Der Kompetenzverbund lernen:digital gestaltet den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis für die digitale Transformation von Schule und Lehrkräftebildung.
Über den Kompetenzverbund
Vier Kompetenzzentren bündeln die Expertise aus rund 200 länderübergreifenden Forschungs- und Entwicklungsprojekten. In den Projekten entstehen evidenzbasierte Fort- und Weiterbildungen, Materialien sowie Konzepte für die Schul- und Unterrichtsentwicklung in einer Kultur der Digitalität.
Über die Kompetenzzentren
Eine Transferstelle macht die Ergebnisse für Lehrkräfte sichtbar, fördert die konstruktive Weiterentwicklung mit der Praxis und unterstützt den bundesweiten Transfer in die Lehrkräftebildung.
Über die Transferstelle
Takeaways
Zeitgemäße Schule: Wissenskonstruktion und Kommunikation haben sich durch die Digitalität stark verändert. Reine Wissensvermittlung durch eine vermittelnde Lehrkraft ist nicht mehr zeitgemäß. Kinder und Jugendliche brauchen Basiskompetenzen und Handlungskompetenz, um den Herausforderungen im Kontext von Digitalität, Demokratie und Nachhaltigkeit begegnen zu können.
Transformierte Schule: Aus der Kultur der Digitalität erwachsen Handlungsgepflogenheiten, die auch unser Bildungssystem beeinflussen. Es reicht nicht aus, Unterricht mit Hilfe digitaler Tools zu optimieren. Stattdessen ist eine Transformation des gesamten Systems Schule gemäß der Kultur der Digitalität notwendig, um darauf zu reagieren und Kinder zu befähigen, Kultur weiterhin mitzugestalten. Voraussetzung ist ein geteiltes Verständnis von Transformation, der einen Austausch der Akteur:innen auf allen Ebenen erforderlich macht und auch Akteur:innen aus dem Quartier mit einschließt. Schule kann nur gemeinsam weiterentwickelt werden (siehe Navigator Bildung Digitalisierung).
Leistungsorientierte Schule: Schule heute kann es sich nicht mehr leisten, Kinder nach einer Phase der Wissensvermittlung mit standardisierten Prüfungen in 6 Notenstufen einzuteilen. Es gilt, vom individuellen Lernstand der Kinder auszugehen und den Lernprozess fortlaufend im Blick zu behalten, um alle Kinder im Rahmen adaptiver Unterrichtssettings bestmöglich zu fördern. Der Prozess schließt auch Elitenförderung mit ein. Die Sortierung nach Schularten löst das Problem jedoch nicht. Kinder profitieren gerade im Hinblick auf die Handlungskompetenzen für die gesellschaftlichen Herausforderungen vom gemeinsamen Lernen.
Frau Hauck-Thum, Sie sagten in einer Veranstaltung von lernen:digital: „Schule heute ist eine, die immer noch den Anforderungen der Zeit der Industrialisierung entspricht.“ Was sind diese Anforderungen und warum passen sie heute nicht mehr? Was hat sich da verschoben?
Schule ist immer noch ganz stark auf die Vermittlung von Wissen ausgerichtet. Aber die Konstruktion von Wissen, die Art und Weise, wie man sich Informationen beschafft, wie man miteinander kommuniziert, wie man sich austauscht, ist einem stetigen Wandel unterzogen. Die bloße Vermittlung von Wissen, dieses Lehren, Lernen und Prüfen in der bestehenden Lernkultur, ist aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß. Es gilt vielmehr, veränderte Lehr-/Lern- und auch Prüfungssettings zu gestalten, die es Kindern ermöglichen, die Kompetenzen zu erwerben, die sie brauchen, um mit wachsenden Komplexitäten umzugehen – um Herausforderungen im Kontext von Digitalisierung und Nachhaltigkeit kompetent zu begegnen. Wenn man sich die Entwicklung der künstlichen Intelligenz am Beispiel ChatGPT des letzten Jahres anschaut, sieht man, dass die technologische Entwicklung auch mit der Notwendigkeit einhergeht, den Kompetenzerwerb anzupassen, also die Fähigkeit, wie mit Informationen und insbesondere mit Quellen umgegangen wird. Der Schreibprozess als solcher verändert sich, und darauf muss Schule reagieren, damit Kinder lernen, Technologien im Rahmen ihres Schreibprozesses zu nutzen, ohne den Erwerb basaler Kompetenzen zu vernachlässigen. Gerade für bildungsferne Kinder ist die Schule dafür der einzige Ort.
