Audio-Interview13. Juni 2025von ‎‎ ‎‎ Tamara Schilling, ‎ Maren Gebhardt und Dr. Irina Brich mit Philipp WetzelLaufzeit: 24 Minuten

Mittanzen! KI als Gruppenmitglied im kooperativen Sportunterricht

Künstliche Intelligenz und Sportunterricht scheinen auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen. Wie beides doch zusammenfinden kann, zeigt Studienrat Philipp Wetzel von der Pädagogischen Hochschule Freiburg in seiner Studie im Sportunterricht. Er erforscht, wie ChatGPT in kooperative Gruppenlernprozesse für das Tanzen als Teammitglied integriert werden kann. Er beobachtet dabei auch, wie unterschiedlich die Schüler:innen mit der KI interagieren.

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Takeaways
  • KI als Anpassungshelfer: Eine KI mit Sprachein- und ausgabe ermöglicht heterogenen Schüler:innengruppen sich die Inhalte im Sportunterricht adaptiv im Rahmen eines Dialogs zu erschließen, wenn das Modell entsprechend mit Inhalten und Interaktionsmöglichkeiten präpariert wurde.

  • KI-Benutzung als Antrieb für Kooperation: Das gemeinsame Bedienen der KI mit mehreren Gruppenmitgliedern ist herausfordernd und muss erst in sozialen Aushandlungsprozessen und mit Einüben der der relevanten Interaktionsformen erschlossen werden.

  • Neue Rolle der Lehrkraft: Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Vorbereitung des (kooperativen) KI-Settings, bei der die Lehrkraft die passenden Inhalte in das KI-Modell einspeist und die adaptive Interaktion konfiguriert. Dadurch kann sie in den Gruppenarbeitsphasen im Sportunterricht mehr in den Hintergrund treten. Diese neue Rolle erlaubt es Schüler:innen-Gruppen Bewegungen in einer ungezwungenen und freien Atmosphäre ohne die Lehrkraft zu üben.

Heute sprechen wir über KI-Modelle zur Sprachverarbeitung und darüber, wie diese in kooperative Lernprozesse im Sportunterricht integriert werden können. Ich bin Tamara Schilling und als Gast ist heute Studienrat Philipp Wetzel hier. Schön, dass Sie da sind.

Philipp Wetzel: Hallo, herzlich willkommen und vielen Dank!

Sie sind abgeordneter Lehrer für die Fächer Sport, Geografie und Informatik und als solcher für die Forschung im Verbundprojekt KuMuS-ProNeD an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg freigestellt. Sie arbeiten zum kooperativen Lernen mit digitalen Tools und fokussieren die Integration von Large Language Models, also ChatGPT, in Lernprozesse in der Gruppe im Sportunterricht. Zunächst habe ich eine grundlegende Frage an Sie: Wie unterscheidet sich kooperatives von individuellem Lernen und was sind Besonderheiten im Sportunterricht?

Philipp Wetzel: Das kooperative Lernen ist gekennzeichnet durch eine Zielstruktur. Ich organisiere also den Lernprozess und überlege mir, wie das Ziel im Sportunterricht erreicht werden soll: allein, miteinander oder gegeneinander. Das ist die grundlegende Idee dabei und daraus hat sich ein ganzer Methoden-Mix ergeben, mit dem man versucht diese Zielstrukturen zu erreichen.

Das kooperative Lernen zeichnet sich durch fünf Merkmale aus. Neben den Grundvoraussetzungen wie einem face-to-face, also einem Gegenübersein im Raum, ist das besondere, dass man beim kooperativen Lernen im Gegensatz zum Gruppenlernen positive Abhängigkeit hat – positive Interdependenz – individuelle Verantwortung und Freiraum für Entscheidungen.

Vor diesem Hintergrund möchten wir uns Ihrer Forschung in diesem Bereich widmen. In Ihrem Projekt untersuchen Sie, wie ChatGPT als eigenständiges Teammitglied in solche kooperativen Lernprozesse im Sportunterricht integriert werden kann. Woher stammt die Idee ChatGPT auf diese Weise einzusetzen?

