Der Kompetenzverbund lernen:digital gestaltet den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis für die digitale Transformation von Schule und Lehrkräftebildung.
Über den Kompetenzverbund
Vier Kompetenzzentren bündeln die Expertise aus rund 200 länderübergreifenden Forschungs- und Entwicklungsprojekten. In den Projekten entstehen evidenzbasierte Fort- und Weiterbildungen, Materialien sowie Konzepte für die Schul- und Unterrichtsentwicklung in einer Kultur der Digitalität.
Über die Kompetenzzentren
Eine Transferstelle macht die Ergebnisse für Lehrkräfte sichtbar, fördert die konstruktive Weiterentwicklung mit der Praxis und unterstützt den bundesweiten Transfer in die Lehrkräftebildung.
Über die Transferstelle
Über 150 Symposien, Workshops und Vorträge an zwei Tagen plus einem Vernetzungstag für Mitglieder des Kompetenzverbunds: Das Organisationsteam der lernen:digital Transferstelle hatte sich viel vorgenommen, um einen Rahmen für den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zu schaffen und drängende Probleme rund um die digitale Transformation von Schule und Lehrkräftebildung zu diskutieren.
Ein grundlegendes Problem – das wurde auf der dreitägigen Tagung auf dem Campus Griebnitzsee der Universität Potsdam deutlich – sind ungenutzte Potenziale in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung. Und dafür sind nicht nur knappe zeitliche und personelle Ressourcen verantwortlich. In Deutschland fehlt es schlicht an einem institutionalisierten Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis – und zwar in beide Richtungen.
Dabei wird gerade auf dem Gebiet der digitalen Bildung viel geforscht. Allein dem Kompetenzverbund lernen:digital sind rund 200 länderübergreifende Forschungs- und Entwicklungsprojekte angeschlossen. Auf der Praxisseite wiederum gibt es in den Schulen, Landesinstituten und Qualitätseinrichtungen der Bundesländer recht genaue Vorstellungen davon, welche Kompetenzen benötigt werden, um Schüler:innen für die Zukunft fit zu machen.
Schulen erkennen das Potenzial digitaler Entwicklungen
Das Interesse an Digitalthemen sei bei Lehrkräften und Schulleitungen vorhanden. Das machte Dr. Birgit Pikowsky, Leiterin des Pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz und Mitglied des Begleitgremiums des Kompetenzverbunds, in einer Podiumsdiskussion zum Auftakt des zweiten Veranstaltungstages deutlich: Zuletzt seien bei einer Bedarfserhebung in Rheinland-Pfalz Fortbildungen zum Umgang mit Konflikten und schulischen Krisen sowie Sprachförderung sehr gefragt gewesen. Unwahrscheinlich gewachsen sei aber auch der Bedarf bei den Themen KI sowie datengestützte Schulentwicklung und diagnosegeleitete Förderung. Hier gehe es den Lehrkräften darum, passgenaue Förderangebote für ihre zunehmend heterogene Schüler:innenschaft machen zu können – und zwar sowohl im Bereich der Basiskompetenzen als auch der Zukunftskompetenzen, betonte Pikowsky.
Gerade den Landesinstituten kommt als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis eine wichtige Rolle zu: Sie verfügen einerseits über die Strukturen, um Bedarfe aus der Praxis zu erfassen und könnten auf der anderen Seite maßgeschneiderte Angebote aus der Wissenschaft wie Fortbildungen, Anwendungen für den Unterricht oder Schulentwicklungskonzepte breitflächig in die Schulen transportieren.
Die Realität sieht allerdings noch anders aus, denn eine Tradition der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Lehrkräftebildung gibt es in Deutschland nicht. Forschungserkenntnisse kommen daher meist nicht schnell genug in den Schulen an. Das bestätigte Podiumsgast Markus Wehmeyer, Abteilungsleiter IT-Infrastruktur und Lehrer für IT-Systeme an der Beruflichen Schule ITECH Elbinsel in Hamburg. Selbstorganisiertes Lernen mit digitalen Tools steht dort im Mittelpunkt. Für ihr innovatives Lehr-/Lernkonzept wurde die Schule 2023 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet.