Schule sollte ein Ort sein, auch über den Schulraum hinaus, der es Kindern ermöglicht, vielfältige Erfahrungen zu machen, die sie beim Erwerb von Basiskompetenzen und zukunftsrelevanten Kompetenzen gleichermaßen unterstützt. Aus diesem Grund müssen wir gemeinsam versuchen, das Bildungssystem als solches weiterzuentwickeln.
Heißt das, es geht nicht mehr so sehr um die Vermittlung von klassischem Wissen, sondern mehr um Handlungskompetenz in einer Kultur der Digitalität?
Ich würde vermeiden, das eine gegen das andere auszuspielen. Natürlich sind fachspezifische Wissensbestände von Bedeutung. Wir brauchen vor allem bei Grundschüler:innen verlässliche Basiskompetenzen zu Beginn ihres lebenslangen Lernens. Kinder sollten von Anfang an die Möglichkeit haben, über adaptive Lernangebote Kenntnisse zu vertiefen, aber eben nicht nur in Phasen des Übens, sondern auch des integrativen Lernens. Kinder brauchen Räume, in denen sie sich miteinander austauschen, gemeinsam Probleme lösen, Herausforderungen begegnen und kreativ sein können. Kreativität bedeutet nicht „Ich male ein Bild zum Text“, sondern beharrlich und fokussiert im Austausch miteinander an einem Thema dranbleiben, eigene Ideen einbringen, andere Ideen kritisch bewerten und dabei sowohl Basiskompetenzen als auch wichtige zukunftsrelevante übergreifende Kompetenzen erwerben.
Das ist ein dichtes, neues Bündel an Kompetenzen, die Sie für eine veränderte Schule einfordern. Ihre Webseite, auf der Sie Ihre Projekte vorstellen, heißt www.digitalitaet.com. Das klingt nach einer klaren Marschrichtung dafür. Was genau verstehen Sie unter Digitalität?
Es geht zunächst um das Bewusstsein für einen neuen kulturellen Möglichkeitsraum. Der neue kulturelle Möglichkeitsraum verändert auch unser Bildungssystem. Wenn wir über Digitalisierung sprechen, dann blicken wir zunächst auf die sich ständig verändernden Technologien und die damit einhergehenden Herausforderungen. Da ist in den letzten zwanzig Jahren sehr viel passiert. Aber was häufig vergessen wird, ist, dass sich mit diesen technologischen Weiterentwicklungen auch kulturelle Praktiken verändert haben, Handlungsgepflogenheiten, wie Menschen sich austauschen, wie sie miteinander kommunizieren, wie sie mit Informationen umgehen. Gerade hinsichtlich der Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz gilt es, neue Kompetenzen zu erwerben, die nötig sind, um mit diesen komplexen Informationen kritisch umzugehen, um sie auch für den eigenen Bildungserfolg nutzen zu können. Diese veränderten Handlungsgepflogenheiten entwickeln sich laufend weiter. Wenn man also auch zukünftig zu Teilhabe und Partizipation fähig sein will, Kultur mitgestalten möchte und sich am Austausch beteiligen will, der eben nicht mehr nur rein analog stattfindet, brauchen Kinder Unterstützung und Möglichkeiten, um Teilhabe zu erleben, um zu lernen, wie man sich in digitalen Räumen bewegt.
Von Schulen wird in der Breite lediglich erwartet, dass sie digitaler werden. Es geht aber eben um weit mehr, als Schule in tradierter Form mit Hilfe digitaler Medien zu optimieren. Vielmehr verändert sich der Lernort Schule in einer digitalen Welt ganz grundlegend. In einem gemeinschaftlichen Prozess, an dem sämtliche Akteur:innen beteiligt werden, vor allem auch Schulaufsicht und Schulträger, kann die Veränderung gestaltet werden. Gemeinsam haben die Akteur:innen die Aufgabe, sich auf ein geteiltes Verständnis von Transformation zu einigen und mit einer gemeinsamen Vision und Zielen den Veränderungsprozess umzusetzen und immer wieder so auszurichten, dass er für die Schulen im jeweiligen Umfeld am besten passt. Das Verständnis der Kultur der Digitalität bildet die Basis, auf der weitere Maßnahmen aufbauen – gemeinsam, vernetzt und im ständigen Austausch.
