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Über 150 Symposien, Workshops und Vorträge an zwei Tagen plus einem Vernetzungstag für Mitglieder des Kompetenzverbunds: Das Organisationsteam der lernen:digital Transferstelle hatte sich viel vorgenommen, um einen Rahmen für den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zu schaffen und drängende Probleme rund um die digitale Transformation von Schule und Lehrkräftebildung zu diskutieren.

Ein grundlegendes Problem – das wurde auf der dreitägigen Tagung auf dem Campus Griebnitzsee der Universität Potsdam deutlich – sind ungenutzte Potenziale in der Lehrkräfteaus- und -fortbildung. Und dafür sind nicht nur knappe zeitliche und personelle Ressourcen verantwortlich. In Deutschland fehlt es schlicht an einem institutionalisierten Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis – und zwar in beide Richtungen.  

Dabei wird gerade auf dem Gebiet der digitalen Bildung viel geforscht. Allein dem Kompetenzverbund lernen:digital sind rund 200 länderübergreifende Forschungs- und Entwicklungsprojekte angeschlossen. Auf der Praxisseite wiederum gibt es in den Schulen, Landesinstituten und Qualitätseinrichtungen der Bundesländer recht genaue Vorstellungen davon, welche Kompetenzen benötigt werden, um Schüler:innen für die Zukunft fit zu machen.

Schulen erkennen das Potenzial digitaler Entwicklungen

Das Interesse an Digitalthemen sei bei Lehrkräften und Schulleitungen vorhanden. Das machte Dr. Birgit Pikowsky, Leiterin des Pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz und Mitglied des Begleitgremiums des Kompetenzverbunds, in einer Podiumsdiskussion zum Auftakt des zweiten Veranstaltungstages deutlich: Zuletzt seien bei einer Bedarfserhebung in Rheinland-Pfalz Fortbildungen zum Umgang mit Konflikten und schulischen Krisen sowie Sprachförderung sehr gefragt gewesen. Unwahrscheinlich gewachsen sei aber auch der Bedarf bei den Themen KI sowie datengestützte Schulentwicklung und diagnosegeleitete Förderung. Hier gehe es den Lehrkräften darum, passgenaue Förderangebote für ihre zunehmend heterogene Schüler:innenschaft machen zu können – und zwar sowohl im Bereich der Basiskompetenzen als auch der Zukunftskompetenzen, betonte Pikowsky.

Gerade den Landesinstituten kommt als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis eine wichtige Rolle zu: Sie verfügen einerseits über die Strukturen, um Bedarfe aus der Praxis zu erfassen und könnten auf der anderen Seite maßgeschneiderte Angebote aus der Wissenschaft wie Fortbildungen, Anwendungen für den Unterricht oder Schulentwicklungskonzepte breitflächig in die Schulen transportieren.  

Die Realität sieht allerdings noch anders aus, denn eine Tradition der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Lehrkräftebildung gibt es in Deutschland nicht. Forschungserkenntnisse kommen daher meist nicht schnell genug in den Schulen an. Das bestätigte Podiumsgast Markus Wehmeyer, Abteilungsleiter IT-Infrastruktur und Lehrer für IT-Systeme an der Beruflichen Schule ITECH Elbinsel in Hamburg. Selbstorganisiertes Lernen mit digitalen Tools steht dort im Mittelpunkt. Für ihr innovatives Lehr-/Lernkonzept wurde die Schule 2023 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet.

Lehrkräfte wünschen sich für ihre Bedarfe passende Fortbildungen

Wehmeyer schilderte eindrücklich, welchen Herausforderungen Schulen angesichts der rasanten technologischen Entwicklung gegenüberstehen: Gerade im IT-Bereich müssten sich Lehrkräfte alle drei Jahre auf eine Systemerneuerung einstellen. Passende Fortbildungen fehlten jedoch. Die Kolleg:innen würden sich hier oft autodidaktisch in Heimarbeit, zum Beispiel über Lernvideos, weiterbilden. Auch technologische Entwicklungen wie Virtual Reality (VR) seien Bestandteil der Ausbildung an der Beruflichen Schule. Allerdings sei gerade hier die Fortbildung so kostenintensiv, dass sich die Schule dies gar nicht leisten könne. Da müsse man andere Wege gehen, erklärte der Lehrer. 

„Selbst eine VR zu programmieren neben dem Unterricht, sich in das Thema KI einzuarbeiten und das dann noch als Multiplikator:in durch die gesamte Schule zu tragen … Man weiß gar nicht, wo man da anfangen soll. Wir können das gar nicht leisten“, sagte Wehmeyer. Einfach einmal neue Impulse und fertiges Material für die Arbeit zu bekommen, das sei eine Wunschvorstellung der Kollege:innen. Jahrelanges Erproben neuer Fortbildungen, die dann den Weg über die Landesinstitute in die Schulen finden, sei jedenfalls keine Lösung: „Bis dann eine Fortbildung in den Schulen ankommt, ist sie nicht mehr aktuell und für die Schüler kalter Kaffee,“ so Wehmeyer weiter. Genau diese Problematik möchte der Kompetenzverbund lernen:digital lösen. Der Zusammenschluss aus vier Förderlinien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie die dazugehörige koordinierende Transferstelle ist seit Anfang 2023 im Einsatz. Die länderübergreifenden Projektverbünde sind in vier Kompetenzzentren in den Bereichen MINT, Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft sowie Musik/Kunst/Sport und Schulentwicklung organisiert. Hier entstehen evidenzbasierte Fort- und Weiterbildungen, Materialien sowie Konzepte für die Schul- und Unterrichtsentwicklung. Die Transferstelle soll die Projektverbünde vernetzen und den Austausch mit den Landesinstituten und der Bildungspolitik herstellen, um so dafür zu sorgen, dass die Arbeitsergebnisse aus der Wissenschaft bundesweit von Schulleitungen und Lehrkräften genutzt werden können.

„Die Besonderheit des Kompetenzverbund lernen:digital ist, dass hier systematisch Expertise aus der Wissenschaft für die Institute aufbereitet wird. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie auch in der Zukunft Lehrkräftefortbildung noch stärker an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen teilhaben kann“, erklärt Dirk Richter, Professor für Erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung an der Universität Potsdam und wissenschaftliche Leitung der Transferstelle.

Die von der Transferstelle ausgerichtete Tagung war nun ein Schritt, um die verschiedenen Akteur:innen in den Dialog zu bringen.

Herausforderungen in der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis

Weshalb eine gute Zusammenarbeit bislang schwierig war, erläutert Katharina Scheiter, die als Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam ebenfalls die Arbeit der Transferstelle leitet: „Zunächst einmal sind Wissenschaft und Bildungspraxis zwei unterschiedliche Systeme mit ganz unterschiedlichen Funktionsweisen. In Wissenschaft geht es unter anderem um das Generieren von wissenschaftlicher Erkenntnis auf einem teilweise sehr feinen Auflösungsniveau. Die Themen, die bearbeitet werden, sind durchaus auch an Fragen der Praxis orientiert, werden aber oftmals aus einer Forschungslogik heraus entwickelt. Und da kneift es dann meistens schon“, so Scheiter. „Das heißt, die Praxis hat häufig andere Fragen, die sie beschäftigt und braucht auch meistens schnellere Lösungen als das, was Wissenschaft typischerweise beiträgt. Ein erstes Ziel dieser Tagung ist daher tatsächlich zu versuchen, so weit wie möglich gemeinsam Fragen zu entwickeln und uns darauf zu verständigen, wie eine Lösung aussehen könnte. Was braucht beispielsweise eine Lehrkraft, die im Mathematikunterricht guten Unterricht mit digitalen Medien machen möchte? Wie muss da eine Fortbildung aussehen? Was können wir leisten, um sie zu unterstützen? Damit hoffen wir, die zwei Systeme besser in Einklang zu bringen.“

Das Angebot, das aus der Arbeit der Kompetenzzentren entsteht, umfasst bereits jetzt eine Vielzahl konkreter Anwendungen, Materialien und Konzepte, die in der Praxis bereits getestet wurden. Vom Konzept für die IT-Bildung von Lehrkräften, über Projekte für den MINT-Unterricht mit Zukunftstechnologien bis hin zu digitaler Bildung im Kontext von Inklusion, Bildung für nachhaltige Entwicklung oder Demokratiebildung und schließlich Projekten für die datengestützte Zusammenarbeit in der Schulverwaltung: Die Produkte für den Wissenstransfer sind vielfältig und decken alle Fachbereiche ab. Immer wieder Forschungsgegenstand: Das Lehren und Lernen mit digitalen Tools wie beispielsweise Lernmanagementsystemen oder Lernvideos sowie der Umgang mit KI und immersiven Technologien wie Virtual Reality. Der dritte Tagungstag war speziell dafür vorgesehen, die Landesinstitute mit den Forschenden zusammenzubringen, damit diese die Angebote kennenlernen, um sie gegebenenfalls für ihr Land zu adaptieren und sie dort zu verstetigen – eine gemeinsame Ausrichtung, die es bislang in dieser Form nicht gibt.

Die digitale Transformation zielt auf die gesamte Schule

Gerade an den Lösungen für die Schulentwicklung habe die Tagung gut gezeigt, dass es bei der digitalen Transformation um mehr geht als die Qualifizierung einzelner Personen, sagt Katharina Scheiter: „Wir müssen das gesamte System Schule in Angriff nehmen und auf so eine digitale Transformation vorbereiten. Das ist ein Umdenken, das jetzt gerade wichtig wird.“ 

Dass dieses Umdenken stark vom Willen bildungspolitischer Entscheider:innen zur systemischen Veränderung abhängt, machte die Frage zum Ende des zweiten Veranstaltungstages deutlich, die Keynote-Speaker Stuart Kime halb scherzhaft dem Publikum im vollen Hörsaal stellte: Ob das deutsche Bildungssystem schon bereit sei für eine bundesweite Online-Plattform zur evidenzbasierten Lehrkräftebildung und Verbesserung von Unterrichtsqualität wie das sogenannte Great Teaching Toolkit in England? Der derzeitige Gastprofessor der Universität Tübingen und Berater im International Board der lernen:digital Transferstelle hatte das von der englischen Regierung geförderte und landesweit eingesetzte Tool vorgestellt.

In Deutschland gelte es zunächst einmal, so lautete der Tenor in zahlreichen Gesprächen am Campus Griebnitzsee, die digitale Transformation handhabbar zu machen – durch Reduzierung von Komplexität und der Schaffung von Netzwerken und gemeinsamen Strukturen von Wissenschaft, Praxis, Politik und Verwaltung.

Die Tagung sei ein erfolgreicher Schritt in diese Richtung gewesen, zieht Dr. Julia Jennek, Leitung des Broker:innen-Teams für das Kompetenzzentrum Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft, Bilanz. Sie hatte die Tagung gemeinsam mit ihrem Team organisiert. Rund 700 Teilnehmende, davon knapp 100 aus den Kultusministerien und den Landesinstituten aus 15 Bundesländern sowie Vertreter:innen aus dem Bundesbildungsministerium seien der Einladung nach Potsdam gefolgt. „So viele Teilnehmende sind bei einer neuen, noch unbekannten Tagung sehr ungewöhnlich. Wir scheinen hier einen Nerv getroffen zu haben“, zeigt sich Julia Jennek hochzufrieden. „Die Tagung sollte Impulse setzen und Diskussionen Raum geben und das hat sie tatsächlich geschafft. Alle hatten Lust miteinander zu reden – und zwar über Grenzen wie Fachrichtung und Schulform hinweg. Wir freuen uns besonders darüber, dass die Vertreter:innen aus 15 Landesministerien hier teilgenommen haben. Sie werden großen Einfluss darauf haben, ob uns der Transfer in die Schulen gelingt und qualitativ hochwertige Fortbildungen dort ankommen, wo sie benötigt werden.“

Text: Sonja Mankowsky

Fotos: Phil Dera und Nadine Zilliges

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Interview mit Prof. Dr. Britta Viebrock. Redaktion: Michaela Achenbach, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Im Fokus Ihrer Arbeit im Projektverbund DigiNICs steht der sprachliche Unterricht. Wie verändert sich dieser durch die Digitalisierung?

