21. Juli 2025

LPI: „Unsere Professionalisie­rungs­angebote sind als begleitete Entwicklungs- und Fortbildungs­prozesse angelegt, um den eigenen Unterricht weiterzuentwickeln.“

Der Projektverbund „Länder- und phasenübergreifendes Interface der beruflich-technischen Bildung“ (LPI) will in fachlicher, methodischer und medialer Hinsicht einen nachhaltigen Impuls für die Digitalisierung des beruflich-technischen Lehrens und Lernens setzen. Wir sprachen mit dem Wissenschaftlichen Leiter, Prof. Dr. Daniel Pittich von der TU München, über die Veränderungsprozesse, die LPI anstoßen will und das Vorgehen nach dem Dreischritt Analyse, Vernetzung und Implementierung.

Interview mit Prof. Dr. Daniel Pittich. Redaktion: Petra Schraml, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Was sind die Ziele des Projektverbunds LPI?

Bei LPI steht die Professionalisierung von Lehrkräften in Bezug auf die Digitalisierung der beruflich-technischen Bildung im Fokus. Das Ziel ist, vielfältige Akteursgruppen – darunter Universitäten, Landes- und Fortbildungsinstitutionen, Ministerien und Schulen –, Formate und Konzepte synergetisch und funktional zusammenzuführen. Dabei sollen bestehende Strukturen, laufende Initiativen der beteiligten Bundesländer sowie innovative, wissenschaftlich fundierte Schwerpunktthemen berücksichtigt werden.

„Es ist wichtig, alle Akteursgruppen einzubeziehen, damit es keine Insellösungen gibt, bei denen Dinge entstehen, von denen keiner etwas weiß. “

Prof. Dr. Daniel Pittich

Wie sind Sie vorgegangen?

In dem Dreischritt Analyse – Vernetzung – Implementierung haben wir zunächst Bedarfe, Expertisen und bestehende Ansätze gesichtet und anschließend die oben genannten Akteursgruppen in den drei beteiligten Bundesländern miteinander vernetzt. Es ist wichtig, alle Akteursgruppen einzubeziehen, damit es keine Insellösungen gibt, bei denen Dinge entstehen, von denen keiner etwas weiß. Für die Implementation der Konzepte wollten wir keine Parallelstrukturen aufbauen, sondern die bestehenden Strukturen und Kooperationen, die in allen drei Ländern vorhanden sind, stärken und gemeinsam mit den Fortbildner:innen Professionalisierungsangebote entwickeln, die den beruflichen Unterricht direkt bereichern. Wir entwickeln und transferieren keine einzelnen Bausteine: LPI ist eher ein strukturell angelegtes Projekt.

Parallel haben wir eine Plattform für Information, Kommunikation und Verbreitung der Professionalisierungsumgebungen, Unterrichtsansätze und Good-Practice-Beispiele aufgebaut. Hier können Interessierte in Fortbildungskurse hineinschnuppern und sich für sie einschreiben. Wir arbeiten auch an einer Selbsteinschätzung, damit Beteiligte überprüfen können, wo sie stehen.

LPI ist als Transferprojekt angelegt und will einen nachhaltigen Impuls für die Digitalisierung des beruflich-technischen Lehrens und Lernens setzen. Welche Themenschwerpunkte haben Sie dafür ausgewählt?

Wir haben sechs Themenschwerpunkte und deren Einsatzmöglichkeiten im beruflichen Lehren und Lernen fokussiert. Ein digital angereicherter Unterricht folgt einer anderen Logik und anderen didaktischen Strukturen. Ein wichtiger Themenschwerpunkt sind Hybride Lernlandschaften als Leitidee und Rahmen eines digital-angereicherten Lernfeldunterrichts, in denen analoge und digitale Lernphasen unter Nutzung von Lernmanagementsystemen (LMS) zielführend und gewinnbringend kombiniert werden. Weitere Themenfelder sind Learning Analytics – also die Frage nach gezielten Rückmeldungen zum Lernprozess in digitalen Lernumgebungen –, Künstliche Intelligenz als Tool und Inhalt beruflicher Lehr-Lernszenarien, VR, AR und 360°-Videos als berufliche Lern- und betriebsnahe Arbeitsumgebungen, die neben räumlichen und zeitlichen Flexibilisierungen des Lernens auch Visualisierungen technischer Verständniszusammenhänge ermöglichen. Ein weiterer Schwerpunkt sind Lernfabriken als kontextualisierte Lernumgebungen, in denen digitalisierte Arbeits- und Produktionsabläufe für berufliches Lehren und Lernen zugänglich gemacht werden. Und als letzten Punkt haben wir die digitale Schulentwicklung einbezogen, da Veränderungsprozesse nur erfolgreich sein können, wenn Schulen entsprechende Entwicklungsräume schaffen. Unser Schulentwicklungsansatz geht vom Unterricht aus und betrachtet Schulentwicklung als einen schulischen Change-Prozess.