Das heißt, Sie wollen Schule verändern und auf einen Weg der Transformation bringen. Transformation oder Veränderung klingen erst einmal abstrakt, weil das Ziel in der Zukunft liegt und die Veränderung nicht richtig greifbar ist. Wie könnte das funktionieren, eine Schule zu transformieren?
Wir müssen wegkommen von diesen Bestrebungen in der Einzelschule. Man braucht vielmehr systemische Veränderungen. Diese geht aus gemeinschaftlichen Prozessen hervor, wenn sich Schulen miteinander vernetzen und sich gemeinsam auf den Weg machen. Die Akteure müssen merken “Ah, da drückt mir jetzt nicht jemand irgendwas auf, sondern ich kann meine Ideen, meine eigene Vision von Schule einbringen und im Austausch mit anderen weiterentwickeln.” Dazu bedarf es eines grundlegend veränderten Kooperationsverständnisses. Kooperation ist eben nicht, “Ich kriege von dir Mathe, und du kriegst dafür von mir Deutsch”, sondern „Wir sind gemeinsam kreativ, innovativ und entwickeln die Gedanken, die wir vielleicht selber schon haben, zu einem bestimmten Thema gemeinsam weiter.“ Damit geht wiederum ein verändertes Rollenverständnis auf unterschiedlichen Ebenen einher. Das betrifft auch die Schulleitung, die sich nicht in erster Linie als Verwalterin sieht, sondern als Ideegeberin, als Funkensprüherin, damit Prozesse, die im Kollegium vielleicht schon passieren, auch begleitet oder sogar auch ausgelöst, angestoßen, auch abgefedert werden. Also auch Rückschläge sollten entsprechend konstruktiv und positiv in den Prozess eingebunden werden. Und mit dieser veränderten Haltung kann auch ein gesamtgesellschaftlicher Prozess miteinander gestaltet werden.
Wenn ich mich am Montag auf den Weg machen will und den Weg der Veränderung beginnen will, dann wäre ich erstmal überfordert, wie ich das angehen soll. Aber Sie haben ja schon ein ganz konkretes Forschungsprojekt zu diesem Thema, für das sich Schulen zusammengetan haben, um den Weg der Transformation in einer Kultur der Digitalität zu beschreiten. Vielleicht können Sie diese Transformation noch einmal etwas plastischer beschreiben.
Die grundlegende Idee im Kleinen ist zunächst, Gleichgesinnte zu finden. Suchen Sie sich ein, zwei Gleichgesinnte und probieren etwas aus. Was wir in Freising mit dieser Idee momentan gestalten, ist die systemische Veränderung in Schulfamilien. Ich begleite aktuell gemeinsam mit Jana Heinz (HS München) und Barbara Lenzgeiger (KU Eichstätt) 22 Grundschulen. Das Konzept ist aus einer Idee von sieben Professorinnen hervorgegangen. Dieses Konzept CoTransform Freising vernetzt drei bis fünf Grundschulen, die eine räumliche Nähe aufweisen, die sich aber auch mögen. Mit Unterstützung der Plattform schultransform.org ermitteln die Schulen zunächst den IST-Stand ihrer Schulentwicklung. Zudem haben wir mit allen Schulen einen Hackathon veranstaltet. Das ist ein agiles Format, an dem über 100 Lehrer:innen und Schulleiter:innen teilgenommen haben, um ihre Vision von Schule als Lernraum der Zukunft zu teilen und weiterzuentwickeln. Das war eine partizipative Auftaktveranstaltung, bei der man ins Träumen gekommen ist.
Jetzt sind wir an dem Punkt, dass wir die Schulfamilien mit unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunktsetzung begleiten. Großer Schwerpunkt: Lernstandsmonitoring und integrierte Förderung von Basiskompetenzen im Rahmen projektorientierter Settings. Es geht mir dabei derzeit zunächst um die Veränderung der Haltung. Wir sagen beispielsweise: “Klar müssen Kinder an ihren Fehlerschwerpunkten üben. Aber begleitet sie. Schaut nicht nach vier Wochen, was sie nicht können, und gebt ihnen eine schlechte Note, sondern schaut am Anfang, wo sind die Stärken, wo sind die Schwächen, und macht dann adaptive Angebote, die sie motivieren, ihre Interessen berücksichtigen, sie begeistern. Schaut nach vier Wochen, dann wieder nach acht Wochen und so weiter.” Wir nutzen Levumi als Lernstandsmonitoring, eine Plattform des Kollegen Professor Markus Gebhardt an der Ludwig-Maximilians-Universität München, die umsonst nutzbar ist. Jeder kann seine Klasse anmelden und hat hier die Möglichkeit, in Deutsch, Mathematik, aber auch im sozialen Bereich für Kompetenzen den IST-Zustand festzulegen, individuelle Übungsaufgaben zu nutzen und die Lernentwicklung der Kinder individuell zu begleiten. Wir unterstützen beim Anlegen der Klassen, bei der Gestaltung motivierender Übungsphasen und speziellen Scaffoldingangeboten.