Philipp Wetzel: Das war ein Prozess. Zunächst hat Anne-Christin Roth (Pädagogische Hochschule Freiburg) mir den Freiraum geboten wirklich offen zu schauen, was eine digitale Innovation sein könnte, die im Handlungsbezug adaptives Lernen fördert. Das kam zeitlich zusammen mit der Veröffentlichung des Sprachmodus von ChatGPT. Dadurch wurde mir klar: Jetzt ist die Technik so weit. Ich kann KI bzw. Large Language Models nicht nur über Texteingabe mit Tastatur am Schreibtisch nutzen, sondern auch in der Sporthalle direkt über die Sprachein- und -ausgabe. Das kommt nochmal ein Stück näher an direktes Interagieren heran. Damit war ich dann neugierig, wie es aussehen könnte mit einer künstlichen Intelligenz (KI) als Teammitglied Lernprozesse zu strukturieren und zu inszenieren.

Können Sie hier ein bisschen genauer beschreiben, was Sie dann jetzt unternommen haben, um diese Idee umzusetzen.

Philipp Wetzel: Zunächst war es wichtig einen Prototyp zu erstellen. Das haben wir mit der Funktion MyGPTs umgesetzt. So ein vorkonfiguriertes GPT sieht so aus, dass man Textdateien, Materialien für den Unterricht, Lernplakate, Stundenabläufe oder Bewertungsschemata hochlädt und der KI damit sozusagen zur Verfügung stellt. Außerdem schreibt man eine Konfigurationsdatei, in der steht, wie sich der Sprachassistent verhalten soll. Damit hat man Steuerungsmöglichkeiten, um den Unterricht selbst zu gestalten, und das habe ich dann ausprobiert. Als Erstes brauchten wir noch eine Sportart und da das Kooperative schon von Anfang an mitgedacht worden ist, war es für mich sinnbildlich dann auch den Tanz zu verwenden.

Wichtig ist noch, dass wir im Zuge dessen erstmal weiter entwickelt haben. Allein GPT zur Verfügung zu stellen hat nicht gereicht, sondern wir haben auch die Inhalte auf einer Homepage zugänglich gemacht und diese dann mit dem GPT verlinkt. Dadurch kann die KI auch sagen, „wenn du ein Video sehen möchtest, kannst du auf der Homepage nachschauen“.  Aus dem Chat kann man dann direkt den passenden Link anklicken. So hat es sich entwickelt die KI als Metamedium einzusetzen, das hilft durch die Lernmaterialien zu navigieren und das Lernenden einen individuellen und adaptiv aufbereiteten Zugang ermöglicht.

Das war ein Entwicklungsprozess mit vier bis fünf Iterationen, in dem wir mit vier bis fünf Studierendengruppen verschiedene Sportarten, Unterrichtsettings und auch kooperative Lernspiele ausprobiert haben. Letztendlich sind wir dann aber für den Schulversuch beim Tanzen geblieben. Wir haben es ein bisschen an das Curriculum hier angepasst und dann mit Unterrichtsmaterialien für Jumpstyle (Musik- und Tanzstil) ein Jumpstyle-GPT erstellt, mit dem wir an die Schule gegangen sind.

Sie bringen mit Ihrem Hintergrund verschiedene Perspektiven mit für diesen Entwicklungsprozess. Erklären Sie doch einmal, welche das sind und wie diese geholfen haben ChatGPT als Metamedium in kooperativen Lernprozessen im Sportunterricht einzusetzen.

Philipp Wetzel: Einerseits habe ich die Lehrerperspektive. Ich habe Geografie, Sport und Informatik studiert und schaue auch mit den Inhalten dieser drei Fächer auf die Möglichkeit KI im Unterricht einzusetzen. Aus meiner zweiten Perspektive als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rahmen von KuMus-ProNeD möchte ich eine Fortbildung für Lehrkräfte oder Ausbilder:innen entwickeln. Aus meiner dritten persönlichen Perspektive möchte ich als Forschender einen Zugang finden, kooperative Lernprozesse in Kleingruppen zu analysieren und da eine Methodenkompetenz zu entwickeln.

Für mich als Sportlehrer war kooperatives Lernen immer schon ein attraktives Format, auch den Sportunterricht zu gestalten. Und auch kooperative Lernziele, bei denen alle gemeinsam versuchen gegen die Zeit ein Ziel zu erreichen, habe ich als besonders gewinnbringend für Klassenzusammenhalt und Lernatmosphäre empfunden. Sicherlich kommen da auch meine Erfahrungen mit dem Tanz hinzu. Ich habe selbst gerne getanzt und im Studium im Tanzen-Schwerpunktfach begeisternde Inhalte erlernt, die ich gerne vermittle. Das passt gut zusammen und war sicherlich grundlegend aus dieser Lehrerperspektive.