Lehrkräfte wünschen sich für ihre Bedarfe passende Fortbildungen
Wehmeyer schilderte eindrücklich, welchen Herausforderungen Schulen angesichts der rasanten technologischen Entwicklung gegenüberstehen: Gerade im IT-Bereich müssten sich Lehrkräfte alle drei Jahre auf eine Systemerneuerung einstellen. Passende Fortbildungen fehlten jedoch. Die Kolleg:innen würden sich hier oft autodidaktisch in Heimarbeit, zum Beispiel über Lernvideos, weiterbilden. Auch technologische Entwicklungen wie Virtual Reality (VR) seien Bestandteil der Ausbildung an der Beruflichen Schule. Allerdings sei gerade hier die Fortbildung so kostenintensiv, dass sich die Schule dies gar nicht leisten könne. Da müsse man andere Wege gehen, erklärte der Lehrer.
„Selbst eine VR zu programmieren neben dem Unterricht, sich in das Thema KI einzuarbeiten und das dann noch als Multiplikator:in durch die gesamte Schule zu tragen … Man weiß gar nicht, wo man da anfangen soll. Wir können das gar nicht leisten“, sagte Wehmeyer. Einfach einmal neue Impulse und fertiges Material für die Arbeit zu bekommen, das sei eine Wunschvorstellung der Kollege:innen. Jahrelanges Erproben neuer Fortbildungen, die dann den Weg über die Landesinstitute in die Schulen finden, sei jedenfalls keine Lösung: „Bis dann eine Fortbildung in den Schulen ankommt, ist sie nicht mehr aktuell und für die Schüler kalter Kaffee,“ so Wehmeyer weiter. Genau diese Problematik möchte der Kompetenzverbund lernen:digital lösen. Der Zusammenschluss aus vier Förderlinien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie die dazugehörige koordinierende Transferstelle ist seit Anfang 2023 im Einsatz. Die länderübergreifenden Projektverbünde sind in vier Kompetenzzentren in den Bereichen MINT, Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft sowie Musik/Kunst/Sport und Schulentwicklung organisiert. Hier entstehen evidenzbasierte Fort- und Weiterbildungen, Materialien sowie Konzepte für die Schul- und Unterrichtsentwicklung. Die Transferstelle soll die Projektverbünde vernetzen und den Austausch mit den Landesinstituten und der Bildungspolitik herstellen, um so dafür zu sorgen, dass die Arbeitsergebnisse aus der Wissenschaft bundesweit von Schulleitungen und Lehrkräften genutzt werden können.
„Die Besonderheit des Kompetenzverbund lernen:digital ist, dass hier systematisch Expertise aus der Wissenschaft für die Institute aufbereitet wird. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie auch in der Zukunft Lehrkräftefortbildung noch stärker an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen teilhaben kann“, erklärt Dirk Richter, Professor für Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung an der Universität Potsdam und wissenschaftliche Leitung der Transferstelle.
Die von der Transferstelle ausgerichtete Tagung war nun ein Schritt, um die verschiedenen Akteur:innen in den Dialog zu bringen.
Herausforderungen in der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis
Weshalb eine gute Zusammenarbeit bislang schwierig war, erläutert Katharina Scheiter, die als Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam ebenfalls die Arbeit der Transferstelle leitet: „Zunächst einmal sind Wissenschaft und Bildungspraxis zwei unterschiedliche Systeme mit ganz unterschiedlichen Funktionsweisen. In Wissenschaft geht es unter anderem um das Generieren von wissenschaftlicher Erkenntnis auf einem teilweise sehr feinen Auflösungsniveau. Die Themen, die bearbeitet werden, sind durchaus auch an Fragen der Praxis orientiert, werden aber oftmals aus einer Forschungslogik heraus entwickelt. Und da kneift es dann meistens schon“, so Scheiter. „Das heißt, die Praxis hat häufig andere Fragen, die sie beschäftigt und braucht auch meistens schnellere Lösungen als das, was Wissenschaft typischerweise beiträgt. Ein erstes Ziel dieser Tagung ist daher tatsächlich zu versuchen, so weit wie möglich gemeinsam Fragen zu entwickeln und uns darauf zu verständigen, wie eine Lösung aussehen könnte. Was braucht beispielsweise eine Lehrkraft, die im Mathematikunterricht guten Unterricht mit digitalen Medien machen möchte? Wie muss da eine Fortbildung aussehen? Was können wir leisten, um sie zu unterstützen? Damit hoffen wir, die zwei Systeme besser in Einklang zu bringen.“
