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Takeaway
  • Veränderung fängt im Kleinen an: Digitale Transformation ist ein Begriff, der etwas Großes suggeriert, das wir alleine nicht beeinflussen können. Der Realschullehrer Nils Spitlbauer zeigt, dass digitale Transformation auch dann angestoßen wird, wenn man seine eigene Haltung und Routinen überdenkt und offen ist für Anregungen aus anderen Perspektiven und daraus neue Optionen für Schule und Unterricht ableitet, zum Beispiel für unterschiedliche Leistungsniveaus von Schüler:innen.

Wie Schüler:innen auf das Lernen in der Zukunft blicken

Die Schüler:innen einer fünften und siebten Klasse haben ihre Erfahrungen mit den verschiedenen Medien, die sie bei ihrem Besuch an der Universität Tübingen und am IWM ausprobiert haben, in einem Gespräch mit dem Zukunftsraum erläutert. Nils Spitlbauer, Lehrer für die Fächer BNT [Fächerverbund Biologie, Naturphänomene, Technik], Erdkunde und Technik hat sie begleitet und gibt eine Einschätzung dazu, wie viel diese Erlebnisse mit dem tatsächlichen Medieneinsatz in der Schule heute zu tun haben und welche Inspirationen er aus dem Besuch für den Schulalltag auch für unterschiedliche Lernausgangslagen mitnimmt.
Im Future Innovation Space am IWM wird zum Potenzial von Künstlicher Intelligenz (KI), Virtual und Augmented Reality (VR/AR), aber auch von kollaborativen Medien wie Multi-Touch-Tischen (Abbildung 1) geforscht.

Abbildung 1: Ein Multi-Touch-Tisch kann bis zu 100 simultane Touches verarbeiten und ermöglicht daher ein kollaboratives Arbeiten mit mehreren Personen gleichzeitig am Tisch (Multi-User). Multi-Touch meint dabei die verschiedenen Bedienungsmöglichkeiten wie Vergrößern, Drehen oder Schieben.

Die Schüler:innen probierten bei ihrem Besuch am IWM die Wirkung von Prompts aus, um ein Escape-Rätsel zu lösen, arbeiteten am Multi-Touch-Tisch zu Insekten, deren Fotos sie dort sehr stark vergrößern und gemeinsam sortieren können und schlüpften mithilfe einer VR-Brille in eine Wespe, die nur wenige Millimeter groß ist. Der 3D-Scan der Wespe wurde in der Mixed Reality betrachtet. Neben einem Arbeitsblatt, auf dem sie ihre Beobachtungen festgehalten haben, hatten die Schüler:innen während des Betrachtens die Aufgabe, auf einem Whiteboard die Mundwerkzeuge der Wespe detailliert zu zeichnen.
Die Schüler:innen unterscheiden sehr genau zwischen der anfänglichen Begeisterung über die neuen Perspektiven und Arbeitsmöglichkeiten und dem tatsächlichen Einfluss, den diese Medien auf ihren eigenen Wissenserwerb haben könnten. Beispielsweise kann die VR-Brille in den Augen vieler Schüler:innen eine ergänzende Rolle spielen, weil sie mehrere Perspektiven zulässt. Prinzipiell fehle aber zum Beispiel ein erklärender Text in der VR-Anwendung, die Ansicht der Wespe allein helfe dem Lernen noch nicht. Die jüngeren Schüler:innen wünschen sich zudem die Lehrkraft mit in der virtuellen Realität, die das, was sie darin sehen, genauer erklären kann. 
 
Sehr reflektiert beschreiben die Schüler:innen auch den Status Quo, wie sie lernen: Arbeitsblätter, Schulbücher und Beamer prägen den Unterricht und das halten sie auch für sinnvoll. Aber es zeigen sich auch die verschiedenen Herangehensweisen der einzelnen Schüler:innen: Zuhause und für das eigenständige Lernen schreiben sie Karteikarten oder sehen Lernvideos auf YouTube. Ein Schüler beschreibt ihren Vorteil darin, dass er das Video mehrmals anschauen kann und seine Notizen überprüfen kann. Insgesamt messen sie dem (Auf)Schreiben und Lesen für das Lernen von Neuem eine große Bedeutung zu.

Im folgenden Interview geht Nils Spitlbauer auf die Potenziale der Wissensmedien ein, die er ausprobiert und in der Interaktion mit den Schüler:innen beobachtet hat.

Herr Spitlbauer, wann nutzen Sie digitale Tools in Ihrem Unterricht?

Das ist vom Thema abhängig, das in der jeweiligen Unterrichtsstunde behandelt wird. Es gibt Themen, die durch Texte oder auch durch zusätzlich analog zur Verfügung gestellte Bilder sehr gut erarbeitet werden können wie zum Beispiel das Zeichnen und Auswerten eines Klimadiagramms. Es gibt aber auch Themenbereiche, bei denen sich durch Videos oder Lern-Apps ein wesentlich höherer Lernerfolg einstellt, weil sie komplexer sind und der Bedarf an differenzierten Lernangeboten größer ist. Manche Schüler:innen lernen zum Beispiel gut mit einer Kombination aus Lern-App und Lehrbuch. Für einige sind auch Lernvideos sehr hilfreich. Deshalb habe ich habe auch schon selbst Lernvideos erstellt und auf YouTube hochgeladen, weil ich zu dem betreffenden Themenbereich nichts Passendes gefunden habe. Ein komplexes Thema, welches durch ein Lernvideo vereinfacht dargestellt werden kann, ist der Passatkreislauf. Hier geht es um Druckunterschiede durch das Aufsteigen warmer Luftmassen und das Absinken kalter Luftmassen. Die Komplexität ergibt sich aus den verschiedenen Fachbereichen Erdkunde (Gradnetz der Erde), Physik (Druck) und Chemie (Änderung des Aggregatzustandes von Wasser).

Haben Sie den Eindruck, dass es bestimmte Schülergruppen gibt, die mehr vom Einsatz digitaler Medien profitieren können als andere?

Aktuell heißt „digitale Medien“ bei uns, dass wir den Klassensatz Tablets, der an unserer Schule zur Verfügung steht, einsetzen oder mit dem Beamer etwas zeigen. Und was die Tablets betrifft ist mein Eindruck, dass eher die Kinder, die ein großes Interesse für meine Fächer mitbringen und auch ein bisschen Vorwissen haben, mit diesem Tool gut umgehen und damit lernen können. Aber teilweise ist es auch so, dass Schüler:innen, die inhaltlich nicht so motiviert sind, die Arbeit mit den Tablets als etwas Besonderes empfinden und dadurch engagierter mitarbeiten als in anderen Unterrichtstunden. Ich sehe da also durchaus zwei unterschiedliche Chancen, die der Tablet-Einsatz im Unterricht bietet: Man kann hier die einen motivierter abholen und die anderen besser fördern, weil sie, wenn sie mit den Tablets sehr gut klarkommen, einen noch tieferen Einblick ins Thema erhalten, als wenn nur mit dem klassischen Schulbuch gearbeitet wird.

Könnte man Ihrer Einschätzung nach Schüler:innen, die bestimmte Schwierigkeiten haben, mit einer besseren Ausstattung mit digitalen Medien an der Schule helfen oder ist es gar nicht das, was fehlt? Braucht man eigentlich Sozialarbeiter:innen oder etwas ganz anderes?

Nicht zwangsläufig, in Klasse fünf und sechs unterscheiden wir ja noch nicht im Niveau. In den weiterführenden Klassen bekommen die Schüler:innen im G-Niveau (grundlegendes Niveau) teilweise vereinfachte Arbeitsblätter, Tippkärtchen oder mehr Unterstützung in der Arbeitsphase. Wenn man das digital umsetzt, stehen andere Möglichkeiten zur Verfügung. Zum Beispiel kann ein Tippgeber spielerischer im BNT-Unterricht auftreten als eine bestimmte Person, beispielsweise als ein Professor, der immer wieder Tipps durch Anklicken einer Sprechblase gibt. So könnte ein Lerndialog das Arbeiten begleiten und durch Kontrollaufgaben digital eine Lernstandsdiagnose gemacht werden. Ich denke, dass das für die Kinder mit unterschiedlichen Lernausgangslagen sehr effektiv sein könnte. Das sind ja so genannte tutorielle Systeme, die man einsetzen kann. Aber auch kleinschrittige Aufgaben in Kombination mit kleinen Erfolgsmomenten durch Überprüfen der Lösungen am Tablet, beispielsweise durch eine kleinere Quizaufgabe oder eine Zuordnungsaufgabe, sind eine Möglichkeit. Hier bieten sich Lern-Apps an, mit denen schnell und kostenlos Überprüfungsmöglichkeiten des Gelernten erstellt werden können. Das motiviert die Kinder, weiter am Ball zu bleiben und weiterzuarbeiten. Mit KI-generierter Unterstützung wie ChatGPT in tutoriellen Systemen kann man natürlich nochmal ganz anders differenzieren, da bin ich schon sehr gespannt. Digitale Medien geben den Kindern aber auch die Möglichkeit, Wissen durch einen anderen Kanal aufzunehmen. Manche Kinder nehmen beispielsweise lieber über den visuell-auditiven Kanal (z.B. Video) Wissen auf im Gegensatz zum klassischen visuellen Kanal (z.B. Text lesen).

Nutzen Sie ChatGPT zur Unterrichtsvorbereitung?