Britta Viebrock: Die Notwendigkeiten (fremd-)sprachlicher Bildung in der digitalen Welt gehen über die simple Nutzung von beispielsweise Sprachlern-Apps oder anderen digitalen Anreicherungen von ursprünglich analogen Phänomenen weit hinaus: Vielmehr verändern sich die fachlichen Gegenstände – Sprache/Kommunikation, Literatur und Kultur – unter den Bedingungen von Digitalität grundlegend: Die Grenzen zwischen mündlicher und schriftlicher Sprache werden unschärfer, automatisierte KI-Tools ermöglichen neue Formen der Teilnahme an Diskursen, literarische Texte treten in vielfältigen medialen Repräsentationsformen auf und sind durch Transmedia-Phänomene charakterisiert, Kulturen dynamisieren sich u.v.m. Diese veränderten Gegenstände ebenso wie veränderte Kommunikationsformen setzen andere Kompetenzen sowohl bei Lehrkräften als auch bei Schüler:innen voraus, die im (fremd-)sprachlichen Unterricht und der Lehrkräftebildung ihren Platz finden müssen.

Können Sie uns Ihren Projektverbund kurz vorstellen?

Britta Viebrock: Der Projektverbund besteht insgesamt aus sieben Teilprojekten, wobei an den Universitätsstandorten Chemnitz (Prof. Dr. Michael Krelle, Prof. Dr. Henriette Dausend), Dortmund (Prof. Dr. Gudrun Marci-Boehncke, Jun. Prof. Dr. Carolyn Blume) und Frankfurt (Prof. Dr. Johannes Mayer, Prof. Dr. Britta Viebrock) jeweils die Fächer Deutsch und Englisch beteiligt sind und unterschiedliche fachliche Schwerpunkte fokussieren: Sprache (Chemnitz); Literatur (Frankfurt) sowie das Querschnittsthema Diklusion (Dortmund).

An allen Standorten werden modularisierte Fortbildungs- und Unterstützungsformate in projektübergreifender Abstimmung (weiter-)entwickelt, erprobt und beforscht sowie in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen für Lehrkräftefort- und -weiterbildung nachhaltig in die Praxis transferiert. Die Begleitforschung ist an der Universität Tübingen (Prof. Dr. Annika Goeze) verortet. Sie verfolgt über die wissenschaftliche Unterstützung der Transfervorhaben hinaus das Ziel, bereits identifizierte Gelingensbedingungen für erfolgreiche Implementationsprozesse von Lehrkräftefortbildungen zur nachhaltigen Veränderung von Unterricht frühzeitig in den drei fachbezogenen Projekten zu verankern und diese begleitend zu analysieren.

„Diese veränderten Gegenstände ebenso wie veränderte Kommunikationsformen setzen andere Kompetenzen sowohl bei Lehrkräften als auch bei Schüler:innen voraus, die im (fremd-)sprachlichen Unterricht und der Lehrkräftebildung ihren Platz finden müssen.“

Britta Viebrock

Was ist das Ziel von DigiNICs?

Britta Viebrock: DigiNICs steht für „Digital gestützte Networked Improvement Communities zur Stärkung digitaler Souveränität in den Fächern sprachlicher Bildung“. Mit einem erweiterten Text- und Kommunikationsbegriff lassen sich die Auswirkungen digitaler Transformationen auf sprachliche Lehr-/Lernprozesse sowie auf die Anforderungen an Lehrer:innenbildung fassen: Schüler:innen werden mit vielfältigen (digitalen) Textsorten und Kommunikationsformen konfrontiert; sie haben Zugang zu automatisierten Schreibtools zur (fremd-)sprachlichen Textproduktion oder Erweiterung ihrer Sprachkenntnisse, deren selbstbestimmte Verwendung reflexive Ansätze verlangt.

Insbesondere für Lehrkräfte sind daher erstens praktische Kenntnisse digitaler Tools und Anwendungen nötig, um (fremd-)sprachliche Lernprozesse und Textproduktionen ihrer Lerner:innen zu unterstützen. Zweitens sind text- und medienreflexive Zugänge für eine kritische Reflexion digitaler Texte und Kommunikationsformen unerlässlich, um z. B. fake news oder Manipulationen erkennen zu können. Das Konzept „digitale Text- und Kommunikationssouveränität“ verbindet beide Dimensionen: die Entwicklung digitaler Kompetenzen zur Textrezeption und -produktion sowie einer kritisch-reflexiven Haltung gegenüber digitaler Kommunikation und Textualität. Übergeordnete Ziele des Projekts sind der koordinierte Aufbau und die Konsolidierung von gleichermaßen digitalen wie lokalen Netzwerkstrukturen (NICs) zur Stärkung ebendieser digitalen Souveränität der Akteur:innen in den Fächern sprachlicher Bildung.

Wer kann sich an den regionalen und überregionalen Netzwerken beteiligen, die von DigiNICs aufgebaut werden? Welchen Vorteil bietet eine Teilnahme?

Britta Viebrock: Die Netzwerke arbeiten im ersten Projektjahr regional, danach findet eine überregionale Vernetzung statt. Die Vernetzung zwischen den einzelnen Bildungsakteur:innen sowie der Transfer von digitalisierungsbezogenen Unterrichtsinnovationen findet über Networked Improvement Communities (NIC) statt, die eine bedeutende Gelingensbedingung für Implementierungsprozesse darstellen. Mit NICs wird eine Organisationsform auf der Makroebene beschrieben, in der die beteiligten Schulleitungen, Lehrpersonen, Fachberatende der Landesinstitute und Medienzentren lösungsorientiert digitale und digital gestützte Unterrichtsinnovationen implementieren, die nicht nur theoretisch fundiert und empirisch abgesichert sind, sondern zugleich auf ihre systemischen Bedingungen hin reflektiert werden. Die Professionalisierung von Lehrkräften findet als fortlaufender Prozess statt, der Qualifizierungsbedarfe und -maßnahmen in enger Kooperation der Beteiligten und unter Einbeziehung der jeweils spezifischen Rahmenbedingungen bestimmt und entwickelt.

Der Mehrwert der Kooperation im Projektverbund generiert sich durch

(a) die sprachenübergreifende Adressierung neuer fachlicher Gegenstände, d.h. digitaler Text- und Kommunikationsformen unter Beteiligung verschiedener Akteur:innen im Bildungsprozess

(b) die kooperative, interdisziplinäre Gestaltung von Modulen zur Stärkung digitaler Souveränität auch mit Blick auf die Bedarfe der sprachlichen Fächer an den unterschiedlichen Schulformen,

(c) die zielgerichtete Bündelung und gegenseitige Verfügbarmachung wissenschaftlicher Expertise, praktischer Erfahrungen, vorhandener Professionalisierungsmodule und -tools.

Alles in allem liegt dem Projekt stärker ein Transformationsgedanke zugrunde, im Gegensatz zu einem eher unidirektionalen Transferkonzept.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den vier beteiligten Universitäten im Projektverbund?

Britta Viebrock: Da es sich um einen kleinen Verbund handelt, der vor allem auf Netzwerkstrukturen setzt, ist die Zusammenarbeit besonders eng. Alle Entwicklungs- und Begleitforschungsschritte werden eng abgestimmt und in Teilen gemeinsam entwickelt, so zum Beispiel die Struktur der Fortbildungsmodule oder der gemeinsame Fragebogen zu Aspekten von digitaler Text- und Kommunikationssouveränität. Das Teilprojekt der Universität Tübingen, das die Implementationsprozesse untersucht, befragt auch die Leitungen der einzelnen Teilprojekte, die ihrerseits nicht nur Konzepte entwickeln und evaluieren, sondern selbst auch im Fokus der Begleitforschung stehen.

Welche Fortbildungen und Unterrichtsmaterialien werden in Ihrem Projektverbund entwickelt? Können Sie uns dazu ein paar Beispiele nennen?

Britta Viebrock: Im Projektverbund werden zum einen gemeinsame Grundlagenmodule zum Konzept der digitalen Text- und Kommunikationssouveränität in den Fächern sprachlicher Bildung sowie zu Deutsch- bzw. Englischunterricht in einer digital-mediatisierten Welt entwickelt. Zum anderen fokussieren die beteiligten Standorte jeweils einen zentralen Inhaltsbereich des Sprachenunterrichts und entwickeln spezifische Module zum digitalen bzw. digital-gestützten Lesen, Schreiben und Sprechen, zu digitaler Literatur im weitesten Sinne (hierzu zählen vor allem auch multimodale digitale Texte wie Filme, Serien oder Computerspiele sowie neue digital überformte Texte wie z. B. Twitterature), sowie zu Inklusion in und durch Medien.

Sind diese auch in einem inklusiven Unterricht einsetzbar?

Britta Viebrock: Die Fortbildungsmodule des Teilprojekts an der TU Dortmund fokussieren explizit Fragen von Diversität und Inklusion (Diklusion) und damit ein wichtiges Querschnittsthema für den (fremd-)sprachlichen Unterricht. Die Teilprojekte an der TU Chemnitz und der Goethe-Universität Frankfurt fokussieren stärker die fachlichen Inhaltsfelder Sprache und Literatur. Innerhalb des Gesamtprojekts findet aber eine Prüfung und Beratung hinsichtlich inklusionsbezogener Aspekte statt. Ein weiteres Ziel ist die Optimierung vorhandener digitaler Fortbildungsmodule im Hinblick auf Barrierefreiheit. Darüber hinaus werden neue Module (z. B. zu Fragen der Datensicherheit im Umgang mit digitalen Anwendungen) entwickelt und optimiert sowie ebenfalls auf ihre Transferierbarkeit hin überprüft.

„Insbesondere für Lehrkräfte sind erstens praktische Kenntnisse digitaler Tools und Anwendungen nötig, um (fremd-)sprachliche Lernprozesse und Textproduktionen ihrer Lerner:innen zu unterstützen. Zweitens sind text- und medienreflexive Zugänge für eine kritische Reflexion digitaler Texte und Kommunikationsformen unerlässlich, um z. B. fake news oder Manipulationen erkennen zu können.“

Britta Viebrock

In welcher Phase – Entwicklung, Erprobung oder Evaluation der Fortbildungen – befinden Sie sich zurzeit?

Britta Viebrock: Entwicklung, Erprobung und Evaluation der Fortbildungsmodule finden im Rahmen eines Design-Based-Research-Ansatzes in zyklischen Prozessen statt. Bisherige digitalisierungsbezogene Aus- und Fortbildungsangebote und -ressourcen (z. B. aus Vorarbeiten aus der QLB) werden systematisiert und in Zusammenarbeit mit den Akteur:innen und Multiplikator:innen anhand der spezifischen Bedarfe ergänzt, modular aufbereitet und auf ihre Transferierbarkeit an die jeweils anderen Projektstandorte sowie in weiteren Institutionen bzw. Kontexten der Lehrkräftefortbildung überprüft. Durch die Nutzung digital konzipierter Maßnahmen (z. B. über asynchron abrufbare Inhalte zusammen mit Möglichkeiten des synchronen Austausches in digital gestützten Netzwerken) wird die länderübergreifende Teilnahme für Lehrkräfte an Qualifizierungsangeboten erleichtert und die Zugänglichkeit zu vorhandenen Qualifizierungsmaßnahmen oder Ressourcen vereinfacht.

Wie werden Ihre Lern- und Fortbildungsformate in der Praxis erprobt?

Britta Viebrock: Als Formen der Kooperation und Professionalisierung auf der Mikroebene unterstützen insbesondere Professionelle Lerngemeinschaften (PLGs) das kollaborative Arbeiten und Lernen. Sie wirken als Motor für organisationsstrukturelle und fachliche Verbesserungen (Bonsen/Rolff 2006; Kansteiner 2016; Vescio/Adams 2015) und bilden das Bindeglied zu Multiplikator:innen der Landesinstitute, Schulämter und Medienzentren. Netzwerkbasierte Forschung baut dabei auf einer mehrperspektivisch angelegten formativen Erhebung auf. Design-Based Research (DBR) ermöglicht hier die systematische Verknüpfung praktischer Anwendungen im realen Bildungskontext mit empirischer Forschung und Implementierung auf Basis einschlägiger Daten (Fishman et al. 2013; McKenney/Reeves 2012; Reinmann 2014). In einem zyklischen Entwicklungsprozess werden theoretische Erkenntnisse und praxisbezogene Ergebnisse generiert.

Wie gelingt es Ihnen, die Produkte nachhaltig und für eine größere Zielgruppe zu sichern bzw. anzubieten?

Britta Viebrock: Nachhaltigkeit wird durch die Zusammenführung zentraler Akteursgruppen und Handlungsfelder in den digital gestützten NICs gesichert. Professionelle Handlungsfähigkeit, Verantwortungsübernahme und Kooperation der Beteiligten werden über die aktive Einbindung der Akteuer:innen in die theoretische und praktische Entwicklung, Evaluation und Verbesserung von Qualifizierungsmaßnahmen und ihre Zusammenführung in lokalen „lernenden“ Netzwerken gestärkt, die den digitalen Mediatisierungskontext umfassend berücksichtigt. Zudem werden die entwickelten Fortbildungsmodule sowohl regional als auch über die von der Transferstelle koordinierten übergreifenden Distributionswege digital zur Verfügung gestellt.

