
Für mich gemacht! Ein Blick in die Zukunft von Digitalität und Differenzierung im Unterricht
Digitale Medien bieten großes Potential, um auf die Vielfalt im Klassenzimmer einzugehen. In Schulpraxis und Bildungsforschung entstehen spannende Zukunftsvisionen für adaptive Unterrichtskonzepte und individuelle Lernwege. In unserem Community Call am 21. Mai 2025 haben wir mit unseren Gästen in die Zukunft geschaut: Wo geht die (Lern-)Reise hin? Dieser Beitrag gibt eine kurze Zusammenfassung des Gesprächs.
Vielfalt kann Lernen ungemein bereichern, bringt aber auch Herausforderungen für die Unterrichtsgestaltung mit sich. Im Community Call erläutert die Wissenschaftlerin Kordula De Kuthy, wie solche Heterogenität im Klassenzimmer aussieht: Schüler:innen unterscheiden sich in ihrem Wissen, ihren Kompetenzen, Sprachfähigkeiten, kognitiven Eigenschaften, Interessen, ihrer Motivation und auch ihrem soziokulturellen Hintergrund. Schule möchte all diesen Schüler:innen den gleichen Zugang zu Bildung ermöglichen, muss sich in der Realität aber oft die Frage stellen, wie das gehen soll.
Eine Antwort darauf sind Differenzierung und Adaptivität, also Lernprozesse an individuelle Eigenschaften anzupassen. Dies kann mit Zukunftstechnologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) jetzt ganz neue Formen im Klassenzimmer annehmen.
Der Grundschullehrer Johannes Wolz berichtet, wie seine Grundschüler:innen jetzt schon individuelle Lernwege beschreiten, auf denen sie in eigenem Tempo und am Ort ihrer Wahl arbeiten, sodass dabei auch unterschiedliche Formen von Zusammenarbeit entstehen. Digitale Lernportale und KI-Tools, über die individuelle Aufgaben zugeteilt werden können und die im besten Fall automatisch Lernstände erfassen und sofort Rückmeldung geben können, sind für ihn eine große Hilfe zur Gestaltung solcher Lernwege. Die Entlastung und Zeitersparnis, die solche digitalen Lernsysteme versprechen, weil sie beim Korrigieren oder Feedback geben unterstützen, machen sie zu einem wertvollen Teil zukünftiger Unterrichtsgestaltung. Auch, dass Schüler:innen auf ihrem Niveau abgeholt werden und dadurch schneller in einen Lernflow kommen ist für ihn ein Zugewinn. Bei der Auswahl des richtigen Tools stoßen Lehrkräfte allerdings oft auf Bezahlschranken oder haben mit ihrer mangelnden Erfahrung oder zu großem Angebot zu kämpfen. Hier ist noch immer viel Eigeninitiative gefragt.

„Da sind Lehrkräfte noch auf sich allein gestellt. […] Ich probiere Sachen aus und nehme sie einfach mit in die Klasse und mach dann mal. Aber viele trauen sich gar nicht, das auszuprobieren und wissen auch gar nicht, was es überhaupt alles gibt und was alles möglich ist. Und wenn ich höre, was alles auch schon in der Forschung und Entwicklung ausprobiert wird, denke ich oft, da kommt vieles in Schulen noch gar nicht an.“
Lerngemeinschaften aus Wissenschaftler:innen, Studierenden und Lehrkräften, wie die Forscherin Silke Mikelskis-Seifert sie zusammenbringt, können hier beitragen, solche adaptiven digitalen Lernumgebungen bedürfnis- und praxisgerecht gemeinsam zu gestalten und zu erproben. Solche Lerngemeinschaften sind eine wichtige Brücke zwischen Forschung und Praxis und erhöhen die Chance, dass Lernumgebungen auch wirklich sinnvoll im Unterricht genutzt werden. Aus Mikelskis-Seiferts Erfahrung müssen im Prozess sowohl Lehrkräfte für Qualitätsmerkmale solcher Lernumgebungen sensibilisiert und mit eigenen Entwicklungskompetenzen ausgestattet werden als auch Schüler:innen im Arbeiten mit ihnen trainiert werden.