Als ich zum ersten Mal gehört habe, dass es ChatGPT gibt und wie das Tool verwendet werden kann, wollte ich es natürlich relativ schnell ausprobieren. Überraschend war, dass man mit einem Prompt, etwa in Form von „Erstelle mir eine Unterrichtsskizze für eine Einführungsstunde“ beispielsweise zum Thema „die Biene“, direkt den zeitlichen Rahmen und Aufgaben vorgeschlagen bekommt. Die Skizze muss man natürlich noch bearbeiten, aber man hat einen Ansatzpunkt. Das war schon verblüffend. Ich nutze ChatGPT momentan zur Unterrichtsvorbereitung auf verschieden Arten. Zum einen gibt ChatGPT mir die Möglichkeit etwas zu recherchieren, wenn ich thematisch an meine Grenzen komme oder selbst Verständnisprobleme habe. Zum anderen nutze ich ChatGPT auch in Kombination mit anderen KI-Systemen z. B. zur Erstellung von Arbeitsblättern mit Lösungen. Letztens habe ich mittels einer Transkript-KI die Audioaufnahme in einem YouTube-Video in Schriftform ausgeben lassen. Mit ChatGPT habe ich dann zum Inhalt des Videos differenzierte Fragen mit Lösungsbogen erstellen lassen. In ChatGPT gibt es auch Verknüpfungen zu anderen Apps/KI-Systemen. So gibt es die Möglichkeit, KI-generierte Lernvideos über ChatGPT in Kombination mit Video-KI zu erstellen oder bei der Unterrichtsvorbereitung Präsentationen zu einem bestimmten Unterrichtsthema mit ChatGPT und Canva zu gestalten. Für unseren Ausflug zum Future Innovation Space war die Absprache, dass die Arbeitsblätter mit ChatGPT erstellt werden, um den Nutzenfaktor zu überprüfen und vor allem auch zu überprüfen, ob die Kinder mit den Formulierungen klarkommen, die ChatGPT altersgemäß auf Grundlage des Prompts für eine fünfte oder eine siebte Klasse ausgibt.

Und was war Ihr Fazit zu den schüler:innengerechten Formulierungen?

Die Schüler:innen haben die Fragen an sich verstanden, es war ihnen klar, was sie machen müssen. Ein großer Unterschied zu „selbstgebastelten“ Formulierungen besteht allerdings darin, dass die Begriffe und der Satzbau komplizierter waren, als wenn sie ein Lehrer schreibt, also eher verschachteltere Sätze als kürzere Angaben. Da hat die Lehrkraft einfach den Vorteil, dass sie weiß, wie die Kinder ticken, dass sie weiß, wie sie es verstehen. Auch weiß die Lehrkraft, wie kleinschrittig sie die Aufgaben je nach Lerngruppe formulieren muss. ChatGPT versucht außerdem Fachbegriffe in die Aufgaben hineinzuformulieren, die dann zwar in Klammern stehen, die aber die Kinder nicht verstehen. Das ist dann doch fachlich ein bisschen zu hoch. ChatGPT hat hier großes Potenzial, da die Ausgabe auch immer von der Eingabe (Prompts) abhängig ist. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass durch detailliertere Beschreibungen der Schüler:innengruppe und der Vorhaben ChatGPT die Fragen noch kleinschrittiger und differenzierter bzw. einfacher formulieren wird.

Welche Technologien, die Sie am IWM kennengelernt haben, finden Sie für den MINT-Unterricht besonders interessant oder inspirierend?

Durch seine spielerische Art finde ich den Multi-Touch-Tisch sehr effektiv, weil die Kinder daran ganz anders arbeiten können. Wenn so ein Multi-Touch-Tisch nichts Besonderes mehr ist, sondern häufiger eingesetzt wird, wird er auch wirklich ein Arbeitsmedium und ist nicht mehr nur Spaßmedium, wie es vielleicht ein Tablet zu Hause ist.

Ich würde mir sehr wünschen, so einen Multi-Touch-Tisch zur Verfügung zu haben und würde gerne auch häufiger damit arbeiten, weil zum Beispiel im Biologiebereich Detailaufnahmen eine entscheidende Rolle spielen und man hier gemeinsam verschiedene Struktur- und Zuordnungsaufgaben, auch als Gruppe, bearbeiten kann. Ich denke, dass das programmiertechnisch die einfachste Variante wäre in Bezug auf den Einsatz in der Schule und in Bezug auf den Aufwand für die eigenständige Betreuung.

Die VR-Brille bringt einen größeren Aufwand mit sich: Man braucht 3D-Modelle bzw. VR-Anwendungen. Ein großes Potenzial sehe ich hier dennoch in Bezug auf Simulationen. Ich denke da beispielsweise im Fach Technik an das Durchspielen von Arbeitsabläufen eines technischen Berufs. Tatsächlich in einer Montagehalle zu stehen und dort Aufgaben zu übernehmen, bekommt man mit einer Klassengruppe in der Realität zum Beispiel aufgrund von Entfernungen nicht unbedingt hin. Um solche VR-Anwendungen in die Schule zu holen, muss man auf vorhandene Angebote zurückgreifen. Würde man versuchen sie selbst zu erstellen, würde das einen zu hohem Arbeitsaufwand für eine einzelne Lehrkraft oder auch eine Fachgruppe bedeuten. Für die neueren VR-Brillen gibt es ein gutes Angebot an Anwendungen in den App-Stores, die im Unterricht mit großem Potenzial genutzt werden können. Beispielsweise bieten sich auch Anatomie-Apps zum Betrachten des menschlichen Körpers und zum Auseinanderbauen der Knochen eines Skeletts an. Selbst Museumsrundgänge von Museen im Ausland sind in VR möglich.

Um aber auf den Multi-Touch-Tisch zurückzukommen: Ein solcher wäre im Klassenzimmer fantastisch, gerade im Hinblick auf individuelles oder selbstorganisiertes Lernen sowie Lernen in Gruppen: Die Kinder können kreativ werden und selbst entdeckend vorgehen. Auch in Geografie lässt sich an einem solchen Tisch ganz intuitiv Kartenarbeit machen, für die man sonst ja von Hand gezeichnet hat. So können Gruppen auf dem Multi-Touch-Tisch Karten farblich markieren oder Kartenbereiche herausarbeiten. Wir können aber auch mit Karten gemeinsam arbeiten, um etwas zu verorten, Dinge auf Weltkarten suchen, Schaubilder oder Höhenliniendiagramme zeichnen – es gibt so viele Möglichkeiten auch für den Geografieunterricht. Im Technikbereich könnten Getriebe und Zahnräder zu einem Anschauungsmodell zusammengebaut werden. Ich sehe sehr viele Anwendungsmöglichkeiten.

Auch wenn die neueren Technologien, zu denen im Future Innovation Space geforscht wird, nur sehr begrenzt direkt in der Schule eingesetzt werden können – können Sie aus diesen Einblicken in die aktuelle Forschung konkrete Inspiration für Ihren Unterricht mitnehmen?

Letztlich haben wir hier an der Schule einen Multi-Touch-Tisch im Kleinformat: das Tablet. Und ich denke, dass es auch hiermit realisierbar wäre – eben im kleineren Format – in Gruppen zu arbeiten. Ich nehme mir vor, wesentlich mehr damit zu arbeiten mit den Inspirationen, die ich vom Multi-Touch-Tisch mitgenommen habe. Unabhängig von den digitalen Medien nehme ich mir aber vor allem vor, mehr praktisches und entdeckendes Arbeiten in den einzelnen Unterrichtsstunden zu ermöglichen, damit man nicht in den Trott hineinkommt, den wahrscheinlich viele Lehrkräfte kennen: Im Alltag ist es doch schon eher so, dass man eine Problemstellung oder eine Anfangsfrage hat. Schüler:innen überlegen sich Hypothesen dazu. Es gibt ein Arbeitsblatt, das sie mit einem Buch bearbeiten sollen. Dann bespricht man das. Die Hypothesen werden kontrolliert und dann ist die Stunde fertig. In der letzten Zeit hat sich aber auch an unserer Schule viel getan. Wir planen, in die Ausstattung mit digitalen Medien zu investieren. Das Potenzial digitaler Medien ist wirklich groß. Vor allem in Bezug auf die heterogene Schüler:innenschaft bieten digitale Medien die Möglichkeit, dass Schüler:innen  durch verschiedene Wissenskanäle Wissen aufnehmen können. Des Weiteren bieten tutorielle Systeme in Lernvideos oder in Lern-Apps den schwachen Schüler:innen Unterstützungsangebote, was einen großen Vorteil darstellt, da diese im Regelunterricht aufgrund der großen Anzahl an Schüler:innen in der Klasse oftmals „untergehen“. Vor allem aber der „Wow“-Effekt in der Nutzung digitaler Medien, wie z.B. VR-Brille oder Multi-Touch-Tisch motiviert die Schüler:innen enorm. Und wenn der „Wow“-Effekt, gepaart mit sinnvoller Didaktik dazu beiträgt, dass sie motivierter und interessierter Schulwissen aufsaugen, dann sind gezielte Investitionen in digitale Medien und deren Einsatz in der Schule sicherlich sinnvoll.

Dieses Interview erscheint ebenfalls auf schule-mal-digital.de im Rahmen des Themenschwerpunkts „Heterogenität im Klassenzimmer − Lernwege individuell und adaptiv gestalten“. Es wurde vom Redaktionsteam von schule-mal-digital.de und des Zukunftsraums betreut.

Vertiefung

In diesem Bereich finden Sie Literatur, Materialien und Links, um sich noch weiter mit dem Thema zu beschäftigen, und die Quellenangaben für den Beitrag.