Als Informatiklehrer habe ich mich schon immer für Digitalisierungsprozesse interessiert und diese Neugierde hat mich angetrieben. Aus dieser Informatiklehrer-Perspektive habe ich begeistert Entdeckungen gemacht: Zum Beispiel, dass es bei KI, die auf neuronalen Netzen basiert und über Wahrscheinlichkeiten Inhalte erzeugt, Tokens gibt (Die kleinsten Einheiten in die Text zur Verarbeitung zerlegt wird), die mit Metainformationen versehen werden können. Diese Tokens können dann durch generative KI zusammengeführt werden, sodass sinnhafte oder für uns sinnvolle Texte dabei herauskommen.

Die Geografielehrer-Perspektive bringt immer noch das Thema Nachhaltigkeit und ethische Fragen mit rein. Je länger ich mich damit befasse, umso mehr merke ich, dass uns doch Grundlagen fehlen, also Rahmenbedingungen, die langfristig ein nachhaltiges Wirken und Nutzen von dieser Technologie ermöglichen. Der AI-Act ist sicherlich jetzt ein wichtiger Baustein gewesen und auch die Datenschutzgrundverordnung. Aber es braucht für die neu generierten Inhalte und das Lernen konkret, glaube ich, auch an den Hochschulen, Schulen und in den Bildungsinstitutionen Strukturen, die dieses neu generierte Wissen auch einordnen können.

 

„… kooperative Lernziele, bei denen alle gemeinsam versuchen gegen die Zeit ein Ziel zu erreichen, habe ich als besonders gewinnbringend für Klassenzusammenhalt und Lernatmosphäre empfunden.“

Philipp Wetzel

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem Auftrag eine Lehrerfortbildung zu entwickeln, habe ich für mich den Anlass gesehen erstmal selbst Lehrerfortbildungen zu besuchen, bevor ich überhaupt mit der Themenentscheidung so weit war. So habe ich gesehen, dass vor einem Jahr die Stimmung bezüglich weiterer Digitalisierung sehr aufgeladen war und das Thema KI als bedrohlich empfunden wurde. Erstens ist diese Technologie nach wie vor eine Black Box und es ist eine große Herausforderung nachvollziehbare, verstehbare und erklärbare KI-Prozesse abzubilden, um Vertrauen in die Inhalte entwickeln zu können. Das ist, glaube ich, wesentlich und dafür, dass das zurzeit nicht gegeben ist, haben die Lehrer:innen auch ein feines Gespür. Auch mit den Schüler:innen erleben sie Digitalisierung oft von einer negativen Seite, mit Suchtverhalten, starken Ablenkungen oder nicht-kontrollierten Räumen.

Anne-Christin Roth von  den Sportwissenschaften hier in Freiburg hat über die Einstellung von Lehrkräften gegenüber Digitalisierung geschrieben. Dort kommen häufig Metaphern wie: „Wir werden von der Lawine überrollt“ oder „Da sind die Kinder in dem Raum ja gefangen”. Es sind also Bilder, in denen man sich den Prozessen und den Strukturen, die mit Digitalisierung einhergehen, ausgeliefert fühlt. Das ist keine gute Grundlage damit kreativ oder spielerisch zu arbeiten oder Entdeckerfreude zu haben.

 

Ich würde gerne noch konkreter werden: Was bedeutet es ChatGPT in diese kooperativen Lernprozesse einzubringen? Können Sie uns anhand von ein, zwei konkreten Beispielen erzählen, was für Besonderheiten aufgetreten sind und wie Sie, Lehrkräfte oder Schüler:innen damit umgegangen sind?

Philipp Wetzel: Die erste Erfahrung, die ich sammeln durfte, war, dass ich mit dem iPad in der Hand vor der Klasse stand, die ChatGPT App öffnete und sagte: „Hallo ChatGPT, kannst du dich melden und die Gruppe begrüßen“ und die Antwort bekam „Ich habe zurzeit technische Probleme“. Vor der Lerngruppe damit umzugehen war natürlich herausfordernd. Da solche technischen Probleme immer wieder auftauchen, sei es die WLAN-Verbindung, die Server Kapazität oder das iPad selbst, ist das, trotz des erleichterten Interfaces, nach wie vor herausfordernd.