„Wir haben LPI als Transfer- und Veränderungsprojekt konzipiert – weg von dem klassischen Ansatz, etwas zu entwickeln, zu transformieren, zu implementieren und anschließend den Transfer zu evaluieren. Stattdessen möchten wir Veränderung bereits in der Entwicklung mitdenken. “

Prof. Dr. Daniel Pittich

Wie haben Sie die Lehrkräfte in die Entwicklung der Professionalisierungskonzepte eingebunden?

In Bayern sind beispielsweise teilabgeordnete Lehrkräfte in Kooperation mit dem Kultusministerium eingebunden, um die Zusammenarbeit mit den Landesinstituten zu stärken. Diese spielen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung gemeinsamer Angebote. Eine Lehrkraft, die sowohl an der Universität als auch an der Schule tätig ist, kann von Beginn an verschiedene Perspektiven in den Entwicklungsprozess einbringen und so zu einem gemeinsamen Commitment beitragen. Wir haben LPI als Transfer- und Veränderungsprojekt konzipiert – weg von dem klassischen Ansatz, etwas zu entwickeln, zu transformieren, zu implementieren und anschließend den Transfer zu evaluieren. Stattdessen möchten wir Veränderung bereits in der Entwicklung mitdenken. Alle Professionalisierungsumgebungen sind so konzipiert, dass sie Fortbildner:innen Adaptionen an die individuellen Voraussetzungen, die mit der Vielfalt des dualen Bildungssystems einhergehen, erlauben, wie bspw. fachspezifische Aspekte.

Wie zeigt sich das in Ihren Fortbildungen?

Unsere Professionalisierungsangebote bestehen nicht aus einzelnen Bausteinen, sondern sind als begleitete Prozesse über ein Schuljahr hinweg angelegt, um den eigenen Unterricht weiterzuentwickeln. Im Schwerpunkt „Hybride Lernlandschaften“ beispielsweise entsteht als Produkt ein hybrider Unterricht, der praxisnah und direkt umsetzbar ist. Gemeinsam mit Fortbildner:innen begleiten wir den gesamten Prozess – von der Konzeptentwicklung bis zur konkreten Umsetzung im Unterricht. Alle unsere Fortbildungsformate folgen einer einheitlichen methodischen Logik, die auf der hybriden Idee basiert. Dafür haben wir eine Moodle-Umgebung geschaffen, die alle notwendigen Materialien für eine Professionalisierung in digitalen und analogen Phasen enthält und eine kontinuierliche Verbindung zwischen Theorie, Wissen und Anwendung herstellt. In unserem Fall besteht die Anwendungsaufgabe für die Lehrkräfte darin, auf Basis ihres jeweiligen Themas einen Unterricht zu entwickeln. Alle unsere Lernumgebungen sind fach- oder technikdidaktisch ausgerichtet, wobei medienmethodische Aspekte stets in den fachdidaktischen Unterrichtsentwicklungsprozess integriert sind.

„Entscheidend für einen systematischen Veränderungsprozess ist die Unterstützung durch die Schulleitung. Erst wenn diese bereit ist, sich darauf einzulassen, kann das Prinzip überwunden werden, dass jede Lehrkraft nur das auswählt, was ihr individuell zusagt.“

Prof. Dr. Daniel Pittich

Wie nehmen die Lehrkräfte die Fortbildungen an? Sind sie offen für die Inhalte und Ansätze?

Es braucht Zeit und ein neues Mindset, damit Lehrkräfte sich auf diesen Ansatz einlassen. Doch wenn sich Lehrkräfte erst einmal darauf eingestellt und ihn verinnerlicht haben, fragen viele nach Folgeangeboten. Entscheidend dafür ist, einen Raum zu schaffen, in dem sie bei der Entwicklung neuer Unterrichtsideen unterstützt werden. Das kann herausfordernd sein, da bestehende Konzepte hinterfragt und diskutiert werden müssen. Doch die Mehrheit der Lehrkräfte, die sich darauf eingelassen haben, erzielt beeindruckende Ergebnisse – manchmal entdecken sie sogar neue Funktionen in der Moodle-Umgebung, die wir dann integrieren. Dieser gemeinsame Entwicklungsprozess ist notwendig, wird aber in klassischen Fortbildungsformaten oft nur bedingt berücksichtigt. Dort liegt der Fokus meist auf evidenzbasierten, wissenschaftlich fundierten und hochwertigen Fortbildungsangeboten, die Landesinstitute und Lehrkräfte nutzen sollen. Ich denke jedoch, dass dieser Ansatz zwar wichtig ist, aber Lehrkräften auch die Möglichkeit gibt, sich zurückzuziehen und zu sagen, dass die Angebote nicht zu ihnen passen, da die Themen nicht 100 Prozent in den eigenen Unterricht eingebunden werden können. Und hier kommt auch die Schulleitung ins Spiel: Entscheidend für einen systematischen Veränderungsprozess ist die Unterstützung durch die Schulleitung. Erst wenn diese bereit ist, sich darauf einzulassen, kann das Prinzip überwunden werden, dass jede Lehrkraft nur das auswählt, was ihr individuell zusagt. Deshalb setzen wir auf strukturelle Veränderungen – doch dafür braucht es auch die Rückendeckung von Kultusministerien und Entscheidungsträgern, die diesen Weg aktiv mitgehen. Das macht unseren Ansatz im Vergleich sicher ein wenig unbequemer, dafür aber umfassender.

