4. März 2024

Birgit Pikowsky: „Lehrkräftebildung kann nur gemeinsam erfolgreich gestaltet werden“

Die Zusammenarbeit mit den Landesinstituten und die Funktionen der Transferstelle spielen im Kompetenzverbund lernen:digital entscheidende Rollen. Über ihre konkreten Aufgaben – auch über das Projekt hinaus – sprechen Dirk Richter, Wissenschaftliche Leitung der lernen:digital Transferstelle, und Birgit Pikowsky, Direktorin des Pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz, gemeinsam im Interview.

Länderübergreifende Zusammenarbeit in der Bildung – mit diesem Ziel vor Augen betritt der Kompetenzverbund lernen:digital regelrecht „Neuland“. Doch am Ende könnten sich neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen Wissenschaft und Praxis etabliert haben, hofft Birgit Pikowsky, Direktorin des Pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz. Die Landesinstitute für Lehrkräftebildung sind dabei ein entscheidender Faktor, denn sie vermitteln Praxiswissen an die Wissenschaft, Forschungsergebnisse in die Praxis und kooperieren auch untereinander. Zusammen mit Dirk Richter, Wissenschaftliche Leitung der lernen:digital Transferstelle, werden im Interview aber auch die Aufgaben der Transferstelle herausgestellt. Nicht zuletzt berichten die beiden, wozu sich lernen:digital nach Ablauf der Projektzeit im Idealfall entwickeln könnte.

Interview: Beate Berrischen, Agentur für Bildungsjournalismus

„Sie ist eben doch möglich, die länderübergreifende Zusammenarbeit in der Bildung“, so schreiben Sie, Frau Pikowsky, in einem Artikel auf Website der Kultusministerkonferenz (KMK). Sind das Vorschusslorbeeren für den Kompetenzverbund lernen:digital?

Birgit Pikowsky: Nein, der Artikel bezog sich auf etwas anderes. Aber ich würde es als Wunsch und Erwartung an lernen:digital formulieren. Und dieser Satz zeigt auch eine Haltung, die ich zum Ausdruck bringen möchte, wie wichtig die länderübergreifende Zusammenarbeit und wie wichtig auch die Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis ist.

Können Sie kurz schildern, wie diese länderübergreifende Zusammenarbeit bei lernen:digital aussieht und dazu auch kurz die Struktur, Aufgaben und Ziele des Projekts erläutern?

Dirk Richter: Der Kompetenzverbund lernen:digital ist ein Projekt, das aus vier Kompetenzzentren besteht, die jeweils einen bestimmten Fachbereich abdecken. Innerhalb jedes Kompetenzzentrums existieren zwischen vier und acht Projektverbünde, die wiederum aus verschiedenen Universitäten bestehen, die in unterschiedlichen Bundesländern verortet sind. Insgesamt gibt es 24 dieser Projektverbünde und mehr als 200 Teilprojekte. Jeder Projektverbund hat das Ziel, Fortbildungskonzepte zu entwickeln. Diese sollen über die Transferstelle den Weg in die Praxis finden und bundesweit die Lehrkräfte aus den entsprechenden Fächern beim Einsatz digitaler Medien unterstützen und die digitale Bildung in Schulen fördern. Die Landesinstitute aller Länder spielen im gesamten Prozess eine besondere Rolle: Sie sind bei den allermeisten Projektverbünden ein zentraler Partner und im Idealfall bereits bei der Entwicklung der Fortbildungskonzepte involviert. Frau Pikowsky kann sicher bestätigen, dass viele Projektverbünde an ihr Institut herantreten und Zusammenarbeit wünschen. Aber auch bezüglich des Transfers sind wir im engen Austausch und die Landesinstitute überlegen mit uns, über welche Strukturen wir die Ergebnisse gut in die Schulen transferieren können.