Prof. Dr. Britta Viebrock

Britta Viebrock ist Professorin für die Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Sie ist Studiendekanin im Fachbereich Neuere Philologien und Direktorin der Akademie für Bildungsforschung und Lehrkräftebildung (Aufgabenschwerpunkt: International Teacher Education). Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Lehrkräfteprofessionalisierung, Forschungsmethodologie und Forschungsethik, Unterrichtsvideografie, Content and Language Integrated Learning, Filme und Serien im Fremdsprachenunterricht, Aspekte von Multiliteralität.

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Interview mit Prof. Dr. Dr. Ralf Koerrenz. Redaktion: Michaela Achenbach, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Schulentwicklung – Digitalisierung – Demokratieförderung – diese drei Themen bilden den Rahmen Ihrer Arbeit im Projektverbund SchuDiDe. Warum haben Sie diesen Zusammenhang in den Fokus gerückt?

Ralf Koerrenz: Digitalisierung ist ein Wandlungsprozess, der das Verhältnis von Schule und Gesellschaft grundsätzlich verändert. Das Lernen von Kindern und Jugendlichen wird durch Smartphones, Social Media und KI als außerschulischen Erziehungsmächten mitgesteuert. Diese stellen das Handeln in der Schule und durch die Schule in einer neuen Qualität auf den Prüfstand.

Die Veränderung von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspannen durch Tempo und Reizintensität von digitalen Medien und die Entgrenzung unseres hirnphysiologischen Belohnungssystems (z. B. mit Blick auf das Aushalten von Unlust, auf den Belohnungsaufschub in komplexeren und langwierigeren Lernprozessen etc.) ist ein markanter Punkt.

Ein anderer bezieht sich auf die digitalen Lebenswelten von Schüler:innen, die durch die Omnipräsenz von Smartphones und darauf genutzten Apps als wirkmächtige Normalität Einzug in den schulischen Alltag gehalten haben.

Dies sind nur zwei Hintergründe, die soziale Phänomene wie den Umgang mit Fake News oder die Kommunikation in virtuellen Räumen als explizit schulische Herausforderungen markieren. Denn: Wenn wir Schule als einen sozialen Raum verstehen, der auf das Leben in einer demokratischen Gesellschaft vorbereiten soll und somit mittelbar auf diese Gesellschaft wirkt, bekommt die Wirkmacht von digitalbasierten Mit-„Erziehern“ eine besondere Brisanz. Die digitale Schulentwicklung nimmt deswegen auch die Förderung der pluralitätsoffenen und zugleich wertebasierten Persönlichkeitsentwicklung in einer vielfältigen, demokratischen Gesellschaft in den Blick.

Und was genau ist das Ziel ihres Vorhabens?

Ralf Koerrenz: Die Gestaltung von Schule als Institution auf der Makroebene, von schulischer Alltagspraxis aller Beteiligten auf der Mesoebene und des Unterrichts auf der Mikroebene verlangt im Zuge der Digitalisierung mit Blick auf ein demokratisches Zusammenleben nach einer Neujustierung. Hierzu wollen wir in einer Art Baukasten-System in enger Kooperation mit den beteiligten Schulen exemplarische Fortbildungsformate bereitstellen, die die Aufmerksamkeit auf den systemischen Zusammenhang von Digitalisierung und Demokratieförderung in der Schulentwicklung richten.

Ein solches Anliegen führt auf der Makroebene dazu, dass rechtliche und ethische Rahmenbedingungen der digitalen Schulentwicklung aufbereitet werden. Weiterhin soll die Digitalisierung auf der Mesoebene – etwa mit Blick auf partizipative Entscheidungsstrukturen oder interkulturelle Kooperationen – so fruchtbar gemacht werden, dass Schulen Demokratie durch Formate und Angebote erlebbar machen können und im besten Fall selbst Erfahrungsräume der Demokratie werden. Auf der Mikroebene geht es darum, digitale Entwicklungen in die Unterrichts- und Prüfungskonzeption partizipativ einzubeziehen.

Alles in allem wird Demokratieförderung in der Schule durch die Digitalisierung noch stärker als zuvor als eine Werkstatt sichtbar, die – vielleicht auch mithilfe unserer Angebote – von der jeweiligen Einzelschule gestaltet werden muss.

„Alles in allem wird Demokratieförderung in der Schule durch die Digitalisierung noch stärker als zuvor als eine Werkstatt sichtbar, die von der jeweiligen Einzelschule gestaltet werden muss.“

Ralf Koerrenz

Wo liegt Ihrer Meinung nach der besondere Nutzen einer digitalen Schulentwicklung in Sachen Demokratieförderung?

Ralf Koerrenz: Bereits im frühen Kindesalter wird unsere Alltagskultur oftmals durch die Normalität digitaler Mediennutzung geformt. Demokratieförderung in der und durch die Schule wird dadurch in einer neuen Weise herausgefordert. Ein Bewusstsein dafür, dass unsere Vorstellungen eines pluralitätsoffenen, zugleich aber im Sinne des Grundgesetzes wertebasierten Miteinanders durch die Form und Inhalte digitaler Medien hinterfragt und teilweise angegriffen werden, ist ein erster Realitätsgewinn, wenn wir Schule heute nüchtern betrachten wollen.

Fake News, fundamentalistische Weltdeutungsmuster und eine neue Qualität der Selbstkonstruktion über Konsum und zahlreiche Identifizierungsangebote sind nur drei Aspekte, die ganz wesentlich digital in den Alltag der Schüler:innen eingewoben sind.

Den Umgang mit der Realität von Digitalisierung über eine Optimierung von technischen Anwendungen und der Entwicklung von neuen Kreativitätsformaten in Lehr-Lern-Prozessen – um nur zwei Aspekte zu nennen – hinaus um die gesellschaftspolitische Dimension zu erweitern, macht digitale Schulentwicklung realistischer und alltagsnäher.

Der schulische Alltag wirkt für Lernende und Lehrende mit Blick auf die Steuerungsprozesse von und Einflussfaktoren auf Lernen oft undurchsichtig und konfus. Diese Undurchsichtigkeit produziert eine eigene Form von Stress und führt zu einer zusätzlichen Überforderung – beispielsweise mit Blick auf die Gestaltungsaufgaben politischer Bildung. Insofern kann ein Bewusstsein für die digitalen Mit-„Erzieher“ gerade mit Blick auf demokratisches Lernen für etwas Aufklärung über den Alltag sorgen.

Und wie verhalten sich Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Perspektive zueinander?

Ralf Koerrenz: Schule kann nicht direkt und unmittelbar die Gesellschaft prägen, ist durch ihre Verantwortung für das Lernen von Heranwachsenden in den verschiedenen Ausdrucksformen schulischen Handelns – vom Verhalten der Lehrenden über die Lerninhalte bis hin zu sozialräumlichen und materialräumlichen Arrangements – jedoch keineswegs bedeutungslos.

Bestenfalls kann digitale Schulentwicklung durch die Anerkennung dieser Situation den Raum für schulinterne Aushandlungsprozesse zu Maßnahmen der Demokratieförderung im Horizont der Digitalität schaffen. Unsere Materialien und Fortbildungsangebote sollen hierfür Impulse bereitstellen.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den fünf beteiligten Universitäten im Projektverbund?

Ralf Koerrenz: Unser Netzwerk hat ein gemeinsames Anliegen, aber eine zugleich koordinierte und heterogene Binnenstruktur. Uns verbindet der Anspruch, Demokratieförderung und Digitalisierung in einer Art Laboratorium in verschiedenen Fortbildungsformaten zu gestalten. Darüber tauschen wir uns regelmäßig präsentisch und digital aus. Für den Herbst 2024 ist eine Klausurtagung in einer der Partnerschulen angedacht. In der Binnenstruktur ist unser Verbund in fünf Tandems organisiert, die einen speziellen thematischen Austausch pflegen. Den thematischen Aufbau und die Struktur des Verbundprojektes kann man am besten in einer grafischen Darstellung nachvollziehen.

Kooperieren Sie auch mit anderen Projektverbünden und Beteiligten im Kompetenzzentrum Schulentwicklung?

Ralf Koerrenz: Die Kooperation mit anderen Akteuren aus dem Gesamtprojekt Digitale Schulentwicklung ist bei uns über Einzelaktivitäten der Teilprojekte organisiert. Innerhalb unseres Kompetenzzentrums hat es unter anderem Kooperationen mit einem anderen Verbund bei einer Zeitschriften-Publikation gegeben. Darüber hinaus gibt es Vernetzungen beispielsweise in das Kompetenzzentrum Musik/Kunst/Sport mit Blick auf das Thema „Künstliche Intelligenz“. Und durch die große Tagung „Digitale Transformation für Schule und Lehrkräftebildung gestalten“ in Potsdam werden sicher noch weitere Kooperationen entstehen. 

Was werden die Lehrkräfte in den Fortbildungen lernen, die Sie zurzeit entwickeln?

Ralf Koerrenz: Hier möchte ich zwei Ebenen unterscheiden.

Zum einen geht es uns – wie auch anderen Verbünden – darum, digitale Schulentwicklung als eine gesellschaftliche Herausforderung zu verstehen. Bei allem Nutzen der Einführung und Optimierung von Digitalisierung als ein Set von Techniken sind Lehrkräfte mit den Folgeerscheinungen der alle Lebensbereiche beeinflussenden Digitalnutzung der einzelnen Schüler:innen konfrontiert. Die Lehrkräfte können unseren Angeboten – quasi als eine Art Leitfaden – eine Wertschätzung der sozialen Dimension digitaler Schulentwicklung entnehmen: als Impuls für die immer nur konkret vor Ort zu definierenden Herausforderungen und für die entsprechenden Strategien und Haltungen zu deren Bewältigung.

Zum anderen geht es uns um ganz konkrete Angebote, diese Gestaltungsaufgaben vor Ort zu unterstützen, zu inspirieren und zu motivieren. Zu diesen Angeboten gehören rechtliche und ethische Orientierungen z. B. für Schulkonferenzen, aber auch Fortbildungsformate zur Radikalisierungsprävention. Es geht bei uns außerdem um Fortbildungen zu globalen Netzwerken und zu digitalen Projekttagen. Weitere Angebote beziehen sich auf neue Formen der Partizipation von Schüler:innen an der Schulkultur, auf kollegiale Unterrichtsentwicklung oder auch auf Auswirkungen und Potenziale textgenerierender KI in der Schule. Unsere Angebote sind vielfältig, wie auch demokratisches Lernen nur im Plural, in einer orientierenden Vielfalt gedacht werden kann. Verbunden sind alle Angebote in der Überzeugung, dass Schulentwicklung auch die gesellschaftliche Dimension der Digitalisierung mit in den Blick nehmen sollte – weil sie den Alltag aller an der Schule Beteiligten mitbestimmt.

„Uns geht es um ganz konkrete Angebote, diese Gestaltungsaufgaben vor Ort zu unterstützen, zu inspirieren und zu motivieren. Zu diesen Angeboten gehören rechtliche und ethische Orientierungen z. B. für Schulkonferenzen, aber auch Fortbildungsformate zur Radikalisierungsprävention.“

Ralf Koerrenz

In welcher Phase – Entwicklung, Erprobung oder Evaluation der Fortbildungen – befinden Sie sich zurzeit?

Ralf Koerrenz: Das ist von Teilprojekt zu Teilprojekt unterschiedlich.

Diejenigen Projekte, die in Abstimmung mit den Partnerschulen Projekte für die Praxis entwickeln bzw. entwickelt haben, befinden sich jetzt in oder kurz vor den entsprechenden Erprobungsphasen.

Einige Projekte folgen dem Ansatz, die Weiterbildung mit Teams aus einem Schulnetzwerk „von unten“ zu entwickeln. Diese haben jetzt die Vorbereitungen abgeschlossen, um im nächsten Schuljahr die Fortbildungen kooperativ zu entwickeln. Ein solch alltagspraxisbasiertes Vorgehen folgt anderen Rhythmen.

Wie werden ihre Lern- und Fortbildungsformate in der Praxis erprobt?

Ralf Koerrenz: Auch das ist von Teilprojekt zu Teilprojekt unterschiedlich. Je nach Prozesskonzeption werden schon jetzt bestimmte Formate im Austausch mit den beteiligten Schulen getestet.

Andere Angebote zeichnen sich dadurch aus, dass sie erst im Laufe des kommenden Schuljahres mit Akteuren aus der Praxis erarbeitet werden – als „Best-Practice“-Modelle für andere Schulen.

