21. Juni 2024

DigiSchukuMPK: „Das pädagogische Personal an Ganztagsgrundschulen soll für eine ganzheitliche Schul- und Unterrichtsentwicklung professionalisiert werden.“

Der Projektverbund „Digitalisierungsbezogene und digital gestützte Schul(kultur)entwicklung durch Multiprofessionelle Kooperation an ganztägigen Grundschulen“ (DigiSchuKuMPK) erarbeitet mit 30 Projektschulen Professionalisierungsbausteine, die das pädagogische Personal an Ganztagsgrundschulen für eine ganzheitliche Schul- und Unterrichtsentwicklung weiterbilden sollen.

Interview mit Prof. Dr Christian Reintjes. Redaktion: Petra Schraml, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Der Projektverbund DigiSchuKuMPK möchte die „Ganztagsgrundschulen der Zukunft“ mitgestalten. Was heißt das konkret?

Christian Reintjes: Die Gesellschaft ist in einem starken Wandel begriffen und das gilt natürlich auch für die Grundschulen. Nicht nur hinsichtlich der zunehmenden Diversität innerhalb der Schüler:innenschaft und der voranschreitenden Digitalisierung, sondern vor allem auch hinsichtlich der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Jahr 2026. Im Zentrum des Verbundprojektes DigiSchuKuMPK steht deswegen eine personale Strategie, nach der das gesamte pädagogische Personal an Ganztagsgrundschulen für eine ganzheitliche Schul- und Unterrichtsentwicklung mit den Schwerpunkten Inklusion und Ganztag professionalisiert werden soll. Dafür entwickeln wir in ko-konstruktiver Zusammenarbeit mit Akteur:innen aus 30 beteiligten Projektschulen Professionalisierungsbausteine. Es wird dabei auch berücksichtigt, wie digitale Medien für eine kooperative und professionsübergreifende Professionalisierung gewinnbringend eingesetzt werden können.

Für die Entwicklung der Professionalisierungsbausteine haben Sie vier Communities of Practice (CoPs) gebildet. Welche Schwerpunkte haben diese?

Christian Reintjes: In der CoP 1 Heterogenitätssensible Kooperationsentwicklung wird eine auf der Schüler:innenperspektive basierende inklusive Schulkulturentwicklung angeregt, die die Lehrkräfte und das gesamte pädagogische Personal auch des Ganztags einbezieht. Digitale Tools unterstützen diesen Prozess und werden gemeinsam von den Projektschulen und dem Wissenschaftler:innenteam erprobt und weiterentwickelt.

CoP 2 legt hingegen den Schwerpunkt auf die Unterstützung ressourcen- und sozialraumorientierter Schulentwicklungsprozesse in den Projektschulen. Dabei ist es das Ziel, gemeinsam ein neues digitales Tool zu entwickeln und zu erproben, welches der Sensibilisierung aller Akteur:innen in Schule für die (super)diversen Voraussetzungen der je eigenen Schülerschaft dient.

Und worum geht es in CoP 3 und 4?

Christian Reintjes: CoP 3 will an den kooperierenden Schulen Kapazitäten für eine „Datenbasierte Schulentwicklung“ aufbauen. Im Fokus steht die kollaborative Entwicklung und Nutzung digitaler Tools. Innovativ ist, dass zum Data Team neben den Lehrkräften und Schulleitungen auch das pädagogische Personal des Ganztags gehört, damit partizipative multiprofessionelle Schulentwicklungsarbeit betrieben werden kann.