Wenn es dann klappt, sieht man erstmal wirklich Kichern und Erstaunen. Eine Verunsicherung macht sich breit, weil da eine Stimme spricht, die so menschlich klingt und die so wortgewandt ist, dass man erstmal verblüfft ist, wie man denn jetzt damit umgehen soll. Ich habe auch von Schülern gehört, die dann gesagt haben: „Wow, die/der kann aber toll sprechen.“ Gerade in heterogenen Gruppen auch eine Ressource oder eine Quelle zu haben, die angepasst auf die Spracheingaben antworten kann, ist erstmal beeindruckend. Das lässt dann irgendwann auch nach und dann beginnt eine Phase der Erprobung, in der man versucht damit zu scherzen oder erste Aufforderungen zu formulieren. Zum Beispiel haben Schüler:innen gesagt: „Bitte beginne jeden Satz mit ‘Hey Baby’“, und dann sagt ChatGPT „Hey Baby, wie kann ich dir helfen“. Also da wird viel ausprobiert.

„Gerade in heterogenen Gruppen auch eine Ressource oder eine Quelle zu haben, die angepasst auf die Spracheingaben antworten kann, ist erstmal beeindruckend. “

Philipp Wetzel

Hatten Sie den Eindruck, dass es auch Akzeptanzprobleme gibt? ChatGPT kommt quasi als neues Mitglied in die Gruppe. Wie wird damit umgegangen?

Philipp Wetzel: Wir haben eher auf die Schülerseite geschaut. Die Lehrkräfte haben nicht selbst unterrichtet, sondern wir haben den Unterricht durchgeführt. Aber wir haben allgemein die Rückmeldung von den Lehrkräften bekommen, dass die Schüler das wollen. Ein Interesse ist also da. ChatGPT zu nutzen entspricht auch den Alltagserlebnissen der Schüler:innen und es hat funktioniert.

Das war ja auch die große Frage: Schaffen wir es überhaupt über eine Unterrichtseinheit von 3 Stunden Unterrichtsinhalte zu vermitteln, die hinterher ein Ergebnis, in dem Fall eine Choreografie, hervorbringen? Das hat geklappt, allerdings nicht in allen Gruppen. Wir haben Gruppen gehabt, in denen wir das iPad in der zweiten Stunde beiseitegelegt haben, weil es bzw. ChatGPT nicht mehr genutzt worden sind. Schüler:innen sind bei den Videos hängen geblieben, weil es bekannt und einfach war. Sich gerade Bewegungsabläufe zu erarbeiten, die nur in Textform beschrieben werden, ist viel herausfordernder und schwieriger.

Auch das Prompten, also das Einsprechen einer Frage, ist im Gruppensetting für viele Schüler:innen mit weniger Selbstbewusstsein herausfordernd. Sich dort zu öffnen und den Mut zu haben das Wort zu ergreifen, ist nicht einfach. Klar kann man das dann lösen, wenn man ein 1:1-Setting ermöglicht, indem man sagt, ein Teil der Gruppe übt, ein anderer befragt die KI. Aber trotzdem gibt es da diesen Digital Divide. Es zeigt sich auch hier, je stärker ich meine Kompetenzen im Umgang mit Medien schon entwickelt habe, oder auch im Artikulieren, umso mehr bekomme ich raus. Wenn ich das nicht kann, brauche ich Unterstützung. Diese Unterstützung von den Lehrkräften oder Gruppenmitgliedern zu bekommen ist dann auch wichtig.

„… trotzdem gibt es da diesen Digital Divide. Es zeigt sich auch hier, je stärker ich meine Kompetenzen im Umgang mit Medien schon entwickelt habe, oder auch im Artikulieren, umso mehr bekomme ich raus. Wenn ich das nicht kann, brauche ich Unterstützung.“

Philipp Wetzel

Wie war denn die Interaktion der Lernenden, wenn sie mit ChatGPT umgegangen sind?

Philipp Wetzel: Wir haben einen Rahmen gesetzt, in dem es einerseits Informationsaufträge gibt, also die Aufgabe Informationen einzuholen. Außerdem gab es den Versuch, Übungsabläufe mit ChatGPT zu gestalten, und Reflexionsphasen.

Beim Informieren gibt es erstmal einen Arbeitsauftrag wie: „Finde heraus, was das heutige Stundenziel ist.“ Diese Dialoge waren häufig gut möglich. Also man fragt: „Was wollen wir heute machen?“, dann sagt ChatGPT „Wir wollen einen Tanz lernen, der heißt Jumpstyle. Möchtest du einen Achterbogen kennenlernen?“Die Gesprächsführung ist hier innerhalb dieses Jahres, in dem ich ChatGPT einsetze, immer besser geworden. ChatGPT lernt schnell und viel dazu und hat Strategien entwickelt einen Dialog aufrechtzuerhalten.

