
DigiProMIN: „Der modulare Aufbau der Fortbildungen ist uns sehr wichtig, weil er die Adaption durch die Lehrkräfte ermöglicht.“
Der Projektverbund „Digitalisierungsbezogene und digital gestützte Professionalisierung von MIN-Lehrkräften“ (DigiProMIN) entwickelt forschungsbasierte modulare Fort- und Weiterbildungen für Lehrkräfte für die Gestaltung guten Unterrichts mit digitalen Medien in den Fächern Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften. Wir sprachen mit der Wissenschaftlichen Leitung, Prof. Dr. Katharina Scheiter, und der Projektkoordinatorin, Muriel Schaber, über die Zielsetzungen des Projektverbunds, die Erfahrungen, die sie bei der Entwicklung der Module gesammelt haben, sowie mögliche Wege des Transfers in die Praxis.
Interview mit Prof. Dr. Katharina Scheiter und Muriel Schaber. Redaktion: Petra Schraml, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation
Im Projektverbund DigiProMIN steht der MINT-Unterricht im Fokus. Wie verändert sich dieser durch die Digitalisierung und welche neuen Herausforderungen für Lehrkräfte entstehen dadurch?
Katharina Scheiter: Durch die Digitalisierung werden digitale Medien als Lehr- und Lernwerkzeuge eingesetzt und Lehrkräfte sowie Schüler:innen müssen lernen, damit umzugehen. Im MINT-Bereich verändern sich zusätzlich die Fächer selbst. Es entstehen digitale Erfassungs-, Mess- und Modellierungsmethoden. Für Lehrkräfte bedeutet das eine weitere Herausforderung. Sie müssen den Bezug zu realen Phänomenen zum Beispiel über naturwissenschaftliche Experimente herstellen, diese aber digital vermitteln und erweitern.
Muriel Schaber: Der gesellschaftliche Anspruch an die Lehrkräfte im MINT-Bereich ist durch den hohen Lebensweltbezug etwas höher als an andere Lehrkräfte. MINT-Lehrkräfte haben durch die Digitalisierung aber auch die Möglichkeit, virtuelle Experimente durchzuführen und Schüler:innen so Phänomene zugänglich zu machen, die sie ihnen aufgrund der manchmal sehr rudimentären Schulausstattung nur schwer vermitteln können.

„MINT-Lehrkräfte haben durch die Digitalisierung aber auch die Möglichkeit, virtuelle Experimente durchzuführen und Schüler:innen so Phänomene zugänglich zu machen, die sie ihnen aufgrund der manchmal sehr rudimentären Schulausstattung nur schwer vermitteln können.“
Welches Ziel hat der Projektverbund DigiProMIN?
Katharina Scheiter: DigiProMIN hat drei Ziele bzw. Schwerpunkte. Zum einen entwickeln wir wissenschaftsbasierte Professionalisierungsbausteine für Lehrkräfte für den Einsatz von digitalen Medien im Unterricht, zum anderen nutzen wir digitale Medien und digitalisierungsbezogene Technologien aber auch schon in der Entwicklung der Fortbildungsangebote. Durch den Einsatz Virtueller Realität (VR) als Instrument für die Fortbildung können Lehrkräfte das digitale Unterrichten bereits erproben. Der dritte Schwerpunkt betrifft den Transfer und geht der Frage nach, wie die Ergebnisse für die Praxis verfügbar gemacht werden können. Das gilt für die Zusammenarbeit mit den Landesinstituten genauso wie für die sinnvolle niedrigschwellige Aufbereitung der Fortbildungsmodule.
Können Sie Beispiele für die Fort- und Weiterbildungen nennen, die Sie in den Schwerpunkten 1 und 2 entwickeln?
Muriel Schaber: Alle Teilprojekte, wir nennen sie auch Cluster, entwickeln modulare Professionalisierungsbausteine, die aufeinander aufbauen und untereinander Bezug haben. Häufig gibt es ein Basismodul, Vertiefungsmodule und ein Abschlussmodul. In der Fortbildungsreihe für den Chemieunterricht in Schwerpunkt 1 beispielsweise geht es um die Leitfrage, was qualitativ hochwertiger, digital gestützter Chemieunterricht ist. In Schwerpunkt 2 gibt es zum Beispiel Cluster zum VR-Klassenraum, um bestimmte digitale Kompetenzen der Lehrkräfte zu fördern und weiterzuentwickeln. Wir unterstützen die Lehrkräfte auch bei der Erstellung naturwissenschaftlicher Aufgaben mit digitalen Medien und trainieren, wie sie auf verbreitete Fehlvorstellungen reagieren können. Viele naturwissenschaftliche Phänomene wurden in der Alltagssprache falsch geprägt. Wir wollen sie um die wissenschaftliche Sichtweise erweitern.
Katharina Scheiter: Der modulare Aufbau der Fortbildungen ist uns sehr wichtig, weil er die Adaption durch die Lehrkräfte ermöglicht. Dadurch müssen sie kein komplettes Fortbildungsangebot durchlaufen, sondern Lehrkräfte bzw. Fortbildungsinstitute können selbst entscheiden, welche Module sie jenseits des Einführungsmoduls erarbeiten und anbieten möchten.