Wie gelingt es Ihnen, Ihre Produkte nachhaltig und für eine größere Zielgruppe zu sichern?

Ralf Koerrenz: Wir werden den Transfer der digitalen Materialien und Maßnahmen durch Bereitstellung der Produkte auf zentralen digitalen Plattformen sowie OA- und OER-Veröffentlichungen für eine größere Zielgruppe zu sichern versuchen. Was davon wie genutzt wird, liegt natürlich im Wesentlichen in der Entscheidungshoheit der Bundesländer. Dabei soll die Implementierung durch Kooperation mit Partnern in allen Phasen der Lehrkräftebildung sowie Kultus- und Landesministerien unterstützt werden.

Ergänzend soll die Vorstellung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse in der wissenschaftlichen Community nicht nur die (kritische) Auseinandersetzung und Weiterentwicklung der digitalen Maßnahmen und Materialien ermöglichen, sondern auch weitere Verbreitungs- und Vernetzungsmöglichkeiten eröffnen.

„Wir werden den Transfer der digitalen Materialien und Maßnahmen durch Bereitstellung der Produkte auf zentralen digitalen Plattformen sowie OA- und OER-Veröffentlichungen für eine größere Zielgruppe zu sichern versuchen.“

Ralf Koerrenz

Im Verbund SchuDiDe konzipieren Sie ein länderübergreifendes Forum. Welcher Impuls soll davon ausgehen?

Ralf Koerrenz: Ausgehend von den am Verbund beteiligten Personen aus fünf Bundesländern werden wir das Forum im Laufe des kommenden Schuljahrs zunächst digital konzipieren. Mit dem Forum soll das Thema „Digitalisierung – Schule – Demokratie“ sichtbar gemacht werden. Zu unseren nächsten Aufgaben in diesem Bereich wird es gehören, Möglichkeiten der Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen Akteuren auszuloten.

Parallel hierzu werden wir von Jena ausgehend das Thema mit der Organisation von Fachtagungen zu unterstützen versuchen. Bei alledem werden wir immer zu prüfen haben, wie unsere Vorstellungen zu „Digitalisierung – Schule – Demokratie“ mit den gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt halten können. Denn die Entwicklungen unseres demokratischen Zusammenlebens sind notwendig dynamisch und in einer spezifischen Weise offen – das gehört nun einmal zur Eigenheit von Demokratie untrennbar hinzu, auch mit Blick auf die Auseinandersetzung mit bestimmten Gefährdungen.

Klar ist bei alledem jedoch, dass Digitalisierung einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung von Demokratie hat – und Schule als eine gesellschaftlich definierte Institution davon (bewusst oder unbewusst) stark geprägt ist. Zu einem kritisch-konstruktiven Umgang mit dieser Situation möchte unser Verbund auf den schon genannten Ebenen Bausteine in Form von Fortbildungsangeboten beisteuern.

Prof. Dr. Dr. Ralf Koerrenz

Ralf Koerrenz ist Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und arbeitet dort an dem von ihm mitgegründeten Institut für Bildung und Kultur. Mit seinem Team hat er die allgemeinpädagogische Konzeption der Kritisch-Operativen Pädagogik (KOP) entwickelt, die über ein Verständnis pädagogischen Handelns (Lernsteuerung und Wahrnehmungsinszenierung) sowie einem Verständnis von Kritik als Unterscheidung (Analytik) und Entscheidung (Pragmatik) auch einen neuen Rahmen für empirische Forschungsdesigns bereithält.

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Vom 4. bis 6. Juni 2024 findet die Fachmesse und der europaweit renommierte Kongress LEARNTEC in Karlsruhe statt. Die LEARNTEC bringt Bildungsexpert:innen, Entscheider:innen aller Wirtschaftsbranchen sowie öffentlicher Träger zusammen und informiert über digitale Lerntrends, Innovationen und neue Produkte rund um das Thema E-Learning. 

In zwei Sessions bringt der Kompetenzverbund lernen:digital gemeinsam mit dem Forum Bildung Digitalisierung, das sich als Praxispartner in den Handlungsfeldern Transfer und Wissenschaftskommunikation der lernen:digital Transferstelle engagiert, seine Expertise zur Gestaltung eines erfolgreichen Transfers zwischen Wissenschaft und Praxis für die digitale Transformation von Schule und Lehrkräftebildung ein:

Dienstag, 4. Juni 2024 

​10:00 – 11:30 Uhr | Forum school@LEARNTEC – Panel B
Kompetenzverbund lernen:digital – Wie gelingt der Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis?
Mit:
– Prof. Dr. Katharina Scheiter, Universität Potsdam
– Prof. Dr. Uta Hauck-Thum, Ludwig-Maximilians-Universität München
– Ralph Müller-Eiselt, Forum Bildung Digitalisierung
– Anja Schnieder-Heer, Zentrum für Schulqualität und Lehrkräftebildung (ZSL)

14:00 – 15:30 Uhr | Forum school@LEARNTEC – Panel A
Gestaltung von Transfer: Netzwerke zwischen Wissenschaft und Praxis gemeinsam stärken
Mit:
– Kathrin Kern, Forum Bildung Digitalisierung
– Philipp Schulz, Forum Bildung Digitalisierung

Wir freuen uns auf spannende Diskussionen im Rahmen des Forum school@LEARNTEC. Künstliche Intelligenz, Lernraumkonzepte und Best Practices: Gebündelt in einer eigenen Messehalle dreht sich beim Forum school@LEARNTEC alles um das Thema digitales Lernen in der Schule. In Vorträgen und Diskussionen stehen alle Slots unter dem großen Oberthema „Bildung in einer Kultur der Digitalität“.

Besuchen Sie uns außerdem an unserem gemeinsamen Messestand mit dem Forum Bildung Digitalisierung, an dem wir über den Kompetenzverbund lernen:digital informieren. Sie finden uns am Stand U12 in der dm-Arena. Wir freuen uns auf den Austausch!

Mehr zur LEARNTEC 2024

Weitere Informationen zu den verschiedenen Sessions gibt es im Messeprogramm. Das Kongressprogramm ist hier zu finden.

 

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Biografie

Fabian Rösch studierte in Jena und Chambéry Germanistische Literaturwissenschaft, Volkskunde/Kulturgeschichte, Mittellatein und Mittelalterliche Geschichte, worin er nach einem Magisterabschluss in Gießen promoviert hat. Nebenbei arbeitete er u. a. an der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, in der Archäobotanik und der Pharmaindustrie. Ein Lehramtsstudium in Deutsch, Geschichte und Latein folgte in Frankfurt am Main. Das Referendariat absolvierte er an einer Thüringischen Gesamtschule. Er unterrichtete an einer Brandenburgischen Oberschule und einem Gymnasium mit MINT-Schwerpunkt. Seit Juli 2023 ist Fabian Rösch in der lernen:digital Transferstelle für die Vernetzung von Multiplikator:innen zuständig.

 

Im Dialog mit …

Dr. Fabian Rösch

Mitarbeit Handlungsfeld Transfer in der lernen:digital Transferstelle

An wen richtet sich das digitale Austauschformat Boxenstopp und was macht die Veranstaltungsreihe aus?

Boxenstopp etabliert eine dynamische Plattform, die speziell darauf ausgerichtet ist, den Austausch zwischen den Akteur:innen der dritten Phase der Lehrkräftebildung, der Fachdidaktik und der Bildungswissenschaft zu fördern. Das Hauptanliegen der Veranstaltungsreihe ist es, innovative Konzepte für Lehrkräftefortbildungen, die sich auf die digitale Transformation von Schule und Unterrichten konzentrieren, sichtbar zu machen und zu teilen. Das Format richtet sich daher explizit an Personen, die aktiv in der Lehrkräftefort- und -weiterbildung tätig sind, wie z. B. Fortbildner:innen. Darüber hinaus ist Boxenstopp auch für interessierte Mitarbeitende der Landesinstitute und Qualitätsagenturen gedacht.

Wie ist das Format aufgebaut und was erwartet die Teilnehmenden?

Boxenstopp ist ein 60-minütiges Online-Format mit einem Mix aus Input- und moderierten Austauschphasen. Es werden jeweils ein bis zwei digitalisierungsbezogene Fort- und Weiterbildungskonzepte vorgestellt, die anschließend in Hinblick auf eine mögliche länderspezifische Umsetzung in der Praxis diskutiert werden.

Die Teilnehmenden erwarten spannende Fort- und Weiterbildungskonzepte zu ganz unterschiedlichen fachlichen und überfachlichen Themen, die im Zusammenhang mit der Digitalisierung von Schule und Unterricht stehen. Boxenstopp bietet einen Raum für Feedback und Diskussionen zu Fort- und Weiterbildungskonzepten und fördert eine Vernetzung aller beteiligten Akteur:innen.

Mit welchen Themen und Konzepten wird sich Boxenstopp befassen?

Wir werden eine Vielfalt an fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Fort- und Weiterbildungskonzepten präsentieren, die einen Beitrag zur digitalen Transformation von Schule und Unterricht leisten können. Die präsentierten Konzepte decken verschiedene fachliche und überfachliche Bereiche zur Lehrkräftefort- und -weiterbildung ab.

Bei unserer ersten Veranstaltung am 18. April 2024 wird Prof. Dr. Heidrun Heinke von der RWTH Aachen ein modulares Fortbildungskonzept für den Einsatz der App phyphox für Smartphone-gestützte Experimente in der Schule vorstellen.

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Länderübergreifende Zusammenarbeit in der Bildung – mit diesem Ziel vor Augen betritt der Kompetenzverbund lernen:digital regelrecht „Neuland“. Doch am Ende könnten sich neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen Wissenschaft und Praxis etabliert haben, hofft Birgit Pikowsky, Direktorin des Pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz. Die Landesinstitute für Lehrkräftebildung sind dabei ein entscheidender Faktor, denn sie vermitteln Praxiswissen an die Wissenschaft, Forschungsergebnisse in die Praxis und kooperieren auch untereinander. Zusammen mit Dirk Richter, Wissenschaftliche Leitung der lernen:digital Transferstelle, werden im Interview aber auch die Aufgaben der Transferstelle herausgestellt. Nicht zuletzt berichten die beiden, wozu sich lernen:digital nach Ablauf der Projektzeit im Idealfall entwickeln könnte.

Interview: Beate Berrischen, Agentur für Bildungsjournalismus

„Sie ist eben doch möglich, die länderübergreifende Zusammenarbeit in der Bildung“, so schreiben Sie, Frau Pikowsky, in einem Artikel auf Website der Kultusministerkonferenz (KMK). Sind das Vorschusslorbeeren für den Kompetenzverbund lernen:digital?

Birgit Pikowsky: Nein, der Artikel bezog sich auf etwas anderes. Aber ich würde es als Wunsch und Erwartung an lernen:digital formulieren. Und dieser Satz zeigt auch eine Haltung, die ich zum Ausdruck bringen möchte, wie wichtig die länderübergreifende Zusammenarbeit und wie wichtig auch die Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis ist.

Können Sie kurz schildern, wie diese länderübergreifende Zusammenarbeit bei lernen:digital aussieht und dazu auch kurz die Struktur, Aufgaben und Ziele des Projekts erläutern?

Dirk Richter: Der Kompetenzverbund lernen:digital ist ein Projekt, das aus vier Kompetenzzentren besteht, die jeweils einen bestimmten Fachbereich abdecken. Innerhalb jedes Kompetenzzentrums existieren zwischen vier und acht Projektverbünde, die wiederum aus verschiedenen Universitäten bestehen, die in unterschiedlichen Bundesländern verortet sind. Insgesamt gibt es 24 dieser Projektverbünde und mehr als 200 Teilprojekte. Jeder Projektverbund hat das Ziel, Fortbildungskonzepte zu entwickeln. Diese sollen über die Transferstelle den Weg in die Praxis finden und bundesweit die Lehrkräfte aus den entsprechenden Fächern beim Einsatz digitaler Medien unterstützen und die digitale Bildung in Schulen fördern. Die Landesinstitute aller Länder spielen im gesamten Prozess eine besondere Rolle: Sie sind bei den allermeisten Projektverbünden ein zentraler Partner und im Idealfall bereits bei der Entwicklung der Fortbildungskonzepte involviert. Frau Pikowsky kann sicher bestätigen, dass viele Projektverbünde an ihr Institut herantreten und Zusammenarbeit wünschen. Aber auch bezüglich des Transfers sind wir im engen Austausch und die Landesinstitute überlegen mit uns, über welche Strukturen wir die Ergebnisse gut in die Schulen transferieren können.

