16. August 2024

DigiNICs: „Übergeordnete Ziele des Projekts sind der koordinierte Aufbau und die Konsolidierung von gleichermaßen digitalen wie lokalen Netzwerkstrukturen“

Der Projektverbund „DigiNICs: Digital gestützte Networked Improvement Communities zur Stärkung digitaler Souveränität in den Fächern der sprachlichen Bildung“ entwickelt und beforscht in sieben Teilprojekten modularisierte Fortbildungs- und Unterstützungsformate für den sprachlichen Unterricht. Der Aufbau regionaler und überregionaler Netzwerke soll die digitale Souveränität der Akteur:innen stärken.

Interview mit Prof. Dr. Britta Viebrock. Redaktion: Michaela Achenbach, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Im Fokus Ihrer Arbeit im Projektverbund DigiNICs steht der sprachliche Unterricht. Wie verändert sich dieser durch die Digitalisierung?

Britta Viebrock: Die Notwendigkeiten (fremd-)sprachlicher Bildung in der digitalen Welt gehen über die simple Nutzung von beispielsweise Sprachlern-Apps oder anderen digitalen Anreicherungen von ursprünglich analogen Phänomenen weit hinaus: Vielmehr verändern sich die fachlichen Gegenstände – Sprache/Kommunikation, Literatur und Kultur – unter den Bedingungen von Digitalität grundlegend: Die Grenzen zwischen mündlicher und schriftlicher Sprache werden unschärfer, automatisierte KI-Tools ermöglichen neue Formen der Teilnahme an Diskursen, literarische Texte treten in vielfältigen medialen Repräsentationsformen auf und sind durch Transmedia-Phänomene charakterisiert, Kulturen dynamisieren sich u.v.m. Diese veränderten Gegenstände ebenso wie veränderte Kommunikationsformen setzen andere Kompetenzen sowohl bei Lehrkräften als auch bei Schüler:innen voraus, die im (fremd-)sprachlichen Unterricht und der Lehrkräftebildung ihren Platz finden müssen.

Können Sie uns Ihren Projektverbund kurz vorstellen?

Britta Viebrock: Der Projektverbund besteht insgesamt aus sieben Teilprojekten, wobei an den Universitätsstandorten Chemnitz (Prof. Dr. Michael Krelle, Prof. Dr. Henriette Dausend), Dortmund (Prof. Dr. Gudrun Marci-Boehncke, Jun. Prof. Dr. Carolyn Blume) und Frankfurt (Prof. Dr. Johannes Mayer, Prof. Dr. Britta Viebrock) jeweils die Fächer Deutsch und Englisch beteiligt sind und unterschiedliche fachliche Schwerpunkte fokussieren: Sprache (Chemnitz); Literatur (Frankfurt) sowie das Querschnittsthema Diklusion (Dortmund).

An allen Standorten werden modularisierte Fortbildungs- und Unterstützungsformate in projektübergreifender Abstimmung (weiter-)entwickelt, erprobt und beforscht sowie in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen für Lehrkräftefort- und -weiterbildung nachhaltig in die Praxis transferiert. Die Begleitforschung ist an der Universität Tübingen (Prof. Dr. Annika Goeze) verortet. Sie verfolgt über die wissenschaftliche Unterstützung der Transfervorhaben hinaus das Ziel, bereits identifizierte Gelingensbedingungen für erfolgreiche Implementationsprozesse von Lehrkräftefortbildungen zur nachhaltigen Veränderung von Unterricht frühzeitig in den drei fachbezogenen Projekten zu verankern und diese begleitend zu analysieren.

„Diese veränderten Gegenstände ebenso wie veränderte Kommunikationsformen setzen andere Kompetenzen sowohl bei Lehrkräften als auch bei Schüler:innen voraus, die im (fremd-)sprachlichen Unterricht und der Lehrkräftebildung ihren Platz finden müssen.“

Britta Viebrock

Was ist das Ziel von DigiNICs?

Britta Viebrock: DigiNICs steht für „Digital gestützte Networked Improvement Communities zur Stärkung digitaler Souveränität in den Fächern sprachlicher Bildung“. Mit einem erweiterten Text- und Kommunikationsbegriff lassen sich die Auswirkungen digitaler Transformationen auf sprachliche Lehr-/Lernprozesse sowie auf die Anforderungen an Lehrer:innenbildung fassen: Schüler:innen werden mit vielfältigen (digitalen) Textsorten und Kommunikationsformen konfrontiert; sie haben Zugang zu automatisierten Schreibtools zur (fremd-)sprachlichen Textproduktion oder Erweiterung ihrer Sprachkenntnisse, deren selbstbestimmte Verwendung reflexive Ansätze verlangt.