Nils Spitlbauer
Nils Spitlbauer

Nils Spitlbauer ist seit 2021 Lehrer an der Geschwister-Scholl-Realschule in Nürtingen und unterrichtet die Fächer Erdkunde, BNT und Technik. Als Leiter des MINT-Bereichs an der Schule ist er für die Umsetzung des MINT-Profils zuständig. Durch seine persönlichen Erfahrungen mit Lernschwierigkeiten in der Schule ist es ihm ein besonderes Anliegen, Kinder mit Motivationsproblemen und Lernschwierigkeiten zu fördern.

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Takeaways
  • KI als Anpassungshelfer: Eine KI mit Sprachein- und ausgabe ermöglicht heterogenen Schüler:innengruppen sich die Inhalte im Sportunterricht adaptiv im Rahmen eines Dialogs zu erschließen, wenn das Modell entsprechend mit Inhalten und Interaktionsmöglichkeiten präpariert wurde.

  • KI-Benutzung als Antrieb für Kooperation: Das gemeinsame Bedienen der KI mit mehreren Gruppenmitgliedern ist herausfordernd und muss erst in sozialen Aushandlungsprozessen und mit Einüben der der relevanten Interaktionsformen erschlossen werden.

  • Neue Rolle der Lehrkraft: Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Vorbereitung des (kooperativen) KI-Settings, bei der die Lehrkraft die passenden Inhalte in das KI-Modell einspeist und die adaptive Interaktion konfiguriert. Dadurch kann sie in den Gruppenarbeitsphasen im Sportunterricht mehr in den Hintergrund treten. Diese neue Rolle erlaubt es Schüler:innen-Gruppen Bewegungen in einer ungezwungenen und freien Atmosphäre ohne die Lehrkraft zu üben.

Heute sprechen wir über KI-Modelle zur Sprachverarbeitung und darüber, wie diese in kooperative Lernprozesse im Sportunterricht integriert werden können. Ich bin Tamara Schilling und als Gast ist heute Studienrat Philipp Wetzel hier. Schön, dass Sie da sind.

Philipp Wetzel: Hallo, herzlich willkommen und vielen Dank!

Sie sind abgeordneter Lehrer für die Fächer Sport, Geografie und Informatik und als solcher für die Forschung im Verbundprojekt KuMuS-ProNeD an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg freigestellt. Sie arbeiten zum kooperativen Lernen mit digitalen Tools und fokussieren die Integration von Large Language Models, also ChatGPT, in Lernprozesse in der Gruppe im Sportunterricht. Zunächst habe ich eine grundlegende Frage an Sie: Wie unterscheidet sich kooperatives von individuellem Lernen und was sind Besonderheiten im Sportunterricht?

Philipp Wetzel: Das kooperative Lernen ist gekennzeichnet durch eine Zielstruktur. Ich organisiere also den Lernprozess und überlege mir, wie das Ziel im Sportunterricht erreicht werden soll: allein, miteinander oder gegeneinander. Das ist die grundlegende Idee dabei und daraus hat sich ein ganzer Methoden-Mix ergeben, mit dem man versucht diese Zielstrukturen zu erreichen.

Das kooperative Lernen zeichnet sich durch fünf Merkmale aus. Neben den Grundvoraussetzungen wie einem face-to-face, also einem Gegenübersein im Raum, ist das besondere, dass man beim kooperativen Lernen im Gegensatz zum Gruppenlernen positive Abhängigkeit hat – positive Interdependenz – individuelle Verantwortung und Freiraum für Entscheidungen.

Vor diesem Hintergrund möchten wir uns Ihrer Forschung in diesem Bereich widmen. In Ihrem Projekt untersuchen Sie, wie ChatGPT als eigenständiges Teammitglied in solche kooperativen Lernprozesse im Sportunterricht integriert werden kann. Woher stammt die Idee ChatGPT auf diese Weise einzusetzen?

Philipp Wetzel: Das war ein Prozess. Zunächst hat Anne-Christin Roth (Pädagogische Hochschule Freiburg) mir den Freiraum geboten wirklich offen zu schauen, was eine digitale Innovation sein könnte, die im Handlungsbezug adaptives Lernen fördert. Das kam zeitlich zusammen mit der Veröffentlichung des Sprachmodus von ChatGPT. Dadurch wurde mir klar: Jetzt ist die Technik so weit. Ich kann KI bzw. Large Language Models nicht nur über Texteingabe mit Tastatur am Schreibtisch nutzen, sondern auch in der Sporthalle direkt über die Sprachein- und -ausgabe. Das kommt nochmal ein Stück näher an direktes Interagieren heran. Damit war ich dann neugierig, wie es aussehen könnte mit einer künstlichen Intelligenz (KI) als Teammitglied Lernprozesse zu strukturieren und zu inszenieren.

Können Sie hier ein bisschen genauer beschreiben, was Sie dann jetzt unternommen haben, um diese Idee umzusetzen.

Philipp Wetzel: Zunächst war es wichtig einen Prototyp zu erstellen. Das haben wir mit der Funktion MyGPTs umgesetzt. So ein vorkonfiguriertes GPT sieht so aus, dass man Textdateien, Materialien für den Unterricht, Lernplakate, Stundenabläufe oder Bewertungsschemata hochlädt und der KI damit sozusagen zur Verfügung stellt. Außerdem schreibt man eine Konfigurationsdatei, in der steht, wie sich der Sprachassistent verhalten soll. Damit hat man Steuerungsmöglichkeiten, um den Unterricht selbst zu gestalten, und das habe ich dann ausprobiert. Als Erstes brauchten wir noch eine Sportart und da das Kooperative schon von Anfang an mitgedacht worden ist, war es für mich sinnbildlich dann auch den Tanz zu verwenden.

Wichtig ist noch, dass wir im Zuge dessen erstmal weiter entwickelt haben. Allein GPT zur Verfügung zu stellen hat nicht gereicht, sondern wir haben auch die Inhalte auf einer Homepage zugänglich gemacht und diese dann mit dem GPT verlinkt. Dadurch kann die KI auch sagen, „wenn du ein Video sehen möchtest, kannst du auf der Homepage nachschauen“.  Aus dem Chat kann man dann direkt den passenden Link anklicken. So hat es sich entwickelt die KI als Metamedium einzusetzen, das hilft durch die Lernmaterialien zu navigieren und das Lernenden einen individuellen und adaptiv aufbereiteten Zugang ermöglicht.

Das war ein Entwicklungsprozess mit vier bis fünf Iterationen, in dem wir mit vier bis fünf Studierendengruppen verschiedene Sportarten, Unterrichtsettings und auch kooperative Lernspiele ausprobiert haben. Letztendlich sind wir dann aber für den Schulversuch beim Tanzen geblieben. Wir haben es ein bisschen an das Curriculum hier angepasst und dann mit Unterrichtsmaterialien für Jumpstyle (Musik- und Tanzstil) ein Jumpstyle-GPT erstellt, mit dem wir an die Schule gegangen sind.

Sie bringen mit Ihrem Hintergrund verschiedene Perspektiven mit für diesen Entwicklungsprozess. Erklären Sie doch einmal, welche das sind und wie diese geholfen haben ChatGPT als Metamedium in kooperativen Lernprozessen im Sportunterricht einzusetzen.

Philipp Wetzel: Einerseits habe ich die Lehrerperspektive. Ich habe Geografie, Sport und Informatik studiert und schaue auch mit den Inhalten dieser drei Fächer auf die Möglichkeit KI im Unterricht einzusetzen. Aus meiner zweiten Perspektive als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rahmen von KuMus-ProNeD möchte ich eine Fortbildung für Lehrkräfte oder Ausbilder:innen entwickeln. Aus meiner dritten persönlichen Perspektive möchte ich als Forschender einen Zugang finden, kooperative Lernprozesse in Kleingruppen zu analysieren und da eine Methodenkompetenz zu entwickeln.

Für mich als Sportlehrer war kooperatives Lernen immer schon ein attraktives Format, auch den Sportunterricht zu gestalten. Und auch kooperative Lernziele, bei denen alle gemeinsam versuchen gegen die Zeit ein Ziel zu erreichen, habe ich als besonders gewinnbringend für Klassenzusammenhalt und Lernatmosphäre empfunden. Sicherlich kommen da auch meine Erfahrungen mit dem Tanz hinzu. Ich habe selbst gerne getanzt und im Studium im Tanzen-Schwerpunktfach begeisternde Inhalte erlernt, die ich gerne vermittle. Das passt gut zusammen und war sicherlich grundlegend aus dieser Lehrerperspektive.

Als Informatiklehrer habe ich mich schon immer für Digitalisierungsprozesse interessiert und diese Neugierde hat mich angetrieben. Aus dieser Informatiklehrer-Perspektive habe ich begeistert Entdeckungen gemacht: Zum Beispiel, dass es bei KI, die auf neuronalen Netzen basiert und über Wahrscheinlichkeiten Inhalte erzeugt, Tokens gibt (Die kleinsten Einheiten in die Text zur Verarbeitung zerlegt wird), die mit Metainformationen versehen werden können. Diese Tokens können dann durch generative KI zusammengeführt werden, sodass sinnhafte oder für uns sinnvolle Texte dabei herauskommen.