Birgit Pikowsky: Sie sehen, die Landesinstitute können da, wo sie frühzeitig eingebunden sind, – was ich für zentral bedeutsam halte – einen wichtigen Beitrag leisten. Wir können natürlich nicht als ein Institut bei 200 Projekten mitarbeiten. Aber wo es möglich ist, beteiligen wir uns, indem wir beispielsweise den Bedarf in Schulen ermitteln und Erfahrungen in der Lehrkräftefortbildung sowie in der Arbeit mit der Bildungsadministration einbringen. Zudem agieren wir auch als Vermittler zwischen Wissenschaft und Schulen. Wir überlegen gemeinsam, was Schulen brauchen, wie die Angebote gestaltet werden müssen, wie die Projekte ihren Weg in die Schulen finden und wie Lehrkräfte angesprochen werden können. Wo möglich, geben wir auch Rückmeldungen zu Entwicklungsschritten und binden uns als kritische Partner oder „reflektierendes Team“ ein. Es geht darum, dass mehr entsteht als nur ein Markt der Möglichkeiten. Es sollen auch Leitlinien eingeführt und Qualitätskriterien formuliert werden – und da habe ich hohe Erwartungen, insbesondere an die Transferstelle.

Welche Aufgaben hat die Transferstelle denn ganz konkret?

Dirk Richter: Die Transferstelle hat vielfältige Funktionen im großen Verbund. Einerseits hat sie die Aufgabe, Vernetzung herzustellen – sowohl innerhalb der Kompetenzzentren, also zwischen den Projektverbünden, als auch zwischen den vier Kompetenzzentren und nicht zuletzt zur wissenschaftlichen Community, die außerhalb der Kompetenzzentren tätig ist. Zusätzlich hat die Transferstelle die Aufgabe, Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Das heißt, sie soll die gewonnenen Erkenntnisse in der Öffentlichkeit, insbesondere aber in der Schulöffentlichkeit bekannt machen. Dazu nutzen wir eine Vielzahl von praxisnahen Formaten wie Podcasts, Videos, Konferenzen, Workshops und Community Calls. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Durchführung eigener Forschung beispielsweise zu den Fragen, wie Multiplikator:innen qualifiziert werden oder was gelingende Konzepte zur Qualifizierung sind. Und schließlich ist die Vorbereitung des Transfers – also die Übermittlung der gewonnenen Erkenntnisse und Projekte – ein entscheidender Punkt. Dazu gehört die intensive Zusammenarbeit mit den Landesinstituten, die Nutzung einer Plattform, wo die entwickelten Konzepte eingestellt werden, und die Qualifikation der Multiplikator:innen.

„Die Landesinstitute aller Länder spielen im gesamten Prozess eine besondere Rolle: Sie sind bei den allermeisten Projektverbünden ein zentraler Partner und im Idealfall bereits bei der Entwicklung der Fortbildungskonzepte involviert.“

Dirk Richter

Sehen Sie es denn auch als Ihre Aufgabe, die von Frau Pikowsky eingeforderten Leitlinien einzuziehen?

Dirk Richter: Absolut. Es geht darum, sicherzustellen, dass kein bunter Mix aus verschiedenen Produkten entsteht, sondern dass die Produkte qualitätsgesichert sind, nach bestimmten Vorgaben entwickelt wurden und in die bestehenden Systeme der Länder übertragbar sind. Ein Beispiel: Es existiert bereits eine Plattform namens ComPleTT, eine Moodle-Plattform, über die sich die Länder austauschen können und auf der entwickelte Fortbildungskonzepte auch länderübergreifend weitergeleitet werden können. Unsere Aufgabe besteht nun darin, die Projektverbünde und Kompetenzzentren anzuleiten, ihre Konzepte so vorzubereiten, dass sie optimal von den Landesinstituten über diese Plattform genutzt werden können, qualitätsvoll sind und bestimmten einheitlichen Vorgaben entsprechen. Auch was die angesprochene Qualifizierung der Multiplikator:innen der Landesinstitute betrifft, möchten wir keine strikten Vorgaben machen. Wir möchten vielmehr aus den Erkenntnissen unserer Forschung Hinweise ableiten, was erfolgreiche Möglichkeiten sind, unser Wissen bereitstellen und beraten. Die Durchführung von Fortbildungen ist das Kerngeschäft der Landesinstitute und hier sehen wir eine klare Aufgabenteilung.