Birgit Pikowsky: Sie sehen, die Landesinstitute können da, wo sie frühzeitig eingebunden sind, – was ich für zentral bedeutsam halte – einen wichtigen Beitrag leisten. Wir können natürlich nicht als ein Institut bei 200 Projekten mitarbeiten. Aber wo es möglich ist, beteiligen wir uns, indem wir beispielsweise den Bedarf in Schulen ermitteln und Erfahrungen in der Lehrkräftefortbildung sowie in der Arbeit mit der Bildungsadministration einbringen. Zudem agieren wir auch als Vermittler zwischen Wissenschaft und Schulen. Wir überlegen gemeinsam, was Schulen brauchen, wie die Angebote gestaltet werden müssen, wie die Projekte ihren Weg in die Schulen finden und wie Lehrkräfte angesprochen werden können. Wo möglich, geben wir auch Rückmeldungen zu Entwicklungsschritten und binden uns als kritische Partner oder „reflektierendes Team“ ein. Es geht darum, dass mehr entsteht als nur ein Markt der Möglichkeiten. Es sollen auch Leitlinien eingeführt und Qualitätskriterien formuliert werden – und da habe ich hohe Erwartungen, insbesondere an die Transferstelle.

Welche Aufgaben hat die Transferstelle denn ganz konkret?

Dirk Richter: Die Transferstelle hat vielfältige Funktionen im großen Verbund. Einerseits hat sie die Aufgabe, Vernetzung herzustellen – sowohl innerhalb der Kompetenzzentren, also zwischen den Projektverbünden, als auch zwischen den vier Kompetenzzentren und nicht zuletzt zur wissenschaftlichen Community, die außerhalb der Kompetenzzentren tätig ist. Zusätzlich hat die Transferstelle die Aufgabe, Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Das heißt, sie soll die gewonnenen Erkenntnisse in der Öffentlichkeit, insbesondere aber in der Schulöffentlichkeit bekannt machen. Dazu nutzen wir eine Vielzahl von praxisnahen Formaten wie Podcasts, Videos, Konferenzen, Workshops und Community Calls. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Durchführung eigener Forschung beispielsweise zu den Fragen, wie Multiplikator:innen qualifiziert werden oder was gelingende Konzepte zur Qualifizierung sind. Und schließlich ist die Vorbereitung des Transfers – also die Übermittlung der gewonnenen Erkenntnisse und Projekte – ein entscheidender Punkt. Dazu gehört die intensive Zusammenarbeit mit den Landesinstituten, die Nutzung einer Plattform, wo die entwickelten Konzepte eingestellt werden, und die Qualifikation der Multiplikator:innen.

„Die Landesinstitute aller Länder spielen im gesamten Prozess eine besondere Rolle: Sie sind bei den allermeisten Projektverbünden ein zentraler Partner und im Idealfall bereits bei der Entwicklung der Fortbildungskonzepte involviert.“

Dirk Richter

Sehen Sie es denn auch als Ihre Aufgabe, die von Frau Pikowsky eingeforderten Leitlinien einzuziehen?

Dirk Richter: Absolut. Es geht darum, sicherzustellen, dass kein bunter Mix aus verschiedenen Produkten entsteht, sondern dass die Produkte qualitätsgesichert sind, nach bestimmten Vorgaben entwickelt wurden und in die bestehenden Systeme der Länder übertragbar sind. Ein Beispiel: Es existiert bereits eine Plattform namens ComPleTT, eine Moodle-Plattform, über die sich die Länder austauschen können und auf der entwickelte Fortbildungskonzepte auch länderübergreifend weitergeleitet werden können. Unsere Aufgabe besteht nun darin, die Projektverbünde und Kompetenzzentren anzuleiten, ihre Konzepte so vorzubereiten, dass sie optimal von den Landesinstituten über diese Plattform genutzt werden können, qualitätsvoll sind und bestimmten einheitlichen Vorgaben entsprechen. Auch was die angesprochene Qualifizierung der Multiplikator:innen der Landesinstitute betrifft, möchten wir keine strikten Vorgaben machen. Wir möchten vielmehr aus den Erkenntnissen unserer Forschung Hinweise ableiten, was erfolgreiche Möglichkeiten sind, unser Wissen bereitstellen und beraten. Die Durchführung von Fortbildungen ist das Kerngeschäft der Landesinstitute und hier sehen wir eine klare Aufgabenteilung.

Besteht dann nicht die Gefahr, dass die Institute und Multiplikator:innen die Konzepte nach eigenem „Gutdünken“ umsetzen?

Birgit Pikowsky: Ich glaube, entscheidend ist der Punkt, dass wir nichts Fertiges aus der Wissenschaft erhalten, was wir dann in die Praxis übertragen sollen, ohne dass die Praxis und die Strukturen vor Ort vorher involviert waren. So funktioniert Transfer nicht. Wissenschaft hat die Aufgabe, den Transfer gemeinsam zu gestalten und zu evaluieren. Es ist also nicht so, dass jeder tun kann, was er will. Wir orientieren uns gemeinsam an den Qualitätskriterien.

Dirk Richter: Ich würde das gerne um folgenden Punkt ergänzen: Im Verlauf der Projektlaufzeit planen wir Tagungen und Vernetzungstreffen, auf denen die Produkte vorgestellt werden und an denen auch die Landesinstitute teilnehmen. Und dort soll schon gemeinsam überlegt werden: „Wie schaffen wir es, dass ein Konzept gut in die Struktur eines Landes überführt und dort umgesetzt werden kann?“
Auch die Fortbildungskurse, die als Selbstlernkurse auf der genannten Moodle-Plattform eingestellt werden, sind keine Konzepte, die in gleicher Form in jedem Land eingebracht werden müssen. Sie dienen als Angebote, die an die eigenen Bedürfnisse des Landes angepasst werden können. Das macht das Projekt so interessant und herausfordernd, da jedes Land eigene Strukturen und Vorgaben für die Umsetzung von Fortbildungen hat. Es kann also nicht einfach ein vorgegebenes Konzept in jedem Land auf die gleiche Weise umgesetzt werden, sondern es bedarf Anpassungen an die länderspezifischen Rahmenbedingungen.

Birgit Pikowsky: Ich gebe mal ein konkretes Beispiel, um das Ganze etwas greifbarer zu machen. Im nächsten Halbjahr planen wir mit dem Verbund MINT eine Tagung. Die Forschungsprojekte aus dem MINT-Bereich können dort vorgestellt werden, und Lehrkräfte sowie Multiplikator:innen könnten Rückmeldungen geben oder Interesse an einer Zusammenarbeit zeigen. So entstehen konkrete Kooperationen, noch in der Entwicklung, die über das Zufällige, „Ich habe mal von irgendeinem Projekt gehört“, hinausgehen und systematischer werden.

Das Projekt ist auf zweieinhalb beziehungsweise im Fall der Transferstelle auf dreieinhalb Jahre angelegt. Was wünschen Sie sich, was am Ende erreicht sein soll?

Birgit Pikowsky: Durch die kurze Laufzeit stößt man schnell an Grenzen. Ich habe dennoch die Erwartung, dass auch nach Ende des Projekts eine Weiterarbeit mit den entwickelten Konzepten stattfindet. Ich wünsche mir außerdem, dass in diesen zweieinhalb Jahren Prozesse gestartet und Strukturen aufgebaut werden, die nachhaltig wirken. Es geht darum, dass Kooperationen entstehen und eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis und auch zwischen Bund und Ländern etabliert wird. Lehrkräftebildung ist so wichtig und zentral, dass sie nur gemeinsam erfolgreich gestaltet werden kann.

Dirk Richter: Ich kann das nur unterstreichen. In der verbleibenden Projektzeit werden wir nicht alle Lehrkräfte qualifizieren können und die Schulen fit für digitalen Unterricht machen. Aber ich hoffe, dass wir Strukturen haben werden, in denen alle Beteiligten gut zusammenarbeiten können. Ich hoffe auch, dass wir bestehende Plattformen weiter ausbauen und Routinen schaffen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in Schulen integriert werden können. Und nicht zuletzt ist meine große Hoffnung, dass wir eine Vielzahl von Konzepten und Materialien entwickeln, die von den Landesinstituten genutzt werden können.

„Ich wünsche mir, dass in diesen zweieinhalb Jahren Prozesse gestartet und Strukturen aufgebaut werden, die nachhaltig wirken. Es geht darum, dass Kooperationen entstehen und eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis und auch zwischen Bund und Ländern etabliert wird.“

Birgit Pikowsky

Was sind denn die größten Hürden, die diesen Zielen im Wege stehen?

Dirk Richter: Eine Hürde besteht darin, dass es keine länderübergreifende Lernplattform gibt, in die sich jede Lehrkraft einloggen kann. Das heißt, in jedem Land müssen die Konzepte von der angesprochenen länderübergreifenden Plattform auf die jeweilige Landesplattform, auf die die Lehrkräfte Zugriff haben, gehoben werden. Wir arbeiten also im Prinzip über ein Mittlersystem und die Transferstelle kann nicht sicherstellen, dass alle Lehrkräfte erreicht werden. Eine weitere Hürde liegt in der fehlenden Finanzierung der Landesinstitute. Das heißt, sie erhalten für ihre Mitarbeit bei diesem Projekt kein zusätzliches Budget von Bund oder Land und können dementsprechend nur so weit mitwirken, wie es das zur Verfügung stehende Budget zulässt. Eine zusätzliche Unterstützung mit entsprechender Personalkostenübernahme wäre wünschenswert. Und eine kleine Hürde sind natürlich die unterschiedlichen Strukturen und Anforderungen der Länder. Die Transferstelle muss gut kommunizieren und verstehen, welche spezifischen Bedürfnisse und Besonderheiten in den einzelnen Ländern existieren, um diese an die Verbünde zurückzumelden.

Birgit Pikowsky: Auch die Komplexität des Projekts ist eine Hürde. Mit 200 Projekten und einer Vielzahl beteiligter Universitäten ist es eine Herausforderung, die Zuständigkeiten klar zu definieren und die Projekte zu steuern und zu strukturieren.

Dirk Richter: Und auch die fehlende Anschlussfinanzierung ist eine Hürde. Der Bund investiert viel Geld, aber es ist aktuell noch unklar, wie es nach den zweieinhalb Jahren weitergehen wird. Die Digitalisierung wird aber nach dieser Zeit nicht enden, die Aufgabe bleibt also bestehen, und wir sollten die Erkenntnisse und Strukturen nutzen, um daran weiterzuarbeiten. Aber wenn wir nicht wissen, in welchen Strukturen es weitergeht, dann ist es natürlich auch schwer, den Prozess weiterzudenken. Die Klärung der Anschlussfinanzierung ist daher eine drängende Aufgabe.

Was würden Sie sich denn wünschen, wie es nach zweieinhalb Jahren weitergehen soll?

Dirk Richter: Aus meiner Sicht bräuchten wir eine deutlich übersichtlichere Struktur, keine regional verteilten Projektverbünde, sondern im besten Fall regionale Kompetenzzentren, die bundeslandübergreifend tätig sind. Diese Zentren könnten auf Basis der bis dahin entwickelten, gut evaluierten Konzepte Dinge flächendeckend umsetzen. Momentan haben wir viele einzelne Fortbildungskonzepte, aber nicht alle werden es schaffen, flächendeckend umgesetzt zu werden. Meine Vorstellung ist, dass man sich auf wenige, aber wichtige Projekte konzentriert, die dann die Ressourcen haben, um in der Fläche realisiert zu werden. Man könnte Multiplikator:innen in bestimmten Themenbereichen schulen, und diese geschulten Multiplikator:innen könnten dann die Fortbildungen in den jeweiligen Ländern durchführen. Dies könnte dann auch Evaluationen beinhalten, um die Wirkung eines einheitlichen Konzepts über die Länder hinweg zu messen.

Birgit Pikowsky: Diesen Wunsch nach regionalen Kompetenzzentren, lieber weniger, dafür gebündelt, teile ich. Die Zentren sollten fach- und themenbezogene Anlaufstellen für Wissenschaft und Landesinstitute sein und Expertise aus allen Bereichen vorhalten. So könnten wir gemeinsam Qualitätssicherung und -entwicklung vorantreiben. Die Landesinstitute könnten sich dann mit diesen regionalen Kompetenzzentren vernetzen und die Konzepte erfolgreich in die Fläche bringen. Das wäre meine Idealvorstellung.

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Der Kompetenzverbund lernen:digital entwickelt evidenzbasierte Fort- und Weiterbildungen, Materialien sowie Konzepte für die Schul- und Unterrichtsentwicklung in einer Kultur der Digitalität. Um diese entlang konkreter Bedarfe auszurichten, strebt der Kompetenzverbund eine nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Bildungspraxis und Bildungsverwaltung an. Dazu suchen wir den Dialog auf Augenhöhe und informieren auf Europas führender Bildungsmesse über die Struktur und Aufgaben des Kompetenzverbunds und seiner vier Kompetenzzentren, Angebote der Wissenschaftskommunikation sowie geplante Transfer- und Dialogformate. Wir freuen uns darauf, Interessierte an unserem Stand zu begrüßen und uns mit Ihnen zu vernetzen.