 

CoP 4 hat zum Ziel, ein digitales Angebot zu entwickeln, das Schulen dabei hilft, sich eine Schulkultur des selbstregulierten Lernens (SRL) zu eigen zu machen. Erfahrungen aus vorangegangenen Ganztagsschulentwicklungsprojekten wie „Ganz In“ zeigen, dass erfolgreiches und flächendeckendes SRL nicht allein durch Unterrichtsentwicklung umgesetzt wird, sondern dass die gesamte Schule ein ganzheitliches Konzept benötigt und im Prozess der Entwicklung und Implementierung begleitet werden sollte. Das gesamte pädagogische Personal muss demnach wissen, was SRL ist, welchen Benefit es mit sich bringt, wie man es bei Schüler:innen fördert und wie der Transfer in verschiedene Fächer, aber auch in den außerschulischen Lebensraum unterstützt werden kann (Stebner et al., 2022; Wirth et al., 2020).

„Innovativ ist, dass zum Data Team neben den Lehrkräften und Schulleitungen auch das pädagogische Personal des Ganztags gehört, damit partizipative multiprofessionelle Schulentwicklungsarbeit betrieben werden kann. “

Christian Reintjes

An dem Projekt sind fünf Universitäten in drei verschiedenen Bundesländern beteiligt, dazu kommen 30 Projekt-Grundschulen, die Verbundkoordination und die Zusammenarbeit mit den Broker:innen. Wie sehen die Arbeitsprozesse innerhalb und zwischen den CoPs aus?

Christian Reintjes: CoP-interne Kooperations- und Kommunikationsstrukturen wurden von Projektbeginn an implementiert. Es finden regelmäßig digitale und Präsenztreffen auf Mitarbeitendenebene sowie mehrtägige Klausurtagungen statt, in denen standortübergreifende Schwerpunkte abgesprochen werden. Kern der gemeinsamen Arbeit zwischen den beteiligten Wissenschaftler:innen und den Schulen sind Entwicklungswerkstätten mit den je unterschiedlichen Schwerpunkten der COPs. Auf der Grundlage dieser gemeinsamen Erfahrungen werden später die Fortbildungsmodule entwickelt und frei zur Verfügung gestellt.

Natürlich entstehen auch zwischen den CoPs Synergien, z. B. durch regelmäßige Treffen der DigiSchukuMPK-Steuerungsgruppe, in die auch die Broker:innen involviert sind, sowie durch gemeinsame thematische Workshops, aber auch durch die Vorbereitung gemeinsamer Publikationen oder Symposien auf Fachtagungen. Drei Mitarbeitende kümmern sich zusätzlich um die Koordination und Evaluation und pflegen die Homepage und die Social-Media-Kanäle, über die die CoPs ihre Vorstellungen und Ziele einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.

Können Sie Beispiele für die Produkte nennen, die in den Entwicklungswerkstätten der vier CoPs entstehen werden?

Christian Reintjes: Es entstehen ganz unterschiedliche digitale bzw. digitalisierungsbezogene Prototypen, die Schulentwicklung und multiprofessionelle Kooperation unterstützen. Sie sind auf die Bedarfe der einzelnen Schulen angepasst, deshalb führen wir anfangs an allen 30 Projektschulen eine Ausgangserhebung durch. Wir wollen zunächst herausfinden, vor welchen Problemen und Herausforderungen sie stehen und inwiefern multiprofessionelle Schulkulturentwicklung unterstützend wirken kann. Gemeinsam mit einer Schule, der es um datengestützte Schulentwicklung geht, entwickeln wir beispielsweise eine App, eine Art Dashboard, an der Schulleitungen, das pädagogische Personal, die Lehrkräfte, vielleicht auch die Eltern gemeinsam partizipieren können, um sich so besser auf strategische Schulentwicklungsziele konzentrieren zu können. Zusammen mit einer anderen Schule entwickeln und erproben wir Fortbildungsangebote, die das gesamte pädagogische Personal im Bereich des selbstregulierten Lernens schult. Wichtig ist uns immer, dass die Produkte in den Entwicklungswerkstätten mit allen an Schulen Beteiligten konzipiert, entwickelt, erprobt und evaluiert werden.