Besteht dann nicht die Gefahr, dass die Institute und Multiplikator:innen die Konzepte nach eigenem „Gutdünken“ umsetzen?

Birgit Pikowsky: Ich glaube, entscheidend ist der Punkt, dass wir nichts Fertiges aus der Wissenschaft erhalten, was wir dann in die Praxis übertragen sollen, ohne dass die Praxis und die Strukturen vor Ort vorher involviert waren. So funktioniert Transfer nicht. Wissenschaft hat die Aufgabe, den Transfer gemeinsam zu gestalten und zu evaluieren. Es ist also nicht so, dass jeder tun kann, was er will. Wir orientieren uns gemeinsam an den Qualitätskriterien.

Dirk Richter: Ich würde das gerne um folgenden Punkt ergänzen: Im Verlauf der Projektlaufzeit planen wir Tagungen und Vernetzungstreffen, auf denen die Produkte vorgestellt werden und an denen auch die Landesinstitute teilnehmen. Und dort soll schon gemeinsam überlegt werden: „Wie schaffen wir es, dass ein Konzept gut in die Struktur eines Landes überführt und dort umgesetzt werden kann?“
Auch die Fortbildungskurse, die als Selbstlernkurse auf der genannten Moodle-Plattform eingestellt werden, sind keine Konzepte, die in gleicher Form in jedem Land eingebracht werden müssen. Sie dienen als Angebote, die an die eigenen Bedürfnisse des Landes angepasst werden können. Das macht das Projekt so interessant und herausfordernd, da jedes Land eigene Strukturen und Vorgaben für die Umsetzung von Fortbildungen hat. Es kann also nicht einfach ein vorgegebenes Konzept in jedem Land auf die gleiche Weise umgesetzt werden, sondern es bedarf Anpassungen an die länderspezifischen Rahmenbedingungen.

Birgit Pikowsky: Ich gebe mal ein konkretes Beispiel, um das Ganze etwas greifbarer zu machen. Im nächsten Halbjahr planen wir mit dem Verbund MINT eine Tagung. Die Forschungsprojekte aus dem MINT-Bereich können dort vorgestellt werden, und Lehrkräfte sowie Multiplikator:innen könnten Rückmeldungen geben oder Interesse an einer Zusammenarbeit zeigen. So entstehen konkrete Kooperationen, noch in der Entwicklung, die über das Zufällige, „Ich habe mal von irgendeinem Projekt gehört“, hinausgehen und systematischer werden.

Das Projekt ist auf zweieinhalb beziehungsweise im Fall der Transferstelle auf dreieinhalb Jahre angelegt. Was wünschen Sie sich, was am Ende erreicht sein soll?

Birgit Pikowsky: Durch die kurze Laufzeit stößt man schnell an Grenzen. Ich habe dennoch die Erwartung, dass auch nach Ende des Projekts eine Weiterarbeit mit den entwickelten Konzepten stattfindet. Ich wünsche mir außerdem, dass in diesen zweieinhalb Jahren Prozesse gestartet und Strukturen aufgebaut werden, die nachhaltig wirken. Es geht darum, dass Kooperationen entstehen und eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis und auch zwischen Bund und Ländern etabliert wird. Lehrkräftebildung ist so wichtig und zentral, dass sie nur gemeinsam erfolgreich gestaltet werden kann.

Dirk Richter: Ich kann das nur unterstreichen. In der verbleibenden Projektzeit werden wir nicht alle Lehrkräfte qualifizieren können und die Schulen fit für digitalen Unterricht machen. Aber ich hoffe, dass wir Strukturen haben werden, in denen alle Beteiligten gut zusammenarbeiten können. Ich hoffe auch, dass wir bestehende Plattformen weiter ausbauen und Routinen schaffen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in Schulen integriert werden können. Und nicht zuletzt ist meine große Hoffnung, dass wir eine Vielzahl von Konzepten und Materialien entwickeln, die von den Landesinstituten genutzt werden können.

„Ich wünsche mir, dass in diesen zweieinhalb Jahren Prozesse gestartet und Strukturen aufgebaut werden, die nachhaltig wirken. Es geht darum, dass Kooperationen entstehen und eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis und auch zwischen Bund und Ländern etabliert wird.“

Birgit Pikowsky

Was sind denn die größten Hürden, die diesen Zielen im Wege stehen?