„… dann sehen wir aus der Forschung, dass Schüler:innen nicht per se mit gestuften Lernhilfen arbeiten können. […] Auch können sie nicht per se mit einer sehr digitalen und auch multimedialen Lernumgebung umgehen […], das muss auch entsprechend trainiert werden. Darum haben wir das erste Augenmerk daraufgelegt, dass die Lehrkräfte hier erstmal Kompetenzen erwerben, um solche sehr multimedialen Lernhilfen zu entwickeln.“
Eine Erfahrung, die auch Johannes Wolz aus seiner Praxiserfahrung teilen kann. Gerade in den unteren Klassenstufen muss sehr intensiv und kleinschrittig geübt werden, mit digitalen Geräten umzugehen. Kinder starten schon mit unterschiedlichen Voraussetzungen und auch lernen nicht alle mit solchen Umgebungen gleich. Zu den Erkenntnissen von Frau Mikelskis-Seifert gehört auch, dass Schüler:innen dabei vor allem kognitiv aktiviert werden sollten und das kann besonders mit neuartigen Aufgaben gelingen.
Neuartige Aufgabenstellungen, individuelle Lernpfade und dementsprechend differenzierten Unterricht versprechen auch Zukunftstechnologien, wie intelligente Tutor-Systeme oder KI-Anwendungen, mit denen sich Kordula De Kuthy beschäftigt. Sie hat sowohl an einem adaptiven System zum Wirtschaftsunterricht (Projekt ALEE), das Lernmaterialien und -aufgaben sprachlich differenziert anbietet, als auch an einem intelligenten Tutor-System im Englischunterricht (FeedBook) mit Fokus auf individuellem Feedback geforscht. Essenziell bei der Entwicklung solcher Anwendungen sieht sie die Adressierung von spezifischen Fragestellungen und dass Inhalte und Aufgaben eng an der Domäne und auch an Lehrplänen ausgerichtet sein müssen. Nur so haben sie überhaupt eine Chance in die Schulen zu kommen. Es braucht also oft sehr individuelle (und dadurch auch aufwändige) Lösungen. Hier ist zur Entwicklung auch wieder die Expertise von Lehrkräften gefragt.
KI kann ebenfalls bei der Entwicklung der notwenigen Lernmaterialien unterstützen, wie z. B. bei den lernbarrierefreien und stereotyparmen Lernumgebungen mit Comics, die Silke Mikelskis-Seifert entwickelt. Hier werden evidenzgestützt nicht nur die Comics nach individuellen Vorlieben von beispielsweise Jungen und Mädchen gestaltet, um ansprechendes Material zeigen zu können, sondern es wird auch sprachlich differenziert, um so barrierearm gestuftes und selbstreguliertes Lernen zu ermöglichen.
Solche Systeme einzusetzen und damit mehr zu differenzieren, trifft allerdings auch auf Bedenken: Gibt es sowas wie zu viel Differenzierung und könnten dadurch nicht auch bestehende Unterschiede größer werden?

„…bei adaptiven Systemen wird jeder individuell gut gefördert, aber das heißt dann, die Starken werden wahrscheinlich immer stärker, aber die Hoffnung ist, dass auch die Schwächeren in ihren Fähigkeiten optimal gefördert werden. Das heißt natürlich nicht, dass sie nachher vielleicht genauso stark sind. Also adaptieren führt nicht dazu, dass dann alle nachher gleich gut sind.“
Die Speaker:innen im Community Call sind sich daher einig, dass ein gezielter Einsatz von technologiegestützter Differenzierung durch die Lehrkraft wichtig ist. Bestimmte Lerninhalte, wie das Vokabel- oder Grammatiklernen im Sprachunterricht, können gut von adaptiven Systemen gestützt werden, sodass mehr Zeit für andere Unterrichtsaspekte bleibt – z. B. für Interaktion. Denn bei aller Anpassung an individuelle Gegebenheiten, sollte Unterricht immer noch ein soziales und gemeinsames Lernen sein. Hier schwingt auch immer die Befürchtung mit, dass Lehrkräfte die Kontrolle verlieren oder durch solche Systeme ersetzt werden könnten. Auch hier ist in der Runde klar, dass im Zusammenspiel mit adaptiven Systemen die Lehrkraft unersetzlich bleibt, um sinnvollen und zielgerichteten Einsatz zu ermöglichen. Solche Systeme sollten daher immer gemeinsam mit Lehrkräften gestaltet werden, genauso wie ihnen ein gewisses Maß an Kontrolle und Transparenz möglich gemacht werden sollte. Dazu braucht es in letzter Konsequenz auch ansprechende und forschungsbasierte Fortbildungen für Lehrkräfte, um sie im zielgerichteten Einsatz zu bestärken.
Im Gespräch zwischen Kordula De Kuthy (Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe „Sprache und KI in der Bildung“, Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM)), Silke Mikelskis-Seifert (Professur für Physik und ihre Didaktik, Pädagogische Hochschule Freiburg, beteiligt am lernen:digital am Projekt MINT-ProNeD) und Johannes Wolz (Grundschullehrer und stellvertretender Schulleiter, Carl-Küster-Grundschule, Guntersblum, Betreiber des Blogs Milos Welt) das von Gabriele Irle (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) und Redakteurin im lernen:digital Zukunftsraum) moderiert wurde, können Sie diese und weitere Themen rund im Zukunftstechnologien für differenzierten Unterricht vertiefen. Organisiert wurde der Community Call von den Redaktionsteams vom lernen:digital Zukunftsraum und schule-mal-digital.de.
Das Gespräch können Sie im Video in voller Länge verfolgen. Im Vertiefungsbereich sind Hinweise aus dem Chat und Empfehlungen der Speaker:innen hinterlegt.
Aufzeichnung des Community Calls am 21. Mai 2025
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Vertiefung
In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen.
Weiterführende Links
- schule-mal-digital.de-Themenschwerpunkt „Heterogenität im Klassenzimmer − Lernwege individuell und adaptiv gestalten“
- Weitere Informationen zum Projektverbund MINT-ProNeD
- Blog „Milos Welt“ von Johannes Wolz mit Einblicken in die Unterrichtspraxis und selbst gestalteten Materialien
- Projekt ALEE (Adaptive Learning in Economics Education) zu adaptivem Lernen im Wirtschaftsunterricht
- Informationen zum FeedBook – einem intelligenten tutoriellen System für den Englischunterricht
- Artikel „Lernbegleiter Comic: Digital gestützt in der Grundschule experimentieren“ von Prof. Dr. Silke Mikelskis-Seifert und Dr. Martina Graichen
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