Das Angebot, das aus der Arbeit der Kompetenzzentren entsteht, umfasst bereits jetzt eine Vielzahl konkreter Anwendungen, Materialien und Konzepte, die in der Praxis bereits getestet wurden. Vom Konzept für die IT-Bildung von Lehrkräften, über Projekte für den MINT-Unterricht mit Zukunftstechnologien bis hin zu digitaler Bildung im Kontext von Inklusion, Bildung für nachhaltige Entwicklung oder Demokratiebildung und schließlich Projekten für die datengestützte Zusammenarbeit in der Schulverwaltung: Die Produkte für den Wissenstransfer sind vielfältig und decken alle Fachbereiche ab. Immer wieder Forschungsgegenstand: Das Lehren und Lernen mit digitalen Tools wie beispielsweise Lernmanagementsystemen oder Lernvideos sowie der Umgang mit KI und immersiven Technologien wie Virtual Reality. Der dritte Tagungstag war speziell dafür vorgesehen, die Landesinstitute mit den Forschenden zusammenzubringen, damit diese die Angebote kennenlernen, um sie gegebenenfalls für ihr Land zu adaptieren und sie dort zu verstetigen – eine gemeinsame Ausrichtung, die es bislang in dieser Form nicht gibt.
Die digitale Transformation zielt auf die gesamte Schule
Gerade an den Lösungen für die Schulentwicklung habe die Tagung gut gezeigt, dass es bei der digitalen Transformation um mehr geht als die Qualifizierung einzelner Personen, sagt Katharina Scheiter: „Wir müssen das gesamte System Schule in Angriff nehmen und auf so eine digitale Transformation vorbereiten. Das ist ein Umdenken, das jetzt gerade wichtig wird.“
Dass dieses Umdenken stark vom Willen bildungspolitischer Entscheider:innen zur systemischen Veränderung abhängt, machte die Frage zum Ende des zweiten Veranstaltungstages deutlich, die Keynote-Speaker Stuart Kime halb scherzhaft dem Publikum im vollen Hörsaal stellte: Ob das deutsche Bildungssystem schon bereit sei für eine bundesweite Online-Plattform zur evidenzbasierten Lehrkräftebildung und Verbesserung von Unterrichtsqualität wie das sogenannte Great Teaching Toolkit in England? Der derzeitige Gastprofessor der Universität Tübingen und Berater im International Board der lernen:digital Transferstelle hatte das von der englischen Regierung geförderte und landesweit eingesetzte Tool vorgestellt.
In Deutschland gelte es zunächst einmal, so lautete der Tenor in zahlreichen Gesprächen am Campus Griebnitzsee, die digitale Transformation handhabbar zu machen – durch Reduzierung von Komplexität und der Schaffung von Netzwerken und gemeinsamen Strukturen von Wissenschaft, Praxis, Politik und Verwaltung.
Die Tagung sei ein erfolgreicher Schritt in diese Richtung gewesen, zieht Dr. Julia Jennek, Leitung des Broker:innen-Teams für das Kompetenzzentrum Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft, Bilanz. Sie hatte die Tagung gemeinsam mit ihrem Team organisiert. Rund 700 Teilnehmende, davon knapp 100 aus den Kultusministerien und den Landesinstituten aus 15 Bundesländern sowie Vertreter:innen aus dem Bundesbildungsministerium seien der Einladung nach Potsdam gefolgt. „So viele Teilnehmende sind bei einer neuen, noch unbekannten Tagung sehr ungewöhnlich. Wir scheinen hier einen Nerv getroffen zu haben“, zeigt sich Julia Jennek hochzufrieden. „Die Tagung sollte Impulse setzen und Diskussionen Raum geben und das hat sie tatsächlich geschafft. Alle hatten Lust miteinander zu reden – und zwar über Grenzen wie Fachrichtung und Schulform hinweg. Wir freuen uns besonders darüber, dass die Vertreter:innen aus 15 Landesministerien hier teilgenommen haben. Sie werden großen Einfluss darauf haben, ob uns der Transfer in die Schulen gelingt und qualitativ hochwertige Fortbildungen dort ankommen, wo sie benötigt werden.“
Text: Sonja Mankowsky
Fotos: Phil Dera und Nadine Zilliges