Zu direkten Interaktionsmöglichkeiten der Schüler:innen, ist mir noch eingefallen – manche haben sehr rational und kurz angebunden einfach gesagt: „Was ist das Thema?“, oder, „Thema nennen“. Sie haben also eine Art Computerbefehlscode-Struktur verwendet und sind effektiv schnell zu Antworten gekommen. Andere fangen an sich in langen, normalen Wortketten zu äußern, die häufig zu technischen Problemen führen, weil zum Beispiel ChatGPT abbricht, wenn man eine Pause macht. Hier muss man auch lernen, dass man durch Druck auf den Bildschirm das weitere Zuhören von ChatGPT erzwingen kann. Das sind Verhaltens- und Interaktionsformen, die man dann erst lernen muss. Auch der Lautstärkeregler wurde in der Turnhalle viel bedient. Man wollte auf der einen Seite ChatGPT gut verstehen, aber gleichzeitig möchte man die Nachbargruppe nicht stören oder man möchte nicht, dass der Lehrer mitbekommt, was ChatGPT gerade antwortet. Es gibt also so eine Art Öffentlichkeit, die durch die laute Antwort von ChatGPT entsteht, aber auch das Bedürfnis nach Schutz oder Privatsphäre.

Neben den Informationsaufträgen hatten wir auch noch Übungs- und Reflexionsprozesse im Unterricht. Wenn man Tanzen übt und eine Schrittfolge auswendig lernt, spricht man sie mit. Die Besonderheit hier ist, dass man das Mitsprechen der Bewegung beim Tanzen auch rhythmisch anpassen muss. Wenn ich einfach nur den normalen Text spreche, dann komme ich aus dem Takt und kann die Bewegung nicht mitgestalten. Die Idee war, dass ChatGPT auch die Bewegungsanweisung so vorspricht, dass man sich gleich mitbewegen kann. Teilweise ist das gelungen. Wir hatten dann lustige Bilder, dass die Gruppe schon mitgearbeitet hat während ChatGPT noch die Bewegungsabfolge erklärt. In manchen Gruppen führte das automatisch zu einem synchronen Verhalten. Häufig war aber die Sprechgeschwindigkeit oder die Phrasierung dann nicht passend zum Rhythmus.

Eine Herausforderung war auch herauszufinden, wie man diese Bewegungsanweisung möglichst kurz gestaltet. Es gab Dialoge, um herauszufiltern, wie man eine komplexe Bewegungsbeschreibung auf wenige Stichpunkte wie Tap, Sprung, Sidestep herunterbrechen und in eine Reihenfolge bringen kann, die man sich merken und auch mit ChatGPT üben kann.

Zum Beispiel ist auch interessant, dass die Schüler:innen beim Üben, während sie mit ChatGPT im Dialog waren, mit den Fingern nebenher die Fußbewegungen ausprobiert haben. Einerseits wegen dieses Gedankens „Ich will noch nicht gesehen werden, wenn ich unsichere Schritte mache und übe das erstmal im Kleinen für mich“. Andererseits auch, weil es gut ging parallel zuzuhören und sich dazu zu bewegen. Das liefert auch Freiräume, die man mit einer Lehrperson so nicht hat. Wenn mir die Lehrperson etwas erklärt und ich mich dazu gleich bewege – was natürlich immer wieder passiert – ist es eher gehemmter. Mit der KI in der Kleingruppe entsteht schon eine andere Lernatmosphäre als mit der Lehrperson.

„Mit der KI in der Kleingruppe entsteht schon eine andere Lernatmosphäre als mit der Lehrperson.“

Philipp Wetzel

Beim Reflektieren hatten wir die Überlegung: Wie kann man Reflexionsprozesse mit der gegebenen Technik bereichern? Wir haben lange gebraucht, um zum Beispiel auf die Idee zu kommen, ChatGPT erst ein kurzes Interview führen zu lassen. GPT stellt drei bis vier Fragen zum Verlauf des Unterrichts, dazu was die Schüler:innen erlebt haben, und hinterher zeichnet es ein metaphernartiges Bild von den geschilderten Unterrichtsszenen. Mit der Möglichkeit Bilder erstellen zu lassen, kann man das Erlebte oder Geschilderte nochmal anders aufbereiten.