Die Geografielehrer-Perspektive bringt immer noch das Thema Nachhaltigkeit und ethische Fragen mit rein. Je länger ich mich damit befasse, umso mehr merke ich, dass uns doch Grundlagen fehlen, also Rahmenbedingungen, die langfristig ein nachhaltiges Wirken und Nutzen von dieser Technologie ermöglichen. Der AI-Act ist sicherlich jetzt ein wichtiger Baustein gewesen und auch die Datenschutzgrundverordnung. Aber es braucht für die neu generierten Inhalte und das Lernen konkret, glaube ich, auch an den Hochschulen, Schulen und in den Bildungsinstitutionen Strukturen, die dieses neu generierte Wissen auch einordnen können.

 

„… kooperative Lernziele, bei denen alle gemeinsam versuchen gegen die Zeit ein Ziel zu erreichen, habe ich als besonders gewinnbringend für Klassenzusammenhalt und Lernatmosphäre empfunden.“

Philipp Wetzel

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem Auftrag eine Lehrerfortbildung zu entwickeln, habe ich für mich den Anlass gesehen erstmal selbst Lehrerfortbildungen zu besuchen, bevor ich überhaupt mit der Themenentscheidung so weit war. So habe ich gesehen, dass vor einem Jahr die Stimmung bezüglich weiterer Digitalisierung sehr aufgeladen war und das Thema KI als bedrohlich empfunden wurde. Erstens ist diese Technologie nach wie vor eine Black Box und es ist eine große Herausforderung nachvollziehbare, verstehbare und erklärbare KI-Prozesse abzubilden, um Vertrauen in die Inhalte entwickeln zu können. Das ist, glaube ich, wesentlich und dafür, dass das zurzeit nicht gegeben ist, haben die Lehrer:innen auch ein feines Gespür. Auch mit den Schüler:innen erleben sie Digitalisierung oft von einer negativen Seite, mit Suchtverhalten, starken Ablenkungen oder nicht-kontrollierten Räumen.

Anne-Christin Roth von  den Sportwissenschaften hier in Freiburg hat über die Einstellung von Lehrkräften gegenüber Digitalisierung geschrieben. Dort kommen häufig Metaphern wie: „Wir werden von der Lawine überrollt“ oder „Da sind die Kinder in dem Raum ja gefangen”. Es sind also Bilder, in denen man sich den Prozessen und den Strukturen, die mit Digitalisierung einhergehen, ausgeliefert fühlt. Das ist keine gute Grundlage damit kreativ oder spielerisch zu arbeiten oder Entdeckerfreude zu haben.

 

Ich würde gerne noch konkreter werden: Was bedeutet es ChatGPT in diese kooperativen Lernprozesse einzubringen? Können Sie uns anhand von ein, zwei konkreten Beispielen erzählen, was für Besonderheiten aufgetreten sind und wie Sie, Lehrkräfte oder Schüler:innen damit umgegangen sind?

Philipp Wetzel: Die erste Erfahrung, die ich sammeln durfte, war, dass ich mit dem iPad in der Hand vor der Klasse stand, die ChatGPT App öffnete und sagte: „Hallo ChatGPT, kannst du dich melden und die Gruppe begrüßen“ und die Antwort bekam „Ich habe zurzeit technische Probleme“. Vor der Lerngruppe damit umzugehen war natürlich herausfordernd. Da solche technischen Probleme immer wieder auftauchen, sei es die WLAN-Verbindung, die Server Kapazität oder das iPad selbst, ist das, trotz des erleichterten Interfaces, nach wie vor herausfordernd.

Wenn es dann klappt, sieht man erstmal wirklich Kichern und Erstaunen. Eine Verunsicherung macht sich breit, weil da eine Stimme spricht, die so menschlich klingt und die so wortgewandt ist, dass man erstmal verblüfft ist, wie man denn jetzt damit umgehen soll. Ich habe auch von Schülern gehört, die dann gesagt haben: „Wow, die/der kann aber toll sprechen.“ Gerade in heterogenen Gruppen auch eine Ressource oder eine Quelle zu haben, die angepasst auf die Spracheingaben antworten kann, ist erstmal beeindruckend. Das lässt dann irgendwann auch nach und dann beginnt eine Phase der Erprobung, in der man versucht damit zu scherzen oder erste Aufforderungen zu formulieren. Zum Beispiel haben Schüler:innen gesagt: „Bitte beginne jeden Satz mit ‘Hey Baby’“, und dann sagt ChatGPT „Hey Baby, wie kann ich dir helfen“. Also da wird viel ausprobiert.

„Gerade in heterogenen Gruppen auch eine Ressource oder eine Quelle zu haben, die angepasst auf die Spracheingaben antworten kann, ist erstmal beeindruckend. “

Philipp Wetzel

Hatten Sie den Eindruck, dass es auch Akzeptanzprobleme gibt? ChatGPT kommt quasi als neues Mitglied in die Gruppe. Wie wird damit umgegangen?

Philipp Wetzel: Wir haben eher auf die Schülerseite geschaut. Die Lehrkräfte haben nicht selbst unterrichtet, sondern wir haben den Unterricht durchgeführt. Aber wir haben allgemein die Rückmeldung von den Lehrkräften bekommen, dass die Schüler das wollen. Ein Interesse ist also da. ChatGPT zu nutzen entspricht auch den Alltagserlebnissen der Schüler:innen und es hat funktioniert.

Das war ja auch die große Frage: Schaffen wir es überhaupt über eine Unterrichtseinheit von 3 Stunden Unterrichtsinhalte zu vermitteln, die hinterher ein Ergebnis, in dem Fall eine Choreografie, hervorbringen? Das hat geklappt, allerdings nicht in allen Gruppen. Wir haben Gruppen gehabt, in denen wir das iPad in der zweiten Stunde beiseitegelegt haben, weil es bzw. ChatGPT nicht mehr genutzt worden sind. Schüler:innen sind bei den Videos hängen geblieben, weil es bekannt und einfach war. Sich gerade Bewegungsabläufe zu erarbeiten, die nur in Textform beschrieben werden, ist viel herausfordernder und schwieriger.

Auch das Prompten, also das Einsprechen einer Frage, ist im Gruppensetting für viele Schüler:innen mit weniger Selbstbewusstsein herausfordernd. Sich dort zu öffnen und den Mut zu haben das Wort zu ergreifen, ist nicht einfach. Klar kann man das dann lösen, wenn man ein 1:1-Setting ermöglicht, indem man sagt, ein Teil der Gruppe übt, ein anderer befragt die KI. Aber trotzdem gibt es da diesen Digital Divide. Es zeigt sich auch hier, je stärker ich meine Kompetenzen im Umgang mit Medien schon entwickelt habe, oder auch im Artikulieren, umso mehr bekomme ich raus. Wenn ich das nicht kann, brauche ich Unterstützung. Diese Unterstützung von den Lehrkräften oder Gruppenmitgliedern zu bekommen ist dann auch wichtig.

„… trotzdem gibt es da diesen Digital Divide. Es zeigt sich auch hier, je stärker ich meine Kompetenzen im Umgang mit Medien schon entwickelt habe, oder auch im Artikulieren, umso mehr bekomme ich raus. Wenn ich das nicht kann, brauche ich Unterstützung.“

Philipp Wetzel

Wie war denn die Interaktion der Lernenden, wenn sie mit ChatGPT umgegangen sind?

Philipp Wetzel: Wir haben einen Rahmen gesetzt, in dem es einerseits Informationsaufträge gibt, also die Aufgabe Informationen einzuholen. Außerdem gab es den Versuch, Übungsabläufe mit ChatGPT zu gestalten, und Reflexionsphasen.

Beim Informieren gibt es erstmal einen Arbeitsauftrag wie: „Finde heraus, was das heutige Stundenziel ist.“ Diese Dialoge waren häufig gut möglich. Also man fragt: „Was wollen wir heute machen?“, dann sagt ChatGPT „Wir wollen einen Tanz lernen, der heißt Jumpstyle. Möchtest du einen Achterbogen kennenlernen?“Die Gesprächsführung ist hier innerhalb dieses Jahres, in dem ich ChatGPT einsetze, immer besser geworden. ChatGPT lernt schnell und viel dazu und hat Strategien entwickelt einen Dialog aufrechtzuerhalten.

Zu direkten Interaktionsmöglichkeiten der Schüler:innen, ist mir noch eingefallen – manche haben sehr rational und kurz angebunden einfach gesagt: „Was ist das Thema?“, oder, „Thema nennen“. Sie haben also eine Art Computerbefehlscode-Struktur verwendet und sind effektiv schnell zu Antworten gekommen. Andere fangen an sich in langen, normalen Wortketten zu äußern, die häufig zu technischen Problemen führen, weil zum Beispiel ChatGPT abbricht, wenn man eine Pause macht. Hier muss man auch lernen, dass man durch Druck auf den Bildschirm das weitere Zuhören von ChatGPT erzwingen kann. Das sind Verhaltens- und Interaktionsformen, die man dann erst lernen muss. Auch der Lautstärkeregler wurde in der Turnhalle viel bedient. Man wollte auf der einen Seite ChatGPT gut verstehen, aber gleichzeitig möchte man die Nachbargruppe nicht stören oder man möchte nicht, dass der Lehrer mitbekommt, was ChatGPT gerade antwortet. Es gibt also so eine Art Öffentlichkeit, die durch die laute Antwort von ChatGPT entsteht, aber auch das Bedürfnis nach Schutz oder Privatsphäre.