Ein zweiter großer Bereich ist das demokratische Lernen. Die digitale Plattform AULA-digital eröffnet den Schulen eine Möglichkeit, damit Kinder echte Mitbestimmung im Schulalltag konsequent erleben können.
Der dritte Bereich sind zukunftsrelevante Kompetenzen: Ziel ist die Auflösung von Fächergrenzen und Jahrgangsstufen in Phasen projektorientierten Lernens, in denen die Kinder miteinander an unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten arbeiten. Das Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist eine wichtige Komponente, die wir in der dritten Säule etablieren wollen.
Im Projekt verändern wir darüber hinaus auch die Forschungsperspektive. Meine Doktorand:innen erheben keine Daten gemäß vorgefertigter Fragestellungen. Vielmehr steht auch hier der gemeinschaftliche Austausch im Mittelpunkt. Was wollen die Schulen, was brauchen sie in der Praxis? Wie können wir die Kinder unterstützen? Was passiert in diesen Austauschprozessen? Wissenschaftliche Fragestellungen ergeben sich aus dem Austausch mit dem Ziel, einen Beitrag zur Veränderung zu leisten. Wir sehen unsere Aufgabe darin, Schulen in ihrem Transformationsprozess zu begleiten, gleichzeitig aber auch unsere Wissenschaftsperspektive an die Bedarfe der Praxis anzupassen und auch die Administration, also Schulaufsicht, Schulträger, konsequent mit einzubeziehen.
Was wir bis jetzt gelernt haben ist die Bedeutung regelmäßiger Vernetzungstreffen, analog und digital im Wechsel, nicht zu viel wollen, mit einem Aspekt anfangen, anschlussfähig bleiben und Schritt für Schritt mehr Kolleg:innen in den Prozess miteinbeziehen. Dann natürlich auch die Schulfamilien untereinander vernetzen, dass sie sich gegenseitig ihre Fortschritte präsentieren können. Meine Prognose: In fünf Jahren kann sehr viel passieren.
„Klar müssen Kinder an ihren Fehlerschwerpunkten üben. Aber begleitet sie. Schaut nicht nach vier Wochen, was sie nicht können, und gebt ihnen eine schlechte Note, sondern schaut am Anfang, wo sind die Stärken, wo sind die Schwächen, und macht dann adaptive Angebote, die sie motivieren, ihre Interessen berücksichtigen, sie begeistern. Schaut nach vier Wochen, dann wieder nach acht Wochen und so weiter.“
Ich nehme mit: Veränderung funktioniert nur in der Vernetzung. Man darf auch nicht auf Signale der Politik warten, sondern man fängt Bottom-Up an. Sie nennen viele Beispiele, welche Schritte man gehen kann. Wenn ich in fünf Jahren auf die Schulen schaue, die den Weg schon begonnen haben in ihrem Projekt CoTransform Freising, wie sieht denn dann in so einer Schule in fünf Jahren der Schulalltag aus? Wahrscheinlich nicht: erste Stunde Deutsch, zweite Stunde Mathe, dritte Stunde Religion, oder?
Auf jeden Fall arbeiten multiprofessionelle Teams zusammen, die damit beschäftigt sind, angepasst an die immer heterogener werdenden Lernausgangslagen der Kinder, Lehr- und Lernsettings zu gestalten, die es allen Kindern ermöglichen, Lernfortschritte zu machen. Ich sehe hier auch stark innerschulisch diese Vernetzungsstruktur, nicht die einzelne Person, die mit 25 bis 30 Kindern beschäftigt ist und damit über kurz oder lang überfordert sein wird, sondern eben Teamstrukturen. Ich sehe dazu Akteur:innen von außen, und zwar nicht nur punktuell, sondern kontinuierlich, damit hier auch Expertise beispielsweise von Künstler:innen, Forscher:innen, einfach von Impulsgeber:innen von außen kontinuierlich in diesen schulischen Alltag miteinbezogen wird. Dieser Ort, der mal Schule genannt wurde, muss auch nicht mehr nur in diesem Gebäude stattfinden, sondern kann regelmäßig an unterschiedlichen Orten sein, die bespielt werden, in denen die Lehrkräfte ihre Kooperationen auch mit externen Akteur:innen pflegen und die Kinder ganz selbstverständlich ihren Ort, ihr Quartier in diesen Unterrichtsalltag mit integriert sehen.