Zeit: 20. bis 24. Februar 2024, jeweils 9:00 bis 18:00 Uhr 

Ort: Messe Köln, Halle 7.1 Stand B034

Unter dem diesjährigen Motto „Bildung mit Zukunft – Jetzt gestalten!“ präsentieren 2024 rund 730 Ausstellende innovative pädagogische Konzepte, Technologien und Dienstleistungen. Als zentraler Treffpunkt für Lehrkräfte, Pädagog:innen, Unternehmen, Verbände, Politik und Wissenschaft fördert die didacta den direkten Austausch im gesamten Bildungsbereich. In diesem Jahr beleuchtet das Rahmenprogramm der Messe insbesondere die digitale Transformation und verspricht interessante Podiumsdiskussionen und Vorträge.

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Silke Müller, Schulleiterin und Mitglied im Begleitgremiums des Kompetenzverbund lernen:digital, setzt große Hoffnungen in das Verbundvorhaben. Es könne das deutsche Bildungssystem aus der Ruinenverwaltung führen, hofft sie. Auch Katharina Scheiter, Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam und Leiterin der lernen:digital Transferstelle, hat große Ziele: Zwar werde man innerhalb der Projektlaufzeit nicht das Bildungssystem revolutionieren, doch es könnte eine Blaupause für die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Bildungsverwaltung und Schulpraxis, Bund und Ländern entstehen. Im Interview erklären beide, warum sie diese großen Hoffnungen hegen, welche Hürden es zu überwinden gilt, wie der Kompetenzverbund – einfach erklärt – aufgebaut ist und welche Auswirkungen es auch auf die Lehrkräfteausbildung hat.

Zum Start des Kompetenzverbund lernen:digital haben Sie, Frau Müller, das deutsche Bildungssystem als Ruinenverwaltung bezeichnet und erklärt, lernen:digital habe das Potenzial, dies zu ändern. Bei der Ruinenverwaltung wird kaum jemand aus dem Bildungssystem widersprechen, aber warum soll ein Projekt zu digital gestütztem Lernen und Unterrichten ein „Gamechanger“ sein?

Silke Müller: Dafür sprechen mehrere Punkte. Zum einen habe ich nicht nur von der charmanten Ruinenverwaltung gesprochen, sondern auch von der heiligen Kuh des Föderalismus, die wir wahnsinnig gerne vor uns hertreiben und an die wir nicht rangehen: Es gab schon viele tolle Einzelprojekte. Aber was gut in Niedersachsen war, kam in Bayern nicht an. Bei diesem Projekt wird nun erstmals bundesweit zusammengearbeitet. Hinzu kommt, dass es bei lernen:digital erstmals eine Vernetzung von Wissenschaft und Praxis gibt. Bisher wurde die Kompetenzvermittlung, wie Lehrkräfte durch digitale Medien das Lehren und Lernen verbessern können, nur sehr stiefmütterlich behandelt. Nun werden endlich von der Wissenschaft Strategien entwickelt, welche digitalen Kompetenzen Lehrkräfte in verschiedenen Fächern benötigen. Die Lehrkräfte bekommen etwas, das Hand und Fuß hat, wo sie sich drauf verlassen können, dass es sie in ihrer Arbeit unterstützt

Katharina Scheiter: Das ist ein weiterer entscheidender Punkt: Das Thema Digitalität wird bei lernen:digital anders kommuniziert. Es geht nicht um ein weiteres Add-on, mit dem sich Lehrkräfte auseinandersetzen müssen. Sondern im Mittelpunkt stehen die Fragen, wie guter Unterricht gestaltet wird, welche Ziele wir im Unterricht haben, welche Schwierigkeiten es gibt, diese Ziele zu erreichen und wie digitale Medien dabei helfen können, diese Schwierigkeiten zu beseitigen.

Silke Müller: Genau darum ist es bisher nämlich nicht gegangen. Plötzlich hieß es: „Technik muss in die Schule“. Aber der Ansatz war nicht: Wie kann uns Technik bei den komplexen Herausforderungen im Bildungssystem helfen? Das klingt sehr pathetisch, aber schlussendlich geht es bei der Bildung darum, unser eigenes friedvolles und demokratisches Leben zu sichern. Dazu müssen wir eine neue Generation fit machen für die Herausforderungen der Zukunft, die schlichtweg nicht mehr mit dem zu vergleichen sind, was vor zehn Jahren war. Die Kompetenzen, die unsere Kinder dafür bräuchten, geben wir ihnen aktuell jedoch nicht mit. Aber mit diesem Projekt können wir den Anstoß geben, Bildung zu revolutionieren oder zumindest dahingehend zu verbessern.

Schaut man sich den Aufbau und die Konzeption von lernen:digital an, lässt sich diese Strahlkraft noch nicht erkennen. Da gibt es Projektverbünde, Kompetenzzentren, Transferstelle, Landesinstitute – man behält kaum den Überblick und das schreckt eher ab. Daher die Bitte: Erklären Sie das Projekt einmal so einfach wie möglich.

Silke Müller: In Vorbereitung auf das Interview habe ich dazu mal ChatGPT genutzt und der KI gesagt: „Explain me as if I´m five lernen:digital“. Heraus kam – gekürzt – Folgendes: „Der Kompetenzverbund lernen:digital ist wie eine Gruppe von klugen Menschen, die zusammenarbeiten, um Schulen und Lehrerinnen und Lehrern dabei zu helfen, besser mit digitalen Dingen umzugehen. Die klugen Leute forschen und entwickeln Ideen in verschiedenen Bereichen wie Mathe, Sprache, Musik und Schulentwicklung. In Projekten erstellen sie Schulungsunterlagen, Materialien und Konzepte, wie man den Unterricht besser machen kann, wenn man digitale Technologien verwendet. Eine besondere Stelle, die Transferstelle, arbeitet daran, die Ideen noch besser zu machen, und hilft dabei, sie in ganz Deutschland zu verbreiten.”

Katharina Scheiter: Ich würde das um Folgendes ergänzen: Wir müssen alle lernen, mit digitalen Medien zu arbeiten. Dabei möchte lernen: digital die Lehrkräfte unterstützen, damit sie mit digitalen Medien besser lehren können. Damit wir das für alle verschiedenen Fächer gewährleisten können, brauchen wir fachliche Kompetenz. Denn natürlich setzt man digitale Medien im Chemieunterricht ganz anders ein als im Fach Musik oder Geschichte. Deswegen haben wir eine Vielzahl von verschiedenen Projekten, die diesen fachlichen Bezug herstellen und die in drei Kompetenzzentren zusammengefasst sind. Wenn wir die Lehrkräfte fit machen, setzt das aber auch eine Änderung der Organisation Schule voraus. Das ist die Aufgabe des vierten Kompetenzzentrums. Und die Transferstelle schließlich soll dafür Sorge tragen, dass etwas, was in einem Projektverbund in Niedersachsen entwickelt wird, auch in die 15 anderen Bundesländer gelangt.

Die Idee ist dabei aber nicht, dass jedes Einzelprojekt für alle 800.000 Lehrkräfte in Deutschland angeboten wird, sondern dass wir eine Änderung auf der systemischen Ebene hinbekommen: Die Erkenntnisse aus den Projekten sollen in den Landesinstituten verankert und von deren Fort- und Weiterbildenden aufgegriffen und an die jeweiligen Fachlehrkräfte weitergegeben werden.

Wenn also ein Projektverbund aus dem Kompetenzzentrum MINT eine Fortbildung für Physiklehrkräfte entwickelt hat, wie geht es dann weiter?

Katharina Scheiter: Da muss man einen Schritt vorher beginnen: Die klugen Leute, wie ChatGPT sie genannt hat, setzen sich schon bei der Entwicklung der Fortbildung mit Vertreter:innen aus der Praxis zusammen, damit auch etwas entwickelt wird, das zur Unterrichtsrealität passt und das wirklich nützlich ist. Im nächsten Schritt wird das Ganze dokumentiert und aufbereitet und dazu gehen wir relativ einmalig vor: Normalerweise ist es gerade bei mehreren Projektverbünden so, dass sie eine eigene Plattform entwickeln, auf der die Inhalte eingestellt werden. Wir haben uns von vornherein dafür entschieden, die vorhandenen Transferwege zu nutzen. Das heißt, wir arbeiten mit den Landesinstituten zusammen. Dort gibt es eine digitale Plattform, auf die alle Landesinstitute Zugriff haben, und dort wird alles aus unseren Projekten eingestellt und somit allen Ländern zugänglich gemacht. Das heißt, wir schaffen keine Parallelstruktur, die wieder zusammenfällt, wenn die Projektförderung endet, sondern wir gehen in das System rein.

„Im Mittelpunkt stehen die Fragen, wie guter Unterricht gestaltet wird, welche Ziele wir im Unterricht haben, welche Schwierigkeiten es gibt, diese Ziele zu erreichen und wie digitale Medien dabei helfen können, diese Schwierigkeiten zu beseitigen.“

Katharina Scheiter

Gehören Sie, Frau Müller, auch zu diesen Vertreter:innen aus der Praxis, die darauf achten, dass die Projekte auch in der Praxis realisierbar sind?

Silke Müller: Nein, ich sehe meine Aufgabe eher in der Rolle des kritischen Freundes, der vor allem danach schaut, ob lernen:digital auch wirklich bei den Lehrkräften ankommt. Denn damit das Projekt wirksam ist und funktioniert, muss eine große Masse von Leuten aus dem Bildungssystem davon erfahren und überzeugt sein: „Das ist super, das brauchen wir“. Bis jetzt wissen aber viele Schulen noch nichts von lernen:digital und welch großen Schatz wir damit im Bildungssystem heben können. Wenn das Thema aber bei den Landesinstituten verhaftet und nicht zu den Lehrkräften heruntergebrochen wird, dann könnte das Projekt scheitern.
Um das zu verhindern, sehe ich es als Aufgabe aller Kultusministerien, dass sie alle Schulleitungen informieren und sie auffordern, diese Initiative den Lehrkräften bekannt zu machen. Bisher habe ich aber noch von keinem solchen Aufruf gehört.

Sind wir damit bei der heiligen Kuh des Föderalismus? Sprich: Sie haben Sorge, dass die Länder die Konzepte nicht von den Landesinstituten aktiv zu den Lehrkräften bringen, weil es ein Bundesprojekt ist, an dessen Planung und Finanzierung die Länder nicht beteiligt waren und sind?

Katharina Scheiter: Es gab in jedem Fall eine große Anfangsskepsis gegenüber der Art und Weise, wie das Projekt aufgesetzt ist. Aber es setzt sich immer mehr die Haltung durch, dass das Projekt nun mal so gestrickt ist, wie es ist und wir versuchen nun, das Beste daraus zu machen. Kurz vor Weihnachten haben wir beispielsweise die Zusage erhalten, dass die Projektverbünde direkt auf der Plattform, die eigentlich der Kultuministerkonferenz gehört, arbeiten können. Das war ein Angebot aus den Ländern heraus, und nichts, wonach wir gefragt haben. Woran man merkt, dass sich die Stimmung ändert und der Wille da ist, dieses Projekt zu nutzen.

Silke Müller: Mit Blick auf die PISA-Ergebnisse haben wir auch keine Zeit mehr für solche Befindlichkeiten. Der Grund, warum wir Bildung betreiben, ist, Kinder und Jugendliche fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen. Das muss im Vordergrund stehen. Dann würde man auch sehen, dass lernen:digital ein Projekt ist, das sich wirklich bemüht, bundesweit Lehrkräfte fit zu machen, damit sie guten Unterricht in einer Kultur der Digitalität machen können. Und dann würden alle Länder sich schnell dran machen, den Weg freizumachen, und das Projekt könnte zum Gamechanger werden. Doch dieser große Ruck fehlt. Stattdessen geht es um Animositäten. Da ist jemand sauer, dass der Bund das Projekt ins Leben gerufen hat, schließlich ist das sein Hoheitsgebiet. Und obwohl jeder sieht, was für eine Katastrophe der Bildungsföderalismus damit für die Weiterentwicklung des Schulsystems darstellt, wird darüber nicht diskutiert.