Neben den Informationsaufträgen hatten wir auch noch Übungs- und Reflexionsprozesse im Unterricht. Wenn man Tanzen übt und eine Schrittfolge auswendig lernt, spricht man sie mit. Die Besonderheit hier ist, dass man das Mitsprechen der Bewegung beim Tanzen auch rhythmisch anpassen muss. Wenn ich einfach nur den normalen Text spreche, dann komme ich aus dem Takt und kann die Bewegung nicht mitgestalten. Die Idee war, dass ChatGPT auch die Bewegungsanweisung so vorspricht, dass man sich gleich mitbewegen kann. Teilweise ist das gelungen. Wir hatten dann lustige Bilder, dass die Gruppe schon mitgearbeitet hat während ChatGPT noch die Bewegungsabfolge erklärt. In manchen Gruppen führte das automatisch zu einem synchronen Verhalten. Häufig war aber die Sprechgeschwindigkeit oder die Phrasierung dann nicht passend zum Rhythmus.

Eine Herausforderung war auch herauszufinden, wie man diese Bewegungsanweisung möglichst kurz gestaltet. Es gab Dialoge, um herauszufiltern, wie man eine komplexe Bewegungsbeschreibung auf wenige Stichpunkte wie Tap, Sprung, Sidestep herunterbrechen und in eine Reihenfolge bringen kann, die man sich merken und auch mit ChatGPT üben kann.

Zum Beispiel ist auch interessant, dass die Schüler:innen beim Üben, während sie mit ChatGPT im Dialog waren, mit den Fingern nebenher die Fußbewegungen ausprobiert haben. Einerseits wegen dieses Gedankens „Ich will noch nicht gesehen werden, wenn ich unsichere Schritte mache und übe das erstmal im Kleinen für mich“. Andererseits auch, weil es gut ging parallel zuzuhören und sich dazu zu bewegen. Das liefert auch Freiräume, die man mit einer Lehrperson so nicht hat. Wenn mir die Lehrperson etwas erklärt und ich mich dazu gleich bewege – was natürlich immer wieder passiert – ist es eher gehemmter. Mit der KI in der Kleingruppe entsteht schon eine andere Lernatmosphäre als mit der Lehrperson.

„Mit der KI in der Kleingruppe entsteht schon eine andere Lernatmosphäre als mit der Lehrperson.“

Philipp Wetzel

Beim Reflektieren hatten wir die Überlegung: Wie kann man Reflexionsprozesse mit der gegebenen Technik bereichern? Wir haben lange gebraucht, um zum Beispiel auf die Idee zu kommen, ChatGPT erst ein kurzes Interview führen zu lassen. GPT stellt drei bis vier Fragen zum Verlauf des Unterrichts, dazu was die Schüler:innen erlebt haben, und hinterher zeichnet es ein metaphernartiges Bild von den geschilderten Unterrichtsszenen. Mit der Möglichkeit Bilder erstellen zu lassen, kann man das Erlebte oder Geschilderte nochmal anders aufbereiten.

Diese Bilder konnte man sich zeigen, was viele Gesprächsanlässe geboten und das Reflektieren angeregt hat – allerdings war das auch langwierig. Wenn es um Reflexionsprozesse im Sportunterricht geht, kommt immer diese „Bewegungszeit versus Denkzeit“-Debatte ins Spiel und eigentlich geht es ja um Lernzeit. Insofern ist dieses Argument mit der Bewegungszeit im Sportunterricht nur bedingt gültig, weil es uns um Lernzeit geht und die war auf jeden Fall gegeben. Aber natürlich ist die berechtigte Frage: Wenn man schon in der Sporthalle ist, sollte man dort dann nicht auch den Räumlichkeiten gerecht werden und die Bewegung ermöglichen? Das ist ein Punkt, bei dem es ums Fachverständnis geht. Was ist denn Sportunterricht in Zeiten von Digitalisierung? Wie sieht da ein zeitgemäßer Sportunterricht aus?

Spannend ist auch zu sehen, was mit der Autorität passiert, die einem durch das bereitgestellte Wissen verliehen wird. Wir sehen, dass in den Gruppen häufig auch die Personen, die lauter sind oder sich eine Führungsrolle wünschen oder nehmen, auch das iPad einfach nehmen und damit kontrollieren, was eingesprochen wird oder nicht. Damit steuern sie auch den Gruppenprozess stark. Dann gibt es Aushandlungsprozesse, bei denen das iPad weggenommen wird oder bei denen zwei Personen gleichzeitig Eingaben machen. Dann gibt es Konflikte, dass das abgewehrt wird, oder auch besonders harmonische Zusammenarbeitsformen, dass man gleichzeitig das iPad bedient.

Da zeigt sich allein durch den Umgang mit dem Gerät schon viel kooperatives Verhalten. Ich glaube auch da wieder, dass positive Gruppenstrukturen verstärkt werden. Aber wenn kein gutes Gruppengefühl da ist oder wenn einige sehr dominant auftreten oder eher weniger dominant sind, können auch diese Aspekte verstärkt werden.

Der Einsatz von KI im Unterricht wird oft mit dem Versprechen verbunden, dass Lehrkräfte mehr Zeit haben. Gleichzeitig bringt ChatGPT aber auch neue Herausforderungen mit sich: technische Betreuung aber auch die Gestaltung der Lernprozesse selbst. Wie beeinflusst das alles die Rolle, aber auch die Aufgaben der Lehrkraft im kooperativen Lernen mit ChatGPT?

Philipp Wetzel: Es gibt dieses Versprechen eines „wir haben dann mehr Zeit für das Wesentliche“, aber ich glaube, das ist aktuell nicht so. Wir haben weniger Zeit, weil wir mit vielen technischen Fragen und Herausforderungen konfrontiert sind, die wir managen müssen. Also neben der Lehrperson und den vielen Rollen, die sie hat, hat sie jetzt noch auch noch die Technikbetreuungsrolle.

Aber bei kooperativem Lernen ist es auch schon so: Idealerweise schafft es die Lehrperson, Lernprozesse so anzustoßen, dass diese mit der Lehrperson eher im Hintergrund und nicht im Vordergrund stattfinden können. Also mit der Lehrkraft als einer Person, die das ganze kuratiert, den Raum und die Voraussetzungen gestaltet und die im Blick hat, welche Einflüsse über die Medien oder jetzt zum Beispiel über das vorkonfigurierte ChatGPT gegeben werden. Da kommt für Lehrkräfte die neue Aufgabe hinzu, sich Gedanken zu machen, wie meine KI mit den Lernenden umgehen soll und welcher Ton und Sprachstil verwendet werden soll. Oder welche inhaltlichen Hilfestellungen oder Anregungen sollen gegeben werden? Sollen komplexe oder einfache Antworten gegeben werden? Das kann man alles mit bedenken – es wird dann doch sehr umfangreich.

Was ich persönlich für mich festgestellt habe: Weniger ist mehr. Das ist auch ein Learning gewesen: je stärker man versucht Details in den Abläufen zu konfigurieren, umso fehleranfälliger wird das Ganze. Ein offenes Setting erleichtert das Gelingen der Lernprozesse im Vergleich zum Versuch wirklich genau im Detail festzuschreiben, was da passiert.

Da sehe ich auch im größeren Bild einen Zusammenhang. Es gibt die Idee adaptive, personalisierte, individualisierte Lernpfade mit KI zu gestalten und ich habe das Gefühl, das mag bei manchen Inhalten gut sein, aber so ein Setting im Sportunterricht lebt doch von der Gruppe oder vom Miteinander. Ich glaube, auch in Bezug auf die Motivation ist es häufig weniger einfach mit einer Maschine, die mich genau versteht, langfristig zu lernen, als in einer Gruppe. In der Gruppe habe ich dann doch bedeutsame Beziehungen, aus denen ich Motivation schöpfe, mich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.

Für die Erprobung und die Entwicklung von Didaktik und passenden Inhalten zum Erlernen mit ChatGPT bedarf es unbedingt Freiräume das zu tun. Ich merke, wenn ich an die Schulen oder die Landesinstitute komme, ist das Thema stark unter Druck. Ich glaube, dieser Druck, Ergebnisse zu liefern, beziehungsweise das jetzt noch on top zu machen, verhindert gute Lösungen zu finden. Was ich für mich merke: Es braucht Raum das zu entwickeln und vor allen Dingen keine falschen Illusionen.

„… je stärker man versucht Details in den Abläufen zu konfigurieren, umso fehleranfälliger wird das Ganze. Ein offenes Setting erleichtert das Gelingen der Lernprozesse.“

Philipp Wetzel

Ich möchte abschließend noch einen kleinen Blick in die Zukunft werfen mit der Frage, ob Sie irgendwelche Wünsche oder Anregungen haben für Ihre eigene Forschung oder auch den Transfer solcher innovativen Arbeiten in die Schulpraxis?

Erstmal ein großes Dankeschön an lernen:digital und das Projekt KuMuS-ProNeD, dass sie mitgedacht haben Lehrkräfte und Menschen aus der Praxis als Brückenbauer mit reinzunehmen. Genau diese Verknüpfung bzw. Vernetzung zwischen den Hochschulen, Schulen und auch Weiterbildungszentren zu fördern ist wichtig, um das evidenzbasierte Lernen in die Schulen zu tragen. Diese Visionen von „Alles wird leichter, besser, und schöner” sind, glaube ich, wenig hilfreich. Diese Utopien und Dystopien helfen uns nicht weiter, sondern es braucht dann doch den Mut andere Dinge wegzulassen und einen klaren Blick auf das, was hilft.

Die Angemessenheit des Technikeinsatzes finde ich hier wesentlich. Also zu schauen, an welchen Stellen haben wir die Ressourcen das mit einer guten Qualität umzusetzen und wo hätte der Einsatz eher negative Effekte, wenn er nur schnell und nicht mit genügend Ressourcen oder Überlegungen stattfindet. Da kann ich mir Sport als Schutzraum vor Digitalisierung genauso gut vorstellen, wie ausgewählte digitalisierte Räume in jeglichem Sinne, zum Lernen, auch Bewegungslernen, mit KI.