Insbesondere für Lehrkräfte sind daher erstens praktische Kenntnisse digitaler Tools und Anwendungen nötig, um (fremd-)sprachliche Lernprozesse und Textproduktionen ihrer Lerner:innen zu unterstützen. Zweitens sind text- und medienreflexive Zugänge für eine kritische Reflexion digitaler Texte und Kommunikationsformen unerlässlich, um z. B. fake news oder Manipulationen erkennen zu können. Das Konzept „digitale Text- und Kommunikationssouveränität“ verbindet beide Dimensionen: die Entwicklung digitaler Kompetenzen zur Textrezeption und -produktion sowie einer kritisch-reflexiven Haltung gegenüber digitaler Kommunikation und Textualität. Übergeordnete Ziele des Projekts sind der koordinierte Aufbau und die Konsolidierung von gleichermaßen digitalen wie lokalen Netzwerkstrukturen (NICs) zur Stärkung ebendieser digitalen Souveränität der Akteur:innen in den Fächern sprachlicher Bildung.

Wer kann sich an den regionalen und überregionalen Netzwerken beteiligen, die von DigiNICs aufgebaut werden? Welchen Vorteil bietet eine Teilnahme?

Britta Viebrock: Die Netzwerke arbeiten im ersten Projektjahr regional, danach findet eine überregionale Vernetzung statt. Die Vernetzung zwischen den einzelnen Bildungsakteur:innen sowie der Transfer von digitalisierungsbezogenen Unterrichtsinnovationen findet über Networked Improvement Communities (NIC) statt, die eine bedeutende Gelingensbedingung für Implementierungsprozesse darstellen. Mit NICs wird eine Organisationsform auf der Makroebene beschrieben, in der die beteiligten Schulleitungen, Lehrpersonen, Fachberatende der Landesinstitute und Medienzentren lösungsorientiert digitale und digital gestützte Unterrichtsinnovationen implementieren, die nicht nur theoretisch fundiert und empirisch abgesichert sind, sondern zugleich auf ihre systemischen Bedingungen hin reflektiert werden. Die Professionalisierung von Lehrkräften findet als fortlaufender Prozess statt, der Qualifizierungsbedarfe und -maßnahmen in enger Kooperation der Beteiligten und unter Einbeziehung der jeweils spezifischen Rahmenbedingungen bestimmt und entwickelt.

Der Mehrwert der Kooperation im Projektverbund generiert sich durch

(a) die sprachenübergreifende Adressierung neuer fachlicher Gegenstände, d.h. digitaler Text- und Kommunikationsformen unter Beteiligung verschiedener Akteur:innen im Bildungsprozess

(b) die kooperative, interdisziplinäre Gestaltung von Modulen zur Stärkung digitaler Souveränität auch mit Blick auf die Bedarfe der sprachlichen Fächer an den unterschiedlichen Schulformen,

(c) die zielgerichtete Bündelung und gegenseitige Verfügbarmachung wissenschaftlicher Expertise, praktischer Erfahrungen, vorhandener Professionalisierungsmodule und -tools.

Alles in allem liegt dem Projekt stärker ein Transformationsgedanke zugrunde, im Gegensatz zu einem eher unidirektionalen Transferkonzept.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den vier beteiligten Universitäten im Projektverbund?

Britta Viebrock: Da es sich um einen kleinen Verbund handelt, der vor allem auf Netzwerkstrukturen setzt, ist die Zusammenarbeit besonders eng. Alle Entwicklungs- und Begleitforschungsschritte werden eng abgestimmt und in Teilen gemeinsam entwickelt, so zum Beispiel die Struktur der Fortbildungsmodule oder der gemeinsame Fragebogen zu Aspekten von digitaler Text- und Kommunikationssouveränität. Das Teilprojekt der Universität Tübingen, das die Implementationsprozesse untersucht, befragt auch die Leitungen der einzelnen Teilprojekte, die ihrerseits nicht nur Konzepte entwickeln und evaluieren, sondern selbst auch im Fokus der Begleitforschung stehen.

Welche Fortbildungen und Unterrichtsmaterialien werden in Ihrem Projektverbund entwickelt? Können Sie uns dazu ein paar Beispiele nennen?

Britta Viebrock: Im Projektverbund werden zum einen gemeinsame Grundlagenmodule zum Konzept der digitalen Text- und Kommunikationssouveränität in den Fächern sprachlicher Bildung sowie zu Deutsch- bzw. Englischunterricht in einer digital-mediatisierten Welt entwickelt. Zum anderen fokussieren die beteiligten Standorte jeweils einen zentralen Inhaltsbereich des Sprachenunterrichts und entwickeln spezifische Module zum digitalen bzw. digital-gestützten Lesen, Schreiben und Sprechen, zu digitaler Literatur im weitesten Sinne (hierzu zählen vor allem auch multimodale digitale Texte wie Filme, Serien oder Computerspiele sowie neue digital überformte Texte wie z. B. Twitterature), sowie zu Inklusion in und durch Medien.

Sind diese auch in einem inklusiven Unterricht einsetzbar?