Und was die Prüfung angeht: Ich möchte betonen, dass es bei dem Konzept um einen Beitrag zu einer leistungsfähigen demokratischen Gesellschaft geht. Wenn man die Noten in Frage stellt, heißt das nicht, dass eine Art Beliebigkeit aufkommt und alle nur noch irgendwie machen, was sie wollen, ganz im Gegenteil. Wir brauchen aber von Anfang an eine andere Sicht auf Leistung. Klar muss man leistungsfähig sein und jede:r muss die Möglichkeit haben, sich individuell weiterzuentwickeln. Aber doch nicht nur, wenn dem Kind die gelbe Rübe vor die Nase gehalten wird, sondern weil es lernen will, weil es gerne mit Leuten zusammenarbeitet, die Potenziale sehen und gemeinsam Ziele formulieren, die auch erreicht werden können. Kinder wollen lernen und sich hin und wieder vergleichen, wollen sehen, dass sie sich verbessern. Aber von der Einteilung der Kinder in sechs Notenstufen müssen wir wegkommen. Wir brauchen ein anderes Bewusstsein, das schon leistungsorientiert ausgerichtet ist, ohne den Ansatz von Bestrafung und Belohnung. Diesen halte ich auch in der Erziehung für relativ fragwürdig. Es geht doch darum, Kinder zu begleiten. Sie sollen ihre Leistung zeigen können, aber nicht mehr in Form klassischer Prüfungsformate. Interessant wäre, die Lern- und Persönlichkeitsentwicklung potenzialorientiert in einem multimodalen Portfolio zu dokumentieren, das sich über die Bildungskette hinweg füllt. Spätere Arbeitgeber hätten dann die Möglichkeit, sich zu informieren: „Wer kommt denn da? Was bringt denn die Person mit? Da ist ja eine besondere Eignung vorhanden, diese und jene Expertise kann genutzt werden.“ Es geht dabei darum, die Passung zu erhöhen und die individuelle Leistungsentwicklung von Kindern in den Blick zu nehmen. Die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft nimmt dadurch keineswegs ab. Ganz im Gegenteil. Auch besonders begabte Kinder mit besonderen Potenzialen brauchen von Anfang an die Möglichkeit, diese weiter zu entfalten, auch in der Auseinandersetzung mit inspirierenden Personen von außen. Aber das heißt nicht, dass man sie in bestimmten Schularten parken muss. Ich stelle mir vor, dass wir eine gemeinsame Schulzeit haben mit einer intensiven individuellen Förderung aller Kinder und intensiven Phasen sozialen und demokratischen Lernens, in denen alle wieder zusammenkommen. Ich brauche sowohl diese Phasen der individuellen adaptiven Lernbegleitung auf ganz unterschiedlichen Niveaus und zudem dieses soziale demokratische Lernen für alle. Dabei profitieren vor allem auch die Kinder mit unterschiedlichen Lernausgangslagen von dem Austausch, von dem Miteinander, von dem kontinuierlichen Prozess, der in einer Umgebung stattfindet, der Kinder in ihrer Individualität wahrnimmt, fördert, begleitet und nicht nur bewertet. Und dafür sind keine drei Schularten nötig, durch die eine vermeintliche Homogenisierung erreicht wird, sondern Lehrkräfte, die in der Lage sind, in Teams datengestützt passende Angebote auf unterschiedlichen Lernniveaus zu generieren. So wäre meine Vision von Schule, und diese Vision gebe ich in die Diskussion.
„Das ist meine Vision von Schule und diese gebe ich in die Diskussion.“
Prof. Uta Hauck-Thum
Uta Hauck-Thum ist Professorin für Grundschulpädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, unterstützt als Mitglied des Begleitgremiums den Kompetenzverbund lernen:digital bei seiner strategischen Ausrichtung und beteiligt sich darüber hinaus am Projektverbund DiäS, wo sie zu digitaler poetischer Bildung forscht.
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