Sie hatten ja danach gefragt, was ich mir wünsche oder was mich noch antreibt. Ich hoffe, dass der Rahmen, den wir jetzt liefern können, in dem sich Interaktionsprozesse mit KI in Gruppensettings beobachten lassen, aufgegriffen und genutzt wird, um weitere didaktische Konzepte zu entwickeln und einen fachgerechten Umgang damit zu finden. Denn aktuell sind die Voraussetzungen für die Fortbildungsinhalte, die ich entwickelt habe, für die Lehrkraft in der Praxis vermutlich noch nicht gegeben, also in der Sporthalle ohne Internet, ohne iPad, ohne die Zeit eigene GPTs zu Konfigurieren oder die Möglichkeit sich da intensiv einzuarbeiten.

„… wir brauchen Räume und Strukturen um vorzudenken, wie die KI in ein, zwei, drei Jahren aussehen wird. Wir sollten jetzt Strukturen aufbauen mit Lehrkräften vor Ort in den Schulen, in den Fortbildungszentren und an den Hochschulen. “

Philipp Wetzel

Ich glaube, wir brauchen Räume und Strukturen um vorzudenken, wie die KI in ein, zwei, drei Jahren aussehen wird. Wir sollten jetzt Strukturen aufbauen mit Lehrkräften vor Ort in den Schulen, in den Fortbildungszentren und an den Hochschulen. Damit wir nicht dieses „Schwedenerlebnis” haben, bei dem wir alles digitalisieren, die iPads in die Klassen geben und die Bücher zu Hause lassen, um das dann wieder zurückdrehen zu müssen und zu sagen: „Nein, Bücher haben auch eine Berechtigung und die negativen Aspekte, die haben wir unterschätzt.“ Um zu vermeiden, dass sich das wiederholt mit KI, sollten wir vorausschauend Erprobungsräume öffnen, um dann mit ausgereiften didaktischen Konzepten in die Fläche zu gehen. Auch konkret erlebe ich es jetzt, dass Fortbildungen nicht angenommen werden können, weil die Lehrkräfte keine Ressourcen haben. Wir haben viele Fortbildungen mit geringen Teilnehmerzahlen, obwohl das Interesse schon vorhanden ist.

Einen für mich begeisternden Aspekt habe ich erlebt, als ich als Lehrkraft im Plenum ChatGPT geschildert habe: „Wir haben uns im Unterricht schon fünf der zehn Schritte erarbeitet und wollen nächste Woche schon in die Choreografie einsteigen, wie machen wir denn jetzt weiter?“. Dann hat ChatGPT geantwortet: „Dann könnt ihr ja die Methode des Gruppenpuzzles weiterverwenden”. Daraufhin habe ich mich als Lehrkraft erinnert, dass das in den Materialien enthalten war und dass das an dieser Stelle passen könnte. Dieses gemeinsame Erlebnis zu haben, auch als Lehrkraft weitere Inspiration für meinen Unterricht durch den Chatbot zu bekommen, das war schön.

Vielen Dank!

Dieser Beitrag ist zuerst auf schule-mal-digital.de im Rahmen des Themenschwerpunkts Heterogenität im Klassenzimmer − Lernwege individuell und adaptiv gestalten erschienen. Er wurde vom Redaktionsteam von schule-mal-digital.de und des Zukunftsraums betreut. 

Philipp Wetzel

Philipp Wetzel ist Studienrat mit den Fächern Sport, Geographie und Informatik und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Sportwissenschaft und Sport an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Digitalisierung und Kooperatives Lernen sowie die Entwicklung von Fortbildungen zum Einsatz von generativer KI als Metamedium im Sportunterricht.

Vertiefung

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Bei der ersten Begegnung mit dem niedlichen Lernroboter Ozobot denken Grundschüler:innen wohl kaum an so komplizierte Dinge wie die Wirkung von Algorithmen. Doch im Umgang mit den Mini-Robotern geschieht genau das fast nebenbei: Sie erlangen ein erstes Verständnis für computergesteuerte Prozesse.

Im Video „Computational Thinking (er)leben“ erklären der Grundschullehrer Dominik May und der Erziehungswissenschaftler Raphael Fehrmann, warum es wichtig ist, dass Schüler:innen ab der Grundschule die Wirkung von Algorithmen bewusst wahrnehmen und reflektieren. Zudem geben sie Einblicke in das Computational Thinking, eine spezielle Herangehensweise zur Beschreibung und Lösung von Problemen.

Die praktische Umsetzung in der Schule zeigt das Video „Bildungsrobotik im Unterricht“: Hier wird erklärt, wie Computational Thinking mit Hilfe von Bildungsrobotik gefördert werden kann. Der kleine Lernroboter Ozobot wird vorgestellt und die Autoren geben Einblicke in den praktischen Einsatz im Unterricht. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Ozobot gelegt, die individuelles Lernen in heterogenen Settings ermöglichen.

Computational Thinking (er)leben

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Bildungsrobotik im Unterricht

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Takeaways
  • Lernziele im Fokus: Zukunftstechnologien als Tools sollten im Unterricht so ausgewählt werden, dass sie der Erreichung gewünschter Kompetenzen oder Lernziele dienen. Das bedeutet auch, auf sie zu verzichten, wenn sie nicht zu den Zielen beitragen.

  • Schnell individualisiertes Material: In der Digitalität ergeben sich neue Möglichkeiten, eine Vielzahl von individuell angepassten Darstellungsformen, sog. multiple Repräsentationen, und methodischen Zugängen für Unterrichtsinhalte schnell zu erstellen. Schüler:innen erhalten auf diese Weise leichter individuell erstellte Lernpfade für ihren eigenen, personalisierten Kompetenz- und Wissenserwerb.

  • Lernpfade mit Künstlicher Intelligenz: Prädiktive Künstliche Intelligenz erlaubt datenbasierte Vorhersagen über das Lernverhalten der Schüler:innen und kann so multiple Repräsentationen passend zu ihren Lernvoraussetzungen, -motivationen, -zielen und -entwicklungen auswählen. Dadurch lassen sich individuelle Lernpfade dynamisch und kompetenzorientiert anpassen. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Unterricht erfordert allerdings unter anderem auch einen transparenten Umgang mit dem Thema Datenschutz und Kompetenzen für die adäquate Anwendung entsprechender Tools.

Zunächst einmal die Frage an Sie, was heißt denn eigentlich Heterogenität im Schulkontext? Wie zeigt sie sich im Unterricht?

Jochen Kuhn: Ohne jetzt tief in die Forschung eingehen zu wollen: Heterogenität ist so zu sehen, dass Lernende mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Lernpräferenzen bei uns im Unterricht ankommen. Das ist auch kein Phänomen, das es erst seit heute gibt, sondern eigentlich schon seit vielen Jahren oder gar Jahrzehnten. Nur die Unterschiede zwischen den Lernenden sind größer geworden. Und es ist auch nicht nur so, dass das enge fachspezifische Lernvoraussetzungen sind, sondern auch Sprach- und Lesefähigkeit sowie Umsetzungskompetenzen. Die Unterschiede in diesen Voraussetzungen sind aus verschiedenen Gründen gerade in letzter Zeit auch zusehends größer geworden – wie uns auch die PISA-Studie zuletzt gezeigt hat.

Was müsste man denn hier tun, um unterstützen zu können?

Jochen Kuhn: Zunächst muss festgestellt werden, welche Lernvoraussetzungen die Schüler:innen zu Beginn des Unterrichts mitbringen. Dann müsste man die Schüler:innen gemäß ihren Lernvoraussetzungen, Lernpräferenzen und auch ihrer Motivation und ihren Einstellungen in unterschiedlicher Weise unterstützen. Wenn ich jetzt vom naturwissenschaftlichen Unterricht ausgehe, dann wissen wir sehr gut, dass wir in den Naturwissenschaften eine Art kognitiven Werkzeugkasten haben, der aus verschiedenen Darstellungsformen, sogenannten multiplen Repräsentationen besteht. Neben einem naturwissenschaftlichen Text findet man häufig eine Grafik oder auch eine Formel vor, was im Prinzip kognitive Werkzeuge sind, mit denen man den Inhalt und die domänenbezogenen Konzepte versteht. Die Präferenzen und Verarbeitungsfähigkeiten für diese Werkzeuge sind aber individuell verschieden. Das heißt, wenn jetzt beispielsweise eine Schülerin mehr mithilfe eines Textes den Inhalt erschließen kann und eine andere Schülerin aber mit den formalen Zusammenhängen, ist das eine wichtige Information und Erkenntnis, um Lernende individualisiert fördern zu können.

Wie können innovative Technologien, also das, wozu Sie forschen, helfen, besser mit individuellen Unterschieden umzugehen?