Diese Bilder konnte man sich zeigen, was viele Gesprächsanlässe geboten und das Reflektieren angeregt hat – allerdings war das auch langwierig. Wenn es um Reflexionsprozesse im Sportunterricht geht, kommt immer diese „Bewegungszeit versus Denkzeit“-Debatte ins Spiel und eigentlich geht es ja um Lernzeit. Insofern ist dieses Argument mit der Bewegungszeit im Sportunterricht nur bedingt gültig, weil es uns um Lernzeit geht und die war auf jeden Fall gegeben. Aber natürlich ist die berechtigte Frage: Wenn man schon in der Sporthalle ist, sollte man dort dann nicht auch den Räumlichkeiten gerecht werden und die Bewegung ermöglichen? Das ist ein Punkt, bei dem es ums Fachverständnis geht. Was ist denn Sportunterricht in Zeiten von Digitalisierung? Wie sieht da ein zeitgemäßer Sportunterricht aus?

Spannend ist auch zu sehen, was mit der Autorität passiert, die einem durch das bereitgestellte Wissen verliehen wird. Wir sehen, dass in den Gruppen häufig auch die Personen, die lauter sind oder sich eine Führungsrolle wünschen oder nehmen, auch das iPad einfach nehmen und damit kontrollieren, was eingesprochen wird oder nicht. Damit steuern sie auch den Gruppenprozess stark. Dann gibt es Aushandlungsprozesse, bei denen das iPad weggenommen wird oder bei denen zwei Personen gleichzeitig Eingaben machen. Dann gibt es Konflikte, dass das abgewehrt wird, oder auch besonders harmonische Zusammenarbeitsformen, dass man gleichzeitig das iPad bedient.

Da zeigt sich allein durch den Umgang mit dem Gerät schon viel kooperatives Verhalten. Ich glaube auch da wieder, dass positive Gruppenstrukturen verstärkt werden. Aber wenn kein gutes Gruppengefühl da ist oder wenn einige sehr dominant auftreten oder eher weniger dominant sind, können auch diese Aspekte verstärkt werden.

Der Einsatz von KI im Unterricht wird oft mit dem Versprechen verbunden, dass Lehrkräfte mehr Zeit haben. Gleichzeitig bringt ChatGPT aber auch neue Herausforderungen mit sich: technische Betreuung aber auch die Gestaltung der Lernprozesse selbst. Wie beeinflusst das alles die Rolle, aber auch die Aufgaben der Lehrkraft im kooperativen Lernen mit ChatGPT?

Philipp Wetzel: Es gibt dieses Versprechen eines „wir haben dann mehr Zeit für das Wesentliche“, aber ich glaube, das ist aktuell nicht so. Wir haben weniger Zeit, weil wir mit vielen technischen Fragen und Herausforderungen konfrontiert sind, die wir managen müssen. Also neben der Lehrperson und den vielen Rollen, die sie hat, hat sie jetzt noch auch noch die Technikbetreuungsrolle.

Aber bei kooperativem Lernen ist es auch schon so: Idealerweise schafft es die Lehrperson, Lernprozesse so anzustoßen, dass diese mit der Lehrperson eher im Hintergrund und nicht im Vordergrund stattfinden können. Also mit der Lehrkraft als einer Person, die das ganze kuratiert, den Raum und die Voraussetzungen gestaltet und die im Blick hat, welche Einflüsse über die Medien oder jetzt zum Beispiel über das vorkonfigurierte ChatGPT gegeben werden. Da kommt für Lehrkräfte die neue Aufgabe hinzu, sich Gedanken zu machen, wie meine KI mit den Lernenden umgehen soll und welcher Ton und Sprachstil verwendet werden soll. Oder welche inhaltlichen Hilfestellungen oder Anregungen sollen gegeben werden? Sollen komplexe oder einfache Antworten gegeben werden? Das kann man alles mit bedenken – es wird dann doch sehr umfangreich.

Was ich persönlich für mich festgestellt habe: Weniger ist mehr. Das ist auch ein Learning gewesen: je stärker man versucht Details in den Abläufen zu konfigurieren, umso fehleranfälliger wird das Ganze. Ein offenes Setting erleichtert das Gelingen der Lernprozesse im Vergleich zum Versuch wirklich genau im Detail festzuschreiben, was da passiert.

