5. Februar 2025

Comᵉ-Verbünde: „Es ist uns sehr wichtig, Lehrkräftefortbildungen als Aufgabenfeld der Hochschulen zu etablieren.“

Die drei Projektverbünde ComᵉMINT, ComᵉArts und ComᵉSport setzen sich aus 23 Universitäten und Hochschulen mit Schwerpunkt der lehrkräftebildenden Universitäten Nordrhein-Westfalens (NRW) zusammen und entwickeln Fortbildungsmodule für Multiplikator:innen.

Interview mit Stefan Rumann und Günther WolfswinklerRedaktion: Petra Schraml und Michaela Achenbach, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Sie leiten und koordinieren die drei Projektverbünde ComᵉMINT, ComᵉArts und ComᵉSport. Gibt es Ziele, die für alle drei Verbünde gelten?

Stefan Rumann: Wir wollen in allen drei Projektverbünden Module für die Lehrkräftefortbildung im Bereich digitalisierungsbezogener Kompetenzen entwickeln und diese im Rahmen der Projektlaufzeit erproben. Das ist über die Verbundstrukturen mit der Bildungsadministration ‒ der Qualitäts- und UnterstützungsAgentur – Landesinstitut für Schule (QUA-LiS) und den beiden Ministerien für Schule und Bildung und für Kultur und Wissenschaft NRW ‒ abgestimmt.

Günther Wolfswinkler: Der Transfer über die Strukturen der Bildungsadministration ist uns sehr wichtig. Zudem müssen die Materialien nach der Förderlaufzeit von allen Zielgruppen gefunden werden können. Auch dafür sorgen wir jetzt schon in allen drei Projektverbünden.

Welche Gemeinsamkeiten gibt es noch?

Stefan Rumann: Es gibt eine alle drei Verbundprojekte inkludierende Projektgovernance, die sich nicht nur auf die Koordination durch die Universität Duisburg-Essen bezieht, sondern auch auf eine gemeinsame Support-Struktur. Alle drei Projektverbünde haben eine gemeinsame Transferstelle an der Universität Bielefeld, TraBBi_digital, Leitung Martin Heinrich, die den nachhaltigen Transfer der Module gestaltet. Außerdem gibt es ein gemeinsames Qualitätsmanagement und ein Metaportal für die Dokumentation, das Auffinden und Ausgeben von digitalen Ressourcen für die Lehrkräftebildung, das von der Universität Münster unter der Leitung von Prof. Dr. Manfred Holodynski koordiniert wird und in allen drei Verbünden derselben Logik folgt. Das Qualitätsmanagement und das Metaportal wurden bereits vom Vorgängerprojekt ComᵉIn entwickelt.

„Wir wollen in allen drei Projektverbünden Module für die Lehrkräftefortbildung im Bereich digitalisierungsbezogener Kompetenzen entwickeln und diese im Rahmen der Projektlaufzeit erproben.“

Prof. Dr. Stefan Rumann

Auch bei dem NRW-Projekt ComᵉIn, das von 2020 bis 2023 im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung gefördert wurde, standen die digitalisierungsbezogenen Kompetenzen von Lehrpersonen im Fokus. Inwiefern bauen die Projektverbünde auf dem Vorgängerprojekt auf?

Stefan Rumann: Bei ComᵉIn haben sich unter Konsortialführung der Universität Duisburg-Essen alle zwölf lehrkräftebildenden Hochschulen des Landes NRW zusammengeschlossen und in Communities of Practice (CoP) das Wissen aus unterschiedlichen Disziplinen, Ausbildungsphasen und Hochschulstandorten eingebracht. Das erklärt den NRW-Fokus der aktuellen Verbünde, auch wenn wir Partner aus anderen Bundesländern mit dabeihaben. Diese klare Bereitschaft aller NRW-Universitäten und aller Phasen, sich gemeinsam in dem Feld zu engagieren, konnten wir bei der Entwicklung unserer ComeVerbünde nutzen.