Jochen Kuhn: Wenn man sich vorstellt, dass wir im Prinzip jeder Schülerin oder jedem Schüler die jeweils geeignete Darstellungsform anbieten müssten, ist dies natürlich im realen Klassenraum mit Papier und Bleistift sehr schwer möglich. Der Vorteil von Multimedia und Digitalität ist, dass solche verschiedenen Arten von Darstellungen sehr schnell erzeugt und in verschiedenen Formaten bereitgestellt werden können, weshalb sich digitale Medien für einen individualisierten Unterricht sehr gut eignen. Man muss nur verstehen, wie am besten individualisiert gelernt wird, um tatsächlich die gleichen Kompetenzen zu erwerben. Denn am Ende sollen alle Lernenden vergleichbare Kompetenzen haben, auch wenn der Weg dorthin individuell verschieden sein kann. Lernende erschließen somit naturwissenschaftliche Inhalte mit verschiedenen Arten von Repräsentationen, wobei die eine Schülerin besser mit einem Text oder mit einem Bild oder deren Kombination umgeht, der andere Schüler aber vielleicht besser mit einer Formel lernt. Dadurch kann man im Lernverlauf diese Schüler:innen entsprechend ihren Lernpräferenzen genau mit den individuell präferierten Darstellungen zu einem gleichen Lerninhalt unterstützen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Schulbuch, das genau solche Präferenzen erkennen und die Inhalte individualisiert anbieten könnte. Das würde bedeuten, dass die gleiche Schulbuchseite bei einer Schülerin anders aussieht als bei einer anderen, weil die Lernpräferenzen anders sind. Nur am Ende der Unterrichtseinheit sollen trotzdem alle die Leistungsüberprüfung erfolgreich meistern können.

„Der Vorteil von Multimedia und Digitalität ist, dass solche verschiedenen Arten von Darstellungen sehr schnell erzeugt und in verschiedenen Formaten bereitgestellt werden können, weshalb sich digitale Medien für einen individualisierten Unterricht sehr gut eignen. Man muss nur verstehen, wie am besten individualisiert gelernt wird, um tatsächlich die gleichen Kompetenzen zu erwerben.“

Jochen Kuhn

Jetzt haben Sie in Ihrer Forschung viel mit neuen Technologien wie Virtual Reality oder auch KI zu tun. Wie kommen solche Tools hier zum Einsatz, um diese Lernpfade zu gestalten?

Jochen Kuhn: Das eine ist, dass man den Schüler:innen diese Darstellungsformen bereitstellen, also passende Lernumgebungen erstellen muss. Dazu braucht man Medien, die solche Adaptionen auch ermöglichen. Da kommen Tools wie Virtual oder Augmented Reality ins Spiel, die gerade im naturwissenschaftlichen Unterricht, wo es auch ums Experimentieren geht, durchaus große Mehrwerte gegenüber traditionellen Medien haben. Wir wissen aus der Forschung, dass beim Experimentieren der größte Lerneffekt erreicht wird, wenn man reales und virtuelles Experimentieren kombiniert. Das kann man natürlich sequentiell machen. Man kann es aber auch zeitgleich machen, indem zum Beispiel mit Augmented Reality zusätzliche virtuelle Informationen zum realen Experimentaufbau mit einem digitalen Medium, wie einem Tablet oder einer intelligenten Brille, eingeblendet werden, die beim realen Experiment fehlen. Die Schüler:innen können dann, genau wie im normalen Realexperiment, die realen Experimentkomponenten variieren und sehen dann sofort die Effekte, die das beispielsweise auf virtuell eingeblendete Größen hat. So kann z.B. die Variation des elektrischen Stromes durch eine reale Magnetspule mit einem realen Netzgerät ein virtuell eingeblendetes Magnetfeld verändern.

Wenn ich aber verstehen möchte, welche Art von virtueller Unterstützung oder Darstellung das Experiment anreichern soll, muss ich wieder die individuellen Lernpräferenzen der Lernenden kennen. Und man muss vorhersagen können, was die beste Lernunterstützung wäre, damit die Schülerin und der Schüler erfolgreich lernt. Da kann Künstliche Intelligenz ins Spiel kommen, mit der man aufgrund des Schülerverhaltens versucht vorherzusagen, mit welchen Mitteln Schüler:innen am besten unterstützt werden können, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen.

Dieses Schülerverhalten kann unterschiedlich erfasst werden. Man kann es z.B. mit Fragebögen oder Tests diagnostizieren und mit diesen Daten einen Algorithmus trainieren, der dann ein Lernprofil aufzeigt, das für andere Lernenden als Vergleich herangezogen wird. Bei anderen Lernenden wird geprüft, welches Profil vermeintlich am besten geeignet ist, um gleiches Lernverhalten vorherzusagen. Das Lernverhalten kann aber auch direkt mithilfe physiologischer Daten erfasst werden, beispielsweise mit Blickbewegungen, die eine hohe kognitive Prädiktion haben, also eine hohe kognitive Aussagekraft.

„Wir wissen aus der Forschung, dass beim Experimentieren der größte Lerneffekt erreicht wird, wenn man reales und virtuelles Experimentieren kombiniert.“

Jochen Kuhn

Haben Sie denn ein ganz konkretes Beispiel, wie so etwas auf einen Unterrichtsgegenstand angewendet werden kann?

Jochen Kuhn: Bleiben wir wieder bei unserem digitalen Schulbuch und gehen wir mal davon aus, dass es Blickdaten erfassen kann. Eine solche Technologie nennt man Eye-Tracker, die zwar immer noch zu teuer für Schulen ist, aber in naher Zukunft auch mithilfe integrierter Webcams möglich sein wird. Das heißt, dass jedes Gerät oder jedes digitale Medium, das eine Webkamera eingebaut hat, auch Blickdaten erfassen könnte. Wir sollten uns also nicht um die Frage kümmern, ob die Technologie irgendwann bereitsteht, sondern um die Frage des pädagogisch sinnvollen Einsatzes der Technologie. Gehen wir mal davon aus, dass Blickdaten durch das digitale Schulbuch kostengünstig und technologisch einfach erfasst werden können. Die Schülerin oder der Schüler liest entlang des Schulbuchs und die Lernumgebung erkennt aufgrund der blickdatenbasierten Interaktion mit den Darstellungen auf der Schulbuchseite, dass das Blickverhalten einem Blickmuster ähnelt, bei dem eine bestimmte Unterstützungsmaßnahme zum Lernerfolg geführt hat. Dann bekommt dieser Schüler oder diese Schülerin ebenso eine Unterstützungsmaßnahme in gleicher Form bereitgestellt. Würde diese Unterstützungsmaßnahme nicht der Lernpräferenz der Lernenden mit zugehöriger Lernvoraussetzung entsprechen, würde eine andere Unterstützungsmaßnahme eingeblendet und erfasst werden, wie die Schüler:innen damit lernen.

Was sind denn die pädagogischen Ziele und sinnvolle Einsatzgebiete für solche Technologien? Also was wollen Sie damit bewirken?

Jochen Kuhn: Als fachbezogene Bildungsforscher gehen wir der Frage nach, wie man Schüler:innen, kognitiv und affektiv zum besten Lernergebnis führen kann. Dazu gibt es etablierte Lerntheorien aus denen wir den sinnvollen Einsatz von KI, AR und VR ableiten können. Wir fragen uns immer, welches (Lern-)Ziel erreicht werden soll, und basierend auf welchen dazu passenden Lerntheorien, welche Hypothesen ableitbar sind (für z.B.  Lernzuwachs, Lernerfolg oder auch Motivationsförderung). Erst dann entscheiden wir, ob und, wenn ja, welches Tool geeignet ist, um diese Hypothese am besten zu bestätigen oder zu verwerfen. Das bestmöglich geeignete Tool muss gar nicht immer KI oder sonst eine Technologie sein. Also: nicht die Technologie um der Technologie willen einsetzen, sondern um damit den Zweck der dahinterstehenden, pädagogisch-psychologischen Frage-/Zielstellung zu erfüllen. So spielen auch stets ganz typische Fragen der Bildungsforschung, wie beispielsweise Fragen zum selbstregulierten Lernen oder Feedback eine große Rolle, die jetzt mittels großer Sprachmodelle wie ChatGPT auf eine ganz neue Art und Weise adressiert werden können. So stellt sich etwa die Frage, in welcher Weise Feedback, das von einem KI-Chatbot gegeben wird, auch wirklich erfolgreich für das Lernen ist oder dafür verwendet werden könnte. Solche und andere Fragestellungen sind noch unbeantwortet, und müssen in kommender Zeit umfassend untersucht werden.

Wenn Sie sagen, Sie müssen solche Fragestellungen untersuchen, gehen Sie ja wahrscheinlich auch in Schulklassen und untersuchen das auch wirklich vor Ort. Wie wird denn das Angebot im Unterricht angenommen? Also was sagen Schüler:innen, Eltern und auch Lehrer? Sehen sie den Bedarf bzw. die Idee dahinter oder gibt es da auch Bedenken, die Sie dann adressieren müssen?

Jochen Kuhn: Sowohl als auch. Das Problem bei KI ist beispielsweise, dass heutzutage der Begriff KI häufig mit ChatGPT oder mit Sprachmodellen gleichgesetzt wird, was eigentlich falsch bzw. zu eingegrenzt ist, weil Sprachmodelle oder ChatGPT nur eine Facette von KI sind. Von daher ist das ein Problem, auf das hingewiesen werden muss. Die Grundidee, die hinter Künstlicher Intelligenz steckt, ist eigentlich immer gleich: dass Daten vorhanden sind, mit denen Vorhersagen gemacht oder aus denen Informationen/Inhalte erzeugt werden können. Daher sind in diesem Kontext Datenschutzbedenken auch völlig legitim, weil Schule ein Schutzraum ist, in dem Schüler:innen lernen sollen, ohne sich Sorgen über die Unversehrtheit der Daten machen zu müssen. Das muss alles sicher erfasst, verarbeitet, gespeichert und weitergegeben werden.