„Die beteiligten Wissenschaftler:innen entwickeln die Fortbildungen mit Lehrkräften, um die Wirksamkeit zu evaluieren.“
Beziehen Sie Lehrkräfte in die Entwicklung der Module mit ein?
Katharina Scheiter: Die beteiligten Wissenschaftler:innen entwickeln die Fortbildungen mit Lehrkräften, um die Wirksamkeit zu evaluieren. Mittel- bis langfristig sollen die Module aber an Multiplikator:innen übergeben werden, die sie dann mit Lehrkräften durchführen. Dementsprechend müssen sie für Fortbildner:innen in den Landesinstituten aufbereitet sein.
In welcher Form finden die Fortbildungen statt?
Muriel Schaber: Die Konzeption der Professionalisierungsmodule innerhalb der Cluster ist sehr gemischt. Es gibt Cluster, die zum jetzigen Zeitpunkt vollständig auf Präsenz setzen, Cluster zu den Online-Fortbildungen beschränken sich naturgegeben darauf. Es gibt aber auch welche, die eine Kombination aus Präsenz- und Online- bzw. Hybrid-Phasen verbinden, also auch Selbstlernphasen einbinden und diese in einer gemeinsamen Nachbereitung wieder zusammenführen.

„Die Akzeptanz der Fortbildungsmodule geht oft damit einher, wie intensiv die Lehrkräfte eingebunden werden können.“
Welche Erfahrungen haben Sie bei der Entwicklung und Erprobung der Fortbildungen bisher gemacht?
Katharina Scheiter: Eine Herausforderung für alle ist die enge zeitliche Taktung von zweieinhalb Jahren von der Konzeptionsphase bis hin zu einem fertig evaluierten Produkt zum Einsatz in der Praxis. Eine weitere Herausforderung stellt die Teilnahmebereitschaft der Lehrkräfte dar. In Zeiten des Lehrkräftemangels werden sie nicht ohne weiteres für Fortbildungen freigestellt. Zumal wir ihnen auch keine zeitliche Entlastung oder finanzielle Ressourcen bieten können. Oft hatten die Cluster für die Erprobung und Pilotierung der Professionalisierungsbausteine deshalb nicht die Teilnahmezahlen an Lehrkräften zur Verfügung, die sie sich gewünscht hatten. Trotzdem hat die Entwicklung der Fortbildungsmodule bisher sehr gut funktioniert. Ich bin immer begeistert, wenn ich sehe, welche innovativen Konzepte in dieser kurzen Zeit entstanden sind.
Muriel Schaber: Problematisch war, dass die Erprobungstermine manchmal aufgrund kurzfristiger Verhinderungen der Lehrkräfte abgesagt werden mussten. Dadurch wurde der Zeitplan der Kolleg:innen stark beeinträchtigt, so dass sie zum Teil dazu übergegangen sind, in den ersten Erprobungszyklen mit angehenden Lehrkräften zu arbeiten.
Wie haben die (angehenden) Lehrkräfte die Fortbildungen angenommen?
Muriel Schaber: Sehr positiv, die Fortbildungsmodule kommen vor allem in Bezug auf den Einsatz digitaler Medien und Technologien sehr gut an. Verbesserungsvorschläge gab es zum Teil zur Organisation, zum zeitlichen Ablauf und zur Strukturierung innerhalb der Module. Auf Grundlage der Rückmeldungen – die Kolleg:innen arbeiten alle mit Evaluationsbögen – sind die Module dann weiterentwickelt worden.
Katharina Scheiter: Ich habe auch nur positive Rückmeldungen erhalten. Viele Teilprojekte gehen nach dem Design-Research-Ansatz vor, wo sie iterativ immer wieder wechseln zwischen Entwicklungsphasen, Evaluationsphasen und der Adaption des Angebots. Die Akzeptanz der Fortbildungsmodule geht oft damit einher, wie intensiv die Lehrkräfte eingebunden werden können. Einige Standorte verfügen über sehr gute Netzwerke und können regelmäßig Professionalisierungsangebote anbieten. In einem Cluster, in dem es um Fortbildungen zu generativer KI geht, haben wir sehr gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut gemacht. Es hat uns 30 Lehrkräfte für die Erprobung vermittelt. Dadurch konnten wir die Fortbildung erfolgreich durchführen und haben sehr positive Rückmeldungen erhalten.