Katharina Scheiter: Was wir auf jeden Fall brauchen, ist eine Diskussion, an welcher Stelle länderspezifische Betrachtungen sinnvoll sind. Die Frage, wie Mathematik in der siebten Klasse besser vermittelt werden kann, die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien und Konzepten, digitalen Angeboten – das ist in Bremen nicht anders als in Bayern. Erst die Frage der Implementierung ist etwas, das an die Gegebenheiten der Bundesländer angepasst werden muss. Das zeigt, dass wir unterscheiden sollten, an welchen Stellen Föderalismus sinnvoll und notwendig ist und an welchen Stellen länderübergreifendes Arbeiten im Vordergrund stehen muss. Und das versuchen wir mit diesem Projekt ein bisschen anzuregen.

Das klingt, als würden Sie den Föderalismus stellenweise ausschalten wollen, ohne aber die Systemdebatte zu führen.

Katharina Scheiter: Man muss sich eigentlich nur überlegen, was man in einer Projektlaufzeit von drei Jahren realistisch erreichen kann. Die Projektverbünde hatten mich beispielsweise gebeten, ein einheitliches Genehmigungsverfahren für die Durchführung von wissenschaftlichen Untersuchungen an Schulen anzuregen. Bisher gibt es nämlich 16 verschiedene Verfahren. Das habe ich in einem Gespräch mit den Ländervertreter:innen angesprochen. Aber zurück kam die einhellige Bitte, dass ich mich auf dieser Ebene nicht verkämpfen möge. Denn das sind teilweise Regelungen, die in den Landesgesetzen verankert sind. Und das zu ändern, würde enorm viel Zeit und Energie verschlingen. Wir nehmen diese Gegebenheiten deswegen jetzt so hin, versuchen aber im Gespräch mit den Ländern pragmatische Lösungen zu finden, um gemeinsam das Beste aus diesem Projekt zu machen.

Silke Müller

„Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt und dieses Projekt könnte der erste Schritt zu einer systematischen, strukturierten Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis, Bildungsverwaltung und Bildungspolitik sein, die es den Schulen ermöglicht, das Lehren mithilfe digitaler Medien zu verbessern und die Kinder und Jugendlichen fit für die Zukunft zu machen.“

Silke Müller

Was sieht denn Ihr Zeitplan vor, wann werden voraussichtlich die ersten Konzepte fertig sein und an die Landesinstitute weitergereicht?

Katharina Scheiter: Wir gehen davon aus, dass wir im Frühsommer die ersten dokumentierten Produkte auf der Plattform haben werden. Aktuell steht bei uns in der Transferstelle daher die Frage im Mittelpunkt, die Silke Müller vorhin ansprach: Wie wir es schaffen, dass diese Produkte dann auch in die Breite gebracht werden.

Sofern dies gelingt, wird dann auch evaluiert, ob ein Konzept funktioniert und angenommen wird?

Katharina Scheiter: Wir entwickeln in der Transferstelle Instrumente für die Evaluierung, die wir zentral zur Verfügung stellen werden. Dazu gehört unter anderem ein Instrument, mit dem teilnehmende Lehrkräfte die Fortbildungsqualität beurteilen können. Und wir entwickeln ein Testverfahren, mit dem wir die digitalisierungsbezogenen Kompetenzen von Lehrkräften messen wollen. Denn das ist ja sozusagen die Zielgröße: die Lehrkräfte in die Lage zu versetzen, mit digitalen Medien den Unterricht zu planen und durchzuführen. Wir können aber keine bundesweiten Evaluationsuntersuchungen machen und planen. Dazu wäre sehr viel Koordination notwendig und das ließe sich in der verbleibenden Zeit auch nicht verwirklichen.

Was ist denn das Beste, was das Projekt nach den drei Jahren nach Ihrer Vorstellung erreicht haben könnte?

Katharina Scheiter: Wir werden in den drei Jahren nicht die Welt revolutionieren. Aber mein Wunsch ist, dass wir an einzelnen Beispielen von entwickelten Fort- und Weiterbildungsangeboten eine Art Blaupause entwickeln, wie die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Bildungspraxis und Bildungsverwaltung dauerhaft gut gelingen kann. Dass wir also den Boden ebnen und Strukturen etablieren, die tragfähig sind für etwas Größeres, zu dem wir den Anstoß geben.

Silke Müller: Und da schließt sich dann der Kreis: Dann wäre es ein Gamechanger. Oder anders: Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt und dieses Projekt könnte der erste Schritt zu einer systematischen, strukturierten Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis, Bildungsverwaltung und Bildungspolitik sein, die es den Schulen ermöglicht, das Lehren mithilfe digitaler Medien zu verbessern und die Kinder und Jugendlichen fit für die Zukunft zu machen.

Lautet ein weiteres Ziel, dass diese Zusammenarbeit dann auch auf die Lehrerausbildung ausgedehnt wird?

Katharina Scheiter: Durch die Qualitätsoffensive Lehrerbildung ist in diesem Bereich bezüglich der Digitalisierung bereits etwas passiert. Allerdings wurde es nicht geschafft, dass das Thema digitale Bildung verpflichtender Bestandteil in der Lehrkräfteausbildung an allen Hochschulen geworden ist. Das ist ein Riesenproblem, das angegangen werden muss. Aber auch die 800.000 Lehrkräfte, die im System sind, haben einen wesentlichen Einfluss auf die Referendar:innen. „Jetzt vergiss mal alles, was du an der Uni gelernt hast. Wir erklären dir jetzt mal, wie die Praxis wirklich funktioniert“, das bekommen noch viele zu Beginn des Referendariats zu hören. Und wenn diese Praxis dann immer noch nach dem analogen Standard verläuft, kommen wir nie zu einem Unterricht in einer Kultur der Digitalität. Wenn wir es aber schaffen, die bestehenden Lehrkräfte zu einem solchen Unterricht zu befähigen, dann nehmen wir damit also auch einen positiven Einfluss auf die Ausbildung angehender Lehrkräfte.

Interview: Beate Berrischen, Agentur für Bildungsjournalismus

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Dass etwas schiefläuft in der Art und Weise, wie Lehrkräfte aktuell auf die Herausforderungen ihres Berufs vorbereitet werden, merkt Micha Pallesche immer dann, wenn er mit jungen Kolleg:innen spricht. Pallesche ist Schulleiter der Ernst-Reuter-Schule Karlsruhe, die schon seit vielen Jahren als leuchtendes Beispiel für zukunftsorientierten Unterricht gilt. Schulentwicklung findet in einem ko-kreativen Prozess unter Beteiligung der Schüler:innen und Eltern statt, digitale Medien werden dort inzwischen so selbstverständlich eingesetzt, dass man sich selbst bereits in einer post-digitalen Phase angekommen sieht. Leider scheint eine solch zukunftsoffene Perspektive in der Lehrkräfteausbildung im Augenblick noch nicht angekommen zu sein. „Junge Lehrer:innen sind oft diejenigen, die am traditionellsten unterrichten.“

Genau dies zu ändern, ist eines der Hauptziele des 2023 gegründeten Kompetenzverbund lernen:digital. Zur Auftaktveranstaltung am 22. und 23. November im Cafe Moskau in Berlin kamen rund 450 Vertreter:innen aus Wissenschaft und Bildungspraxis zu einem ersten großen Netzwerktreffen zusammen. Micha Pallesche war virtuell zugeschaltet, um gemeinsam mit Katharina Günther-Wünsch, amtierende KMK-Präsidentin und Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, Prof. Dr. Katharina Scheiter, gemeinsam mit Prof. Dr. Dirk Richter Wissenschaftliche Leitung der lernen:digital Transferstelle, und Dr. Johanna Börsch-Supan, Abteilungsleiterin für allgemeine und berufliche Bildung im Bundesministerium für Bildung und Forschung über die Erfolg versprechenden Strategien zur Stärkung von Lehrkräften zu sprechen. Und zwar in der Breite, wie Günther-Wünsch noch einmal bekräftigte: „Ein kleines Grüppchen reicht nicht, um Standards zu setzen.“

Foto: Phil Dera

Herausfordernder Transfer

Nun gehört die Fortbildung der rund 800.000 Lehrkräfte in Deutschland zum Aufgabenbereich der 22 Landesinstitute und Qualitätsagenturen, die beim Treffen auch zahlreich vertreten waren. Deren Vertreter:innen wiesen im Rahmen der vielfältigen Vernetzungs- und Dialogformate der Kick-off-Veranstaltung auch immer wieder auf die eigene Expertise hin und wie wichtig es sei, bestehende Strukturen zu nutzen, statt neue aufzubauen. Genau das wiederum, betonte Katharina Scheiter mehrfach, sei dezidiertes Ziel des Kompetenzverbunds, der sich als breiter Zusammenschluss wissenschaftlicher Teilprojekte versteht: „Es ist nicht die Aufgabe von Universitäten, Lehrkräfte fortzubilden.“ Vielmehr wolle man gemeinsam mit den Landesinstituten daran arbeiten, evidenzbasierte Erkenntnisse aus der Wissenschaft besser als bisher in die Breite der Bildungspraxis zu tragen. „Die Landesinstitute sind diejenigen, die mit ihren Multiplikator:innen in die Praxis hineinwirken“, so Dirk Richter. „Hier ist eben das Besondere des Verbundes zu sehen: dass Wissenschaft, vertreten durch die Kompetenzzentren, mit den Landesinstituten zusammenarbeitet und neue Projekte und Konzepte in die Schulpraxis bringt.“ 

Zur Wahrheit gehöre nämlich auch: Der Transfer in die Praxis ist herausfordernd, nicht jedem Landesinstitut gelinge dies gleich gut, nicht jede:r Fortbildner:in vermag es, wissenschaftliche Erkenntnis so in Schulpraxis zu transferieren, wie es wünschenswert wäre. Eigentlich wolle man in den Fachdidaktiken, in der Schulpädagogik ja Personen mit Praxiserfahrung haben, so Scheiter. „Es gibt hier unheimlich wenig systematisch zusammengetragene Erkenntnisse. Wie qualifiziert sind diese Fortbildner:innen überhaupt in der Breite? Handelt es sich um Menschen mit einer Zusatzqualifikation in der Erwachsenenbildung? Oder habe man es mit Lehrkräften zu tun, die ihre pädagogischen Kompetenzen aus dem Schulunterricht beziehen und sich ein wenig Erwachsenenbildung angelesen haben?“ 

Graphic Recording: Nadine Roßa

Enge Zusammenarbeit mit den Landesinstituten

An diesem Punkt soll der Kompetenzverbund lernen:digital ins Spiel kommen. Mithilfe eines beeindruckenden Netzwerks von über 200 Forschungs- und Entwicklungsprojekten aus ganz Deutschland, gebündelt in 24 Projektverbünden, die sich zu vier thematisch unterschiedlich ausgerichteten Kompetenzzentren zusammengeschlossen haben, und koordiniert von einer Transferstelle, will man optimale Bedingungen dafür schaffen, dass der Transfer von der Wissenschaft in die Praxis tatsächlich gelingt. Dass hier noch Verbesserungspotenzial besteht, betonte Katharina Scheiter in ihrer Keynote zur Veranstaltung: „Wir haben einen großen Klärungsbedarf in und zwischen Wissenschaft und Bildungspraxis. Und zwar zum einen bezüglich der Frage, was zeichnet eigentlich wirklich guten Unterricht mit und über digitale Medien aus? Aber auch, wie wirksame Fortbildungs- und aber auch Schulentwicklungskonzepte beschaffen sind, die ihrerseits auch die Potenziale von Digitalisierung nutzen.“

Bei der Transferstelle wiederum handelt es sich ebenfalls um einen Verbund, bestehend aus insgesamt zwölf Institutionen. Neben der Universität Potsdam, der Koordinierungsstelle des Projekts, sind noch sechs weitere Universitäten beteiligt, sowie vier Leibniz-Institute und, als Vertreter der Zivilgesellschaft, das Forum Bildung Digitalisierung. Dessen Vorstand Ralph Müller-Eiselt sieht den Verbund vor allem als Chance, das Thema digitale Bildungsteilhabe weiter voranzubringen. „Wenn man sich anschaut, was die Hürden für Bildungsteilhabe sind, dann geht es um Infrastruktur, um die Verfügbarkeit von Lehrmaterialien, aber auch um die Kompetenzen, die alle Beteiligten im System haben. Und die beiden letzten Punkte sind Kern von lernen:digital.“ 

Ihre Aufgabe sieht die Transferstelle zum einen in einer Vernetzung der Teilprojekte. Jedem der vier Kompetenzzentren ist ein Team aus sogenannten Broker:innen zugeordnet, die zwischen den Interessen der Projektverbünde, der Transferstelle und der Praxis vermitteln. Außerdem geht es darum, die Landesinstitute dabei zu unterstützen, Gelingensbedingungen und Hemmnisse des Wissenstransfers zu identifizieren und die Sichtbarkeit der Ergebnisse zu erhöhen. Ein eigenes Team für das Handlungsfeld Wissenschaftskommunikation hat das Ziel, Informationen aufzubereiten und Impulse zu geben, um den systemischen Transfer mit niedrigschwelligen Angeboten zu unterstützen. Darüber hinaus betreibt die Transferstelle auch eigene Forschung. „Diese verstehen wir als nutzeninspiriert. Das heißt, sie ist einerseits von einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse getrieben, andererseits aber auch darauf ausgerichtet, einen Beitrag zur Gestaltung der Bildungspraxis zu leisten“, so Katharina Scheiter.