Alles in allem sehen wir, dass dieses Thema in der Gesellschaft bereits so breit verankert ist, dass es ein bleibendes Phänomen sein wird. Das heißt, die Gesellschaft muss noch stärker auf dieses Thema und dessen Für und Wider sensibilisiert und über den sachgerechten, reflexiven Umgang damit aufgeklärt werden. Prinzipiell stellt sich für einen Einsatz insbesondere auch im Bildungsbereich immer die Frage des Mehrwerts. Der Mehrwert kann auch die Entlastung von Lehrkräften oder von Eltern sein, wozu solche Tools auch geeignet sind. Dabei muss auch auf Risiken der Technologien, wie z. B. von Halluzinationen bei Sprachmodellen, geachtet werden. Solche Fragen spricht man mit den Beteiligten transparent an und klärt offene Fragen. Man muss von Anfang an auch das ganze Thema Datenschutz sehr klar offenlegen. Welche Daten werden erhoben? Was macht man damit? Wie werden sie technisch transferiert? Wo werden sie gespeichert? Wer hat Zugriff darauf? All das müssen die Eltern, Schüler:innen, die Lehrkräfte, die Schulen und auch natürlich die Aufsichtsbehörden und Datenschutzbeauftragten wissen und dann auch genehmigen, dass man das tun darf.

„Wir fragen uns immer, welches (Lern-)Ziel erreicht werden soll, und basierend auf welchen dazu passenden Lerntheorien, welche Hypothesen ableitbar sind (für z.B.  Lernzuwachs, Lernerfolg oder auch Motivationsförderung). Erst dann entscheiden wir, ob und, wenn ja, welches Tool geeignet ist, um diese Hypothese am besten zu bestätigen oder zu verwerfen.“

Jochen Kuhn

Gibt es weitere Rahmenbedingungen, die Sie herstellen müssen, also zum Beispiel auch, was die Lehrkräfte betrifft? Brauchen sie Schulungen, wie Zukunftstechnologien eingesetzt werden können?

Jochen Kuhn: Das hängt ein bisschen von der Technologie ab. Wenn wir bei dem hoch dynamischen Thema KI, und jetzt speziell ChatGPT oder Sprachmodellen im Ganzen, sind, dann ist es schon so, dass es sich dabei um sehr mächtige Tools handelt, bei denen es aber auch sehr viel Expertise bedarf, um sie adäquat zu nutzen. Das heißt also, auch hier ist ein wichtiger Auftrag an uns als Einrichtungen der Lehrkräftebildung, diejenigen, die sich damit beschäftigen, also Lehrkräfte, aber auch Entscheidungsträger wie Kultusministerien sowie Eltern und natürlich auch Lernende selbst, von Anfang an einzubeziehen und mitzunehmen. Das bedeutet, dass sie sich kompetent fühlen, solche Tools zu nutzen und sich befähigt fühlen zu entscheiden, ob ein Tool oder ein Verfahren, ein Medium für ein gewünschtes Unterrichtsziel geeignet ist. Also eine Art reflexive Medienkompetenz.

Das gilt für KI in besonderem Maße, weil neben der Mächtigkeit des Tools auch eine hohe Sensibilität gegenüber der Bedienung besteht. Wenn man bedenkt, dass vor 24 Monaten niemand etwas mit dem Wort Prompt/ing anfangen konnte und es jetzt aber eine große Rolle für die Bedienung eines fast täglich verwendeten KI-Tools spielt, ist die Dynamik des ganzen Themas erkennbar. Prompt bedeutet aber nichts anderes als die Kommunikation des Menschen mit einem KI-Sprachmodell. Die Art der Kommunikation, dieser Aufforderung, entscheidet in höchstem Maße über die Reaktion des Chatbots – und das ist in diesem Fall genau die Kompetenz, die mittlerweile für Lernende aber auch für Lehrende sehr relevant ist. Infolge der Komplexität dieser Zusammenhänge sind Promptingstrategien keine Selbstläufer. Genau darum ist es umso wichtiger, dass man Lehrkräfte dazu ausbildet, weil die Möglichkeiten, die solche Tools bieten, sehr groß sind – aber auch die Risiken, die bei falscher Verwendung bestehen.

Wir hatten es von Lehrkräften, jetzt geht es auch darum, die Schüler:innen anzusprechen, wie Sie gesagt haben, vielleicht zu motivieren. Wie reagieren die Schüler:innen typischerweise auf, zum Beispiel, sowas wie den Einsatz von ChatGPT aber auch AR/VR?

Jochen Kuhn: Auch da gibt es ganz unterschiedliche Arten von Reaktionen. Wenn man die Technologien sehr fachbezogen einsetzt, dann werden sie prinzipiell, wie ein Tool sehr zielgerichtet verwendet. Dann wird die Lernumgebung auch von den Schüler:innen nicht so wahrgenommen, wie eine VR-Brille, die sie zu Hause für ein Videospiel verwenden. Es wird aber schon damit verglichen. Das heißt also, die Verwendung einer Technologie, die im Alltag schon Einzug gehalten hat, hat auf affektiver Ebene auch gleich das Konkurrenzlevel mit den Angeboten, die im Alltag verfügbar sind. Das ist natürlich auch wieder ein zweischneidiges Schwert, weil z. B. Lernangebote im Format von sehr designorientierten Spielen eben nicht die Regel sind. Aber unseren Erkenntnissen nach, werden die Schüler:innen nicht vom Lerninhalt abgelenkt, wenn das Tool fachbezogen eingesetzt wird. Auch wenn Lernumgebungen in der Regel nicht diesen Spaßeffekt wie eine Spieleumgebung haben, können sie beim Erschließen neuer Dinge – z. B. Unsichtbares sichtbar machen – bei den Schüler:innen einen „Wow-Effekt“ erzeugen. Wir hatten jetzt gerade zuletzt eine Lerngruppe in unser Schülerlabor eingeladen, die bei uns die physikalischen Zusammenhänge in einem Teilchenbeschleuniger exploriert haben. Sie arbeiteten mit einem LEGO Modell eines CERN Teilchendetektors. Sobald die Schüler:innen eine AR-Brille aufsetzten oder ein iPad vor das LEGO Modell hielten, sahen sie virtuell augmentiert über den realen Komponenten des Modells, wie die Teile des Beschleunigermodells funktionieren und konnten die physikalischen Zusammenhänge dazu explorieren. In solchen Situationen ist die erste Schülerreaktion oft ein Wow-Effekt! Aber für uns als Bildungsforscher heißt es natürlich noch nicht, dass sie damit besser lernen. Einen Wow-Effekt zu erzeugen ist nicht das (einzige) Ziel, sondern es geht vor allem darum, Lernen zu fördern.

„… hier ist ein wichtiger Auftrag an uns als Einrichtungen der Lehrkräftebildung, diejenigen, die sich damit beschäftigen, also Lehrkräfte, aber auch Entscheidungsträger wie Kultusministerien sowie Eltern und natürlich auch Lernende selbst, von Anfang an einzubeziehen und mitzunehmen. Das bedeutet, dass sie sich kompetent fühlen, solche Tools zu nutzen und sich befähigt fühlen zu entscheiden, ob ein Tool oder ein Verfahren, ein Medium für ein gewünschtes Unterrichtsziel geeignet ist.“

Jochen Kuhn

Wenn eine Lehrkraft so eine Zukunftstechnologie im Unterricht einsetzen möchte, wie kann sie vorgehen?

Jochen Kuhn: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen gibt es für das Design von Lernumgebungen mit AR oder VR spezifische Applikationen, mit denen sich die Lehrkräfte modulartig ihre Lernbausteine zum Beispiel zu einem Experiment zusammenstellen können. Dann können sie beispielsweise in eine AR-Umgebung zur Optik oder Elektrik mit ihren iPads virtuelle Zusatzinformationen oder Visualisierungen über die realen Komponenten des Experiments einblenden. Bei KI ist es genauso – auch dazu gibt es Tools. Entweder nutzt man vorhandene Umgebungen, wie z. B. ChatGPT, wenn man eine datenschutzgerechte Nutzung berücksichtigt, und muss dann aber auch befähigt sein, angemessen mit dem System zu kommunizieren, also zu prompten. Es gibt auch Applikationen, die Hilfestellungen bei der Verwendung solcher KI-Tools bieten, indem sie Prompt-Beispiele bereitstellen, die Lehrkräfte verwenden oder anpassen und ihre eigenen Unterrichtsmaterialien selbst erstellen können. Sie können zu ihren Materialien auch „Musterlösungen“ eingeben, sodass das Feedback oder die Antwort des Chatbots nicht fehlerhaft sind, also die Wahrscheinlichkeit für Halluzinationen minimiert wird. Trotzdem ist es sehr wichtig, dass Lehrkräfte zumindest grundlegend befähigt werden, solche Tools im Unterricht einzusetzen– das betrifft sowohl ein Lernen mit als auch ein Lernen über KI.

Prof. Dr. Jochen Kuhn

Jochen Kuhn ist Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der Physik an der Fakultät für Physik der LMU München. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Lernen und Problemlösen mit multiplen Repräsentationen unter Verwendung von Zukunftstechnologien (AR/VR), das Lehren und Lernen mit und über künstliche Intelligenz in MINT-Fächern und die Verwendung physiologischer Messverfahren zur Analyse von Lernprozessdaten (z.B. Eyetracking oder EEG).

Jochen Kuhn hat das Immersive Quantified Learning Lab (iQL) am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) mit aufgebaut und ist seit Mai 2024 Fellow der Konrad Zuse School of Excellence in Reliable AI (relAI) für die Focus Area „AI in Education“.

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