Dirk Richter: Eine Hürde besteht darin, dass es keine länderübergreifende Lernplattform gibt, in die sich jede Lehrkraft einloggen kann. Das heißt, in jedem Land müssen die Konzepte von der angesprochenen länderübergreifenden Plattform auf die jeweilige Landesplattform, auf die die Lehrkräfte Zugriff haben, gehoben werden. Wir arbeiten also im Prinzip über ein Mittlersystem und die Transferstelle kann nicht sicherstellen, dass alle Lehrkräfte erreicht werden. Eine weitere Hürde liegt in der fehlenden Finanzierung der Landesinstitute. Das heißt, sie erhalten für ihre Mitarbeit bei diesem Projekt kein zusätzliches Budget von Bund oder Land und können dementsprechend nur so weit mitwirken, wie es das zur Verfügung stehende Budget zulässt. Eine zusätzliche Unterstützung mit entsprechender Personalkostenübernahme wäre wünschenswert. Und eine kleine Hürde sind natürlich die unterschiedlichen Strukturen und Anforderungen der Länder. Die Transferstelle muss gut kommunizieren und verstehen, welche spezifischen Bedürfnisse und Besonderheiten in den einzelnen Ländern existieren, um diese an die Verbünde zurückzumelden.

Birgit Pikowsky: Auch die Komplexität des Projekts ist eine Hürde. Mit 200 Projekten und einer Vielzahl beteiligter Universitäten ist es eine Herausforderung, die Zuständigkeiten klar zu definieren und die Projekte zu steuern und zu strukturieren.

Dirk Richter: Und auch die fehlende Anschlussfinanzierung ist eine Hürde. Der Bund investiert viel Geld, aber es ist aktuell noch unklar, wie es nach den zweieinhalb Jahren weitergehen wird. Die Digitalisierung wird aber nach dieser Zeit nicht enden, die Aufgabe bleibt also bestehen, und wir sollten die Erkenntnisse und Strukturen nutzen, um daran weiterzuarbeiten. Aber wenn wir nicht wissen, in welchen Strukturen es weitergeht, dann ist es natürlich auch schwer, den Prozess weiterzudenken. Die Klärung der Anschlussfinanzierung ist daher eine drängende Aufgabe.

Was würden Sie sich denn wünschen, wie es nach zweieinhalb Jahren weitergehen soll?

Dirk Richter: Aus meiner Sicht bräuchten wir eine deutlich übersichtlichere Struktur, keine regional verteilten Projektverbünde, sondern im besten Fall regionale Kompetenzzentren, die bundeslandübergreifend tätig sind. Diese Zentren könnten auf Basis der bis dahin entwickelten, gut evaluierten Konzepte Dinge flächendeckend umsetzen. Momentan haben wir viele einzelne Fortbildungskonzepte, aber nicht alle werden es schaffen, flächendeckend umgesetzt zu werden. Meine Vorstellung ist, dass man sich auf wenige, aber wichtige Projekte konzentriert, die dann die Ressourcen haben, um in der Fläche realisiert zu werden. Man könnte Multiplikator:innen in bestimmten Themenbereichen schulen, und diese geschulten Multiplikator:innen könnten dann die Fortbildungen in den jeweiligen Ländern durchführen. Dies könnte dann auch Evaluationen beinhalten, um die Wirkung eines einheitlichen Konzepts über die Länder hinweg zu messen.

Birgit Pikowsky: Diesen Wunsch nach regionalen Kompetenzzentren, lieber weniger, dafür gebündelt, teile ich. Die Zentren sollten fach- und themenbezogene Anlaufstellen für Wissenschaft und Landesinstitute sein und Expertise aus allen Bereichen vorhalten. So könnten wir gemeinsam Qualitätssicherung und -entwicklung vorantreiben. Die Landesinstitute könnten sich dann mit diesen regionalen Kompetenzzentren vernetzen und die Konzepte erfolgreich in die Fläche bringen. Das wäre meine Idealvorstellung.