Günther Wolfswinkler: Dabei war es ein großer Vorteil, dass wir mit einem großen Personalstamm von ComᵉIn die aktuellen Projektanträge formuliert haben und auch viele ComeNet-Leiter:innen schon bei ComᵉIn dabei waren. Auch wenn es uns guttut, dass wir jetzt über ComᵉIn hinaus den Blick bundesweit richten und viele neue Partner aus anderen Bundesländern dabei sind, so bringen die aus ComᵉIn kommenden Mitarbeiter:innen doch einen großen Erfahrungsschatz und viel Vorwissen mit. Sie wissen, was für eine Herausforderung es für Universitäten ist, Lehrkräftefortbildungen nach wissenschaftlichen Maßstäben so zu konzipieren, dass sie transferierbar sind und auch der Bedarfslage entsprechen. Die Universität Duisburg-Essen ist nicht in der Rolle, jeden Projektverbund alleine und in allen Facetten zu koordinieren. Neben der koordinativen Verbundleitung hat jeder Verbund eine fachliche Leitung an einem weiteren Standort. Insgesamt setzen wir auf eine breite Beteiligung der Universitäten an dem Themenfeld digitalisierungsbezogene Lehrkräftefortbildung. Lehrkräftefortbildungen als Aufgabenfeld der Hochschulen zu etablieren, ist uns sehr wichtig und kann als ein weiteres Ziel verstanden werden. Die Laufzeit von drei Jahren bei ComᵉIn war zu kurz dafür und auch die zwei Jahre Laufzeit von lernen:digital werden zu kurz dafür sein. Eine Verlängerung des Projekts hätte von daher einen hohen Mehrwert, denn die Expertise ist jetzt da.

Was ist der Unterschied zwischen den CoPs und den ComeNets?

Günther Wolfswinkler: Die ComeNets ‒ vergleichbar mit Teilprojekten ‒ bestehen aus rein hochschulinternen Netzwerken von zwei bis drei Universitäten, die sich punktuell Kooperationspartner wie Fortbildner:innen für die Erprobung selbst suchen. In den CoPs nahmen neben den Hochschulen Vertreter:innen aus der zweiten und dritten Phase der Lehrkräftebildung, aus den Schulen, den Bezirksregierungen sowie aus dem Vorbereitungsdienst teil, für die es einzelne Abordnungsstunden gab. Das ist bei lernen:digital nicht der Fall.

„Insgesamt setzen wir auf eine breite Beteiligung der Universitäten an dem Themenfeld digitalisierungsbezogene Lehrkräftefortbildung.“

Dr. Günther Wolfswinkler

Von welchen positiven und negativen Erfahrungen, die Sie mit ComᵉIn gemacht haben, können Sie besonders profitieren?

Stefan Rumann: Die Erfahrung mit ComᵉIn hat uns gezeigt, dass man nicht früh genug beginnen kann, alle Stakeholder in der Bildungsadministration zusammenzubringen. Wichtig ist auch, Standards frühzeitig zu setzen und die Relevanz von Transfer früh deutlich zu machen. Wir haben deshalb vom ersten Tag an eine verbundinterne Transferstelle gehabt.

Günther Wolfswinkler: Ja, bei ComᵉIn haben wir gelernt, wie wichtig es ist, die Dissemination und das Setzen von Standards von vorneherein mitzudenken. Aus dem Grund haben wir jetzt von Anfang an klar formuliert, dass zum Beispiel DigCompEdu der verbindliche Kompetenzrahmen ist, wir uns an den Standards guter Lehrkräftefortbildung orientieren und nach der Forschungsmethodologie des Design-Based Research-Ansatzes vorgehen. Auch Inklusion ist in allen Verbünden prominent ausgewiesen. Bei ComᵉIn war es noch ein großer Kraftaufwand, bis die gemeinsamen Ziele und Zielgruppen festgelegt waren. Davon haben wir jetzt profitiert und uns dieses Mal recht schnell entschieden: Wir wollen Module für Multiplikator:innen entwickeln. Unterrichtsmaterialien und Lernmanagementsysteme können Teil eines Moduls sein, reichen aber allein nicht aus. Als Zielgruppe sind Multiplikator:innen, also Fortbildner:innen, adressiert und nicht Lehrkräfte, da sonst zu viele Unterrichtskonzepte entstehen würden, bei denen der Zusammenhang zur Lehrkräftefortbildung nicht deutlich wird.