Da sehe ich auch im größeren Bild einen Zusammenhang. Es gibt die Idee adaptive, personalisierte, individualisierte Lernpfade mit KI zu gestalten und ich habe das Gefühl, das mag bei manchen Inhalten gut sein, aber so ein Setting im Sportunterricht lebt doch von der Gruppe oder vom Miteinander. Ich glaube, auch in Bezug auf die Motivation ist es häufig weniger einfach mit einer Maschine, die mich genau versteht, langfristig zu lernen, als in einer Gruppe. In der Gruppe habe ich dann doch bedeutsame Beziehungen, aus denen ich Motivation schöpfe, mich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.

Für die Erprobung und die Entwicklung von Didaktik und passenden Inhalten zum Erlernen mit ChatGPT bedarf es unbedingt Freiräume das zu tun. Ich merke, wenn ich an die Schulen oder die Landesinstitute komme, ist das Thema stark unter Druck. Ich glaube, dieser Druck, Ergebnisse zu liefern, beziehungsweise das jetzt noch on top zu machen, verhindert gute Lösungen zu finden. Was ich für mich merke: Es braucht Raum das zu entwickeln und vor allen Dingen keine falschen Illusionen.

„… je stärker man versucht Details in den Abläufen zu konfigurieren, umso fehleranfälliger wird das Ganze. Ein offenes Setting erleichtert das Gelingen der Lernprozesse.“

Philipp Wetzel

Ich möchte abschließend noch einen kleinen Blick in die Zukunft werfen mit der Frage, ob Sie irgendwelche Wünsche oder Anregungen haben für Ihre eigene Forschung oder auch den Transfer solcher innovativen Arbeiten in die Schulpraxis?

Erstmal ein großes Dankeschön an lernen:digital und das Projekt KuMuS-ProNeD, dass sie mitgedacht haben Lehrkräfte und Menschen aus der Praxis als Brückenbauer mit reinzunehmen. Genau diese Verknüpfung bzw. Vernetzung zwischen den Hochschulen, Schulen und auch Weiterbildungszentren zu fördern ist wichtig, um das evidenzbasierte Lernen in die Schulen zu tragen. Diese Visionen von „Alles wird leichter, besser, und schöner” sind, glaube ich, wenig hilfreich. Diese Utopien und Dystopien helfen uns nicht weiter, sondern es braucht dann doch den Mut andere Dinge wegzulassen und einen klaren Blick auf das, was hilft.

Die Angemessenheit des Technikeinsatzes finde ich hier wesentlich. Also zu schauen, an welchen Stellen haben wir die Ressourcen das mit einer guten Qualität umzusetzen und wo hätte der Einsatz eher negative Effekte, wenn er nur schnell und nicht mit genügend Ressourcen oder Überlegungen stattfindet. Da kann ich mir Sport als Schutzraum vor Digitalisierung genauso gut vorstellen, wie ausgewählte digitalisierte Räume in jeglichem Sinne, zum Lernen, auch Bewegungslernen, mit KI.

Sie hatten ja danach gefragt, was ich mir wünsche oder was mich noch antreibt. Ich hoffe, dass der Rahmen, den wir jetzt liefern können, in dem sich Interaktionsprozesse mit KI in Gruppensettings beobachten lassen, aufgegriffen und genutzt wird, um weitere didaktische Konzepte zu entwickeln und einen fachgerechten Umgang damit zu finden. Denn aktuell sind die Voraussetzungen für die Fortbildungsinhalte, die ich entwickelt habe, für die Lehrkraft in der Praxis vermutlich noch nicht gegeben, also in der Sporthalle ohne Internet, ohne iPad, ohne die Zeit eigene GPTs zu Konfigurieren oder die Möglichkeit sich da intensiv einzuarbeiten.

„… wir brauchen Räume und Strukturen um vorzudenken, wie die KI in ein, zwei, drei Jahren aussehen wird. Wir sollten jetzt Strukturen aufbauen mit Lehrkräften vor Ort in den Schulen, in den Fortbildungszentren und an den Hochschulen. “

