem Übersetzungen mit DeepL nicht einfach übernommen werden, sondern vielmehr nach alternativen pragmatischen und idiomatischen Formulierungen gesucht wird, die die Lernenden selbst formulieren oder aus einem reichen Angebot des Programms wählen können. Neue sprachliche Strukturen, die durch die KI-Texte eingeführt werden, sollten von der Lehrkraft im Unterricht aufgegriffen und bewusst gemacht werden. Wichtiges Ziel ist dabei, dass die Lernenden KI-generierte Texte so weit verstehen, dass sie sie selbst überprüfen können statt blind der automatischen Übersetzung zu vertrauen.
Links zu praxiserprobten Ideen für die Unterrichtsgestaltung finden sich unten im Bereich Vertiefung.
Medienkompetenz der Lehrenden
Die Integration von KI-Werkzeugen in den Fremdsprachenunterricht erfordert die Förderung einer kritisch-reflexiven Medienkompetenz der Lehrenden. Dazu gehört die Reflexion von Phänomenen wie dem Bias bei Chatbots, ebenso auch die Überprüfung des Wahrheitsgehaltes von KI-generierten Inhalten (Stichwort Faktencheck und Fake News) oder auch die Verwendung von KI-Werkzeugen im Kontext von Prüfungen im Bildungswesen und die damit verbundenen Fragen der Autorschaft (z.B. bei der Nutzung von ChatGPT oder bei Nutzung von Ki-basierten Werkzeugen zum Zusammenfassen von Textinhalten).
Entsprechende Fortbildungen werden auch im Teilprojekt „Entwicklung und Evaluation digitaler Fortbildungsmodule zum Einsatz von KI-Tools im Französischunterricht“, das im Kompetenzverbund lernen:digital im Verbundprojekt DiSo-SGW angesiedelt ist, erstellt.
Bias bei Chatbots
Bias bezeichnet Verzerrungen in den Antworten eines Chatbots, die durch unausgewogene Trainingsdaten entstehen können. Beispielsweise gibt es eine Tendenz, moderne Inhalte gegenüber historischen Themen zu bevorzugen, da das Internet als Hauptquelle der Trainingsdaten dient und mehr aktuelle als historische Informationen enthält. Solche Verzerrungen in den Trainingsdaten können zu Diskriminierung und Rassismus führen. Die Intransparenz von Chatbot-Antworten und den dahinter liegenden KI-Algorithmen birgt Risiken, die den Missbrauch durch Fake News oder Deep Fakes begünstigen können, wenn sie von den Nutzenden nicht erkannt werden können.
Prof. Dr. Andreas Grünewald

Andreas Grünewald ist Professor für Didaktik der romanischen Sprachen an der Universität Bremen. Seine Arbeitsschwerpunkte sind der Fremdsprachenunterricht mit digitalen Medien, Film und Kurzfilm sowie die Erforschung von fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen. Er ist wissenschaftlicher Leiter der Klett-Akademie für Fremdsprachendidaktik und verantwortlicher Herausgeber der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung (ZFF). Aktuell leitet er das Teilprojekt „Entwicklung und Evaluation digitaler Fortbildungsmodule zum Einsatz von KI-Tools im Französischunterricht“, das im Kompetenzverbund lernen:digital im Verbundprojekt DiSo-SGW angesiedelt ist.
Vertiefung
In diesem Bereich finden Sie vertiefende Links und Literatur zum Thema.
Weiterführende Links
- Diskussionsbeitrag der Klett-Akademie für Fremdsprachendidaktik zu KI-Tools und deren Relevanz für Schule, Unterricht und Lehrer:innenbildung (Positionspapier)
- Künstliche Intelligenz im Fremdsprachenunterricht: Kann Vieles erleichtern (Blogbeitrag vom 19. Dezember 2022 im Blog „Ingerfeld + Laube“ von Iris Laube)
- KI für den Unterricht – Links, Ideen, Ressourcen, Einsatzideen für ChatGPT & Co (Padlet von Alicia Bankhofer unter CC-BY-NC Lizenz)
- ChatGPT im Unterricht (Fremdsprachen) – 25 Praxisbeispiele für ChatGPT als Lern- und Unterrichtsassistent (Blogbeitrag vom 20. Januar 2023 im Blog „lernen.digital“ von Hauke Pöhlert)
- KI im Unterricht: Unterrichtsideen, Kopiervorlagen, Podcast und Webinare zu künstlicher Intelligenz (Cornelsen Verlag Berlin)
- Künstliche Intelligenz im Fremdsprachenunterricht: Unterrichtliche Beispiele für den Spanischunterricht (Klett Akademie für Fremdsprachendidaktik)
Quellen