Welche Fortbildungsmodule werden entwickelt und was sollen die Lehrkräfte daraus für ihren Unterricht lernen?

Stefan Rumann: In den ComeNets entstehen zwei Arten von Modulen. Einige Module gehen eher in die Breite und sind mit einem hohen Transfercharakter versehen. Wenn es beispielsweise um die Vermittlung inklusiver Aspekte im Sachunterricht geht, setzen wir auf das Universal Design for Learning. Andere Module gehen mehr in die Tiefe. Das sind zum Beispiel Projekte im Physikbereich, wo es um neue Ansätze für eine digitalisierungsbezogene Vermittlung von Mechanik geht, die dann aber auf Elektrizitätslehre oder Optik transferierbar sind. In der Chemie und Biologie stehen digitalisierungsbezogene Formen des Experimentierens im Fokus, mit deren Hilfe auch wissenschaftstheoretische Aspekte von naturwissenschaftlichem Unterricht in einem größeren Maßstab gedacht und generalisiert werden können.

Günther Wolfswinkler: Im Sportunterricht gibt es Fortbildungsmodule, in denen es um ein ganz bestimmtes Tool wie VR-Brillen geht. Andere Fortbildungsmodule rücken Körperbilder in der digitalen Welt unter Inklusionsgesichtspunkten in den Mittelpunkt. Dort wird beispielsweise die weit verbreitete Vorstellung der muskulösen Sportlerin, des muskulösen Sportlers reflektiert und hinterfragt, ob dieses Bild im Sportunterricht kolportiert werden sollte. Die multimediale Darstellung von Geschlechtern und Körpern spielt auch im Kunstunterricht eine Rolle.

„Die Erfahrung mit ComᵉIn hat uns gezeigt, dass man nicht früh genug beginnen kann, alle Stakeholder in der Bildungsadministration zusammenzubringen.“

Prof. Dr. Stefan Rumann

Enthalten alle Fortbildungsmodule ein Nutzungskonzept?

Günther Wolfswinkler: Das Nutzungskonzept ist obligatorischer Bestandteil eines jeden Moduls. Es ist eine Art Metadatenraster und enthält u. a. die Bezugnahme zum Kompetenzrahmen oder zur geeigneten Schulform und weist die inhaltlichen Zielsetzungen und organisatorischen Voraussetzungen in Fortbildungskontexten aus. Alle Module und Nutzungskonzepte richten sich an Multiplikator:innen, auch die Selbstlernkurse. Mitgelieferte Unterrichtskonzepte oder Arbeitsblätter können dann von ihnen an Lehrkräfte weitergegeben werden.

Es sind viele Bundesländer und Hochschulen an den drei Projektverbünden beteiligt. Das Netzwerk(en) spielt eine große Rolle. Wie wird die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den Projektverbünden organisiert?

Stefan Rumann: Die Konsortialführung für alle drei Verbünde liegt bei der Universität Duisburg-Essen, hier verantworten wir auch, zusammen mit der Universität Bielefeld, das Qualitätsmanagement der Verbünde. Der verbundinterne Transfer und unser Metaportal werden jeweils von anderen Standorten verantwortet. Ergänzend gibt es eine verbundübergreifende Steuerungsgruppe, in der die fachlichen Projektleitungen mit der Konsortialführung zusammenkommen und in der auch Vertreter:innen aus der Transferstelle und dem Metaportal beteiligt sind. Als ein weiteres Strukturmerkmal richten wir jährlich eine zweitägige Veranstaltung der digitalen Lehrkräftefortbildung aus, an der sich alle drei Verbünde am ersten Tag projektverbundübergreifend und am zweiten Tag projektverbundsintern treffen. Was die Vernetzung angeht, hat ComᵉSport, in welchem monothematisch ein Fach adressiert wird, eine stärkere bundesweite Vernetzung. Im MINT-Bereich, der in NRW sehr stark aufgestellt ist, wurde das Netzwerk NRW-bezogen noch enger geknüpft und das Fächerspektrum erweitert.