Philipp Wetzel

Ich glaube, wir brauchen Räume und Strukturen um vorzudenken, wie die KI in ein, zwei, drei Jahren aussehen wird. Wir sollten jetzt Strukturen aufbauen mit Lehrkräften vor Ort in den Schulen, in den Fortbildungszentren und an den Hochschulen. Damit wir nicht dieses „Schwedenerlebnis” haben, bei dem wir alles digitalisieren, die iPads in die Klassen geben und die Bücher zu Hause lassen, um das dann wieder zurückdrehen zu müssen und zu sagen: „Nein, Bücher haben auch eine Berechtigung und die negativen Aspekte, die haben wir unterschätzt.“ Um zu vermeiden, dass sich das wiederholt mit KI, sollten wir vorausschauend Erprobungsräume öffnen, um dann mit ausgereiften didaktischen Konzepten in die Fläche zu gehen. Auch konkret erlebe ich es jetzt, dass Fortbildungen nicht angenommen werden können, weil die Lehrkräfte keine Ressourcen haben. Wir haben viele Fortbildungen mit geringen Teilnehmerzahlen, obwohl das Interesse schon vorhanden ist.

Einen für mich begeisternden Aspekt habe ich erlebt, als ich als Lehrkraft im Plenum ChatGPT geschildert habe: „Wir haben uns im Unterricht schon fünf der zehn Schritte erarbeitet und wollen nächste Woche schon in die Choreografie einsteigen, wie machen wir denn jetzt weiter?“. Dann hat ChatGPT geantwortet: „Dann könnt ihr ja die Methode des Gruppenpuzzles weiterverwenden”. Daraufhin habe ich mich als Lehrkraft erinnert, dass das in den Materialien enthalten war und dass das an dieser Stelle passen könnte. Dieses gemeinsame Erlebnis zu haben, auch als Lehrkraft weitere Inspiration für meinen Unterricht durch den Chatbot zu bekommen, das war schön.

Vielen Dank!

Dieser Beitrag ist zuerst auf schule-mal-digital.de im Rahmen des Themenschwerpunkts Heterogenität im Klassenzimmer − Lernwege individuell und adaptiv gestalten erschienen. Er wurde vom Redaktionsteam von schule-mal-digital.de und des Zukunftsraums betreut. 

Philipp Wetzel

Philipp Wetzel ist Studienrat mit den Fächern Sport, Geographie und Informatik und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Sportwissenschaft und Sport an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Digitalisierung und Kooperatives Lernen sowie die Entwicklung von Fortbildungen zum Einsatz von generativer KI als Metamedium im Sportunterricht.

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

‎‎ ‎‎ Tamara Schilling

Tamara Schilling gehört zum Redaktionsteam von schule-mal-digital.de, das im Rahmen von KuMuS-ProNeD zur Wissenschaftskommunikation  des Kompetenzverbund lernen:digital beiträgt. Sie arbeitet am Leibniz-Institut für Wissensmedien als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Translation und Dissemination von KuMuS-ProNeD. Zuvor arbeitete sie an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe im Fach Deutsch an der Konzeption von innovativen Lehr-Lern-Settings zur Förderung von digitalisierungsbezogenen Kompetenzen von (angehenden) Lehrkräften. Dort studierte sie Lehramt (Deutsch, Kunst und Mathe). Nach ihrem 1. Staatsexamen schloss sie ihr Studium in Heidelberg mit einem Master in Bildungswissenschaften ab.

‎ Maren Gebhardt

Maren Gebhardt gehört zum Redaktionsteam des Zukunftsraums, der zur Wissenschaftskommunikation des Kompetenzverbund lernen:digital beiträgt. Sie arbeitet am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Forschungsbasierter Transfer zum Einsatz digitaler Medien in der Lehre. Sie studierte Germanistik und Altphilologie in Tübingen sowie Kunsterziehung an der Bauhaus Universität Weimar (Erstes Staatsexamen). Sie unterrichtete an Schulen und Hochschulen und gestaltete in Kommunikationsagenturen außerschulische Lernorte sowie Unterrichtsmedien mit der Spezialisierung auf die Zielgruppe Lehrkräfte und Bildungsakteur:innen.

Dr. Irina Brich

Irina Brich gehört zum Redaktionsteam des Zukunftsraums, der zur Wissenschaftskommunikation des Kompetenzverbund lernen:digital beiträgt. Sie arbeitet am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Forschungsbasierter Transfer zum Einsatz digitaler Medien in der Lehre. Sie studierte Psychologie and der Universität Tübingen mit den Schwerpunkten Wissens-, Kommunikations- und Medienpsychologie und promovierte (2020, Uni Tübingen/IWM) über die kognitiv vorteilhafte Gestaltung der Interaktion von Mensch und innovativer Technologie. Weiter forschte sie zu Verstehensprozessen bei Comics und zur Wahrnehmung von Risiken im Umgang mit KI.