Foto: Phil Dera

Bund und Länder als Teamplayer

Soweit die Idee des Kompetenzverbunds, die insgesamt auch sehr wohlwollend von den versammelten Akteur:innen aufgenommen wurde. Natürlich gab es dennoch die ein oder andere Detailfrage an die Projektverantwortlichen. Der Fokus lag dabei auf den Handlungsfeldern Transfer und Wissenschaftskommunikation und der im Rahmen zukunftsorientierter Bildungsinitiativen immer wieder formulierten Herausforderung, einzelne Ergebnisse aus einem kleinen Kreis von Vorreitern in die Breite eines föderal verästelten Bildungssystems zu bringen. Die Ausbildung von Multiplikator:innen und die Etablierung von Standards seien Maßnahmen, welche die Landesinstitute bereits seit Jahren anwenden, so eine Vertreterin des Landesinstituts Niedersachsen in einer Fragerunde mit Katharina Scheiter und Michaela Weiß vom Forum Bildung Digitalisierung. Sie könne nur dringend raten, diese Expertise auch zu nutzen. 

Eine weitere Herausforderung: die mit insgesamt drei Jahren recht knapp bemessene Projektlaufzeit von lernen:digital. Dass dies für den Aufbau effektiver Strukturen, den Abbau föderaler Bildungssilos und den Einstieg in ko-kreative Arbeitsprozesse viel zu kurz sei, darüber waren sich viele der anwesenden Bildungsexpert:innen einig. Allerdings, so kommentierten sowohl Katharina Scheiter als auch BMBF-Abteilungsleiterin Johanna Börsch-Supan den Einwand, sei es auch gar nicht der Anspruch des Projekts, in solch kurzer Zeit systemische Veränderungen realisieren zu können. Vielmehr verstehe man das Projekt als Impulsgeber (Scheiter), als Katalysator (Börsch-Supan), der längst überfällige Veränderungen anstößt und im Rahmen einer Anschlussförderung (hoffentlich) weiter verstetigt. Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger lobte den Verbund in einem Videogrußwort zur Veranstaltung als wegweisende Kooperation zwischen Bund und Ländern. „Die Wissenschaft zusammen mit der Praxis. Gemeinsam bringen wir die digitale Bildung voran. Als echtes Team.“

Foto: Phil Dera

Wandel der Forschungspraxis

Wenn es also das zentrale Ziel des Kompetenzverbunds ist, die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis zu verbessern, dann bot die Veranstaltung viele spannende Gelegenheiten, Beispiele aus der Praxis zu sammeln und tiefer in die Gelingensbedingungen eines wirksamen Transfers einzusteigen. Die erste Frage wäre nämlich: Was verstehen wir eigentlich unter Transfer, wie sie ein Workshop zu diesem Thema stellte. Eine Nachwuchswissenschaftlerin berichtete, wie in ihrem Studium die Auseinandersetzung mit der Praxis eher vermieden als gefördert werde. Alle waren sich einig: Transfer werde im derzeitigen Wissenschaftssystem nicht gefördert, eine Veränderung der Forschungspraxis sei dringend notwendig. „Dabei könnte man beide Aspekte miteinander verbinden. Es wäre durchaus möglich, Lehramtsstudierende parallel zum Referendariat promovieren zu lassen. Solche Pilotprojekte hat es ja in einzelnen Bundesländern bereits gegeben“, so Katharina Scheiter in einer Fragerunde mit den teilnehmenden Expert:innen.

Susanne Prediger, Mathematikdidaktikerin und Expertin in der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission, welche die Kultusministerkonferenz berät, zeichnete ein differenzierteres Bild. Nach ihrer Einschätzung können Wissenschaft und Praxis problemlos kooperieren. „Einzelne Wissenschaftler:innen entwickeln mit einzelnen Lehrer:innen innovative Unterrichtskonzepte, einzelne Fortbildungsdesigner:innen erarbeiten mit einzelnen Fortbildner:innen spannende Fortbildungskonzepte. Diese beiden Ebenen der Ko-Konstruktion sind bereits gut etabliert.“ Die Herausforderung liege in der Schwierigkeit, diese Ergebnisse dann in die Breite zu tragen. „Wir brauchen dann auch Konzepte für die weitere Aneignung.“ Hier könne und müsse die Wissenschaft helfen, so Prediger.

Positive Fehlerkultur

In der Schlussrunde wurde dann noch einmal sehr deutlich, vor welchen Herausforderungen reine Praktiker:innen gerade stehen, wenn die Rede davon ist, wissenschaftliche Erkenntnisse gingen oft an der Unterrichtspraxis vorbei. Johannes Terwitte, Mitbegründer der kleinen Dorfschule in Lassaner Winkel, sieht sich konfrontiert mit einer Masse an Bildungsangeboten, die ihn fast täglich erreichen, ohne dass er die Zeit hätte, deren Tauglichkeit für den eigenen Unterricht beurteilen zu können. „Hier wünsche ich mir Unterstützung von der Bildungswissenschaft im Sinne einer Evaluation und Sammlung erprobter Module, möglichst bündig zusammengestellt an einem Ort.“ Und dabei möglichst länderübergreifend anwendbar und dann wiederum anpassbar an lokale Bedürfnisse.

Bliebe eines der Grundprobleme von Fortbildungskonzepten, so sinnvoll und passend sie auch sein mögen, das Björn Nölte, Referent in der Schulaufsicht der Evangelischen Schulstiftung für Berlin und Brandenburg, am Ende ansprach. „Die Reaktion der meisten Schulleitungen ist dann: Das kann ich meinem Kollegium nicht auch noch zumuten.“ Eine mögliche Lösung lieferte Nölte gleich mit: „Es gibt einen Hebel, der relativ einfach zu bedienen ist, und das sind die Studientage, die jeder Schule zustehen: Wenn es gelänge, die Themen bei lernen:digital so aufzubereiten, dass sie in diesem Kontext interessant sind, dann könnte man damit viele Schulen auf einmal erreichen.“

Ob und wie gut das alles im Rahmen des Kompetenzverbunds gelingen kann, wird sich zeigen. Die Zeit ist knapp, die Herausforderung groß. Aber eines ist klar: Der Wille zur Veränderung ist da. Und die digitale Transformation ist ein Prozess, dem man am besten mit Offenheit begegnet. „Noch wichtiger als das Anhäufen von Wissen ist mir eine positive Fehlerkultur. Ich wünsche mir für uns alle, dass wir das Gefühl wertschätzen: Ich weiß noch nicht genau, wohin die Reise geht, aber ich will dabei sein“, gab Katharina Scheiter den Teilnehmenden mit auf den Weg.

Text: Klaus Lüber

Foto: Phil Dera

Mehr zum lernen:digital Kick-off

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Nächste Veranstaltungen

Biografie

Dr. Julia Jennek studierte Lehramt für Gymnasien mit den Fächern Geographie und Geschichte an der Universität Potsdam. Nach einem kurzen Intermezzo beim Bundesverband Geothermie kehrte sie zurück an die Universität, wo sie parallel zu ihrer Promotion in den Erziehungswissenschaften das Projekt Campusschulen auf- und ausbaute. In den letzten drei Jahren koordinierte sie am Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung der Universität Potsdam die Schulpraktika im Lehramtsstudium, ermöglichte deren Umsetzung während der Corona-Pandemie und trug zur Weiterentwicklung der Praktika sowie der Schul-Hochschul-Kooperation bei. Seit August 2023 unterstützt Julia Jennek den Kompetenzverbund lernen:digital als Broker:innen-Leitung für das Kompetenzzentrum Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft.

Im Dialog mit …

Julia
Jennek

Leitung Broker:innen Kompetenzzentrum Sprachen/Gesellschaft/Wirtschaft

Was macht die Rolle der Broker:innen aus und woran arbeiten Sie mit Ihrem Team?

Unsere Aufgabe besteht vor allem im „Knowledge Brokering”, was wir als Sammeln und Teilen von Wissen verstehen. Dazu kommt die Vernetzung, die unsere zentrale Aufgabe ist. 

Konkret arbeite ich mit einem Team aus drei Brokerinnen daran, die thematischen Schwerpunkte unserer sechs Projektverbünde zu analysieren, mögliche Synergien zu finden und die entsprechenden Projektpartner:innen zusammenzubringen. In unserem Kompetenzzentrum mit dem großen Fächerspektrum von Sprachen, Gesellschaft und Wirtschaft eine ziemlich komplexe Aufgabe! 

Darüber hinaus vernetzen wir uns mit den verschiedenen Teilprojekten der Transferstelle, um auch hier Synergien für die Arbeit mit den Verbünden zu erkennen. 

Letztlich wollen wir die Arbeit unserer Verbünde unterstützen, ihnen Hilfestellung leisten und ihre Arbeit sichtbar machen.

Welche Perspektiven bringen Sie mit, die für diese Rolle von Bedeutung sind?

Ich habe selbst Lehramt für die Fächer Geographie und Geschichte studiert und einige Zeit als Vertretungslehrerin gearbeitet. Mein Fokus lag in der Vergangenheit aber vor allem an der Schnittstelle von Hochschule und Schulpraxis: An der Universität Potsdam habe ich neben meiner Promotion das Campusschulen-Netzwerk aufgebaut und etabliert. Hier geht es darum, dass Wissenschaftler:innen, Lehrkräfte und Lehramtsstudierende gemeinsam an Themen der Schul- und Unterrichtsentwicklung arbeiten können. Meine Aufgabe war es, Räume für das Kennenlernen zu schaffen sowie die Grundstruktur der Kooperation zu etablieren. Aufgrund dieser Tätigkeit bin ich sehr vertraut mit den Anforderungen, die Wissenschaftler:innen und Lehrkräfte an die jeweils andere Seite stellen, was sie jeweils leisten können – und was nicht. In den letzten drei Jahren habe ich dann auch stärker mit den Verantwortlichen in der Bildungsadministration zusammengearbeitet, sodass ich auch diese Perspektive mit einbringen kann. Das Wissen hilft mir bei der Vermittlung zwischen „Theorie” und „Praxis” – die gar übrigens nicht so gegensätzlich sind, wie häufig behauptet wird!

Und natürlich sind viele meiner ehemaligen Kommiliton:innen jetzt Lehrkräfte – und geben mir den ungefilterten Eindruck davon, „was wirklich passiert”. 

Wie gelingt der Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis am besten?

Einen „Gegensatz” zwischen Theorie und Praxis gibt es so schlicht nicht – Lehrkräfte sind meiner Erfahrung nach neugierig auf das, was an den Universitäten passiert und möchten gern Fortbildungen besuchen, die von den Universitäten angeboten werden. Wissenschaftler:innen, die fortbilden, freuen sich darauf, Input von den Lehrkräften zu erhalten und zu sehen, wie diese wissenschaftliche Erkenntnisse für ihre Tätigkeit umsetzen. Meine Erfahrung aus dem Campusschulen-Netzwerk zeigt, dass Lehrkräfte auf jeden Fall hören wollen, wie die aktuellen wissenschaftlichen Theorien und Erkenntnisse aussehen, um sich dann gemeinsam zu überlegen, wie sie das in ihrem Unterricht umsetzen können. Es braucht also Input, aber auch genügend Zeit für Austausch und gemeinsame Arbeit an der Umsetzung. Und: Lehrkräfte lieben nichts mehr als vorbereitete Materialien, die sie „nur noch” an die Bedürfnisse ihrer Lerngruppen anpassen müssen. 

Im Kompetenzverbund lernen:digital unterstützen wir Broker:innen unsere Verbünde dabei, Ihre Erkenntnisse für Fortbildungen aufzubereiten. Dazu zählen Beratung sowie die Organisation von Workshops zu gelungenen Fortbildungen, die Bereitstellung von Vorlagen für gute Selbstlernmaterialien und die Unterstützung von Formaten, mit denen größere Communities, z. B. über Social Media, erreicht werden können. Wir Broker:innen freuen uns darauf, hier zu unterstützen und unsere Expertise einzubringen.