„Wichtig ist uns immer, dass die Produkte in den Entwicklungswerkstätten mit allen an Schulen Beteiligten konzipiert, entwickelt, erprobt und evaluiert werden.“

Christian Reintjes

In welcher Phase des Projekts befinden Sie sich zurzeit?

Christian Reintjes: Aktuell haben wir teils mit einigen Schulen die Entwicklungswerkstätten bereits vorbereitet und für das kommende Schuljahr terminiert, mit anderen bereiten wir den ersten Kickoff vor. Zugleich werden Ausgangserhebung und formative Evaluation der Entwicklungswerkstätten ausgearbeitet. Mit den Ausgangserhebungen ‒ leitfadengestützte Interviews ‒ wollen wir in Erfahrung bringen, mit welchen Zielen und aus welchen Gründen sich die Schulen an unserem Projekt beteiligen, wo sie Chancen für ihre Schulentwicklung sehen, wie sie zum Thema Digitalisierung stehen, wie bei ihnen bisher gelebte Kooperation aussieht und wie ihr Ganztag gestaltet ist.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht? Was läuft gut, wo liegen Schwierigkeiten?

Christian Reintjes: Im Verbundprojekt haben wir ein vielseitiges Team in allen Teilprojekten zusammengestellt, das sowohl standort- als auch CoP-übergreifend hervorragend zusammenarbeitet. Viele meiner Kolleg:innen auf professoraler Ebene kenne ich schon seit Jahren, die Zusammenarbeit und Kommunikation mit ihnen funktioniert exzellent. Diese positive Dynamik überträgt sich natürlich auch auf das gesamte wissenschaftliche Personal, das eng in unsere Arbeit eingebunden ist. Die harmonische Atmosphäre legt bereits einen bedeutenden Grundstein für das Gelingen des Projektes, auch die Arbeiten laufen passgenau und zeitplangemäß ab. Was uns Schwierigkeiten bereitete, war die Schulakquise. Bei den vielfältigen Herausforderungen, die gegenwärtig in Schulen zu bearbeiten sind, ist es natürlich verständlich, dass einige Schulen zunächst zurückhaltend reagiert haben. Sie wollten genau wissen, wie groß der Arbeitsaufwand ist und was am Ende der Benefit für sie ist.

Wie werden die Produkte nach Projektende auch anderen Ganztagsgrundschulen zur Verfügung gestellt?

Christian Reintjes: Wenn wir die Konzepte mit unseren Projektschulen entwickelt und erprobt haben, wollen wir gemeinsam mit Expert:innen der Lehrerfortbildung in den Landessinstituten überlegen, wie wir aus diesen prototypischen Produkten eine sinnvolle Disseminationsstrategie entwickeln. Geplant ist, die entstandenen Produkte beispielsweise in Form von Open Educational Resources (OER) in einer Datenbank anzubieten, so dass jede interessierte Schule darauf zugreifen kann. Denkbar ist auch, die Materialien in bereits bestehende Fortbildungsplattformen zu integrieren. Wichtig ist uns immer, die Materialien, Apps und Produkte allen Interessierten barrierefrei zur Verfügung zu stellen, damit möglichst viele Grundschulen davon profitieren können.

Prof. Dr. Christian Reintjes
Christian Reintjes ist Professor für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt empirische Schul- und Unterrichtsforschung an der Universität Osnabrück. Charakteristisch für seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte ist eine hohe Affinität zur Politikberatung (u. a. als Mitglied der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission, SWK) sowie der Anspruch, wissenschaftliche Erkenntnisse in die (Bildungs-) Praxis sowie die Bildungspolitik zu transferieren. Seit Mitte 2023 ist er als Verbund- bzw. Standortkoordinator in zwei vom BMBF geförderten Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung involviert (DigiSchuKuMPK & DigiProSMK) Zugleich ist er als gewählter Sprecher des Kompetenzzentrums Schulentwicklung Mitglied des Begleitgremiums des Kompetenzverbund lernen:digital.