„Wir wünschen uns natürlich, dass Lehrkräfte durch die Fortbildungen ihre Haltung gegenüber digitalen Medien ändern, ihr Potenzial besser nachvollziehen können und motivierter sind, sie im Unterricht einzusetzen. Dadurch hätten Schüler:innen viele Verständnisvorteile.“
Inwiefern profitieren Schüler:innen von einem digital gestützten MINT-Unterricht?
Katharina Scheiter: Aufgrund der kurzen Förderphase können wir leider keine Daten dazu vorlegen, welche Auswirkungen der Erwerb der digitalen Kompetenzen bei den Lehrkräften auf die Schüler:innen hat. Wir wünschen uns natürlich, dass Lehrkräfte durch die Fortbildungen ihre Haltung gegenüber digitalen Medien ändern, ihr Potenzial besser nachvollziehen können und motivierter sind, sie im Unterricht einzusetzen. Dadurch hätten Schüler:innen viele Verständnisvorteile.
Neun Universitäten und Forschungseinrichtungen sind an dem Projektverbund DigiProMIN beteiligt – wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?
Katharina Scheiter: Die standortübergreifenden Teilprojekte sind durch ihre fachliche und thematische Nähe eng miteinander verbunden und arbeiten dadurch sehr effizient und zielorientiert zusammen. Es gibt regelmäßige Treffen und einen sehr intensiven Austausch.
Muriel Schaber: Die Teilprojektleitungen organisieren die Zusammenarbeit in den Clustern. Darüber hinaus treffen sich die Schwerpunkte während der Vorlesungszeit einmal im Monat, um auftretende Herausforderungen gemeinsam anzugehen, aber auch, um Erfolge teilen zu können. Einmal im Quartal gibt es ein (online) Gesamtprojekttreffen mit dem ganzen Verbund.

„Die Rückmeldungen von den Landesinstituten fließen ebenfalls in die Weiterentwicklung der Module mit ein.“
Ihr dritter Schwerpunkt widmet sich Fragen nach dem Transfer. Wie finden die Fortbildungen nach Projektende den Weg in die Praxis?
Muriel Schaber: Wir haben bei DigiProMIN den Vorteil, dass durch diese Schwerpunktsetzung drei Kolleg:innen ausschließlich für die überregionale Zusammenarbeit und den Transfer der Ergebnisse zuständig sind. Sie arbeiten eng mit den Landesinstituten in den projektbeteiligten Bundesländern Schleswig-Holstein, Brandenburg und Bayern zusammen und haben ihnen schon mehrfach die entwickelten Professionalisierungsbausteine vorstellen können. Die Rückmeldungen von den Landesinstituten fließen ebenfalls in die Weiterentwicklung der Module mit ein. Das Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) bindet einzelne Module schon jetzt in Zertifikatskurse ein. Das heißt, dort findet auf jeden Fall eine Verstetigung dieser Module statt, die dann in naher Zukunft zugänglich gemacht werden. Außerdem kann der Kompetenzverbund lernen:digital auf die Plattform ComPleTT zugreifen. Dort laden die Projektverbünde ihre Professionalisierungsmodule hoch, so dass sie allen Landesinstituten über die Projektlaufzeit hinweg zur Verfügung stehen.
Katharina Scheiter: Wir untersuchen außerdem, welche Möglichkeiten der Dissemination wir in den beteiligten Bundesländern noch nutzen können. In unserem Projektverbund sind Wissenschaftler:innen des DZLM – Deutsches Zentrum Lehrkräftebildung und Mathematik vertreten, das über eigene Transferwege verfügt. Über sie können wir diese jetzt auch für die Verbreitung unserer Fortbildungsmodule verwenden. Eine systemische bundesweite Transferstrategie daraus zu entwickeln ist nicht so einfach, weil die 16 Systeme der Lehrkräfteprofessionalisierung sehr unterschiedlich sind. Aber für DigiProMIN funktioniert das auf jeden Fall schon einmal sehr gut.
Prof. Dr. Katharina Scheiter

Katharina Scheiter ist Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam. Sie leitet den Projektverbund DigiProMIN sowie gemeinsam mit Prof. Dr. Dirk Richter die Transferstelle des Kompetenzverbund lernen:digital.
Muriel Schaber

Muriel Schaber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam. Nach dem Studium war sie an der Leibniz Universität Hannover in der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) im Projekt Leibniz-Prinzip tätig, bevor sie die Projektkoordination im Verbundprojekt DigiProMIN übernommen hat.