Das Kompetenzzentrum MINT läuft noch bis September. Wo stehen Sie aktuell im Prozess?

Einerseits haben wir viel erreicht, indem wir tief in die Strukturen eingetaucht sind: Wir haben ein neues Netzwerk aufgebaut, Vertrauen geschaffen und Akteur:innen miteinander vernetzt, die gemeinsam neue Konzepte entwickeln können. Auch die Vernetzung über bestehende Kompetenzzentren hinaus war uns wichtig. Wir haben uns deshalb insbesondere mit dem Projektverbund WÖRLD aus dem Kompetenzzentrum Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft vernetzt, weil es einen ähnlichen Ansatz in der beruflichen Bildung verfolgt. Besonders wertvoll war dabei die Unterstützung der Transferstelle mit den Roadshows und Vernetzungsformaten. Andererseits gibt es immer noch zu viele Einzelmaßnahmen, die von den Verbünden und Projekten entwickelt werden. Diese können nach dem Bauchladenprinzip ausgewählt werden, sodass die Bildungsadministration punktuell entscheidet, welche Angebote für sie relevant sind.

„Es braucht die konsequente Einbindung der Bildungsadministration, sonst werden wir mit dem Kompetenzverbund lernen:digital oder mit anderen Projekten nicht die Veränderungen anstoßen können, die wir brauchen.“

Prof. Dr. Daniel Pittich

Welche weiteren Pläne verfolgen Sie mit dem Projektverbund ?

Der Kompetenzverbund lernen:digital ist für uns ein wichtiger Schritt auf einem längeren Weg. Wir hatten auf den Veranstaltungen die Möglichkeit, uns besser zu vernetzen, wir haben gute Produkte und eine Plattform entwickelt, viel Neues gelernt. Ohne den Kompetenzverbund lernen:digital hätten wir den Dreischritt nicht angestoßen. Jetzt müssen wir auch die systemischen Ansätze weiter vorantreiben – das gelingt nur durch eine enge Verknüpfung von Schul- und Unterrichtsentwicklung. Fort- und Ausbildung in der Professionalisierung müssen sich an den Möglichkeiten und Strukturen von Schule und Professionalisierungsraum orientieren, sonst bremsen sie sich aus. Inzwischen haben wir auch von der Bildungsadministration die Zustimmung, diesen Weg weiterzugehen. In den kommenden Wochen werde ich intensiv mit dem Abteilungsleiter des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus darüber sprechen, wie die systemischen Veränderungen umsetzbar sind. Es braucht die konsequente Einbindung der Bildungsadministration, sonst werden wir mit dem Kompetenzverbund oder mit anderen Projekten nicht die Veränderungen anstoßen können, die wir brauchen.

Was ist für den Transfer der Ergebnisse des Kompetenzverbund lernen:digital weiterhin wichtig?

Durch die Arbeit der Transferstelle ist viel in Bewegung gekommen, insbesondere in der Vernetzung unterschiedlicher Expertisen. Die Dynamik des Transfers und die Vernetzung müssen jetzt von jedem Einzelnen aufgegriffen und weitergeführt werden, denn im Gegensatz zu den Projekten und der Transferstelle, die nicht ewig existieren werden, bleiben die Strukturen und Netzwerke in den Ländern bestehen. Auch müssen Universitäten und Einzelverbünde stärker in die Verantwortung genommen und strukturell verankert werden. Zumindest sollte darüber gesprochen werden, wie sie ihre Rollen sehen – eine Erkenntnis, die sich auch im Kompetenzverbund lernen:digital deutlich gezeigt hat. Ein entscheidender Erfolg für lernen:digital wäre es, wenn Universitäten in gemeinsam mit den Ministerien und Landesinstituten abgestimmten und gehandhabten Ansätzen ein enger Beratungspartner in der Lehrkräftefortbildung werden würden. Ich bin davon überzeugt, dass sich durch unsere unterschiedlichen Perspektiven und Expertisen gemeinsam neue und innovative Fortbildungen entwickeln lassen.

Prof. Dr. Daniel Pittich

Daniel Pittich hat an der Technischen Universität München die Professur für Technikdidaktik inne. Zusammen mit seinem Team arbeitet er in enger Einbindung mit der Bildungspraxis und -administration u. a. zu Themen wie der Kompetenzentwicklung in technischen Domänen, einer Konzeption bzw. Umsetzung beruflich-technischen Lehrens und Lernens inkl. curricularen Implementierungsprozessen, der didaktischen Erschließung der digitalen Transformation sowie in der beruflich-technischen Lehrerbildung in allen Phasen. Seit 2023 leitet Daniel Pittich den Projektverbund LPI – Länder- und phasenübergreifendes Interface der beruflich-technischen Bildung. Er ist zudem Sprecher des lernen:digital Kompetenzzentrum MINT und Mitglied des Begleitgremiums.