„Das Nutzungskonzept ist obligatorischer Bestandteil eines jeden Moduls.“

Dr. Günther Wolfswinkler

Inwiefern binden Sie Lehrkräfte und Landesinstitute in die Entwicklung der Fortbildungsmodule ein?

Stefan Rumann: Die ComeNets gehen lokale Kooperationen mit Lehrkräften ein, die als Multiplikator:innen in der Lehrkräftefortbildung tätig sind. Sie beteiligen sich bei der Entwicklung der Module, die dann in der Weiterbildung disseminiert werden.

Günther Wolfswinkler: Neben den Fortbildner:innen nehmen in den ComeNets auch engagierte Lehrkräfte freiwillig teil, die dann ihr Feedback geben. Die Partnerschaften bauen die ComeNets um die Hochschulstandorte auf. Bei 15 ComeNets können wir das nicht zentral leisten. Dezentral wird ein großes Spektrum an Erprobungsansätzen, die z. B. auf Befragungen zur Selbstwirksamkeit und zur eigenen Kompetenzentwicklung basieren, verfolgt. Anders sieht es in Bezug auf die Landesinstitute aus. Wir sind mit QUA-LIS in NRW schon seit ComᵉIn sehr eng verbunden. Über unsere eigene Transferstelle haben wir auch bundesweit Zugang zu Landesinstituten. Im Rahmen des EMSE-Netzwerk der Landesinstitute zum Beispiel stellen wir regelmäßig Materialien vor, geben Feedback und machen unsere Projekte publik. Aber wir warten natürlich, welche Strukturen im Rahmen von lernen:digital gebildet werden und wollen denen nicht vorweggreifen. Die lehrkräftebildende Community – Fachdidaktiker:innen und Landesinstitute – wächst, wie schon bei der Qualitätsoffensive Lehrerbildung, über dieses Programm eng zusammen. Das ist ein nicht zu vernachlässigender Effekt dieses Programms und er spricht auch dafür, solche großen Programme über längere Jahre weiter fortzusetzen.

 

Wie planen Sie den länderübergreifenden Transfer in die Praxis und die nachhaltige Bereitstellung der Fortbildungsmodule?

Stefan Rumann: Im Grunde sind hierfür drei Bausteine zentral: Antizipation des Transfers von Anfang an, eine über die Projektlaufzeit hinausreichende Portalstruktur und der Aufbau nachhaltiger, phasenübergreifender Kooperationsstrukturen.

Günther Wolfswinkler: Genau. Zum einen müssen die Projektverbünde schon bei der Entwicklung der Fortbildungsmodule den Transfer mitbedenken, deshalb haben wir von Anfang an unsere Standards implementiert. Zum anderen sorgt das Metaportal für eine eigenständige Dissemination, aber auch für eine Anschlussfähigkeit an die Distributionswege von lernen:digital, ComPleTT / Fundus und Mundo. Außerdem befindet sich das System der Lehrkräftefortbildung in NRW zurzeit in einem Reformprozess und öffnet sich den Hochschulen gegenüber. ComᵉIn und die nachfolgenden ComᵉVerbünde werden als Pilotprojekte intensiv beobachtet. Wir haben schon unter ComᵉIn die AG „Kooperation Wissenschaft und Fortbildungspraxis“ etabliert, in der Vertreter:innen der Bezirksregierungen, der beiden Ministerien, des Landesinstituts und der Hochschulen im Halbjahresrhythmus zusammenkommen und über grundsätzliche Fragen der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Fortbildungspraxis sowie über die Inhalte der Verbünde sprechen. Hier sind Strukturen geschaffen worden, die mittlerweile auch Verwertungsstrukturen darstellen.