Britta Viebrock: Die Fortbildungsmodule des Teilprojekts an der TU Dortmund fokussieren explizit Fragen von Diversität und Inklusion (Diklusion) und damit ein wichtiges Querschnittsthema für den (fremd-)sprachlichen Unterricht. Die Teilprojekte an der TU Chemnitz und der Goethe-Universität Frankfurt fokussieren stärker die fachlichen Inhaltsfelder Sprache und Literatur. Innerhalb des Gesamtprojekts findet aber eine Prüfung und Beratung hinsichtlich inklusionsbezogener Aspekte statt. Ein weiteres Ziel ist die Optimierung vorhandener digitaler Fortbildungsmodule im Hinblick auf Barrierefreiheit. Darüber hinaus werden neue Module (z. B. zu Fragen der Datensicherheit im Umgang mit digitalen Anwendungen) entwickelt und optimiert sowie ebenfalls auf ihre Transferierbarkeit hin überprüft.

„Insbesondere für Lehrkräfte sind erstens praktische Kenntnisse digitaler Tools und Anwendungen nötig, um (fremd-)sprachliche Lernprozesse und Textproduktionen ihrer Lerner:innen zu unterstützen. Zweitens sind text- und medienreflexive Zugänge für eine kritische Reflexion digitaler Texte und Kommunikationsformen unerlässlich, um z. B. fake news oder Manipulationen erkennen zu können.“

Britta Viebrock

In welcher Phase – Entwicklung, Erprobung oder Evaluation der Fortbildungen – befinden Sie sich zurzeit?

Britta Viebrock: Entwicklung, Erprobung und Evaluation der Fortbildungsmodule finden im Rahmen eines Design-Based-Research-Ansatzes in zyklischen Prozessen statt. Bisherige digitalisierungsbezogene Aus- und Fortbildungsangebote und -ressourcen (z. B. aus Vorarbeiten aus der QLB) werden systematisiert und in Zusammenarbeit mit den Akteur:innen und Multiplikator:innen anhand der spezifischen Bedarfe ergänzt, modular aufbereitet und auf ihre Transferierbarkeit an die jeweils anderen Projektstandorte sowie in weiteren Institutionen bzw. Kontexten der Lehrkräftefortbildung überprüft. Durch die Nutzung digital konzipierter Maßnahmen (z. B. über asynchron abrufbare Inhalte zusammen mit Möglichkeiten des synchronen Austausches in digital gestützten Netzwerken) wird die länderübergreifende Teilnahme für Lehrkräfte an Qualifizierungsangeboten erleichtert und die Zugänglichkeit zu vorhandenen Qualifizierungsmaßnahmen oder Ressourcen vereinfacht.

Wie werden Ihre Lern- und Fortbildungsformate in der Praxis erprobt?

Britta Viebrock: Als Formen der Kooperation und Professionalisierung auf der Mikroebene unterstützen insbesondere Professionelle Lerngemeinschaften (PLGs) das kollaborative Arbeiten und Lernen. Sie wirken als Motor für organisationsstrukturelle und fachliche Verbesserungen (Bonsen/Rolff 2006; Kansteiner 2016; Vescio/Adams 2015) und bilden das Bindeglied zu Multiplikator:innen der Landesinstitute, Schulämter und Medienzentren. Netzwerkbasierte Forschung baut dabei auf einer mehrperspektivisch angelegten formativen Erhebung auf. Design-Based Research (DBR) ermöglicht hier die systematische Verknüpfung praktischer Anwendungen im realen Bildungskontext mit empirischer Forschung und Implementierung auf Basis einschlägiger Daten (Fishman et al. 2013; McKenney/Reeves 2012; Reinmann 2014). In einem zyklischen Entwicklungsprozess werden theoretische Erkenntnisse und praxisbezogene Ergebnisse generiert.

Wie gelingt es Ihnen, die Produkte nachhaltig und für eine größere Zielgruppe zu sichern bzw. anzubieten?

Britta Viebrock: Nachhaltigkeit wird durch die Zusammenführung zentraler Akteursgruppen und Handlungsfelder in den digital gestützten NICs gesichert. Professionelle Handlungsfähigkeit, Verantwortungsübernahme und Kooperation der Beteiligten werden über die aktive Einbindung der Akteuer:innen in die theoretische und praktische Entwicklung, Evaluation und Verbesserung von Qualifizierungsmaßnahmen und ihre Zusammenführung in lokalen „lernenden“ Netzwerken gestärkt, die den digitalen Mediatisierungskontext umfassend berücksichtigt. Zudem werden die entwickelten Fortbildungsmodule sowohl regional als auch über die von der Transferstelle koordinierten übergreifenden Distributionswege digital zur Verfügung gestellt.

Prof. Dr. Britta Viebrock

Britta Viebrock ist Professorin für die Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Sie ist Studiendekanin im Fachbereich Neuere Philologien und Direktorin der Akademie für Bildungsforschung und Lehrkräftebildung (Aufgabenschwerpunkt: International Teacher Education). Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Lehrkräfteprofessionalisierung, Forschungsmethodologie und Forschungsethik, Unterrichtsvideografie, Content and Language Integrated Learning, Filme und Serien im Fremdsprachenunterricht, Aspekte von Multiliteralität.